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  Wissenschaft und Forschung
 
 
  12 / 2001
  Universitäten: Vollrecht - und tschüss?

In der ersten Dezemberwoche 2001 brechen die Uni-Rektoren ein Tabu der österreichischen Bildungspolitik. Die Anfang September von Bundesministerin Elisabeth Gehrer vorgelegten "Gestaltungsvorschläge" zur Universitätsreform, die im Kern die "Vollrechtsfähigkeit" – die Ausgliederung der Universitäten aus der Bundesverwaltung – vorsehen, könnten nur unter einer Bedingung realisiert werden: Der freie Hochschulzugang müsse fallen, eine "begabungs- und kapazitätsabhängige" Beschränkung für besonders überlaufene Studien eingeführt werden.

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Rektoren-Konferenz-Vize Univ.-Prof. Peter Skalicky stellt klar: Die Rektoren seien prinzipiell gegen den Numerus clausus, die Forderung nach Zugangsbeschränkungen als "Notwehrmaßnahme" gegen die Aushöhlung der Universitäten zu verstehen, die mit Inkrafttreten der so genannten "Vollrechtsfähigkeit" zu befürchten sei. Über kurz oder lang werde es zum "Crash" (O-Ton Skalicky) kommen, wenn das Ministerium nicht die entsprechenden finanziellen Mittel für den freien Zugang zur Verfügung stelle.

Teure Spar-Reform
Der Rektor der Universität Graz, Univ.-Prof. Dr. Lothar Zechlin , relativiert im KORSO-Gespräch diese rauen Töne: "Mit unserer Forderung wollen wir vor allem auf die Unehrlichkeit der Politik hinweisen, die den Universitäten weniger Mittel zur Verfügung stellt, aber gleichzeitig den freien Hochschulzugang aufrecht erhalten will." Und er erläutert: "Die projektierte Ausgliederung der Universitäten wird allein die Personalkosten gewaltig anschwellen lassen, weil dann ja die Sozialversicherungsbeiträge aus dem Uni-Budget bezahlt werden müssen. De facto hat man aber die den Universitäten zur Verfügung stehenden Mittel eingefroren."
Allein für Abfertigungen könnten bis zu 40% Mehrkosten im Personalbereich anfallen – was bei stagnierenden Budgets auf Personalkürzungen im gleichen Ausmaß hinausläuft.

 Eine Junta für die Uni?
Was sind die Kernstücke des Ministeriums-Vorschlages, der auf erbitterte Ablehnung aller Universitätsangehörigen vom Rektor bis zu den Studierenden stößt? Wo bis jetzt Kollegialorgane, besetzt mit VertreterInnen der Professoren, des Mittelbaus, der Studierenden und des nicht wissenschaftlichen Personals das Sagen hatten, soll in Hinkunft ein fünfköpfiger "Universitätsrat" die Geschicke der Alma Mater lenken. Das Besondere an ihm: Von Frank Stronach bis zur Schuhverkäuferin darf jede/r diesem "Rat" angehören – mit Ausnahme von Universitätsangehörigen. "In der Praxis", heißt es in einer ministeriellen Presseaussendung in schlechtem Deutsch, "wird sich herausstellen, dass sich die Mitglieder der Universitätsräte … vor allem aus Spitzenvertretern der Wirtschaft, der Medien, der Wissenschaft und angesehener Institutionen sein werden."
Ihre Macht wird nur mehr durch das Ministerium selbst eingeschränkt. Sie verteilen die Budgetmittel an die einzelnen Fakultäten und kontrollieren damit die Forschungs- und Lehrinhalte. Zudem können sie Einfluss auf die Gestaltung der Curricula – der Studienpläne – nehmen. Mag. Eva Feenstra, Universitätslektorin für Spanisch an der Grazer Romanistik und seit Jahren hochschulpolitisch aktiv, nennt den Uni-Rat eine "Junta für die Universität".

