03 / 2002
  Stellungnahme von Herrn Stadtrat Franz Josel (1. März 2002)
 
   
FP-Stadtrat Franz Josel: 

KORSO: In der öffentlichen Diskussion wird vor allem von Bürgerinitiativen bei der Erarbeitung und Beschließung des Flächenwidmungsplanes mehr Mitbestimmung eingefordert. Sehen Sie diese Kritik gerechtfertigt bzw. inwiefern wurde und wird die Bevölkerung aktiv in die Erarbeitung und Umsetzung des neuen FLÄWI eingebunden?
Stadtrat Josel: Der Grazer Gemeinderat hat am 25. Oktober 2001 mit der dafür notwendigen Zweidrittelmehrheit die öffentliche Auflage des Flächenwidmungsplanentwurfes beschlossen. Er wurde an 18 Standorten (in allen Bezirksämtern und im Stadtplanungsamt) 70 Tage zur Einsichtnahme aufgelegt. In 9 Veranstaltungen mit vorgehender Planungseinsicht erfolgte eine Detailinformation an 1.200 Interessierte, in den Bezirksämtern waren 833 Anfragen, im Stadtplanungsamt haben 3.300 Bürger vorgesprochen. Auf das Internet wurde 10.700 mal zugegriffen. 
Diese intensive Information und Aufklärung führte logischerweise zu einer hohen Beteiligung mit rund 3.000 Einwendungen. Der Begriff Einwendung ergibt sich aus dem Raumordnungsgesetz, nicht jede Stellungnahme ist ein Einspruch, viele enthalten bloß Hinweise, Klarstellungen und Vorschläge.
Der überwiegende Teil bezieht sich auf den generellen Regulierungsplan, ein geringer Anteil auf die Industrieausweisungen in Liebenau. 600 Einwendungen sind individuelle Wünsche über einzelne Bauplatzumwidmungen.

KORSO: Bis wann werden die mehr als 3000 Einwendungen behandelt und wann ist daher mit einem Beschluss des FLÄWI im Gemeinderat Ihrer Ansicht nach zu rechnen?
Stadtrat Josel: Zur Zeit werden diese Interessen fachlich geprüft. Die Mitarbeiter des Magistrates verfügen über ausreichenden Sachverstand, um diese Aufgaben ordnungsgemäß zu erledigen. Für spezielle Bereiche sind außenstehende Fachexperten eingebunden.
Der darauffolgende Schritt ist die Erstellung eines überarbeiteten Entwurfes, der voraussichtlich ab Mitte April dieses Jahres mit einem weiteren öffentlichen Anhörungsverfahren aufgelegt wird. Die Bürger und selbstverständlich auch die Plattform der Bürgerinitiativen haben Möglichkeit innerhalb von 14 Tagen eine Stellungnahme abzugeben. In diesem Zeitraum ist auch ein Dialog mit der Plattform der Bürgerinitiativen vorgesehen. Die Stellungnahmen werden neuerlich bearbeitet und dann wird der vorliegende Entwurf zur Entscheidung dem Gemeinderat – voraussichtlicht in der zweiten Junihälfte dieses Jahres – vorgelegt. Erst mit dem Beschluss im Gemeinderat, für den eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, wird der neue Flächenwidmungsplan rechtskräftig. Über die genauen Termine wird es Informationen in den Medien geben, auch jeder Haushalt in Graz wird verständigt.
Dieses Verfahren in mehreren Schritten innerhalb der Rahmenbedingungen des Raumordnungsgesetzes ermöglicht allen Bürgern eine echte Mitwirkung. Eine Bevorzugung einzelner Bürger-Interessensgruppen bei der Abwicklung würde im Widerspruch zum Grundsatz der Gleichbehandlung aller Grazer Bürger stehen.

