|
Grazer Süden:
BürgerInnen fühlen sich überfahren
Am 20. Juni 2002 soll der Grazer Flächenwidmungsplan
(FLÄWI) beschlossen werden, in dem der parzellengenaue Widmungszweck
für die kommenden Jahre festgeschrieben wird. Zumeist soll Freiland
in Industrie- und Gewerbegebiet umgewidmet werden. Die verbleibende Zeit
wollen aufgebrachte betroffene BürgerInnen vor allem im Grazer Süden
dazu nutzen um diese Pläne zu durchkreuzen.
Einen ersten Erfolg scheint der Protest der Grazer
BürgerInnen und Bürgerinitiativen – insgesamt gab es mehr als
3000 Einwendungen gegen den vorgelegten Entwurf des Flächenwidmungsplans
– bereits gebracht zu haben.
Rückzieher beim Verkehrsregulierungsplan
Besonders massiv waren die Einwendungen gegen
den so genannten "Generellen Regulierungsplan" – manche davon wurden von
bis zu tausend UnterzeichnerInnen getragen. In diesem sind erstmals, abgestimmt
auf die Stadtentwicklung, alle derzeitigen sowie künftig möglichen
privaten und öffentlichen Verkehrswege eingezeichnet. In Waltendorf
führte der Plan zu großer Aufregung, da man hinter den eingezeichneten
Verkehrswegen (z.B. Blumenhang – Rudolfstraße, Birkenhang, Rosenhang,
Macherstraße und Dr. Harnisch-Weg) neue Durchzugsstraßen vermutete;
bereits jetzt wird das Gebiet vom Durchzugsverkehr häufig als Schleichweg
benutzt.
Ende Februar kam es, wie Karin Steffen,
Sprecherin der Bürgerinitiative "Schutzgemeinschaft Ruckerlberg" berichtet,
bei einer Versammlung in Waltendorf zu einem Einlenken der Stadtpolitiker.
Steffen: "Es gibt für ganz Waltendorf eine Entwarnung bezüglich
der geplanten Verkehrswege- bzw. Straßenführungen." Das
bestätigt die SPÖ-Gemeinderätin und Raumordnungssprecherin
Dagmar
Krampl im Gespräch mit KORSO: "Die kritisierten Punkte sind aus
dem Entwurf des Flächenwidmungsplans herausgenommen worden. Die Ängste
beruhten auf einer Missinterpretation durch die Bevölkerung. Ein Strich
am Plan kann eine Durchzugsstraße oder ein Rad- bzw. Fußweg
sein. Der Gerechtigkeit halber haben wir nun alle geplanten Verkehrswege
im ganzen Stadtgebiet wieder aus dem Plan herausgenommen." Für die
Zukunft setzt Krampl darauf, die geplanten Details in den Bezirken bzw.
für jede Straße gesondert mit der Bevölkerung gemeinsam
zu erarbeiten, auch wenn das – wie sie betont – noch mehrere Jahre dauern
kann.
Grüne: "Lösung hätte man auch
billiger haben können"
Damit scheint der Verkehrsregulierungsplan erst
einmal auf Eis gelegt, wie auch Hofrat Dr. Hermann Spielberger,
Raumordnungssprecher der ÖVP, gegenüber KORSO bestätigt:
"Der IG Waltendorf und der Bezirksvertretung wurde eine neue überarbeitete
Version vorgelegt und es gab dort große Zustimmung."
Mag. Hermann Candussi, Gemeinderat der
Grünen, sieht sich durch die neueste Entwicklung voll bestätigt:
"Der Regulierungsplan als Raumordnungsinstrument für die Verkehrsplanung
ist sicher sinnvoll. Aber es gab dazu weder BürgerInnenbeteiligung
noch Information. Teilweise wurden auch Befürchtungen geschürt,
weil etwa geplante Straßen durch bereits existierende Häuser
führen." Zwar sei man bei den Grünen froh über die
späte Einsicht, doch, so Candussi: "Wäre schon vorher mit den
BürgerInnen geredet worden, hätte man die nunmehrige Lösung
auch billiger haben können."
Betroffene BürgerInnen fühlen sich
überfahren
Doch gerade in der Frage, inwieweit BürgerInnen
aktiv in die Städteplanung eingebunden werden können und sollen,
gehen die Meinungen weit auseinander. Bei den Grazer Bürgerinitiativen
sieht man die größten Befürchtungen bestätigt. Sabine
Reberschak, Sprecherin der Umweltplattform Süd: "Wir wollen nicht
nur informiert werden, sondern auch mitsprechen." Laut Reberschak wisse
man von Seiten der Bürgerinitiativen sehr wenig, was tatsächlich
in den betroffenen Gebieten an eventuellen Verschlechterungen geplant sei.
Es werden, so Reberschak, "Datenschutzgründe als Vorwand dafür
genannt, dass man uns nicht alle Informationen über die Planungsinteressen
gibt. Daher ist für uns nicht transparent, was auf uns zukommt."
