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KORSO: Ende September wurde in der Landesregierung ein SPÖ-Antrag
gegen Studiengebühren abgelehnt. Wie schätzen Sie die politische
Situation in der Steiermark ein: wird es hier eine breitere Ablehnung eben?
Brünner: Bezüglich des Antrages der SPÖ gegen
Studiengebühren muß ich darauf verweisen, dass führende
Repräsentanten der Sozialdemokratie seit dem Jahr 1995 für die
Einführung von Studiengebühren eingetreten sind. Als erster verlangte
Ex-Finanzminister Lacina im Februar 1995 kostendeckende Studiengebühren.
SPÖ-Wissenschaftssprecher Erwin Niederwieser war schon im Oktober
1997 überzeugt, dass „Studiengebühren notwendig sind, um Einsparungen
zu verhindern“. Ex-Finanzminister Edlinger vertat im Februar 1997 ebenso
wie Ex-Wissenschaftsminister Dr. Einem die Meinung, „dass man über
Studiengebühren reden und nachdenken kann.“ Die SPÖ ist somit
bei dem Eintreten gegen Studiengebühren unglaubwürdig,
und ist deren Eintreten gegen Studiengebühren momentan insbesondere
aus wahltaktischen Gründen erklärbar.
In der Steiermark opponieren SPÖ, LIF und Grüne gegen die
Einführung von Gebühren. Ich hoffe sehr, dass es eine noch breitere
Ablehnungsfront mit dem Ziel einer seriösen Diskussion betreffend
eine Universitätsreform geben wird. Die ÖVP ist allerdings
nach dem „Slalomlauf“ von Landeshauptmann Klasnic unter dem Eindruck von
Umfrageergebnissen unter ÖVP-Wählern auf den Kurs der Regierung
umgeschwenkt.
Da auch die FPÖ vehement für Studiengebühren eintritt,
werden die beschlossenen Studiengebühren trotz des Fehlens eines bildungspolitischen
Konzeptes leider nicht zurückgenommen werden.
KORSO: Welche Meinung vertritt das LIF in Sachen Studiengebühren
und werden Sie die Proteste der Studierenden unterstützen?
Brünner: Die Studiengebühren nach dem „Husch-Pfusch-Konzept“
der Bundesregierung sind strikt abzulehnen. Erst wenn nach Umsetzung eines
bildungspolitisch fundierten Konzepts Reformen an den Universitäten
vollzogen sind, bin ich bereit über Studiengebühren zu
diskutieren. Ich vertrete dabei folgende Positionen:
Es muß sichergestellt sein, dass
1) die StudentInnen ihr Studium in den gesetzlichen Studienzeiten (in
der Regel 4 Jahre) positiv abschließen können
2) die Curricula den zukünftigen Anforderungen von Wirtschaft
und Gesellschaft entsprechen
3) die Universitäten modern (rund um die Uhr geöffnete Bibliotheken,
funktionierendes EDV-Anmeldesystem etc.) ausgestattet sind.
4) keine Bildungsbarrieren für unterprivilegierte soziale Gruppen
geschaffen werden.
Die Einführung der Studiengebühren in der geplanten Form
stellt in jedem Fall eine Bildungsbarriere dar. Sie hält Bildungswillige
ab, auch wenn die Stipendien erhöht werden. Die AkademikerInnenquote
wird daher auf jeden Fall sinken.
5) Studiengebühren nicht als Selektionskriterium fungieren. Studiengebühren
als Abhaltestrategie bzw. Selektionskriterium sind nicht zuletzt aus ausbildungspädagogischen
Gründen komplett verfehlt. Ich frage mich, wie Frau Bundesministerin
Gehrer, die selbst Lehrerin und damit Pädagogin ist, Studiengebühren
von S 5.000 in der derzeit geplanten Form zustimmen kann.
6) Wenn Studiengebühren eingehoben werden, müssen diese an
der Universität, an der sie eingehoben werden, zur Gänze verbleiben.
Nur so kann ein Nachfrageeffekt erzielt werden (ich will als Studierender
von der Universität und Studienrichtung, die ich gewählt habe,
die bestmögliche Leistung). Die Umverteilung, Studierende zahlen an
den Staat, der Staat gibt die Beiträge teilweise an die Universitäten
weiter, drängt die Universitäten in eine Bittstellerrolle gegenüber
dem Staat. Tonnen Energie akademischer Funktionäre werden verschließen,
wenn sie ständig um Geldmittel bitten und betteln müssen.
Die geplante Studiengebühr ist eine reine Schröpfaktion
auf dem Rücken der Studierenden. Hier wird die Bildungspolitik zur
Budgetpolitik gemacht. Das Ziel eines Budget-Nulldefizites um jeden Preis
führt dazu, dass das wichtigste gesellschaftliche Zukunftspotential,
nämlich gut ausgebildete junge Menschen, in ihrer Ausbildung behindert
werden.
Außerdem schielt die Regierung mit einem Auge auf Ressentiments
gegenüber den Studierenden (leisten nichts, führen ein gutes
Leben etc.). Ich unterstütze die Proteste und werde an der Protestaktion
auch teilnehmen.
KORSO: Als Argument gegen die Einführung der Gebühren
wird eine Senkung der AkademikerInnenrate befürchtet. Diese ist jedoch
bereits jetzt im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich. Warum?
Brünner: Mit der Einführung von Studiengebühren
sinkt mit Sicherheit die AkademikerInnenquote, das ist nichts anderes als
eine marktwirtschaftliche Reaktion. Wird ein Gut (das Studium) teurer,
sinkt die Nachfrage. Die internationalen Zahlen betreffend die AkademikerInnenquote
müssen differenziert betrachtet werden, Wenn die Quote in den USA
29 % beträgt, dann sind in dieser Zahl auch alle Abschlüsse von
z.B. community colleges enthalten. Diese Abschlüsse sind aber im großen
und ganzen nur mit der österreichischen Matura vergleichbar.
