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Vergessene Opfer – gefeierte
Täter: NS-Euthanasie in der Steiermark (II)
Wie im ersten Teil dieser Reportage
dargestellt, wurden mehr als 1500 Kinder und Erwachsene Opfer der NS-Euthanasie
in der Steiermark. Nach Kriegsende kam es allerdings zu keiner Aufarbeitung
dieser schrecklichen Vorkommnisse. Im Gegenteil: ein in die Kindermorde
Involvierter wurde sogar zum Anstaltsdirektor der Heil- und Pflegeanstalt
Feldhof in Graz bestellt, andere Verantwortliche noch im Jahre 1974 in
einer Festschrift des Landessonderkrankenhauses gewürdigt. Erst die
Aufsehen erregende ORF-Dokumentation „Unwertes Leben“ von Peter Nausner
brachte 1984 erstmals Licht ins Dunkel dieser verdrängten Periode
der steirischen Geschichte. Es ist dem nunmehrigen ärztlichen Direktor
der heutigen Landesnervenklinik Sigmund Freud (LSF), Univ. Prof. Dr. Rainer
Danzinger, zu verdanken, dass sich die Institution seit einigen Jahren
selbst ihrer Vergangenheit stellt. Dennoch: weiterhin fehlt es an einer
breiteren öffentlichen Diskussion über die Vorgänge vor
und nach 1945 und immer noch gibt es in Graz kein öffentliches Zeichen
des Gedenkens an die Opfer der NS-Euthanasie.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft gab es in der Steiermark, aber auch
im restlichen Österreich, nur eine kurze Phase, in der eine ernsthafte
Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Systems betrieben wurde.
Gerade im Bereich der NS-Euthansie verhinderten mehrere Faktoren eine
Beschäftigung mit dem Geschehenen, etwa die Befürchtung, dass
durch das Bekanntwerden der Täterschaft vieler Ärzte das Vertrauen
in die Medizin generell leiden könnte.
Opfer nicht ernst genommen
Zum anderen zählen die meisten Opfer als Personen mit psychischen
Handicaps zu einer Gruppe, die bis heute mit großen Vorurteilen zu
kämpfen hat. So berichtet der Wiener Historiker Dr. Winfried R.
Garscha, dass überlebende ZeugInnen bei Euthanasie-Nachkriegsprozessen
von Verteidigern und sogar Gutachtern verhöhnt und als geistig nicht
vollwertig abqualifiziert wurden. Aber auch Angehörige der Opfer selbst
waren nach 1945 nicht sonderlich an einer öffentlichen Aufarbeitung
interessiert. Einerseits, weil manche den Euthanasiemaßnahmen sogar
positiv gegenüber standen, andererseits, da sie sich dadurch als Angehörige
von „Verrückten“ stigmatisiert fühlten. So berichtet etwa der
damalige Feldhof-Arzt Dr. Ernst Arlt in seinem Tagebuch, dass sich
anlässlich der einzigen namentlichen Nennung von Hartheim-Opfern in
einer steirischen Zeitung im Jahre 1945 viele Angehörige darüber
beschwert hätten, „da dadurch der Öffentlichkeit mitgeteilt würde
... dass dieser Mensch geisteskrank war“. Erst heute, ein halbes Jahrhundert
später, sind einige bereit, sich dem Schicksal ihrer Verwandten zu
stellen, weiß der deutsche Sozialpädagoge Dr. Ernst Klee:
„Mein Alltag besteht daraus, dass ich mit Menschen zu tun habe, die sich
erst jetzt getrauen, einzugestehen, dass ein Angehöriger Opfer der
Euthanasie geworden ist.“
„... lebte als beispielgebender menschenfreundlicher
Arzt ...“
Was die strafrechtliche Verfolgung der Täter in der Steiermark
betrifft, so gab es mehrere gerichtliche Vorerhebungen, die auch zur Verhängung
der Untersuchungshaft führten. Dennoch wurde für die Ereignisse
am Feldhof niemand gerichtlich verurteilt. Dr. Oskar Begusch, Anstaltsdirektor
seit 1939, war bereits 1944 an den Folgen einer Blinddarmoperation verstorben.
So wurde sein Nachfolger als Anstaltsdirektor, Dr. Ernst Sorger
zur Hauptfigur der Erhebungen. Gegen Sorger, der auch Landesobmann der
„Erbbiologischen Bestandsaufnahme“ war, wurde wegen Tötung von 13
behinderten Kindern ermittelt. Sorger beging aber vor Abschluss des Verfahrens
im August 1945 Selbstmord; dadurch gerieten auch die weiteren Erhebungen
ins Stocken. Alle Verantwortung konnte nun den beiden verstorbenen ehemaligen
Anstaltsdirektoren angelastet werden, während die übrigen, Zeugen
und Verdächtige zugleich, sich gegenseitig entlasteten.
