12 / 2000
  Univ.-Ass. Dr. Margareta Kreimer, Graz:

Stärkung der konservativ-liberalen Seite 
In den Bereichen Arbeitsmarktpolitik und Frauenpolitik wird in besonderem Maße sichtbar, dass hinter dem vorgeschobenen Argument der Kürzung sehr massive strukturelle Veränderungen stecken, die geplant sind oder umgesetzt werden. Für beide Bereiche gilt, dass hier mit der blau-schwarzen Koalition nicht die große 180-Grad-Wende stattfindet, sondern dass auch die Jahre und Jahrzehnte davor schon von deutlichen Widersprüchlichkeiten geprägt waren. Mit dem Regierungswechsel ist aber eine deutliche Stärkung der konservativ-liberalen Seite der widersprüchlichen Entwicklung spürbar. 

Arbeitslosengeld: Umleitung von Überschüssen
Arbeitsmarktpolitik ist im Prinzip wesentlich mehr als das, was jetzt im Budget sichtbar wird. Denn Arbeitsmarktpolitik wird in Österreich über unser erwerbszentriertes Sozialversicherungssystem, im Wesentlichen auch über die Arbeitslosenversicherung abgewickelt. Das, was im Budget letztendlich sichtbar wird, sind auf jeden Fall mögliche Defizite oder Überschüsse der Arbeitslosenversicherung. Daher geht es bei den Kürzungen, bei dem Suchen nach Sparvolumina darum, aus der Arbeitslosenversicherung Überschüsse ins Budget umzuleiten. Jener Vorschlag - der so jetzt vermutlich nicht kommt - die Sperre des Arbeitslosengeldes bei einvernehmlicher Kündigung und befristeten Verträgen ist jedenfalls ein wirklicher Strukturbruch.
Warum ist das so problematisch? Mit der Arbeitslosenversicherung versichere ich mich gegen das Risiko Arbeitslosigkeit und bei Arbeitslosigkeit tritt der Versicherungsfall ein, der in der Regel durch den/die VersicherungsnehmerIn nicht beeinflussbar ist, außer er/sie kündigt selbst, dann gibt es ohnehin eine Sperre. Bei einvernehmlichen Lösungen kann man in gewissem Sinne von Beeinflussbarkeit reden. Keinesfalls liegt eine Beeinflussbarkeit bei befristeten Verträgen vor. Diese Art von Verträgen sind in Österreich noch nicht häufig wie in anderen Staaten. Aber es werden immer mehr und es sind überproportional Frauen betroffen. Dabei geht es vor allem um Befristungen im Handel zur Spitzenabdeckung, um Karenzvertretungen, und es geht natürlich um Bau- und Saisonarbeitskräfte. Und hier bedeutet eine Sperre des Arbeitslosengeldes eine Aushebelung des Versicherungssystems. Wenn der Damm einmal gebrochen ist, dann kann das System in jeder Hinsicht verändert werden, sodass letztendlich eine Versicherungsleistung in eine Sozialhilfeleistung umgewandelt wird.

