DI Dr. Günter Getzinger
Wissenschaftssprecher der SPÖ im steirischen Landtag

Interview
 
KORSO: Von der Bundesregierung wird die Einführung von nunmehr so genannten „Studienbeiträgen“ u.a. mit erheblichen Kosten durch den angeblichen Mißbrauch der Inskription begründet.
Getzinger: Diese Aussage ist Teil einer unglaublichen Diffamierungsstrategie gegen Studierende, die in den letzten Monaten betrieben wurde. Bereits im August hat ein Artikel in der Kleinen Zeitung, in dem über die sehr hohe Anzahl von Studierenden, die angeblich keine Prüfungen ablegen, einen bestimmten Zweck verfolgt: Damit sollte das Terrain für die Einführung von Studiengebühren vorbereitet werden. Nun werden auch die Studierenden zur Kassa gebeten und dies auch, indem man sie „im Vorlauf“ zu Sündenböcken macht und sie ausgrenzt.

KORSO: Was kostet eigentlich dieser sogenannte „Scheininskribient“ tatsächlich?
Getzinger: Die „BummelstudentInnen“ kosten außer geringen Verwaltungskosten nahezu nichts. Zudem ist es so, dass viele gezwungen sind, Teilzeitjobs auszuüben und dadurch sich die Studiendauer verlängert. Oder es werden Auslandsprakika absolviert oder andere begrüßenswerte Aktivitäten.

KORSO: Aber angeblich haben im Studienjahr 1988/99 in Graz nur 43% der Studierenden Prüfungen abgelegt.
Getzinger: Das ist eine äußerst fadenscheinige Argumentation, die nahe an der Lüge vorbeischrammt. Denn in dieser Zahl sind viele Unkorrektheiten und Ungenauigkeiten enthalten. Im Diplomarbeitsstadium beispielsweise oder während der Dissertation macht man im allgemeinen auch keine Prüfungen. Zu denken ist aber auch an solche Studierende, die wegen Kindern ihr Studium unterbrechen aber weiter inskribieren. Die Liste dieser Beispiele ließe sich lange fortsetzen. Leider wird in den Medien diesen kritischen Korrekturen kein Platz eingeräumt.

KORSO: Die ÖVP argumentiert, dass universitäre Bildung auch was kosten dürfen muss, so wie man für einen WIFI-Kurs etwas bezahlt.
Getzinger: Das ist ein fundamentalistisch motivierter Angriff auf unser Bildungswesen. Bildung hin zum Beruf (FacharbeiterIn bis AkademikerIn) muss kostenfrei bleiben, weil mit diesen Ausbildungen ein hoher volkswirtschaftlicher Nutzen verbunden ist. Daher muss diese Ausbildung dem Staat etwas wert sein. Durch die hohe Steuerprogression zahlen die AkademikerInnen die Kosten ihre Ausbildung weitgehend zurück, wie das ja auch durch die Studie von Sturn und Wohlfahrt (die sich übrigens auch auf der Homepage des Wissenschaftsministeriums findet) bewiesen wird. Oft haben daher MaturantInnen ein höheres Lebenseinkommen als AkademikerInnen. 
Berufsbegleitende Bildung und Erwachsenenbildung hingegen war und ist in Österreich nahezu nie gratis. Hier müßten die Betriebe verstärkt in die Finanzierung eingebunden werden. Ein Studium aber ist berufsvorbereitende Ausbildung.

KORSO: Auch bei Berufstätigen ist mit einer Abnahme der Studierendenzahl zu rechnen ...
Getzinger: ... wodurch die Universität einen wichtigen Praxisbezug verlieren wird. Denn Berufstätige sind wichtige Studierende und üben einen bedeutenden positiven Einfluss auf die Studiengänge aus, lassen Praxis einfließen. Und für diese wird das Studium überproportional teuer. 

