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  Wissenschaft und Forschung
 
 
  02 / 2002
 
Domänen der Erwachsenenbildung

Neben dem Energiebereich, der öffentlichen Wasserversorgung und dem Verkehr ist das Bildungssystem – als Teilbereich des service public – in unseren Tagen Gegenstand fortgeschrittener Begehrlichkeit des privaten Sektors. 

Gleichzeitig wollen politische Klasse und staatliche Bildungsbürokratie "Bildungspolitik" durch "Steuerung durch den Markt" ersetzen. Das political system und seine Vertreter scheinen entschlossen, die "Definitionsmacht darüber, was Bildung ist" (attac-Schweiz-Gründungsmitglied Peter Streckeisen), dem economical system überlassen:  "Hinter der Maske des Allgemeinwohls setzen sich alsbald die Interessen derjenigen durch, die am Markt das Sagen haben: Bildung wird verdünnt zum Innovationsfaktor im Dienste der Eigeninteressen der Marktplayer."

"Vollrechtsfähig": zwischen Kampagnentitel und Ideologie
In diesem Szenario ist es dem entsprechenden Segment der scientific community nicht gelungen, die Entwicklung rechtzeitig als ideologisch geleitet zu enttarnen und damit zwingende Handlungsgrundlagen für eine gegensteuernde Politik zu schaffen. Die Universitäten als (ehemalige) Orte der freien und kritischen Forschung und Lehre sind denn auch die Erst- und Schwerstbetroffenen der Entwicklung, der Begriff der "Vollrechtsfähigkeit" ist im Rahmen dieser Kampagne wohl als ideologisch belastet zu identifizieren  (vgl. Korso, Dezemberausgabe 2001).
Die Gesellschaften der Nachkriegszeit hatten noch das primäre Interesse an einem Recht auf Bildung für alle – unabhängig vom monetären Vermögen – als Ziel definiert. Die Forderungen an eine emanzipatorische Bildungspolitik gingen in den 60er- und 70er-Jahren aber noch weiter: Das Recht auf Bildung dürfe nicht auf Unentgeltlichkeit, freie Studienwahl und Ausbildungsförderung allein beschränkt bleiben. Es müsse darüberhinaus ein Recht bestehen, mitzubestimmen worauf mann/frau Anspruch hat.

Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit
Die im laufenden EU-Förderzyklus (bis 2006) implementierte Programmatik "Förderung der Humanressourcen" wird, wenn man die Formulierung ernst nimmt, durch die ebenfalls programmatisch fixierte Tendenz zur ausschließlichen Förderung beruflicher Qualifizierungsmaßnahmen konterkariert. Die unter dem Titel "Erhaltung und Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit" angestrebte umfassende Bildung und gewollte Stärkung des "intellectus agens" bleibt auf der Ebene des reinen Job-Readying stecken. 
Für den Leiter der steirischen Filiale der Erwachsenenbildungsförderung des Bundes, Prof. Karl Kalcsics, gehen Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und Förderung der aktiven Staatsbürgerschaft Hand in Hand. Mit zunehmender "Vernutzung von Bildung" (Kalcsics) tritt eine der zentralen Fragen von Bildung, nämlich jene nach dem Wie der Gestaltung eines funktionierenden Staatswesens in den Hintergrund.
 
Wer braucht Erwachsenenbildung?
In diesem Zusammenhang ist es nicht unbedeutsam, dass die stimmen- und mandatsstärkste Partei in der Steiermark ihr anhängiges Erwachsenenbildungsinstitut aufgelöst bzw. verkauft hat. 
Die Bedeutung der Erwachsenenbildungseinrichtungen ist u.a. aufgrund ihrer flexiblen Struktur und Adaptierbarkeit auf neue Erfordernisse in den letzten Jahren stark gestiegen. Ein Großteil des Angebotes von  Einrichtungen wie z.B. dem Renner-Institut ergibt sich aus Bildungsbedarfserhebungen. Zur Qualitätssicherung werden hier alle Seminare schriftlich evaluiert, die Umsetzung der daraus gewonnenen Erkenntnisse sichert die Position in diesem ausgewählten Bildungsegment für die Zukunft ab.
Die Zielgruppe des Renner-Institutes – als der politischen Akademie der steirischen Sozialdemokraten – sind  natürlich in erster Linie MitarbeiterInnen und FunktionärInnen der SPÖ. Aber: Etwa ein Drittel der SeminarteilnehmerInnen kommen nicht aus der Partei. Die politischen Akademien in der Steiermark waren immer durch "Offenheit und das Fehlen parteipolitischer Enge" (Kalcsics) charakterisiert.

