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Univ.-Prof. Dr.
Richard Sturn, Graz:
Ich möchte ein paar Punkte plakativ in den Raum stellen:
1. Zuerst sollte man bei dem Begriff
„Neoliberal“, der sich in der Tat als treffliches Schimpfwort zur Apostrophierung
mancher Tendenzen eingebürgert hat, über alternative Bezeichnungen
im österreichischen Kontext nachdenken. Die Befürchtung geht
dahin, dass dieses Wort „neoliberal“ manches nicht ganz gut einfängt,
was in Österreich passiert. Dieser österreichische Neoliberalismus
wird nämlich von zwei Aspekten nicht nur orchestriert sondern geradezu
dominiert, dies sind ein etwas emphatisch vorgetragenes „Österreich
zuerst“, also ein Chauvinismus und einer sehr konservative Familienrhetorik.
Der Begriff „Neoliberalismus“ ist etwas zu vage und zu harmlos, um bestehende
Tendenzen zu charakterisieren.
2. Nulldefizit ist eine Chiffre
für Sozialabbau aber auch für Entpolitisierung. Wenn es nämlich
gelingt, im öffentlichen Diskurs alles unter dem Titel Nulldefizit
durchzudeklinieren, wird jegliche andere politische Thematik dadurch marginalisiert.
Insofern hat diese großartig angekündigte Politisierung, die
von manchen intellektuellen Feschaks auch auf der Linken als Reaktion auf
die neue Regierungsbildung in Aussicht gestellt wurde, durchaus ihre zweischneidige
Seite.
3. Hier ist ein Dissens zu sehen:
Diese Entpolitisierung, die durch die Diskussion um das Nulldefizit und
durch die Möglichkeit, dies als alles überragende Forderung in
den politischen Raum zu stellen, bewirkt wurde, zeigte sich schon früher.
Nicht unschuldig daran war ein gewisser legerer Umgang auch der Linken
mit Aspekten der Staatsfinanzierung. Zwei an sich richtige Argumente, nämlich
dass der Staat Schulden machen kann, um Investitionen zu tätigen,
und dass die Analogie von privatem Haushalt und Staat nur sehr begrenzt
gültig ist, wurden von der österreichischen Linken in manchen
Phasen überstrapaziert, um über gewisse Schwächen in der
positiven Argumentation und Gestaltung staatlicher Tätigkeit hinwegzutäuschen.
Man muss positiv die staatliche Tätigkeit, die kollektive Tätigkeit
als etwas Gutes „verkaufen“ können und dazu auch im Zweifel Verständnis
für eine Steuerfinanzierung dieses Staates bei den WählerInnen
wecken, und man kann sich diesbezüglich nicht in das Faulbett des
Populismus legen.
4. Was in dem Zusammenhang tatsächlich
sehr wichtig ist, wichtiger noch als die Bekämpfung der Rhetorik des
Nulldefizites, ist, dass man dem Kaputtreden entgegentritt. Die Diskussion
um das Nulldefizit wird sich vielleicht nach einer gewissen Zeit aufhören,
aber für alle, die über Jahre und Jahrzehnte hinaus an einem
funktionierenden Transfersystem in Österreich interessiert sind, gilt
es, die Demontage von öffentlichen Institutionen zu verhindern. In
dem Zusammenhang ist auf eine weitere Chiffre zu verweisen, und zwar jene
der Treffsicherheit. Wenn es nicht gelingt, die tiefe Problematik, die
Unhaltbarkeit und die verhängnisvollen Konsequenzen dieser Rhetorik
zu decouvrieren, dann steht es langfristig äußerst schlecht
um jegliche Bemühungen, in Österreich sozialen Ausgleich herzustellen.
Davon könnte es abhängen, ob progressive Politik in Österreich
mittelfristig gelingen kann oder nicht.
Die ganze rhetorische Demontierung des Sozialstaates kann natürlich
nur greifen, wenn diese Rhetorik der Treffsicherheit im Prinzip schon breit
verankert ist. Es gilt dagegen in einer intelligenten und problemadäquaten
Weise anzukämpfen, wobei man über die Probleme, die ein bestehender
Sozialstaat hat, selbstverständlich kritisch diskutieren und auf Besserung
sinnen kann.
5. In Bezug auf das Pensionssystem
ist es zunächst einmal wichtig, gegen dieses Krankreden anzukämpfen.
In gewissen Einzelargumentationen bzw. in der Argumentation des Spannungsverhältnisses
in der Pensionsversicherung wäre es auch vom Aufklärungsstandpunkt
her äußerst wichtig ist, den Grundmechanismus eines Pensionssystems
möglichst vielen Menschen klar zu machen. Der besteht im Prinzip nun
einmal darin, dass man wertvolle Gegenstände, wertvolle Objekte, Kaufkraft,
Kapital, mit dem man etwas produzieren kann, auch Fähigkeiten, die
man in die Menschen investiert hat, über Bildung etc., in irgendeiner
zukünftigen Periode abrufbar hat. Wenn man das so sieht, dann würde
man nicht zu der Diagnose kommen, dass private und öffentliche Pensionssysteme
einander extrem widersprechen. Theoretisch haben auch private Pensionssysteme
diese Fähigkeit, allerdings sollte man den privaten Sektor nicht mit
zu vielen Aufgaben belasten. Hier gibt es viele Unwägbarkeiten und
Unsicherheiten. Dazu kommt die lange Frist, sodass man schon sehr viel
Vertrauen in den Markt haben muss, um ihm auch noch die ganze Alterssicherung
anzuvertrauen, nachdem er in unserer Gesellschaft ohnedies schon viele
Regulationsmechanismen erfüllt..
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