korso Wissenschaft & Forschung
Das Informationsmagazin 
der Steiermark
 
07/2004
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    Bestand des Wissenschaftsladens in Gefahr


Für das engagierte Team des Grazer Wissenschaftsladens, das sich den interdisziplinär orientierten Wissenstransfer zwischen Universität und Gesellschaft auf die Fahnen geheftet hat, brechen harte Zeiten an. Vierzehn Jahre nach seiner Gründung hat nun eine massive Kürzung der Mittel von Seiten der Karl-Franzens-Universität Graz das Projekt in arge Bedrängnis gebracht. Durch den Wegfall von 60% der Uni-Förderung, die zwei Drittel des gesamten WILA-Budgets ausmacht, sah sich der Verein gezwungen, mit Ende Juni alle vier Mitarbeiterinnen zu kündigen. Über den Sommer hinweg kann nur ein Journaldienst aufrecht erhalten werden. Ab Herbst werden voraussichtlich wieder zwei Halbtagskräfte bis Jahresende 2004 angestellt, um laufende Anfragen und Projekte abzuschließen und neue Perspektiven für die Zukunft zu erarbeiten.

Gekündigtes Wissenschaftsladen-Team > Mag. Laula Streicher, Mag. Elke Bodingbauer, Mag. Eva B. Timpe und Mag. Manuela Fritz (v.l.)

DI Ralf Aschemann, Begründer des Wissenschaftsladens in Graz, versucht der schwierigen Situation das Beste abzugewinnen: „Wir werden auf jeden Fall versuchen, neue Finanzquellen zu erschließen.“ Man sei fest entschlossen, im Non-profit-Bereich weiterzumachen, will aber über die klassische Subventionsfinanzierung hinausgehen. „Wir werden“, so Aschemann weiter, „Kontakte zu NGOs, den Fachhochschulen und anderen steirischen Universitäten aufnehmen oder versuchen mit Hilfe von AMS-Förderungen im Coaching-Bereich tätig zu werden. Auf jeden Fall wird es sehr schwierig werden, mit nur mehr zwei Mitarbeiterinnen ab Oktober einen geregelten Betrieb zu führen und dabei den Anspruch auf ein gewisses Maß von Interdisziplinarität aufrecht zu erhalten.“

 

 

  Erfolgreiches Datenarchivierungsprojekt von FH Campus 02 und XiCrypt


Archive und Bibliotheken sind unser kollektives Gedächtnis, auf das wir im Bedarfsfall zugreifen können sollten. Gegenwärtig werden an die 90 Prozent aller neuen Information digital produziert und müssen gespeichert werden. Jüngste Erfahrungen aber zeigen, dass ein hoher Anteil aller digitalen Speichermedien im Zeitraum von fünf bis zehn Jahren unlesbar wird und die enthaltene Information damit verloren ist.

Austrian Literature Online (d. s. Vetreter von Campus 02, den Universitätsbibliotheken Graz und Innsbruck sowie ein Institut der Universität Linz), die Humboldt Universität Berlin, die Grazer XiCrypt Technologies und Sun Microsystems bilden die Arbeitsgruppe Langzeitarchivierung digitaler Medien, welche sich seit mehreren Jahren mit Problemlösungen im Bereich der digitalen Archivierung beschäftigt. Zwei Aufgaben sind zu lösen: Daten müssen rechtzeitig vor Verfall des Trägers umgespeichert werden, was im Regelfall mit hohem Aufwand (z.B. Kopierroboter) verbunden ist. Problem Nummer 2 betrifft die rapide Weiterentwicklung von Hard- und Software und die damit einhergehende Inkompatibilität zwischen den Systemen. Objektformate – Text und Bild – müssen, will man in ferner Zukunft ihrer habhaft bleiben, ausreichend dokumentiert sein um interpretierbar zu bleiben.

(vl.n.r.) Horst Kästner (Sun Microsystems), Alexander Egger (Campus 02), Peter Lipp (XiCrypt Technologies), Peter Hochegger (Campus 02), Günter Mühlberger (UB Innsbruck)

Sun Microsystems agiert als Koordinator innerhalb der Arbeitsgruppe und stellt die notwendige Hardware zur Verfügung. XiCrypt Technologies ist Spezialist für digitale Signaturen, die gewährleisten, dass Daten bei Langzeitarchivierung nicht unautorisiert manipuliert werden.