Aber auch bei Dr. Sorger setzte in der Öffentlichkeit sofort mit
seinem Tode die Reinwaschung seiner Person ein. Im Nachruf in der Grazer
Tagespost vom 15. August 1945 hieß es unter anderem: „Dr. Sorger
lebte als beispielgebender menschenfreundlicher Arzt nur für seine
Aufgaben. Als gütiger Mensch und Arzt genoss er die größte
Verehrung bei seinen Patienten.“ So mag es wohl nicht verwundern,
dass auch noch 1974 in der Festschrift des damaligen Landessonderkrankenhauses
Graz keine Rede vom mutmaßlichen Täter Sorger war. Im Gegenteil:
ihm wird als „Leiter in der turbulent-chaotischen Zeit des Kriegsschlusses,
dessen Opfer (sic!) er letzten Endes wurde“ jener Opferstatus zugebilligt,
der den Ermordeten der NS-Euthanasie verwehrt geblieben ist.
Feldhof: jahrzehntelanges Schweigen
Am Feldhof wurde in den folgenden Jahrzehnten über die Vorkommnisse
von 1940-1945 der Mantel des Schweigens gebreitet. Sehr aussagekräftig
dafür ist, wie Prof. Dr. Rainer Danzinger, nunmehriger ärztlicher
Leiter des LSF betont, die Tatsache, dass mit Dr. Peter Korp in
den Jahren 1945 bis 1955 eine Person Direktor des Feldhofs sein konnte,
die „massiv in die Ermordung von Kindern am Feldhof involviert gewesen
ist.“
Dr. Korp war während des NS-Systems Leiter der dortigen Kinderabteilungen.
Zusammen mit seiner Assistentin Dr. Josefine Hermann (der späteren
Leiterin der Heilpädagogischen Abteilung der Kinder- und Jugendpsychiatrie
am Feldhof) war er ebenfalls verantwortlich für die ärztliche
Betreuung der Außenstellen in Bruck/Mur und Kainbach.
Selbst Dr. Arlt, Anstaltsdirektor von 1954 bis 1959, der sich in seinem
Tagebuch selbstkritisch zu den Vorgängen der NS-Euthanasie bekannte,
brach sein Schweigen nicht und erlaubte den Behörden keine Einblicke
in seine seit 1941 geführten Aufzeichnungen, deren Veröffentlichung
er erst 30 Jahre nach seinem Tod wünschte. Erst 1961 folgte mit Dr.
Fritz Mayr (nicht zu verwechseln mit Dr. Hans Mayr, dem Leiter
der Pflegeabteilung während der Zeit des Nationalsozialismus) der
erste historisch unbelastete Direktor des Feldhofs, der – im Unterschied
zu allen vorangegangen Direktoren – erst nach 1945 in die Anstalt eingetreten
war.
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Feldhof-Leiter Dr. Oskar Begusch (li), Dr. Ernst
Sorger (Mi): Die Euthanasie-Verantwortlichen wurden noch in den 70-er Jahren
in einer Festschrift des Landessonderkrankenhauses gefeiert. Dr. Peter
Korp (re): Der Leiter des Feldhofs von 1945 bis 1955 war laut Dr. Rainer
Danzinger „massiv in die Ermordung von Kindern involviert“ gewesen.
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Täter machten Karriere
Nicht nur am Feldhof selbst, auch in anderen öffentlichen Einrichtungen
und an den Universitäten kam es bei vielen ehemaligen Aktiven des
NS-Systems zu meist nur kurzen Karrierebrüchen. Manche kamen sogar
gänzlich ohne Verurteilung davon, wie der Fall von Doz. Dr. Hans
Bertha zeigt, Vorstandsmitglied des Deutschen Institutes für Rassenhygiene,
Gutachter der so genannten T4-Aktion (der Euthanasie erwachsener PatientInnen
im gesamten „Deutschen Reich“) und Mitglied des für Sterilisationen
zuständigen Erbgesundheitsgerichtes. Gegen ihn wurde, wie Univ.
Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer, Leiter des Österreichischen Dokumentationsarchives,
feststellt, nicht einmal ein Verfahren durchgeführt.
Neugebauer: „Im Volksgerichtsverfahren wegen illegaler Tätigkeit
für die NSDAP wurde er 1948 trotz Vorliegen unwiderlegbarer Dokumente
freigesprochen. Auch das Grazer Volksgericht schenkte den entlastenden
Aussagen der SS-Kameraden von Bertha mehr Glauben als den Dokumenten.“
Bertha wurde 1954 a.o. Professor in Graz und hatte von 1960 bis zu seinem
Unfalltod 1963 die Leitung der psychiatrisch-neurologischen Klinik am LKH
Graz inne.
1980er-Jahre: Erste steirische Aufarbeitungsversuche
Eine nennenswerte Aufklärung der Mitwirkung von MedizinerInnen
an den Verbrechen der NS-Zeit begann in Österreich überhaupt
erst gegen Ende der 1970er-Jahre mit der Anzeige gegen den Wiener Arzt
Dr.
Heinrich Gross. Erstmals Licht ins Dunkel der Vorgänge rund um
die steirische NS-Euthanasie brachten zu Beginn der 1980-er-Jahre die Nachforschungen
des damaligen ORF-Mitarbeiters Peter Nausner. Für seine TV-Dokumentation
„Unwertes Leben“ erhielt er 1985 den Österreichischen Preis für
Volksbildung.