"Hohe Zahl von Einwendungen ist auf intensive
Information zurückzuführen"
Die Erfahrungen von Gemeinderätin Krampl
sind hingegen anderer Art: "Ich bin in meinem Büro von Anfragen richtig
'bestürmt' worden und man konnte sich auch samstags und sonntags an
mich wenden.“ Auch der für die Stadtplanung zuständige Stadtrat
DI
Franz Josel verweist auf das hohe Ausmaß der BürgerInneneinbindung:
"Der Entwurf zum Flächenwidmungsplan wurde in allen Bezirksämtern
und im Stadtplanungsamt 70 Tage zur Einsichtnahme aufgelegt. In neun Veranstaltungen
mit vorhergehender Planungseinsicht erfolgte eine Detailinformation an
1200 Interessierte, in den Bezirksämtern waren 833 Anfragen, im Stadtplanungsamt
haben 3300 Bürger vorgesprochen. Auf das Internet wurde 10.700 mal
zugegriffen." Diese "intensive Information und Aufklärung" hätte,
so Josel, logischerweise zu der hohen Anzahl von rund 3000 Einwendungen,
Hinweisen, Klarstellungen und Vorschlägen zum FLÄWI-Entwurf geführt.
|
|
|
FP-Stadtrat Franz Josel: "Stein der Weisen für
Bürgerbeteiligung noch nicht gefunden". SP-Raumordnungssprecherin
Dagmar Krampl: "Ängste beruhten auf einer Missinterpretation". VP-Raumordnungssprecher
Hermann Spielberger: "Waltendorfer sind mit neuer Lösung zufrieden"
|
BürgerInnenbeteiligung: Auf der Suche
nach dem Stein der Weisen
Für Josel ist daher innerhalb der gesetzlichen
Rahmenbedingungen des Raumordnungsgesetzes eine echte Mitwirkung für
alle BürgerInnen möglich. Dem Wunsch der Bürgerinitiativen
nach mehr Beteiligung steht Josel hingegen reserviert gegenüber. Denn
Österreich habe eine repräsentative Demokratie, in der gewählte
Vertreter die politischen Sachentscheidungen treffen. Zwar wären,
so Josel, viele politischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte erst
durch Formen direkter Demokratie erfolgt. Josel: "Dafür fehlen aber
die rechtlichen Normen. Bei einer praxisorientierten Bürgerbeteiligung
muss daher erst der Stein der Weisen gefunden werden und wahrscheinlich
sieht er in jedem Fall ein wenig anders aus."
Dreiparteienkonsens muss vorbesprochen werden
Doch auch im Verständnis repräsentativer
Demokratie sind sich die Grazer Gemeinderatsparteien uneins. Bereits seit
Jahren wird von den Grünen und der KPÖ im Gemeinderat die Beseitigung
des so genannten "Raumordnungs-Unterausschusses" gefordert, in welchem
die drei stimmenstärksten Parteien SPÖ, FPÖ und ÖVP
Widmungsfragen unter sich besprechen. KPÖ-Gemeinderat Martin Khull-Kholwald:
"Dieses Gremium ist weder im Statut der Stadt vorgesehen noch Gegenstand
einer Parteienvereinbarung. Wenn es sich dabei, wie von den teilnehmenden
Fraktionen beteuert wird, nur um ein 'informelles' Gremium von Gemeinderäten
handelt, dann muss es für alle Parteien zugänglich sein
und darf nur dem Informationsaustausch dienen."
|
|
|
Grün-Gemeinderat Hermann Candussi: "Zuerst
mit den Bürgern reden kommt billiger". KP-Gemeinderat Martin Khull-Kholwald:
Gegen Absprachen im Raumordnungsunterausschuss. SP-Stadtrat Walter Ferk:
"Ich stimme dem vorliegenden Entwurf nicht zu"
|
Krampl, SPÖ-Vertreterin in diesem "Informationsforum",
hält den Ausschluss der restlichen Fraktionen für gerechtfertigt.
Krampl: "Der Flächenwidmungsplan braucht eine Zweidrittel-Mehrheit,
um eine Rechtssicherheit zu garantieren. Für diese Mehrheit müssen
die großen Fraktionen sich das ausreden.“
SPÖ gegen Entwurf des Flächenwidmungsplans
Derzeit scheint man jedoch von der Erreichung
der notwendigen Zweidrittelmehrheit zum Beschluss des Flächenwidmungsentwurfs
noch weit entfernt zu sein. Denn SPÖ-Stadtrat Walter Ferk sieht
im vorliegenden FLÄWI-Entwurf für bestimmte Grazer Gebiete "massive
Beeinträchtigungen der Lebensqualität". Darum plant er in den
kommenden Wochen in mehreren Bezirken BürgerInnenbesprechungen, um
die Interessen der Bevölkerung bereits in der Planungsphase zu berücksichtigen.
Für Ferk ist klar, dass "die sozialdemokratische Gemeinderatsfraktion
dem vorliegenden Entwurf des Flächenwidmungsplans nicht zustimmen
wird." Allerdings ist die SPÖ intern noch zu keinem Ergebnis gekommen,
in welchem Ausmaß man den Interessen der betroffenen Bevölkerung
im Bezirk Liebenau entgegenkommen könne.
