Donnerstag, 20. September
LESETIPP: Wilhelm Genazino
Man liest „Ein Regenschirm für diesen Tag“ (angeblich Roman und
bei Hanser erschienen) und möchte den Satz markieren: „Der Sanitäter
und der Wachmann sehen aus wie Menschen, die inzwischen ganz billig geworden
sind.“ Und dann den Satz „Ein Segelflugzeug am Himmel ist wunderbar, zwei
Segelflugzeuge sind schon eine öffentliche Bedürfnisbefriedigung.“
Bis man merkt: das ganze Büchel besteht fast nur aus solchen Sätzen,
lakonisch und ganz nebenbei und mit allerfeinstem Witz zusammengefügt.
Die Geschichte handelt von einem Mann, der für eine Schuhfabrik durch
die Stadt flaniert – er testet Schuhe – und dabei vor sich hin denkelt.
Sonst passiert wenig. Mehr ist auch nicht nötig. Gutes Buch.
ALLTAGSGESCHICHTEN
Ein schlechtes Beispiel wäre Roland Girtler. Dessen Auslassungen
sind zwar überaus populär, dienen aber maximal als Grundlage
kollektiv-romantischer Gute-alte-Zeit-Hysterien und führen die ursprüngliche
Intention einer Textgattung ad absurdum. Die Wiener Historikerin und Ethnologin
Brigitte Fuchs hingegen hat zahlreiche hervorragende Beispiele ausgewählt
und in einem Buch versammelt. Die Rede ist von der Sozialreportage. Was
in der Geschichtswissenschaft als eher zeitgenössische Errungenschaft
(Stichwort: Alltagsgeschichte, Geschichte von unten) gilt, hat unter anderem
Namen bereits eine lange Tradition. |
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Seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ist die Sozialreportage
fester Bestandteil eines Journalismus mit emanzipatorischem Anspruch –
nicht umsonst sind namhafte Sozialdemokraten als Autoren solcher Texte
in Erscheinung getreten.
Fuchs’ Band „Reisen im fremden Alltag“ spannt einen breiten Bogen vom
„Elend auf dem Land“ bis hin zur „Urbanen Arbeitswelt“ und gibt einen wunderbaren
Einblick in unbekannte Lebenszusammenhänge. Texte von Peter Rosegger,
Ferdinand Hanusch, Viktor Adler, Max Winter und zahlreichen anderen Autoren
gaben ihren Zeitgenossen Einblicke in eine weit entfernte Welt, die - geografisch
– sehr nah war. arp
Brigitte Fuchs (Hg.): Reisen im fremden Alltag. Sozialreportagen aus
Österreich 1870 bis 1918. Wien, ProMedia 1997.
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KORSO verlost in Kooperation mit dem ProMedia Verlag sechs Exemplare
des Buches beim Kulturquiz! |
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EVENT: Tag der offenen Stalltür
Die ARGE bäuerliche Selbstvermarkter lädt steiermarkweit
zu Führungen durch Hof und Stall. Dazu Spezialitätenprogramm
und Kinderverkauf. Nein, umgekehrt. Auch die Internet-Adresse klingt Vertrauen
erweckend und kuhwarm wie Mama: www.gutes.at
STOCKWERKJAZZ
20. September (21 Uhr): MIRRORWORLD QUARTET (H), starring: Zoltan
Lantos (violin), Mihaly Dresch (sopranosaxophon, bassclarinet, flute),
Gabor Juhasz (guitar), Kornel Horvath (percussion). 3. Oktober (20 Uhr):
EUROCENTRIC
JAZZENSEMBLE (GB/D/A), mit: Joe Locke (vibes), Johannes Enders (tenorsax),
Thomas Stabenov (bass), Christian Salfellner (drums). STOCKWERK GRAZ, Jakominiplatz
18, A-8010 Graz; Infos: +43/676/31 59 551, tickets: +43/316/821 433,
officefax: +43/316/817 674
Freitag, 21. September
DIENSTLEISTUNG: Fluchthilfe
Politik, Publizistik und Polizei jagen „die Illegalen“ und deren Helfer
wie die Hasen. Oliver Ressler und Martin Krenn, Künstler, sagen abseits
jeglicher Jagd-Ideologie: Fluchthilfe ist Dienstleistung. Das sorgt natürlich
für Wirbel. Zudem referiert heute Reinhard Reimann über „Die
Deutsch-Untersteirer als Minderheit 1918-1921“. Auch gerade kein Thema
von wonniger Gemütlichkeit. Pavel-Haus, 17.00
ELKE GRUBER: Beruf und Bildung – (k)ein Widerspruch? Bildung
und Weiterbildung in Modernisierungsprozessen
Wir haben uns an die Diagnose gewöhnt, in einer Zeit großer
Umbrüche zu leben, deren Charakter allgemein als Modernisierung beschrieben
wird. Modernisierung ist damit zu einem Zauberwort geworden, das äußerst
unterschiedliche Prozesse in sich vereint. Diese reichen von der permanenten
Weiterentwicklung neuer Technologien über den Wandel in den Arbeitsbeziehungen
und Familienstrukturen bis hin zum modernen Outfit der Menschen.Welchen
Platz nehmen in diesen Prozessen Bildung und Weiterbildung ein? |
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Wie gestaltet sich deren Wandel unter modernisierten Bedingungen?