Die weisungsgebundene Freiheit der Forschung
Die Vorsitzende des Zentralausschusses für die Universitätslehrer und Assistenzprofessorin am Institut für Rechtsgeschichte, Mag. DDr. Anneliese Legat, fürchtet die Konsequenzen für die Wissenschaft, welche aus einer Übertragung der zentralen Schalthebel der Universität an den "Rat" zu erwarten sind: "Dann wird von universitätsfremden Personen darüber entschieden werden, worüber zu forschen ist, es werden nur jene Studienrichtungen ausreichend dotiert werden, die wirtschaftlich direkt verwertbar sind."
Auch Dr. Erwin Pochmarski, ao. Universitätsprofessor am Institut für Archäologie und Vize-Vorsitzender des Dienststellenausschusses für Universitätslehrende, sieht die Forschung gefährdet. Die Ziel- und Leistungsvorgaben, die der Rat vorgibt, müssen vom Rektor an den einzelnen Instituten durchgesetzt werden – "natürlich verfolgt der Vorstand dann auch den einzelnen Mitarbeiter, wenn der nicht ordentlich zur Zielerreichung beiträgt. Das ist mit der verkündeten Forschungsfreiheit schwer vereinbar."
DDr. Michael G. Schimek, ao. Universitätsprofessor am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Dokumentation, Mitglied des Österreichischen Dozentenverbandes, verfügt auf Grund seiner Studien und seiner Tätigkeit an in- und ausländischen Universitäten über eine Vielzahl internationaler Vergleichsmöglichkeiten. Auch er kommt zum Schluss, dass "Leistungsvereinbarungen und genaue Vorgaben, welche Ergebnisse wann abzuliefern sind, der freien Forschung die Grundlage entziehen: Es ist das Wesen der Forschung, dass sie immer wieder unkalkulierbar ist, dass man nicht voraussehen kann, auf welche neuen Fragen oder Schwierigkeiten man stoßen wird."

Lothar Zechlin Legat Schimek  
Rektor Lothar Zechlin: Personalkosten werden gewaltig anschwellen; Mittelbau-Sprecherin Assistenzprofessorin Anneliese Legat: System der ,starken Männer‘ ohne Gewaltenteilung droht; ao. Professor Michael Schimek: Personalreduktion ist das Ziel (von links)

Demokratische Entscheidungen: nicht zwangsläufig ein Qualitätskriterium
Kommen die Ministeriumsvorstellungen, verabschiedet sich die inneruniversitäre Demokratie. Legat: "Die paritätisch besetzten Kollegialorgane haben einen formellen Austausch der Interessen der Kurien ermöglicht – Mittelbau und Studierende mussten zumindest angehört werden. Was jetzt folgen soll, ist ein ,System der starken Männer‘ ohne Gewaltenteilung, die Meinungsbildungsprozesse werden informell. Die Ansichten jener Gruppen, die in der universitären Hierarchie weiter unten stehen – Frauen, Studierende, das nicht wissenschaftliche Personal – werden keine Berücksichtigung mehr finden."
Bundesministerin Elisabeth Gehrer dürfte von solch sensiblen Überlegungen eher wenig angekränkelt sein: Dem grünen Wissenschaftssprecher Univ.-Prof. Dr. Kurt Grünewald, der ihr mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen hatte, ließ sie laut STANDARD ausrichten, eine demokratische Entscheidung sei nicht per se ein Qualitätskriterium.
Vor allem die Studierenden fürchten, nach Umsetzung der geplanten Reform von jeder Einflussnahme ausgeschlossen zu werden. Philipp Funovits , Mathematikstudent und Referent für Bildung und Politik der Hochschülerschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz: "Für uns heißt das: Wir dürfen zwar Studiengebühren zahlen, aber weder bei der Bestellung von Professoren noch bei der Erstellung der Studienpläne mitreden. Dabei gab’s gerade im Bereich der Curricula-Entwicklung immer wieder studentische Impulse, die der Universität genützt haben. Die Einrichtung des Studiums Umwelt-Systemwissenschaften ist zum Beispiel auf eine studentische Initiative zurückzuführen."

Den einen nehmen, den anderen geben
Das neue Dienstrecht für Universitätslehrende gewinnt im Zusammenspiel mit den organisatorischen Reformen besondere Brisanz. Die Deckelung der Mittel und die zu erwartenden Umschichtungen innerhalb der Universitäten lassen im Verein mit den streng befristeten Verträgen einen Kahlschlag beim Lehrpersonal befürchten.
"Das Ziel ist eindeutig die Reduktion des Personals um Kosteneinsparungen zu erzielen", konstatiert Schimek. "Alle nicht habilitierten Angehörigen des Mittelbaus sollten schon durch das neue Dienstrecht möglichst rasch reduziert werden." Während in Hinkunft die einen mit 4-Jahres-Verträgen und schmalem Gehalt um einen neuerlichen Kontrakt zittern werden, darf sich so mancher neuer Lehrstuhlinhaber über ein recht ansehnliches Professorengehalt freuen: Die Verdienst-Obergrenze für Ordinarien wurde auf 1,6 Mio ATS pro Jahr angehoben, innerhalb bestimmter Grenzen werden die Universitäts-Räte die Gehaltshöhe mit den BewerberInnen selbst aushandeln können. Schimek: "Die Universität Graz wird allerdings solche wirtschaftskompatiblen Gehälter kaum zahlen können. Damit droht eine Ausdünnung der wissenschaftlichen Kapazität. Schimek, der über viel Auslandserfahrung verfügt, ortet zudem Konfliktpotenzial in den voraussehbaren Gehaltsunterschieden zwischen den Professoren verschiedener Fachrichtungen: "Sogar an den US-amerikanischen Privatuniversitäten achtet man darauf, dass es keine erheblichen Einkommensunterschiede gibt, weil die interdisziplinäre Zusammenarbeit darunter leidet.”