Kürzungen treffen überproportional Frauen
Frauen sind in jedem wohlfahrtsstaatlichem System überproportional von der Gestaltung und vom Ausmaß des Wohlfahrtsstaates betroffen. Das gilt auch für den wesentlich besser ausgestatteten skandinavischen Wohlfahrtsstaat und für den residualen Wohlfahrtsstaat amerikanischer und englischer Prägung. In Österreich haben wir noch immer sehr viele Elemente des so genannten Ernährermodells, das eine eindeutige traditionelle Rollenaufteilung der Geschlechter fördert oder jedenfalls begünstigt. Allerdings funktioniert das System immer schlechter, sei es weil die Ernährer ihrer Rolle nicht nachkommen, oder weil sie selbst nicht mehr genug verdienen. Daher sind Frauen bei ungelöster Vereinbarkeitsproblematik und bei schlechten Arbeitsmarktchancen verstärkt auf den Sozialstaat angewiesen. Sie zahlen aber im Durchschnitt weniger ein als Männer, da sie weniger verdienen und arbeiten. Die umverteilende Rolle des Staates kommt in Summa also insbesondere Frauen zugute. Nicht dass dies das beste aller Systeme wäre, es ist nur durch die vorhandene Arbeitsteilung so angelegt. Damit betrifft jede Kürzung des Sozialstaates, jede Kürzung von sozialen Leistungen Frauen überproportional. Für Frauen müssten also die Alternativen hinsichtlich einer anderen Sicherung als die durch den Sozialstaat, und ihre Möglichkeiten, über den Arbeitsmarkt sich wie Männer selber zu sichern und in ausreichendem Ausmaß Einkommen zu erzielen, gestärkt werden. Nach wie vor gibt es dazu keine wirklichen Ansätze und keine wirkliche Diskussion. Das war tendenziell leichter Ende der 90er-Jahre, als im Zuge der europäischen Beschäftigungspolitik doch eine vorsichtige Diskussion über die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit, über eine Stärkung der eigenständigen Positionen, über die Existenzsicherung der Frauen und über Pensionsmodelle geführt wurde. Nur war Frauenpolitik auch in der großen Koalition nie eine wirklich zielgerichtete Diskussion. Jetzt ist überhaupt nichts mehr von solchen Konzepten und Alternativen zu sehen. Dies alles wird verstärkt durch die Position des Sozialstaates als Arbeitgeber für Frauen, wobei es hier nicht nur um Kürzungen und um weniger Posten geht, sondern um die Arbeit, die nicht formell am Arbeitsmarkt gemacht wird. Es handelt sich vor allem um soziale Dienstleistungen, die auch dann getan werden müssen, wenn sie nicht über Erwerbsarbeit organisiert werden. Der Bedarf ist speziell im Pflegebereich, in der Alten- und Behindertenpflege, steigend. Wenn dies nicht als Erwerbsarbeit organisiert ist, muss die Familie und da meistens die Frauen einspringen.

Ungerechtigkeiten bei der Familienpolitik
Ganz besonders sichtbar wird die strukturelle Komponente in der Frauenpolitik im Überschneidungsbereich zur Familienpolitik, wie die Diskussionen um Karenz- und Kinderbetreuungsgeld zeigen. Hier handelt es sich ähnlich wie bei der Sperre des Arbeitslosengeldes um eine Brechung des Versicherungsprinzipes. Folgt man den derzeitigen Vorschlägen, wird dieses massiv ausgehöhlt, bis es letztendlich nicht mehr vorhanden ist.
Große Ungerechtigkeit herrscht hinsichtlich der Finanzierung, denn jene, die in den Familienlastenausgleich einzahlen sind nicht dieselben, die daraus etwas lukrieren können. Dies ist ein zentrales strukturelles Argument für große Gruppen von Frauen, denn es bedeutet eine massive Stärkung des traditionellen Geschlechterverhältnisses.
Auch hier muss man sagen, dass es eigentlich nichts Neues ist, dass Frauen zwei Jahre vom Arbeitsmarkt verschwinden, wenn sie ein Kind betreuen, dass sie lange und dauernde Unterbrechungen haben und schlecht abgesichert sind. Das war auch unter der vorhergehenden Koalition so, aber bisher war dies zumindest in einen arbeitsrechtlichen Rahmen eingebettet, das heißt: versicherungsrechtlich abgesichert. Frauen konnten wieder in den Beruf einsteigen, und das wurde gerade in den 90er-Jahren von mehr oder weniger intensiven Wiedereinstiegsprogrammen begleitet. Ökonomisch gesehen war das immer eine sehr ineffiziente Strategie: Zuerst qualifizieren sich Frauen, dann steigen sie ein, dann Kinderpause, dann steigen sie aus, dann Umschulung, Frauen requalifizieren sich, damit sie doch wieder irgendwie einsteigen können. Aber wenigstens war diese Strategie auf den Arbeitsmarkt hin orientiert, und als solche auch verbesserungsfähig. Es gab Vorschläge bezüglich der Gestaltung von Karenzregelungen, damit die Unterbrechungen weniger lang dauern.
Mit der Umwandlung dieser Leistung in eine Familienleistung wird daraus eine völlig andere Kategorie und verliert jeglichen Arbeitsmarktbezug. Es ist völlig klar, dass dadurch der arbeitsrechtliche Rahmen zuerst eingeschränkt wird, bis er später seine Bedeutung ganz verliert.

 

 
DEZEMBER-AUSGABE WIRTSCHAFT UND ARBEIT