Welchen Ansprüchen muss ein zukünftiges System der Aus- und Weiterbildung
genügen?
Das Buch versucht einen Brückenschlag zwischen Modernisierungs-
und Bildungsprozessen. Es setzt sich kritisch mit den großen und
allgemeinen Linien der Entwicklung von Bildung und beruflicher Weiterbildung
auseinander und stellt deren facettenreiche und widersprüchliche Modernisierungsdynamik
dar. Darüber hinaus lotet es mögliche Perspektiven der Kompetenzentwicklung
in einem ausgewählten Berufsfeld aus und entwirft ein Modell modernisierter
Aus- und Weiterbildung. Beruf und Bildung – (k)ein Widerspruch? Studienverlag
Innsbruck – Wien – München, 416 Seiten, brosch., öS 548.-, ISBN
3-7065-1542-3. Elke Gruber, geb. 1959, Mag. Dr. phil., lehrt und forscht
als a.o. Universitätsprofessorin an der Abteilung Weiterbildung des
Instituts für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität
Graz zu den Themen Erwachsenenbildung, insbesondere berufliche Weiterbildung,
Berufspädagogik, internationale Bildungsentwicklungen, Bildungsgeschichte. |
Samstag, 22.September
THEATER: Jourdain hoppelt
Molières „Bürger als Edelmann“ kann man immer machen. Auch
als „Ballettkomödie“, wie es das Schauspielhaus annonciert.
Das klingt, als würde uns das Sitten- und Charakterbild von 1670 im
Jahre 2001 vorgehüpft. Naja, wenn es der Wahrheitsfindung dient...
19.30
Sonntag, 23. September
MRS.GENIE: Constance Mary Lloyd
Das Leben von Künstlerfrauen ist eh schon die Hölle auf Erden.
Erst müssen sie ihre egomanischen Männer ertragen und dann haben
sie von diversen Biografen nichts als eine üble Nachrede. Als wäre
das alles noch nicht genug, ist Mrs. Lloyd zwecks Ehe augerechnet an Oscar
Wilde geraten. Eitler Dandy, Berufszyniker, Salonschleimer, Schwuler, dann
die meistgehasste Person der Insel, zu schlechter Letzt verfault in Paris.
Die Tonspuren folgen der Tristesse der Gemahlin. Ö1, 18.15
Montag, 24. September
PRO & CONTRA: Sterbehilfe
Heide Schmidt, die politisch schon mehrfach verstorben ist und sich
da sicher gut auskennt, und der Theologe Günter Virt, der es natürlich
leicht hat, weil ihm mit Gott ein prima Souffleur zur Seite steht, debattieren
unter der Stabführung Peter Huemers. Es dürfte, dem Thema zum
Trotz, eine Riesenhetz werden.Minoriten, 20.00
UPSITES – Kunst aus der Freundesgruppe
Martin G. Wanko schreibt Stücke („Who killed Arnie?“) und Prosa
(den Roman KEN bringt die edition kürbis 2002 heraus), er funktioniert
(als Funktionär der Grazer Autorenversammlung) und organisiert. Etwa
UPSITES – ein Szenefest, bei dem Künstlerfreunde das machen, wozu
sie auf die Welt gekommen sind: Kunst. Im Theatro. |
Alle Details: www.m-wanko.at
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Künstlervereine haben sich in ihrer ursprünglichen
Form überlebt, aber Freundschaften bleiben – und bilden die Basis
für das Spektakel, zu dem Wanko eine Reihe von Freunden gewann. Den
Cartoonisten Jörg Vogeltanz, die Gruppe G.R.A.M., die Werkstadt Graz
sowie weitere bildende Künstler wie Gustav Troger, Isa Rosenberger,
Edda Strobl und Klaus Schuster. Sie werden Upsites-lang Postkarten drucken:
„Schöne Grüße aus Graz!“ Unter dem Titel „Nie wieder allein“
lesen Dichter wie Wolfgang Bauer, Monika Wogrolly, Alfred Paul Schmidt,
Wilhelm Hengstler, Wolfgang Pollanz, Werner Schandor. „Es geht nicht um
eine bestimmte ästhetische Position. Es geht darum, dass man gemeinsam
etwas macht!“ Mit dabei ist auch Hubsi Kramar, Wanko-Regisseur, Schauspieler
und ungebetener Hitler-Darsteller.