KORSO: Welche Auswirkungen kann Ihrer Ansicht nach die Einführung der Studiengebühren auf die Zahl der Studierenden nach sich ziehen?
Getzinger: Diese zutiefst bildungsfeindliche Maßnahme trifft vor allem die Begabtesten, jene, die sich unter schwierigen Voraussetzungen etwa im Elternhaus derzeit – ohne die Hürde der Studiengebühren – letztlich doch ihren Anspruch auf ein Studium erkämpfen können. Für bildungsferne Schichten wird durch Studiengebühren ein psychisch wirksames Signal gesetzt. Eltern aus diesen Schichten werden ihren Kindern vermehrt von einem Studium abraten oder sie davon abhalten. Oder es wird dann eben nur ein Kind von mehreren studieren. Ich befürchte, dass es hier dann wieder die Mädchen treffen wird, dass es zu Rückschritten hinsichtlich der Bildungschancen für Mädchen kommen wird.
Zudem wird es auch beim Angebot der Universitäten zu einer Differenzierung kommen. Wenn die Universitäten die Vollautonomie erhalten haben und selbst über die Einnahmen verfügen können, dann wird die Versuchung groß sein, spezielle teure Studienangebote für die finanzielle Elite (statt Bildungselite) anzubieten. Wer kein Geld hat wird von bestimmten Studienrichtungen ausgegrenzt sein. Dies führt dann zu Eliteuniversitäten wie Oxford oder Cambridge, wo eben überwiegend Kinder der finanziellen Elite studieren (und nicht unbedingt die Begabtesten!).

KORSO: Aber es sollen ja auch die Stipendien erhöht werden.
Getzinger: Dadurch werden vielleicht einige der negativen Effekte ausgeglichen werden können. Aber gerade die Studierenden im Grenzbereich, die gerade kein Stipendium mehr bekommen, die werden am meisten drauf zahlen und das trifft besonders die Mittelschicht. Und bei den Einkommensschwächeren wird, wie bereits gesagt, die nicht zu unterschätzende psychische Wirkung von Studiengebühren zu einem Absinken der Studierendenzahl führen.

KORSO: Die StudiengebührenbefürworterInnen verweisen darauf, dass auch jetzt Österreich schon eine sehr niedrige AkademikerInnenquote hat und viele andere EU-Länder Studiengebühren haben.
Getzinger: Man muss ja nicht die Fehler anderer Länder nachmachen. Zudem sind die Systeme in den einzelnen Ländern sehr verschieden. Dadurch, dass fast alle Stipendien beziehen, ist es etwa in den Niederlanden sehr wohl möglich, unabhängig von den Eltern und deren Einkommen zu studieren. Zur Quote: Wir haben erst seit kurzem Fachhochschulen und auch die Einführung des Baccalaureats ist noch nicht so  lange her. Daher ist unsere Rate viel niedriger als in all jenen europäischen Ländern und der USA,  die bereits diese Kurzstudien und Fachhochschulen besitzen.

KORSO: Warum haben dann in der Vergangenheit auch SPÖ-VertreterInnen für eine Einführung von Studiengebühren plädiert?
Getzinger: Das waren einzelne Stimmen in der SPÖ von nicht entscheidungsrelevanten Personen. Zudem haben diese gänzlich andere Modelle vertreten wie diese nunmehr geplante simple Bildungssteuer.

KORSO: Sie rechnen also auch nicht mit einer Qualitätssteigerung auf den Universitäten dadurch, dass man in Zukunft etwas dafür zahlen muss.
Getzinger: Wie denn? Es wird ja für ein Studium pauschal bezahlt und nicht nach Kursen. Der/die einzelne unfähige Lehrende wird dadurch nicht unter Druck gesetzt. Ob jemand mit einem/einer Lehrenden unzufrieden ist, stellt sich ja erst im Laufe des Besuchs der Lehrveranstaltung heraus - wie da also noch wählen. Zudem müßte dann gleichzeitig ein Alternativangebot von Lehrveranstaltungen zur Verfügung stehen, das man stattdessen wählen kann. Eine wirklich sinnvolle Maßnahmen zur Qualitätssteigerung wären Lehrveranstaltungsevaluierungen durch die Studierenden mit Konsequenzen – positiven wie negativen – für die Lehrenden sowie kontinuierliche Weiterbildung für die Lehrenden.