Die AkademikerInnenquote muß in Österreich angehoben werden.
Wirtschaft und Gesellschaft brauchen wegen Globalisierung und Internationalisierung
des Wettbewerbes, der Notwendigkeit hoher Qualität von Produkten und
Dienstleistungen und des vermehrten Einsatzes moderner Technologien mehr
qualifizierte Personen.
Gründe für die unterdurchschnittliche AkademikerInnenquote
in Österreich sind:
- Die lange Zeit der Abschottung Österreichs vom internationalen
Wettbewerb. Man fand das Auslangen mit den berufsbildenden Akademien und
Kollegs (einer der Gründe warum Fachhochschulstudien in Österreich
so spät eingeführt wurden).
- Eine gewisse Unlust der Wirtschaft, für die Qualifikationen
auch zu bezahlen.
- Teilweise altmodische Studienpläne
- Bildungsbarrieren, wie z.B. unterpriviligierter sozialer Status oder
ausschließlich Präsenzuniversitäten anstelle der Möglichkeit
von Fernstudien
KORSO: Die ÖVP argumentiert, dass das Bildungssystem vor
allem auch durch den angeblichen "Mißbrauchs der Inskription" und
den hohen Anteil von Studierenden, die keine Prüfungen ablegen (in
Graz im letzten Jahr angeblich mehr als 50%) unleistbar wäre. Welche
Kosten verursacht diese Personengruppe Ihrer Meinung und Ihrer Erfahrung
als ehemaliger Rektor der Grazer Universität tatsächlich?
Brünner: Hier muß man differenzieren zwischen StudentInnen,
die in einem bestimmten Zeitraum keine Prüfung ablegen und trotzdem
nicht unbedingt untätige Studierende sein müssen. Sie können
Lehrveranstaltungen, Konservatorien etc. besuchen. Auch wenn sie sich in
diesem Zusammenhang keiner Prüfung stellen, wird ein Bildungseffekt
ausgelöst. Und den sogenannten „Karteileichen“, das sind Studierende,
die lediglich inskribieren und sonst die Universität nicht frequentieren
.Die Kosten, die dadurch verursacht werden, sind vernachlässigbar.
Es werden ihnen pro Jahr 2 Zahlscheine und 2 Bestätigungen der Inskription
ihrer Studienrichtung zugeschickt, und das weitestgehend automationsunterstützt.
KORSO: Die ÖVP vergleicht den Betrag für die Studiengebühr
mit den Kosten für den Führerschein, einen Wifi-Kurs bzw. einer
Tunesien-Pauschalreise. Welche Bedeutung hat für Sie, gerade als Kenner
des Universitätsbetriebes, ein weiterhin gebührenfreier Zugang
zum Studium bzw. akademische Ausbildung ?
Brünner: Dieser Argumentation der ÖVP muß ich
strikt widersprechen. Seit dem „Uni-Sparpaket“ 1997 sind die StudentInnen
massiv von Einsparungen betroffen durch
den Verlust der Familienbeihilfe bei Überschreiten des Toleranzsemesters,
die Streichung der Heimfahrtbeihilfe und vor allem durch den Entfall der
Regelung, dass die Ausbildungszeiten bis zu sechs Jahre auf die Pension
angerechnet werden.
KORSO: Welche strukturellen Verbesserungen wünschen Sie
sich für die Universitäten und woher sollten die dafür nötigen
Mittel stammen?
Brünner: Durch den Verkauf der UMTS-Lizenzen erhält
der Finanzminister einen großen Geldbetrag, der größtenteils
in den gesamten Bildungsbereich – somit auch in die Universitäten
- und in den Forschungs- und Entwicklungsbereich investiert werden sollte.
In struktureller Hinsicht fordere ich eine Umstrukturierung des Bildungssystems
in Richtung Einführung eines Bildungsschecks. Dieser beruht auf zwei
Komponenten, nämlich der Einführung einer Grundsicherung unter
Einrechnung von Unterhaltsansprüchen und eigenem Einkommen in der
Höhe von 8000 Schilling und einer Ausbildungsfinanzierung für
die an den Ausbildungsstätten in Anspruch genommenen Leistungen. Davon
sollen alle in Ausbildung stehenden jungen Menschen profitieren, somit
die Ungerechtigkeiten gegenüber Menschen beseitigt werden, die nicht
die Universität besuchen.
An strukturellen Verbesserungen sind insbesondere notwendig:
1) Schnellerer Ausbau der Fachhochschulen
2) Ein Strukturplan im tertiären Bildungssektor, in dem der Wildwuchs
– Universitäten, Fachhochschulstudien, Akademien, Bakkalaureatsstudium
etc. – aufeinander abgestimmt werden muss.
3) Reformen der Studien dergestalt, dass diese den hinlänglich
dokumentierten Anforderungen von Universität und Gesellschaft besser
entsprechen als bisher
4) Die Gestaltung des Studiums derart, dass den Studierenden für
Engagement und Tätigkeiten außerhalb des Studiums (in NGO’s,
ÖH, studentischen Vereinigungen, kirchlichen Organisationen etc.)
eine gewisse Zeit zur Verfügung steht, weil weitestgehend nur auf
diese Art und Weise soziale Kompetenz erworben werden kann.
5) Vorgaben für eine straffere Gestaltung des Studiums.
KORSO: Wir danken für das Gespräch. |