KORSO: Von einzelnen BI-Vertretern bzw. einer Gemeinderatsfarktion wurde die Idee eines Planungsbeirates eingebracht. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Stadtrat Josel: Bei einer darüber hinausgehenden Bürgerbeteiligung ergibt sich die grundsätzliche Frage über die Grenzen von Bürgerbeteiligungen. In der Tagung "Bürgerbeteiligung in einer medialisierten Welt – Stadt findet statt" am 23./24. November 2001 hat Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner die rechtlichen und faktischen Bedingungen für eine Bürgerbeteiligung aufgezeigt: "Österreich hat eine repräsentative Demokratie, das Volk trifft Personalentscheidungen in Wahlen, die gewählten Vertreter treffen die politischen Sachentscheidungen. Die Umwandlung der repräsentativen Demokratie in eine direkte Demokratie wäre eine Gesamtänderung der Bundesverfassung und bedürfte einer Volksabstimmung." 
Es steht jedoch außer Zweifel, Teile der gravierenden politischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte waren auch eine verstärkte Zuwendung der Bevölkerung zu Formen der direkten Demokratie. Dafür fehlen die rechtlichen Normen. Bei einer praxisorientierten Bürgerbeteiligung muss daher erst der Stein der Weisen gefunden werden und wahrscheinlich sieht er in jedem Fall ein wenig anders aus. Man muss bereit sein ihn zu suchen. 

KORSO:  Heftigst kritisiert wird vor allem die geplante Umwidmung größerer landwirtschaftlicher Flächen im Bereich Liebenau und Webling in Industriegebiete. Welches städteplanerische Konzept steckt hinter dieser Entscheidung?
Stadtrat Josel: Die Umwidmungen im Süden der Stadt basieren auf Zielsetzungen des vom Gemeinderat im Jänner 2001 beschlossenen Stadtentwicklungskonzeptes. Urbanität in einer Stadt muss viele Lebenskomponenten enthalten, auch die Funktion "Arbeit" mit Arbeitsplätzen. Die betroffenen Flächen sind überwiegend jetzt schon als Bauland ausgewiesen, erfahren im Entwurf eine Spezifizierung in Richtung Industrie, Gewerbe und Einkaufszentren. Beispiele: Südgürtel mit Einkaufszentren um ein Gegengewicht zu Webling zu schaffen, Erweiterung des Puch-Werke-Areals als Vorsorge für die Autocluster-Entwicklung, Sternäckerweg Einkaufszentrum mit Anpassung an die Straßenbahnverlängerung "langer 4er". Die Auswirkungen auf die Wohnbereiche sollen vorab fachlich mit einer strategischen Umweltprüfung festgestellt werden. 

KORSO: Von Teilen der in den Liebenau ansässigen Bevölkerung wird befürchtet, dass diese Umwidmungen zu einer weiteren Verschlechterung der Lebens- und Wohnqualität führen (mehr Verkehr, schlechtere Luft, weniger Grünflächen). Bereits jetzt werden in Liebenau sehr schlechte Luftgütewerte gemessen. Teilen Sie diese Sorgen bzw. wie wird etwa der schlechten Luft städteplanerisch entgegengesteuert?
Stadtrat Josel: Durch die Kessellage der Stadt bestehen geringe Luftbewegungen und damit keine idealen Luftgüteverhältnisse. Hier muss die Entwicklung genau beobachtet werden. Andererseits ist Graz seit 1992 eine "gesunde Stadt", die den hohen Stellenwert der Erhaltung der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger anerkennt und sich zu den Grundsätzen der Gesundheitsförderung der Weltgesundheitsorganisation bekennt. Die Lebenserwartung der Männer ist in den letzten 10 Jahren von etwa 72 auf fast 76 Jahre, bei Frauen von rund 79 auf etwa 81 Jahre angestiegen. Sie lag bei den Männern damit um etwa ein Jahr über dem Bundesdurchschnitt und fast ebenso deutlich über dem steirischen Landesdurchschnitt. Auch Frauen leben in Graz etwas länger als in der Steiermark bzw. in Österreich insgesamt. Rund 40% der Grazerinnen und Grazer setzen nach eigenen Angaben im Interesse des Wohlbefindens auf gesunde Ernährung. Damit liegt Graz im Spitzenfeld unter allen österreichischen Bezirken. 