Gewachsene Bedeutung der EB
Die entstandenen und vielfach beklagten Bedarfsdeckungslücken im Universum der Bildung werden verstärkt von Erwachsenenbildungseinrichtungen wahrgenommen und gefüllt. Die Notwendigkeit einer Integration psychosozialer Sichtweisen in berufliche Handlungszusammenhänge etwa oder die Vermittlung der Fähigkeit zur Anpassung an sich rasch ändernde Bereiche der Lebenswelt sind typische Domänen von Erwachsenenbildungseinrichtungen. 
 

Proponenten steirischer Erwachsenenbildungseinrichtungen: Kalcsics, 
Bitzer-Gavornik, Ulreich (v.l.): Plädoyer für emanzipatorische Bildungsinhalte

So wird von den KursteilnehmerInnen der steirischen Akademie für Lebens- und Sozialberatung die Ausbildung in erster Linie als Persönlichkeitsbildung / Empowerment und erst sekundär als Berufsausbildung verstanden. Dr. Günther Bitzer-Gavornik, Leiter der LebensberaterInnen-Akademie in Graz, weiß, dass die Absolventen die hier genossene Ausbildung in der Mehrzahl in einen bereits vorhandenen (meist im psychosozialen Bereich angesiedelten) Beruf integrieren. Bitzer: "Darüber hinausgehend ist es aber auch erstaunlich, dass trotz nicht unproblematischer Marktlage etwa ein Drittel unserer AbgängerInnen im direkten Anschluss an unseren Lehrgang einen entsprechenden Beruf findet."
Entsprechendes leistet auch das Bildungszentrum Raiffeisenhof, das immer wieder durch die Vermittlung unkonventioneller Bildungsinhalte aufhorchen lässt. Im kommenden Sommersemester bietet der Raiffeisenhof als einziges Institut in der Steiermark etwa Seminare zum in unseren Breiten relativ wenig bekannten Debriefing an. Debriefing ist eine Methode zur kommunikativen Entflechtung von Kognition und Emotion bei Betroffenen  traumatischer Geschehnisse. Nach Unfällen und Katastrophen kann durch die Arbeit von im Debriefing Geschulten  betroffenen Gruppen aber auch Einzelpersonen bei der Erstbewältigung  entscheidend geholfen werden. Raiffeisenhof-Ausbildungsleiter Eduard Ulreich: "Weltweit werden derartig geschulte Personen für lokale Einsätze immer stärker eingesetzt, in der Steiermark ist sogar eine Evidenzhaltung auf Bedarfslisten des Amtes für Katastrophenschutz der Landesregierung  erwünscht."                                 

Dieter Kordik


Kontakte: 
Bildungszentrum Raiffeisenhof 
Krottendorferstraße 81, 8052 Graz,
Tel. (0 316) 80 50 71 11
Fax (0 316) 80 50 71 51
Mail: raiffeisenhof@lk-stmk.at
www.raiffeisenhof.at

Akademie für Lebens- und Sozialberatung
Schillerstraße 2, 8010 Graz
Tel. (0 316) 38 68 73
Fax (0 316) 33 85 71
Mail: steigl@netway.at

Förderungsstelle des Bundes für Erwachsenenbildung Steiermark
Schönaugasse 8, 8010 Graz
Tel. (0 316) 82 13 73-0
Fax (0 316) 82 13 73-6
Mail: fsstyria@eb-stmk.at
www.eb-stmk.at

Dr. Karl Renner-Institut
Hans-Resel-Gasse 6, 8020 Graz
Tel. (0 316) 702 641
Mail: ristmk@spoe.at


 
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