Domänen der Erwachsenenbildung
Neben dem Energiebereich, der öffentlichen Wasserversorgung
und dem Verkehr ist das Bildungssystem – als Teilbereich des service public
– in unseren Tagen Gegenstand fortgeschrittener Begehrlichkeit des privaten
Sektors.
Gleichzeitig wollen politische Klasse und staatliche Bildungsbürokratie
"Bildungspolitik" durch "Steuerung durch den Markt" ersetzen. Das political
system und seine Vertreter scheinen entschlossen, die "Definitionsmacht
darüber, was Bildung ist" (attac-Schweiz-Gründungsmitglied Peter
Streckeisen), dem economical system überlassen: "Hinter
der Maske des Allgemeinwohls setzen sich alsbald die Interessen derjenigen
durch, die am Markt das Sagen haben: Bildung wird verdünnt zum Innovationsfaktor
im Dienste der Eigeninteressen der Marktplayer."
"Vollrechtsfähig": zwischen Kampagnentitel
und Ideologie
In diesem Szenario ist es dem entsprechenden Segment der scientific
community nicht gelungen, die Entwicklung rechtzeitig als ideologisch geleitet
zu enttarnen und damit zwingende Handlungsgrundlagen für eine gegensteuernde
Politik zu schaffen. Die Universitäten als (ehemalige) Orte der freien
und kritischen Forschung und Lehre sind denn auch die Erst- und Schwerstbetroffenen
der Entwicklung, der Begriff der "Vollrechtsfähigkeit" ist im Rahmen
dieser Kampagne wohl als ideologisch belastet zu identifizieren (vgl.
Korso, Dezemberausgabe 2001).
Die Gesellschaften der Nachkriegszeit hatten noch das primäre
Interesse an einem Recht auf Bildung für alle – unabhängig vom
monetären Vermögen – als Ziel definiert. Die Forderungen an eine
emanzipatorische Bildungspolitik gingen in den 60er- und 70er-Jahren aber
noch weiter: Das Recht auf Bildung dürfe nicht auf Unentgeltlichkeit,
freie Studienwahl und Ausbildungsförderung allein beschränkt
bleiben. Es müsse darüberhinaus ein Recht bestehen, mitzubestimmen
worauf mann/frau Anspruch hat.
Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit
Die im laufenden EU-Förderzyklus (bis 2006) implementierte Programmatik
"Förderung der Humanressourcen" wird, wenn man die Formulierung ernst
nimmt, durch die ebenfalls programmatisch fixierte Tendenz zur ausschließlichen
Förderung beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen konterkariert.
Die unter dem Titel "Erhaltung und Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit"
angestrebte umfassende Bildung und gewollte Stärkung des "intellectus
agens" bleibt auf der Ebene des reinen Job-Readying stecken.
Für den Leiter der steirischen Filiale der Erwachsenenbildungsförderung
des Bundes, Prof. Karl Kalcsics, gehen Förderung der Beschäftigungsfähigkeit
und Förderung der aktiven Staatsbürgerschaft Hand in Hand. Mit
zunehmender "Vernutzung von Bildung" (Kalcsics) tritt eine der zentralen
Fragen von Bildung, nämlich jene nach dem Wie der Gestaltung eines
funktionierenden Staatswesens in den Hintergrund.
Wer braucht Erwachsenenbildung?
In diesem Zusammenhang ist es nicht unbedeutsam, dass die stimmen-
und mandatsstärkste Partei in der Steiermark ihr anhängiges Erwachsenenbildungsinstitut
aufgelöst bzw. verkauft hat.
Die Bedeutung der Erwachsenenbildungseinrichtungen ist u.a. aufgrund
ihrer flexiblen Struktur und Adaptierbarkeit auf neue Erfordernisse in
den letzten Jahren stark gestiegen. Ein Großteil des Angebotes von
Einrichtungen wie z.B. dem Renner-Institut ergibt sich aus Bildungsbedarfserhebungen.
Zur Qualitätssicherung werden hier alle Seminare schriftlich evaluiert,
die Umsetzung der daraus gewonnenen Erkenntnisse sichert die Position in
diesem ausgewählten Bildungsegment für die Zukunft ab.
