03 / 2002
  Grazer Süden: BürgerInnen fühlen sich überfahren

Am 20. Juni 2002 soll der Grazer Flächenwidmungsplan (FLÄWI) beschlossen werden, in dem der parzellengenaue Widmungszweck für die kommenden Jahre festgeschrieben wird. Zumeist soll Freiland in Industrie- und Gewerbegebiet umgewidmet werden. Die verbleibende Zeit wollen aufgebrachte betroffene BürgerInnen vor allem im Grazer Süden dazu nutzen um diese Pläne zu durchkreuzen.

Einen ersten Erfolg scheint der Protest der Grazer BürgerInnen und Bürgerinitiativen – insgesamt gab es mehr als 3000 Einwendungen gegen den vorgelegten Entwurf des Flächenwidmungsplans – bereits gebracht zu haben. 

Rückzieher beim Verkehrsregulierungsplan
Besonders massiv waren die Einwendungen gegen den so genannten "Generellen Regulierungsplan" – manche davon wurden von bis zu tausend UnterzeichnerInnen getragen. In diesem sind erstmals, abgestimmt auf die Stadtentwicklung, alle derzeitigen sowie künftig möglichen privaten und öffentlichen Verkehrswege eingezeichnet. In Waltendorf führte der Plan zu großer Aufregung, da man hinter den eingezeichneten Verkehrswegen (z.B. Blumenhang – Rudolfstraße, Birkenhang, Rosenhang, Macherstraße und Dr. Harnisch-Weg) neue Durchzugsstraßen vermutete; bereits jetzt wird das Gebiet vom Durchzugsverkehr häufig als Schleichweg benutzt.
Ende Februar kam es, wie Karin Steffen, Sprecherin der Bürgerinitiative "Schutzgemeinschaft Ruckerlberg" berichtet, bei einer Versammlung in Waltendorf zu einem Einlenken der Stadtpolitiker. Steffen: "Es gibt für ganz Waltendorf eine Entwarnung bezüglich der geplanten Verkehrswege- bzw. Straßenführungen."  Das bestätigt die SPÖ-Gemeinderätin und Raumordnungssprecherin Dagmar Krampl im Gespräch mit KORSO: "Die kritisierten Punkte sind aus dem Entwurf des Flächenwidmungsplans herausgenommen worden. Die Ängste beruhten auf einer Missinterpretation durch die Bevölkerung. Ein Strich am Plan kann eine Durchzugsstraße oder ein Rad- bzw. Fußweg sein. Der Gerechtigkeit halber haben wir nun alle geplanten Verkehrswege im ganzen Stadtgebiet wieder aus dem Plan herausgenommen." Für die Zukunft setzt Krampl darauf, die geplanten Details in den Bezirken bzw. für jede Straße gesondert mit der Bevölkerung gemeinsam zu erarbeiten, auch wenn das – wie sie betont – noch mehrere Jahre dauern kann.

Grüne: "Lösung hätte man auch billiger haben können"
Damit scheint der Verkehrsregulierungsplan erst einmal auf Eis gelegt, wie auch Hofrat Dr. Hermann Spielberger, Raumordnungssprecher der ÖVP, gegenüber KORSO bestätigt: "Der IG Waltendorf und der Bezirksvertretung wurde eine neue überarbeitete Version vorgelegt und es gab dort große Zustimmung."
Mag. Hermann Candussi, Gemeinderat der Grünen, sieht sich durch die neueste Entwicklung voll bestätigt: "Der Regulierungsplan als Raumordnungsinstrument für die Verkehrsplanung ist sicher sinnvoll. Aber es gab dazu weder BürgerInnenbeteiligung noch Information. Teilweise wurden auch Befürchtungen geschürt, weil etwa geplante Straßen durch bereits existierende Häuser führen."  Zwar sei man bei den Grünen froh über die späte Einsicht, doch, so Candussi: "Wäre schon vorher mit den BürgerInnen geredet worden, hätte man die nunmehrige Lösung auch billiger haben können." 

Betroffene BürgerInnen fühlen sich überfahren
Doch gerade in der Frage, inwieweit BürgerInnen aktiv in die Städteplanung eingebunden werden können und sollen, gehen die Meinungen weit  auseinander.  Bei den Grazer Bürgerinitiativen sieht man die größten Befürchtungen bestätigt. Sabine Reberschak, Sprecherin der Umweltplattform Süd: "Wir wollen nicht nur informiert werden, sondern auch mitsprechen." Laut Reberschak wisse man von Seiten der Bürgerinitiativen sehr wenig, was tatsächlich  in den betroffenen Gebieten an eventuellen Verschlechterungen geplant sei. Es werden, so Reberschak, "Datenschutzgründe als Vorwand dafür genannt, dass man uns nicht alle Informationen über die Planungsinteressen gibt. Daher ist für uns nicht transparent, was auf uns zukommt."