Grundstücksumwidmungen eine enorme Konzentration
an Industrie, Gewerbe und Handel ins Haus. Und Stadtrat Josel weiß
auch bereits, was konkret mit den umgewidmeten Grundstücken passieren
soll: "Geplant in diesem Bereich ist der Südgürtel mit Einkaufszentren,
um ein Gegengewicht zu Webling zu schaffen, die Erweiterung des Puch-Werke-Areals
als Vorsorge für die Autocluster-Entwicklung sowie am Sternäckerweg
ein Einkaufszentrum." Angesichts dieser Perspektiven scheint es nicht verwunderlich,
dass unter der dort ansässigen Wohnbevölkerung über 1000
Unterschriften gegen den FLÄWI-Entwurf gesammelt wurden.
Am massivsten betroffen sind die Wohngebiete
zwischen dem Esserweg (etwas nördlich vom zweiten Südgürtel
gelegen) sowie dem Lorenz-Vest-Weg, der sich nördlich in der Nähe
des Magna-Werks befindet. Nach Berechnung von Adelheid Mayer, welche
sich zusammen mit anderen Liebenauern zur "Initiative für die Erhaltung
der Grünflächen" zusammengeschlossen hat, ergäbe sich durch
die Umwidmung der Grundstücke südlich des Esserweges ein Industrie-
und Gewerbegebiet im Gesamtausmaß von 134 Hektar. Derzeit wird diese
Fläche überwiegend noch als landwirtschaftliche Nutzfläche
von Bauern genutzt, neun von ihnen haben sich bereits 1997 gegen die geplante
Umwidmung ausgesprochen.
Reberschak, Sprecherin der Umweltplattform Süd,
wohnt selbst am Esserweg und ist daher von den Absichten der Grazer Stadtplaner
unmittelbar betroffen. Dort, wo sie jetzt bei der Sicht aus dem Fenster
noch auf mehr als 20 Hektar Freiland blicken kann, könnte in Kürze
schon ein Einkaufszentrum stehen. Der Südgürtel, so Reberschak,
werde auch hier vorbeiführen. "Alleine in unserer Straße wohnen
viele Familien mit Kindern, gleich daneben ist die Hauptschule. Und das
alles soll bald inmitten eines riesigen Industrie- und Gewerbegebietes
liegen?"
|
|
|
Bürgerinitiativen-Sprecherin Sabine
Reberschak: "Hier soll alles Industrie- und Gewerbegebiet werden"
|
Bereits jetzt gibt es im ganzen Bezirk Liebenau
keine ausreichenden Grünflächen und Parks. Eine Ansiedelung von
weiteren Industrie- und Gewerbebetrieben würde daher aus der Sicht
der Umweltplattform allein schon durch den zu erwartenden Anstieg des Verkehrsaufkommens
zu einer zusätzlichen unzumutbaren Schadstoff- und Lärmbelastung
führen.
Bezirksrat für Absiedelung
Die Anrainer des Esserweges befürchten zudem,
dass die geplante Umwidmung zur Wertminderung ihrer Grundstücke sowie
zu einer weiteren Abwanderung der betroffenen Bevölkerung und Landwirte
führen werde. So ganz falsch scheint dieser Eindruck nicht. Denn in
der Einwendung des Bezirksrates Liebenau gegen den Entwurf zum Flächenwidmungsplan
werden die Häuser am Lorenz-Vest-Weg, der – geht es nach dem Willen
der Planer – in Zukunft mitten im Industriegebiet liegen soll, bereits
aufgegeben. Der Bezirksrat schlägt daher vor, "für diese Straßensiedlung
eine sinnvolle Planung in Richtung Ablöseverhandlungen auszurichten,
da der Einzug der Industrie in diesem Bereich nicht mehr abwendbar ist".
Wie geht es weiter?
Zur Zeit werden alle Einwendungen im Stadtplanungsamt
in einen neuen FLÄWI-Entwurf eingearbeitet, der voraussichtlich ab
Mitte April wieder für zwei Wochen zur Einsicht für die Bevölkerung
aufliegt. Auch dann besteht wieder die Möglichkeit, eine Stellungnahme
abzugeben. In diesem Zeitraum sei, wie Stadtrat Josel betont, ein Dialog
mit der Plattform der Bürgerinitiativen vorgesehen. Außerdem
plant Josel, die Auswirkungen auf die Wohnbereiche in Liebenau vorab fachlich
durch eine „strategische Umweltprüfung“ feststellen zu lassen. Von
Seiten der Bürgerinitiativen steht man den Plänen der Stadtpolitiker
jedoch weiterhin skeptisch gegenüber. Für die nächsten Wochen
und Monate planen die betroffenen BürgerInnen in Liebenau bereits
konkrete Aktionen, mit denen sie auf ihre Situation hinweisen wollen.
Joachim Hainzl
KORSO wird in den nächsten Monaten
bis zum geplanten FLÄWI-Beschluss kontinuierlich über die neuesten
Entwicklungen und ausführlicher zu konkreten Problemzonen berichten.
Hier finden Sie bereits jetzt die ungekürzte
Stellungnahme von Stadtrat Franz Josel sowie weiterführende
Links zum Thema. |