KORSO: Welche Auswirkungen werden die Gebühren auf die Österreichische Hochschülerschaft haben?
Getzinger: Es ist ein frontaler Angriff auf die ÖH. Sie ist die erste gesetzliche Interessensvertretung, bei welcher die Regierung massiv kürzt (so wie sie es auch für die Arbeiterkammer plant). Für die Hochschülerschaft bedeuten verminderte HörerInnenzahlen einen Verlust von etwa acht Millionen Schilling. Und engagierte Studierende werden sich in Zukunft noch weniger finden, sich ehrenamtlich für die Rechte der anderen Studierenden einsetzen, wenn dies mit einer längeren Studiendauer bei zusätzlichen Kosten von 5000.- Schilling pro Semester verbunden ist. 

KORSO: Welche Art von Universitätsreform würden Sie sich wünschen?
Getzinger: Eine vernünftige Bildungspolitik sollte Schwerpunkte entwickeln. Die Universität ist keine Ausbildung bloß für spezielle Arbeitskräftenachfragen, sondern auch für Forschung und Bildung in einem sehr grundsätzlichen Sinn, im Sinn eines gesellschaftlichen Bedarfs. Gerade im Kulturland Österreich muss Platz sein auch für sogenannte „Orchideenfächer“. 
Die Politik zudem ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen für die genannten Schwerpunktsetzungen. Graz etwa wäre etwa ein guter Standort für Biotechnologie, für Umwelttechnologie oder auch für erneuerbare Rohstoffe, aber auch für Kulturwissenschaften. Hier kann es in Zukunft auch zu einer Spezialisierung im Angebot kommen.

KORSO: Woher sollte Ihrer Ansicht nach mehr Budget für die Universitäten kommen?
Getzinger: Man kann sicherlich im öffentlichen Sektor durch Effizienzsteigerung einsparen. Auf der Universität kann man durch effizientere Lehrmethoden, Lehrinhaltsentrümpelung und ähnliche Maßnahmen einsparen. Aber: Bildung muss in einer Kulturnation immer ein expandierender Faktor sein. Wir sind kein Land mit großen Rohstoffvorkommen oder einer gewaltigen Chemieindustrie. Daher ist der universitäre Forschungs- und Bildungsbereich mit seinem Beitrag zur Innovationsfähigkeit unser wichtigstes Kapital. Und gerade auch die Steiermark ist ein sehr guter Standort für Wissenschaft und Forschung.

KORSO: Darum ist ja auch LH Klasnic bemüht und hat eine ExpertInnenrunde zur „Abfederung“ der Einführung von Studiengebühren eingesetzt.
Getzinger: Das ist reine Nebelwerferei und hat lediglich taktische Bedeutung vor der Landtagswahl. Hier lassen sich Experten wieder einmal plump politisch missbrauchen. Und selbstverständlich ist auch LH Klasnic für die Studiengebühren ihrer Lieblingsregierung.

KORSO: Wie schätzen Sie die Chancen ein, die Einführung der Studiengebühren noch zu verhindern?
Getzinger: Ich bin optimistisch – dieser Tropen hat das Fass zum überlaufen gebracht! Die Studierenden haben ein großes kritisches Potential und sind äußerst kreativ im Widerstand. In kürzester Zeit eine Demonstration mit mehreren tausend DemonstrantInnen durchzuführen - wie in Graz am 20. September geschehen - ist schon sehr beeindruckend. Zudem haben diese Studierenden bzw. die zukünftigen Studierenden - also MaturantInnen, SchülerInnen - wiederum Eltern und Großeltern, die von diesen einschneidenden Maßnahmen mitbetroffen sind. Es ist das Gefühl entstanden, diese Regierung stiehlt uns die Zukunft!

KORSO: Wir danken für das Gespräch. 
 

 
 
 
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