Die Zielgruppe des Renner-Institutes – als der politischen Akademie
der steirischen Sozialdemokraten – sind natürlich in erster
Linie MitarbeiterInnen und FunktionärInnen der SPÖ. Aber: Etwa
ein Drittel der SeminarteilnehmerInnen kommen nicht aus der Partei. Die
politischen Akademien in der Steiermark waren immer durch "Offenheit und
das Fehlen parteipolitischer Enge" (Kalcsics) charakterisiert.
Gewachsene Bedeutung der EB
Die entstandenen und vielfach beklagten Bedarfsdeckungslücken
im Universum der Bildung werden verstärkt von Erwachsenenbildungseinrichtungen
wahrgenommen und gefüllt. Die Notwendigkeit einer Integration psychosozialer
Sichtweisen in berufliche Handlungszusammenhänge etwa oder die Vermittlung
der Fähigkeit zur Anpassung an sich rasch ändernde Bereiche der
Lebenswelt sind typische Domänen von Erwachsenenbildungseinrichtungen.
|
|
|
Proponenten steirischer Erwachsenenbildungseinrichtungen:
Kalcsics,
Bitzer-Gavornik, Ulreich (v.l.): Plädoyer für
emanzipatorische Bildungsinhalte
|
So wird von den KursteilnehmerInnen der steirischen Akademie für
Lebens- und Sozialberatung die Ausbildung in erster Linie als Persönlichkeitsbildung
/ Empowerment und erst sekundär als Berufsausbildung verstanden. Dr.
Günther Bitzer-Gavornik, Leiter der LebensberaterInnen-Akademie
in Graz, weiß, dass die Absolventen die hier genossene Ausbildung
in der Mehrzahl in einen bereits vorhandenen (meist im psychosozialen Bereich
angesiedelten) Beruf integrieren. Bitzer: "Darüber hinausgehend ist
es aber auch erstaunlich, dass trotz nicht unproblematischer Marktlage
etwa ein Drittel unserer AbgängerInnen im direkten Anschluss an unseren
Lehrgang einen entsprechenden Beruf findet."
Entsprechendes leistet auch das Bildungszentrum Raiffeisenhof, das
immer wieder durch die Vermittlung unkonventioneller Bildungsinhalte aufhorchen
lässt. Im kommenden Sommersemester bietet der Raiffeisenhof als einziges
Institut in der Steiermark etwa Seminare zum in unseren Breiten relativ
wenig bekannten Debriefing an. Debriefing ist eine Methode zur kommunikativen
Entflechtung von Kognition und Emotion bei Betroffenen traumatischer
Geschehnisse. Nach Unfällen und Katastrophen kann durch die Arbeit
von im Debriefing Geschulten betroffenen Gruppen aber auch Einzelpersonen
bei der Erstbewältigung entscheidend geholfen werden. Raiffeisenhof-Ausbildungsleiter
Eduard Ulreich: "Weltweit werden derartig geschulte Personen für
lokale Einsätze immer stärker eingesetzt, in der Steiermark ist
sogar eine Evidenzhaltung auf Bedarfslisten des Amtes für Katastrophenschutz
der Landesregierung erwünscht."
Dieter Kordik
Kontakte:
Bildungszentrum Raiffeisenhof
Krottendorferstraße 81, 8052 Graz,
Tel. (0 316) 80 50 71 11
Fax (0 316) 80 50 71 51
Mail: raiffeisenhof@lk-stmk.at
www.raiffeisenhof.at
Akademie für Lebens- und Sozialberatung
Schillerstraße 2, 8010 Graz
Tel. (0 316) 38 68 73
Fax (0 316) 33 85 71
Mail: steigl@netway.at
Förderungsstelle des Bundes für Erwachsenenbildung Steiermark
Schönaugasse 8, 8010 Graz
Tel. (0 316) 82 13 73-0
Fax (0 316) 82 13 73-6
Mail: fsstyria@eb-stmk.at
www.eb-stmk.at
Dr. Karl Renner-Institut
Hans-Resel-Gasse 6, 8020 Graz
Tel. (0 316) 702 641
Mail: ristmk@spoe.at |