Uni-Klinikum bedroht?
Besonders betroffen vom neuen Dienstrecht ist die medizinische Fakultät. Schon letzten Sommer gab’s eine Gehaltsreduktion von 30% für die neu eintretenden Universitätsassistentinnen und -assistenten. AnfängerInnen müssen nun mit 14.000,— Schilling netto pro Monat auskommen, wobei die JungmedizinerInnen zusätzlich zu ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auch 40 Stunden Dienst am Patienten verrichten müssen.
Ärztekammer-Präsident Dr. Wolfgang Routil wirft der Ministerin "populistisch-flapsige Umgangsformen" vor: "Die Veränderungen im Dienstrecht wurden gegen die Meinung des Fachbeirates im Ministerium durchgezogen, ohne das Einvernehmen mit den Ärzten zu suchen, bis vor kurzem gab es keine Gesprächsbereitschaft." Routil befürchtet eine Abkoppelung der medizinischen Fakultäten vom internationalen Forschungs-Level durch das Ausbleiben des wissenschaftlichen Nachwuchses. Univ.-Prof. Dr. Axel Habelik, Kammereferent für universitäre Angelegenheiten, berichtet von einem bereits signifikanten Rückgang der Bewerbungen um Bundesstellen. 

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Studentenvertreter Philipp Funovits: Studierende sollen zahlen, aber nicht mitreden; a.o. Prof. Dr. Erwin Pochmarski:  Forschungsfreiheit gefährdet; Ärztekammer-Präsident Wolfgang Routil: Befürchtet Abkoppelung der medizinischen Fakultäten von internationalen Standards (von links)

Die Reformpläne des Ministeriums Gehrer, meinen Insider, bergen aber noch viel gefährlicheren Sprengstoff für die medizinische Fakultät, deren Budget derzeit wegen des angeschlossenen Universitätsklinikums die Hälfte des gesamten Uni-Budgets beträgt: Der monokratisch agierende Universitätsrat könnte einen anderen Verteilungsschlüssel beschließen – „dann müsste man wohl auch um das Uni-Klinikum fürchten”, fürchtet Schimek.

Universitas – ancilla oeconomiae
Welche Überlegungen hinter der Reform stehen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das Ministerium sieht, wie offenbar auch der Name der Homepage www.weltklasse-uni.at andeutet, im "Gestaltungsvorschlag" einen Versuch, die österreichischen Unis ins internationale Spitzenfeld zu hieven. Schimek quittiert diese Anstrengungen mit Zynismus: "Die Ministerin meint, dass die Universitäten mit der Reform ins vorderste Feld der internationalen wissenschaftlichen Forschung katapultiert würden, diese Reform zischt ab wie eine Rakete, bloß: man weiß nicht, welcher Planet da angeflogen wird." Ziemlich unbestritten ist allerdings unter allen BeobachterInnen, dass die hohen Schulen durch entsprechende Auswahl der im Rat sitzenden Personen und einschlägige Leistungsvereinbarungen eng an die Wünsche der Privatwirtschaft gebunden werden sollen. Dazu kommt, dass Institute, die es schaffen, durch entsprechende Angebote so genannte Drittmittel aus der Wirtschaft zu lukrieren, laut Reformpapier für ihre Anstrengungen durch zusätzliche öffentliche Gelder belohnt werden können. Für viele Studienrichtungen wird da natürlich wenig zu holen sein. Dr. Siegbert Himmelsbach, ao. Professor für französische Literaturwissenschaft, zweifelt wohl zu Recht daran, dass sein wissenschaftliches Angebot zahlungsfreudige Nachfrage bei lokalen Unternehmen finden könnte: "Wir könnten aber Wandflächen für Cola-Werbung zur Verfügung stellen", ironisiert er die ministeriellen Vorstöße.
Für den Bildungsökonomen Dr. Gerhard Wohlfahrt, Universitätsassistent am Institut für Volkswirtschaftslehre, zielen die Gehrer-"Gestaltungsvorschläge" zur Vollrechtsfähigkeit "letztendlich darauf ab, die öffentlichen Universitäten schlechter zu stellen, um damit – ganz im Trend der Zeit – privaten Hochschulen den Weg zu ebnen."

Christian Stenner
Mitarbeit: Romana Scheiblmaier


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