Univ. Prof. Dr. Christian Brünner
Landtagsabgeordneter des Liberalen Forums Steiermark

Interview
 
KORSO: Ende September wurde in der Landesregierung ein SPÖ-Antrag gegen Studiengebühren abgelehnt. Wie schätzen Sie die politische Situation in der Steiermark ein: wird es hier eine breitere Ablehnung eben? 
Brünner: Bezüglich des Antrages der SPÖ gegen Studiengebühren muß ich darauf verweisen, dass führende Repräsentanten der Sozialdemokratie seit dem Jahr 1995 für die Einführung von Studiengebühren eingetreten sind. Als erster verlangte Ex-Finanzminister Lacina im Februar 1995 kostendeckende Studiengebühren. SPÖ-Wissenschaftssprecher Erwin Niederwieser war schon im Oktober 1997 überzeugt, dass „Studiengebühren notwendig sind, um Einsparungen zu verhindern“. Ex-Finanzminister Edlinger vertat im Februar 1997 ebenso wie Ex-Wissenschaftsminister Dr. Einem die Meinung, „dass man über Studiengebühren reden und nachdenken kann.“ Die SPÖ ist somit bei dem Eintreten gegen Studiengebühren  unglaubwürdig, und ist deren Eintreten gegen Studiengebühren momentan insbesondere aus wahltaktischen Gründen erklärbar. 
In der Steiermark opponieren SPÖ, LIF und Grüne gegen die Einführung von Gebühren. Ich hoffe sehr, dass es eine noch breitere Ablehnungsfront mit dem Ziel einer seriösen Diskussion betreffend eine Universitätsreform geben wird.  Die ÖVP ist allerdings nach dem „Slalomlauf“ von Landeshauptmann Klasnic unter dem Eindruck von Umfrageergebnissen unter ÖVP-Wählern auf den Kurs der Regierung umgeschwenkt.
Da auch die FPÖ vehement für Studiengebühren eintritt, werden die beschlossenen Studiengebühren trotz des Fehlens eines bildungspolitischen Konzeptes leider nicht zurückgenommen werden. 

KORSO: Welche Meinung vertritt das LIF in Sachen Studiengebühren und werden Sie die Proteste der Studierenden unterstützen? 
Brünner: Die Studiengebühren nach dem „Husch-Pfusch-Konzept“ der Bundesregierung sind strikt abzulehnen. Erst wenn nach Umsetzung eines bildungspolitisch fundierten Konzepts Reformen an den Universitäten vollzogen sind, bin ich bereit über  Studiengebühren zu diskutieren. Ich vertrete dabei folgende Positionen:
Es muß sichergestellt sein, dass 
1) die StudentInnen ihr Studium in den gesetzlichen Studienzeiten (in der Regel 4 Jahre) positiv abschließen können
2) die Curricula den zukünftigen Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft entsprechen
3) die Universitäten modern (rund um die Uhr geöffnete Bibliotheken, funktionierendes EDV-Anmeldesystem etc.)  ausgestattet sind.
4) keine Bildungsbarrieren für unterprivilegierte soziale Gruppen geschaffen werden.
Die Einführung der Studiengebühren in der geplanten Form stellt in jedem Fall eine Bildungsbarriere dar. Sie hält Bildungswillige ab, auch wenn die Stipendien erhöht werden. Die AkademikerInnenquote wird daher auf jeden Fall sinken.
5) Studiengebühren nicht als Selektionskriterium fungieren. Studiengebühren als Abhaltestrategie bzw. Selektionskriterium sind nicht zuletzt aus ausbildungspädagogischen Gründen komplett verfehlt. Ich frage mich, wie Frau Bundesministerin Gehrer, die selbst Lehrerin und damit Pädagogin ist, Studiengebühren von S 5.000  in der derzeit geplanten Form zustimmen kann. 
6) Wenn Studiengebühren eingehoben werden, müssen diese an der Universität, an der sie eingehoben werden, zur Gänze verbleiben. Nur so kann ein Nachfrageeffekt erzielt werden (ich will als Studierender von der Universität und Studienrichtung, die ich gewählt habe, die bestmögliche Leistung). Die Umverteilung, Studierende zahlen an den Staat, der Staat gibt die Beiträge teilweise an die Universitäten weiter, drängt die Universitäten in eine Bittstellerrolle gegenüber dem Staat. Tonnen Energie akademischer Funktionäre werden verschließen, wenn sie ständig um Geldmittel bitten und betteln müssen. 

Die geplante Studiengebühr  ist eine reine Schröpfaktion auf dem Rücken der Studierenden. Hier wird die Bildungspolitik zur Budgetpolitik gemacht. Das Ziel eines Budget-Nulldefizites um jeden Preis führt dazu, dass das  wichtigste gesellschaftliche Zukunftspotential, nämlich gut ausgebildete junge Menschen, in ihrer Ausbildung behindert werden.
Außerdem schielt die Regierung mit einem Auge auf Ressentiments gegenüber den Studierenden (leisten nichts, führen ein gutes Leben etc.). Ich unterstütze die Proteste und werde an der Protestaktion auch teilnehmen.