So kommt es im Theatro im ersten Streich vorerst zu fünf Uraufführungen
von Werken des Martin G. Wanko. Und dass niemand aus dem Freundeskreis
sagen könnte, Wanko hätte da eventuell zu sehr an sich gedacht,
kriegt ein anderer Dichter sechs Uraufführungen: Günter Eichberger.
Das Buffet für die Eröffnung ist auch fix: Schleimsuppe. mg |
Dienstag, 25. September
DREI GITARREN: Vom Feinsten
Hans Theesink (NL), Michael Lamer (A), Woody Mann (USA), Orpheum
19.00
DREISTIMMIG BIS ZUR GÄNSEHAUT
Einen Abend „zwischen Musikkabarett, Pop und Nostalgie“ verspricht
das steirische Frauen-Trio „Die Dornrosen“ im Grazer Theatercafé.
Mit ihrem Programm „Frauen sind von der Venus“ haben sie bereits in
Wien positive Kritiken geerntet. Dort wurde ihnen (weil ja die Wiener Zeitungen
– quod erat demonstrandum – um nichts besser sind als die steirischen)
„eine Dreistimmigkeit“ attestiert, die einem (sic) bisweilen die angenehmste
Gänsehaut spüren lässt“ (!) – kurz: „Alles in allem hat
man da als Zuhörer und Zuschauer so viel zu tun, dass der Abend viel
zu kurz ist und man gerne wiederkommt“. Drum nicht nur am 25., sondern
auch am 26. und 27. September um jeweils 20 Uhr: Die Dornrosen im Theatercafé,
Mandellstraße 11, Graz, Tel. (0316)82 53 65.
Mittwoch, 26. September
ROCK:REGGAE: SAYSAY
Robert Stützle und vier gute Freunde spielen im Stainacher
CCW, 20.00. Die zwei Jahre junge Profi-Band um den Komponisten und
Autor Robert Stützle liefert eingängige Melodien in gekonnten
Arrangements. Wenn auch manches an „The Police“, „The Clash“, „Third World“
oder auch „Bon Jovi“ erinnern mag: Viele der Songs kommen so eigenwillig
daher, dass kaum Assoziationen zu anderen international bekannten Bands
aufkommen. Robert Stützle bezieht seine Texte – in witziger, oft ironischer
Art – auf sich selbst und sein persönliches Umfeld und findet sicher
gerade deshalb den direkten Zugang zu Ohr und Bauch. Eintritt: ATS 120,--/80,--
inkl. einem Freigetränk.
AN DEN GRENZEN DER ÄSTHETIK …
… bewegt sich eine Installation im Kulturzentrum bei den Minoriten.
Die „Boundaries of Aesthetics – 25 songs on 25 lines of word on art statement
for seven voices and dance“ des schweizerisch-australischen Künstlers
Joe Felber basieren auf den „25 lines of words on art“ des amerikanischen
Malers und Kunsttheoretikers Ad Reinhardt, die Ausdruck einer radikalen
Verweigerungshaltung der Kunst gegenüber allen an sie herangetragenen
Ansprüchen (inklusive ihrer warenförmigen Verwertung) sind: „Paintings
that ,cannot be taken hold of‘, that ,cannot be used‘, that ,cannot be
sold‘.“ (Statement 4). |
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Felbers Installation ist das Ergebnis einer Kooperation
mit dem Komponisten Elliot Gyger und der Choreografin Julie Henderson:
Aus sieben Edelstahlrohren dringen die von Gyger komponierten Choräle;
an drei Abenden werden die 25 Songs zudem von Eva Brunner und Klaudia Reichenbacher
tänzerisch umgesetzt. Vernissage: Mittwoch, 26.9., 19.30, Ausstellungsdauer:
27.09. bis 04.11.2001, Öffnungszeiten: während der Abendveranstaltungen
im Minoritensaal und nach Vereinbarung, Tel. (0316)711133-25, Mariahilferplatz
3, 8020 Graz. Tanzperformances anlässlich der Vernissage sowie am
18.10. von 17.00 bis 19.00 und am 20.10. um 20.30. |
THERAPIE: Durch Kunst und so
Der Musik und sogar der Architektur ward wundersam heilende Wirkung
konzediert. Etwas Schönes erleben macht gesund. Nun sagt man sogar,
Kunstschaffen steigere die Lebenslust. Ich glaube das nicht und sage: Kunst
macht Künstler zur Schnecke. Wer wirklich gut dabei fährt, seelisch
und finanziell, sind Reproduzenten, die Karajans also. Und die Parasiten:
Kuratoren, Direktoren, Intendanten, Kritiker. Das Gegenteil meiner Wahrheit
hören Sie im Salzburger Nachtstudio. Ö1, 21.00
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