"Hohe Zahl von Einwendungen ist auf intensive Information zurückzuführen"
Die Erfahrungen von Gemeinderätin Krampl sind hingegen anderer Art: "Ich bin in meinem Büro von Anfragen richtig 'bestürmt' worden und man konnte sich auch samstags und sonntags an mich wenden.“ Auch der für die Stadtplanung zuständige Stadtrat DI Franz Josel verweist auf das hohe Ausmaß der BürgerInneneinbindung: "Der Entwurf zum Flächenwidmungsplan wurde in allen Bezirksämtern und im Stadtplanungsamt 70 Tage zur Einsichtnahme aufgelegt. In neun Veranstaltungen mit vorhergehender Planungseinsicht erfolgte eine Detailinformation an 1200 Interessierte, in den Bezirksämtern waren 833 Anfragen, im Stadtplanungsamt haben 3300 Bürger vorgesprochen. Auf das Internet wurde 10.700 mal zugegriffen." Diese "intensive Information und Aufklärung" hätte, so Josel, logischerweise zu der hohen Anzahl von rund 3000 Einwendungen, Hinweisen, Klarstellungen und Vorschlägen zum FLÄWI-Entwurf geführt.
 

FP-Stadtrat Franz Josel: "Stein der Weisen für Bürgerbeteiligung noch nicht gefunden". SP-Raumordnungssprecherin Dagmar Krampl: "Ängste beruhten auf einer Missinterpretation". VP-Raumordnungssprecher Hermann Spielberger: "Waltendorfer sind mit neuer Lösung zufrieden"

BürgerInnenbeteiligung: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen
Für Josel ist daher innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Raumordnungsgesetzes eine echte Mitwirkung für alle BürgerInnen möglich. Dem Wunsch der Bürgerinitiativen nach mehr Beteiligung steht Josel hingegen reserviert gegenüber. Denn Österreich habe eine repräsentative Demokratie, in der gewählte Vertreter die politischen Sachentscheidungen treffen. Zwar wären, so Josel, viele politischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte erst durch Formen direkter Demokratie erfolgt. Josel: "Dafür fehlen aber die rechtlichen Normen. Bei einer praxisorientierten Bürgerbeteiligung muss daher erst der Stein der Weisen gefunden werden und wahrscheinlich sieht er in jedem Fall ein wenig anders aus." 

Dreiparteienkonsens muss vorbesprochen werden
Doch auch im Verständnis repräsentativer Demokratie sind sich die Grazer Gemeinderatsparteien uneins. Bereits seit Jahren wird von den Grünen und der KPÖ im Gemeinderat die Beseitigung des so genannten "Raumordnungs-Unterausschusses" gefordert, in welchem die drei stimmenstärksten Parteien SPÖ, FPÖ und ÖVP Widmungsfragen unter sich besprechen. KPÖ-Gemeinderat Martin Khull-Kholwald: "Dieses Gremium ist weder im Statut der Stadt vorgesehen noch Gegenstand einer Parteienvereinbarung. Wenn es sich dabei, wie von den teilnehmenden Fraktionen beteuert wird, nur um ein 'informelles' Gremium von Gemeinderäten handelt,  dann muss es für alle Parteien zugänglich sein und darf nur dem Informationsaustausch dienen." 
 

Grün-Gemeinderat Hermann Candussi: "Zuerst mit den Bürgern reden kommt billiger". KP-Gemeinderat Martin Khull-Kholwald: Gegen Absprachen im Raumordnungsunterausschuss. SP-Stadtrat Walter Ferk: "Ich stimme dem vorliegenden Entwurf nicht zu"

Krampl, SPÖ-Vertreterin in diesem "Informationsforum", hält den Ausschluss der restlichen Fraktionen für gerechtfertigt. Krampl: "Der Flächenwidmungsplan braucht eine Zweidrittel-Mehrheit, um eine Rechtssicherheit zu garantieren. Für diese Mehrheit müssen die großen Fraktionen sich das ausreden.“