KORSO: Als Argument gegen die Einführung der Gebühren wird eine Senkung der AkademikerInnenrate befürchtet. Diese ist jedoch bereits jetzt im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Warum? 
Brünner: Mit der Einführung von Studiengebühren sinkt mit Sicherheit die AkademikerInnenquote, das ist nichts anderes als eine marktwirtschaftliche Reaktion. Wird ein Gut (das Studium) teurer, sinkt die Nachfrage. Die internationalen Zahlen betreffend die AkademikerInnenquote müssen differenziert betrachtet werden, Wenn die Quote in den USA 29 % beträgt, dann sind in dieser Zahl auch alle Abschlüsse von z.B. community colleges enthalten. Diese Abschlüsse sind aber im großen und ganzen nur mit der österreichischen Matura vergleichbar. 
Die AkademikerInnenquote muß in Österreich angehoben werden. Wirtschaft und Gesellschaft brauchen wegen Globalisierung und Internationalisierung des Wettbewerbes, der Notwendigkeit hoher Qualität von Produkten und Dienstleistungen und des vermehrten Einsatzes moderner Technologien mehr qualifizierte Personen. 

Gründe für die unterdurchschnittliche AkademikerInnenquote in Österreich sind:
- Die lange Zeit der Abschottung Österreichs vom internationalen Wettbewerb. Man fand das Auslangen mit den berufsbildenden Akademien und Kollegs (einer der Gründe warum Fachhochschulstudien in Österreich so spät eingeführt wurden). 
- Eine gewisse Unlust der Wirtschaft, für die Qualifikationen auch zu bezahlen. 
- Teilweise altmodische Studienpläne
- Bildungsbarrieren, wie z.B. unterpriviligierter sozialer Status oder ausschließlich Präsenzuniversitäten anstelle der Möglichkeit von Fernstudien

KORSO: Die ÖVP argumentiert, dass das Bildungssystem vor allem auch durch den angeblichen "Mißbrauchs der Inskription" und den hohen Anteil von Studierenden, die keine Prüfungen ablegen (in Graz im letzten Jahr angeblich mehr als 50%) unleistbar wäre. Welche Kosten verursacht diese Personengruppe Ihrer Meinung und Ihrer Erfahrung als ehemaliger Rektor der Grazer Universität tatsächlich? 
Brünner: Hier muß man differenzieren zwischen StudentInnen, die in einem bestimmten Zeitraum keine Prüfung ablegen und trotzdem nicht unbedingt untätige Studierende sein müssen. Sie können Lehrveranstaltungen, Konservatorien etc. besuchen. Auch wenn sie sich in diesem Zusammenhang keiner Prüfung stellen, wird ein Bildungseffekt ausgelöst. Und  den sogenannten „Karteileichen“, das sind Studierende, die lediglich inskribieren und sonst die Universität nicht frequentieren .Die Kosten, die dadurch verursacht werden, sind vernachlässigbar. Es werden ihnen pro Jahr 2 Zahlscheine und 2 Bestätigungen der Inskription ihrer Studienrichtung zugeschickt, und das weitestgehend automationsunterstützt. 

KORSO: Die ÖVP vergleicht den Betrag für die Studiengebühr mit den Kosten für den Führerschein, einen Wifi-Kurs bzw. einer Tunesien-Pauschalreise. Welche Bedeutung hat für Sie, gerade als Kenner des Universitätsbetriebes, ein weiterhin gebührenfreier Zugang zum Studium bzw. akademische Ausbildung ? 
Brünner: Dieser Argumentation der ÖVP muß ich strikt widersprechen. Seit dem „Uni-Sparpaket“ 1997 sind die StudentInnen massiv von Einsparungen betroffen durch
den Verlust der  Familienbeihilfe bei Überschreiten des Toleranzsemesters, die Streichung der Heimfahrtbeihilfe und vor allem durch den Entfall der Regelung, dass die Ausbildungszeiten bis zu sechs Jahre auf die Pension angerechnet werden. 

KORSO: Welche strukturellen Verbesserungen wünschen Sie sich für die Universitäten und woher sollten die dafür nötigen Mittel stammen?
Brünner: Durch den Verkauf der UMTS-Lizenzen erhält der Finanzminister einen großen Geldbetrag, der größtenteils in den gesamten Bildungsbereich – somit auch in die Universitäten - und in den Forschungs- und Entwicklungsbereich investiert werden sollte. 
In struktureller Hinsicht fordere ich eine Umstrukturierung des Bildungssystems in Richtung Einführung eines Bildungsschecks. Dieser beruht auf zwei Komponenten, nämlich der Einführung einer Grundsicherung unter Einrechnung von Unterhaltsansprüchen und eigenem Einkommen in der Höhe von 8000 Schilling und einer Ausbildungsfinanzierung für die an den Ausbildungsstätten in Anspruch genommenen Leistungen. Davon sollen alle in Ausbildung stehenden jungen Menschen profitieren, somit die Ungerechtigkeiten gegenüber Menschen beseitigt werden, die nicht die Universität besuchen.
An strukturellen Verbesserungen sind insbesondere notwendig:
1) Schnellerer Ausbau der Fachhochschulen
2) Ein Strukturplan im tertiären Bildungssektor, in dem der Wildwuchs – Universitäten, Fachhochschulstudien, Akademien, Bakkalaureatsstudium etc. – aufeinander abgestimmt werden muss.
3) Reformen der Studien dergestalt, dass diese den hinlänglich dokumentierten Anforderungen von Universität und Gesellschaft besser entsprechen als bisher
4) Die Gestaltung des Studiums derart, dass den Studierenden für Engagement und Tätigkeiten außerhalb des Studiums (in NGO’s, ÖH, studentischen Vereinigungen, kirchlichen Organisationen etc.) eine gewisse Zeit zur Verfügung steht, weil weitestgehend nur auf diese Art und Weise soziale Kompetenz erworben werden kann. 
5) Vorgaben für eine straffere Gestaltung des Studiums.

KORSO: Wir danken für das Gespräch.

 
 
 
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