KORSO: Inwiefern ist der v.a. in Liebenau zu erwartende Verlust von Grünflächen durch das Sachprogramm Grünraum gedeckt? 
Stadtrat Josel: Graz hat einen überaus hohen Grünanteil. Allein 77% der Gesamtfläche sind Wälder, landwirtschaftliche Betriebe und Gärten. Nur 9% sind verbaut, der Flächenbedarf für den Verkehr beträgt 10%, der Rest verteilt sich auf verschiedene Kleinnutzungen. Ein entscheidender Verlust an Grünflächen ist nicht nachvollziehbar. 

KORSO: Bezüglich der Verkehrsituation am Ruckerlberg und in St. Peter gibt es Überlegungen, neue Straßenzüge bzw. -führungen anzulegen, die bei Teilen der dortigen Bevölkerung ebenfalls kritisch beurteilt werden. Welche verkehrsplanerischen Überlegungen stehen hinter diesen Plänen?
Stadtrat Josel: In den Bereichen Blumenhang – Rudolfstraße, Birkenhang, Rosenhang, Macherstraße und Dr. Harnisch-Weg sind im Entwurf des generellen Regulierungsplanes keine Durchzugsstraßen ausgewiesen. Es geht um Rad- und Fußwegverbindungen. Auch der Weg entlang des Ragnitzbaches ist ein Radweg und keine Straßenerschließung für Kraftfahrzeuge.

KORSO: Abschließend: Was sehen Sie in diesem Entwurf des FLÄWI als positive Entwicklungen bzw. zukunftsträchtige städteplanerische Entscheidungen?
Stadtrat Josel: Der Entwurf des neuen Flächenwidmungsplanes stellt eine Weiterentwicklung des vorhandenen Planungsinstrumentariums aus 1992 dar, trägt den aktuellen Erfordernissen Rechnung und reagiert auf neue aus dem Stadtentwicklungskonzept  vorgegebene Ziele. Schwerpunkte sind Maßnahmen die eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken sollen, um bewusst der abflachenden Bevölkerungsentwicklung entgegenzusteuern, mit: 

  • Anlegen zusätzlicher Grünbereiche in den Stadtbezirken 
  • Vorbehaltsflächen (für öffentliche Parkanlagen, Spiel- und Sportplätze, Hochschulen und Fachhochschulen im Ausmaß von 36 Hektar);
  • nur kleinräumigen Ergänzungen des bestehenden Baulandes im Grüngürtel
  • Der Grüngürtel (rund 5.000 Hektar) umfasst rund 40% des Stadtgebietes (12.756 Hektar). Der Zuwachs an Bauland beträgt rund 11 Hektar, was einer Fläche von 2 – 3 Promille des Grüngürtels entspricht;
  • Anpassung der Bebauungsdichten im Einfamilienhaus-Bereich um den Gebietscharakter zu erhalten und Grünbereiche abzusichern
  • Rund 20 % der Baulandflächen von rund 6.080 Hektar, das sind 1.300 Hektar, wurden von der Reduzierung der Bebauungsdichte erfasst;
  • höherer Dichte bei Bauten im Innenstadtbereich und an den Einfahrtsstraßen der Stadt
  • Hier erfolgt eine Anpassung an den Bestand;
  • Schaffung zusätzlicher Baupotenziale für Industrie, Wirtschaftsverwaltung, Freizeit und Handel um die Kernstadtfunktion der Stadt zu stärken 
  • 54 Hektar neues Bauland wurden ausgewiesen, was einer Vergrößerung des bereits bisher ausgewiesenen Baulandes (6.332 Hektar) um 0,9 % entspricht. 


Zurück zum Artikel: Grazer Süden: BürgerInnen fühlen sich überfahren


 
MÄRZ-AUSGABE
STADTENTWICKLUNG 
UND ÖFFENTLICHER RAUM