Außer dem damaligen Direktor des LNKH, Dr. Norbert Geyer,
seien ihm alle, so Nausner, mit Schweigen begegnet. Die Beschaffung von
Unterlagen erwies sich als äußerst schwierig. Im Steiermärkischen
Landesarchiv etwa war es ihm verboten, Kopien anzufertigen. Erst die Bereitschaft
deutscher Stellen, ihm Akten steirischer Fälle zu überlassen,
ermöglichte Nausner genauere Nachforschungen.
Erst durch die Konfrontation mit diesen Fakten fanden sich auch Augenzeugen,
die ihr Schweigen brachen. Nausner: „Es lag über dem Feldhof eine
riesige Lüge. Ein Oberpfleger brach beim Interview mehrmals in Weinen
aus, so sehr lag auf ihm diese Last der Erinnerung“. Am meisten schockiert
habe ihn die Erkenntnis, dass es möglich ist, die Vernichtung einer
spezifischen Personengruppe vorzubereiten und diese als bürokratisch
verwaltetes Morden auch auszuführen.
Schattenseiten
Nennenswerte Reaktionen riefen seine Nachforschungen, so Nausner, in
der Steiermark kaum hervor. Zwar gab es einige Diskussionen und auch eine
Anzeige gegen ihn – die letztendlich wieder zurückgenommen werden
musste –, aber bald war das Interesse am Thema wieder versiegt. Erst mit
Prof.
Dr. Rainer Danzinger begann ab 1996 die kontinuierliche Aufarbeitung
der Vorgänge im Feldhof. Inzwischen sind bereits einige Dissertationen
zu den Themen T4-Aktion, Sterilisation und Kindereuthanasie im Entstehen.
Für März 2001 ist zudem die Veröffentlichung des Buches
„Schattenseiten“ geplant. Mit diesem, vom deutschen Experten für NS-Kinderfachabteilungen
Thomas
Oelschläger und Prof. Danzinger verfassten Werk wird erstmals
eine detaillierte Aufarbeitung der Ermordung von Patienten am Feldhof und
dessen Filialen sowie der NS-Euthanasie-Aktionen in der Untersteiermark
in Buchform vorliegen.
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Univ.-Prof. Dr. Rainer Danzinger, Leiter
der heutigen Landesnervenklinik Sigmund Freud, bemüht sich intensiv
um die Aufarbeitung der Geschichte seines Hauses.
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Kein Geld für das Gedenken an steirische
NS-Opfer?
Es ist zu hoffen, dass mit dieser Publikation auch die Diskussionen
über ein öffentliches Gedenken an die steirischen Opfer in Graz
neuen Auftrieb erhalten. Im Unterschied zu anderen österreichischen
Städten besitzt Graz bis heute noch keine Gedenktafel, geschweige
denn ein Mahnmal für die mehr als 1500 steirischen Opfer der NS-Euthanasie.
Auf Initiative des Grazer Bürgermeisters Alfred Stingl und
des steirischen Gesundheitslandesrates Günther Dörflinger
gab es vor Jahren zwar einen ersten Versuch in diese Richtung. Doch, so
Prof. Danzinger bedauernd: „Inzwischen ist die Diskussion darum wieder
eingeschlafen.“
Von KORSO dazu befragt, ist Bürgermeister Stingl nach wie vor
dafür: „Ich bin der Ansicht, ein Mahnmal sollte immer dort sein, wo
der Ort des Grauens gewesen ist.“ Als Symbol für eine lebendige Erinnerung
an die damaligen Geschehnisse könnte er sich daher etwa die Pflanzung
eines kleinen Parks am LSF-Gelände vorstellen. Mittels dieser „Lebensbäume“
könnte, so Stingl, eine symbolhafte und doch einprägsame und
klare Art des Gedenkens stattfinden. Gleichzeitig stellt er jedoch fest,
dass das LSF nicht im Zuständigkeitsbereich der Stadt sondern des
Landes Steiermark liegt. Der zuständige Landesrat Günther Dörflinger
bekräftigt denn auch seine grundsätzliche Bereitschaft zur Umsetzung
eines Mahnmalprojektes. Stolperstein für konkrete Umsetzungspläne
seien jedoch, so Dörflinger, die fehlenden Budgetmittel: „Es gibt
leider derzeitig eine so knappe Budgetsituation im Gesundheitsbereich,
dass für uns die Sicherstellung von Angeboten wie etwa der sozialpsychiatrischen
Versorgung Vorrang hat.“
Es bleibt zu hoffen, dass das öffentliche Gedenken an die steirischen
Euthanasie-Opfer des NS-Systems nicht aus finanziellen Gründen scheitert.
Die in den letzten Jahren erneut geäußerten Vorschläge
und Diskussionen über Euthanasie und aktive Sterbehilfe zeigen, wie
wichtig Aufklärung und Wissen über die vergangenen Verbrechen
ist, um zu verhindern, dass sich diese wiederholen.
Joachim Hainzl
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