SPÖ gegen Entwurf des Flächenwidmungsplans
Derzeit scheint man jedoch von der Erreichung der notwendigen Zweidrittelmehrheit zum Beschluss des Flächenwidmungsentwurfs noch weit entfernt zu sein. Denn SPÖ-Stadtrat Walter Ferk sieht im vorliegenden FLÄWI-Entwurf für bestimmte Grazer Gebiete "massive Beeinträchtigungen der Lebensqualität". Darum plant er in den kommenden Wochen in mehreren Bezirken BürgerInnenbesprechungen, um die Interessen der Bevölkerung bereits in der Planungsphase zu berücksichtigen. Für Ferk ist klar, dass "die sozialdemokratische Gemeinderatsfraktion dem vorliegenden Entwurf des Flächenwidmungsplans nicht zustimmen wird." Allerdings ist die SPÖ intern noch zu keinem Ergebnis gekommen, in welchem Ausmaß man den Interessen der betroffenen Bevölkerung im Bezirk Liebenau entgegenkommen könne. 
Grundstücksumwidmungen eine enorme Konzentration an Industrie, Gewerbe und Handel ins Haus. Und Stadtrat Josel weiß auch bereits, was konkret mit den umgewidmeten Grundstücken passieren soll: "Geplant in diesem Bereich ist der Südgürtel mit Einkaufszentren, um ein Gegengewicht zu Webling zu schaffen, die Erweiterung des Puch-Werke-Areals als Vorsorge für die Autocluster-Entwicklung sowie am Sternäckerweg ein Einkaufszentrum." Angesichts dieser Perspektiven scheint es nicht verwunderlich, dass unter der dort ansässigen Wohnbevölkerung über 1000 Unterschriften gegen den FLÄWI-Entwurf  gesammelt wurden. 
Am massivsten betroffen sind die Wohngebiete zwischen dem Esserweg (etwas nördlich vom zweiten Südgürtel gelegen) sowie dem Lorenz-Vest-Weg, der sich nördlich in der Nähe des Magna-Werks befindet. Nach Berechnung von Adelheid Mayer, welche sich zusammen mit anderen Liebenauern zur "Initiative für die Erhaltung der Grünflächen" zusammengeschlossen hat, ergäbe sich durch die Umwidmung der Grundstücke südlich des Esserweges ein Industrie- und Gewerbegebiet im Gesamtausmaß von 134 Hektar. Derzeit wird diese Fläche überwiegend noch als landwirtschaftliche Nutzfläche von Bauern genutzt, neun von ihnen haben sich bereits 1997 gegen die geplante Umwidmung ausgesprochen.
Reberschak, Sprecherin der Umweltplattform Süd, wohnt selbst am Esserweg und ist daher von den Absichten der Grazer Stadtplaner unmittelbar betroffen. Dort, wo sie jetzt bei der Sicht aus dem Fenster noch auf mehr als 20 Hektar Freiland blicken kann, könnte in Kürze schon ein Einkaufszentrum stehen. Der Südgürtel, so Reberschak, werde auch hier vorbeiführen. "Alleine in unserer Straße wohnen viele Familien mit Kindern, gleich daneben ist die Hauptschule. Und das alles soll bald inmitten eines riesigen Industrie- und Gewerbegebietes liegen?" 
 

   
 Bürgerinitiativen-Sprecherin Sabine Reberschak: "Hier soll alles Industrie- und  Gewerbegebiet werden"

Bereits jetzt gibt es im ganzen Bezirk Liebenau keine ausreichenden Grünflächen und Parks. Eine Ansiedelung von weiteren Industrie- und Gewerbebetrieben würde daher aus der Sicht der Umweltplattform allein schon durch den zu erwartenden Anstieg des Verkehrsaufkommens zu einer zusätzlichen unzumutbaren Schadstoff- und Lärmbelastung führen. 

Bezirksrat für Absiedelung
Die Anrainer des Esserweges befürchten zudem, dass die geplante Umwidmung zur Wertminderung ihrer Grundstücke sowie zu einer weiteren Abwanderung der betroffenen Bevölkerung und Landwirte führen werde. So ganz falsch scheint dieser Eindruck nicht. Denn in der Einwendung des Bezirksrates Liebenau gegen den Entwurf zum Flächenwidmungsplan werden die Häuser am Lorenz-Vest-Weg, der – geht es nach dem Willen der Planer – in Zukunft mitten im Industriegebiet liegen soll, bereits aufgegeben. Der Bezirksrat schlägt daher vor, "für diese Straßensiedlung eine sinnvolle Planung in Richtung Ablöseverhandlungen auszurichten, da der Einzug der Industrie in diesem Bereich nicht mehr abwendbar ist". 

Wie geht es weiter?
Zur Zeit werden alle Einwendungen im Stadtplanungsamt in einen neuen FLÄWI-Entwurf eingearbeitet, der voraussichtlich ab Mitte April wieder für zwei Wochen zur Einsicht für die Bevölkerung aufliegt. Auch dann besteht wieder die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben. In diesem Zeitraum sei, wie Stadtrat Josel betont, ein Dialog mit der Plattform der Bürgerinitiativen vorgesehen.  Außerdem plant Josel, die Auswirkungen auf die Wohnbereiche in Liebenau vorab fachlich durch eine „strategische Umweltprüfung“ feststellen zu lassen. Von Seiten der Bürgerinitiativen steht man den Plänen der Stadtpolitiker jedoch weiterhin skeptisch gegenüber. Für die nächsten Wochen und Monate planen die betroffenen BürgerInnen in Liebenau bereits konkrete Aktionen, mit denen sie auf ihre Situation hinweisen wollen.

         Joachim Hainzl


KORSO wird in den nächsten Monaten bis zum geplanten FLÄWI-Beschluss kontinuierlich über die neuesten Entwicklungen und ausführlicher zu konkreten Problemzonen berichten. 

Hier finden Sie bereits jetzt die ungekürzte Stellungnahme von Stadtrat Franz Josel sowie weiterführende Links zum Thema. 


 
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