Im Grazer Literaturhaus wurde die AG Langzeitarchivierung digitaler Medien für ihre Leistungen nun durch Sun Microsystems zum SunCenter of Excellence for Trusted Digital Repositories ernannt.

 

 

  www.forschung.steiermark.at: Der Katalog für’s Forschungsland Nr. 1 Erst- und einmalig in Österreich präsentiert sich der steirische Online-Forschungsstättenkatalog www.forschung.steiermark.at in elektronischer Topform. 200 Institutionen plus 100 Unternehmen mit Forschungskompetenz in der Steiermark können per Mausklick zielsicher identifiziert werden. Der Forschungsstättenkatalog ist für alle im Web frei zugänglich!


Kataloge gibt es viele – dieser jedoch ist noch nie da gewesen: Der steirische Forschungsstättenkatalog, ein elektronisches Medium, das umfassende Informationen zur steirischen Forschungslandschaft anbietet, wurde von Landeshauptmann-Stv. DI Leopold Schöggl in Auftrag gegeben und ist seit dem 23. Juni 2004 online. „Auf Knopfdruck kann zu jeder Problemstellung sofort der richtige Partner gefunden werden“, so Schöggl, „der Forschungskatalog bietet allen Kunden und Interessierten einen Überblick über die Breite, Tiefe und Schwerpunkte der regionalen Wissensinfrastruktur. Mit diesem Katalog sind wir ganz vorne dabei – sozusagen österreichischer Meister!“

Transparentes Forschungsklima
Was kann der elektronische Forschungsstättenkatalog Steiermark nun alles? Die Startversion wartet mit 200 Instituten und 100 Unternehmen auf, welche alle Forschungskompetenz, insbesondere zu technisch-naturwissenschaftlichen Fragestellungen anbieten können. Neben der forschenden Institution erfährt man über den Katalog alle Basisdaten der F & E–betreibenden Unternehmen mit Namen, Anschrift, Telefon, Fax, Mail, URL, Kontaktperson, Mitarbeiterstand, Partnerschaft in temporären F & E–Einrichtungen und die jeweiligen Arbeitsgebiete bzw. Wissenschaftszweige nach der international vergleichbaren Nomenklatur der Statistik-Austria. „Der Katalog ist eine Bringschuld der Forschung“, so Dr. Peter Piffl-Percevic, „denn: Forschung ist eine spröde Materie, die nicht immer leicht unter die Leute zu bringen ist. Der Mensch muss mit allen produktiven Sinnen gefesselt werden und das haben wir durch die Gestaltung und Aufbereitung der Kataloginhalte zuwege gebracht.“

Hoch zufrieden mit dem neuen Forschungsstättenkatalog: JR-GF Eduard Müller, Landesrat Leopold Schöggl, Landes-Wissenschaftschef Peter Piffl-Percevic, Projektleiter Christian Hartmann (von links)

Suche leicht gemacht
Mag. Edmund Müller, Geschäftsführer der Joanneum Research, spricht von einer Fortsetzung des bisher konstruktiven Vernetzens. Kein Fangnetz, in dem der Katalogbenützer sich ver(w)irrt, sondern klare Strukturen lassen die Suche zu einem Kinderspiel werden. Gesucht werden kann sowohl nach Arbeitsgebiet, Wissenschaftszweig, Namen und Standorten der Institutionen als auch über Freitext. Zeitaufwändiges und kostspieliges Recherchieren wird mit dem neuen Forschungsstättenkatalog künftig hinfällig. Dr. Christian Hartmann, Projektleiter vom Institut für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research will den Katalog als „offene Plattform“ halten: „Weitere Unternehmen sind willkommen, müssen sich aber erst qualifizieren, d. h. in den Katalog werden nur jene aufgenommen, welche Forschung betreiben und diese explizit nach außen hin kommunizieren“. Mit dem Forschungsstättenkatalog, resümiert Müller, habe Joanneum Research einen weiteren wichtigen Beitrag zur Positionierung der Steiermark als Forschungsland Nr. 1 geleistet.

– cw –

 

 

  Miriam Goldberg (1926-2000): „Bewegungs-Pionierin“ mit vielfältigem Talent
Die „Konzentrative Bewegungstherapie“ (KBT) ist untrennbar mit dem Namen Miriam Goldberg verbunden. Die 1926 in Bratislava geborene Jüdin lebte jahrelang in Israel im Kibbuz und entwickelte durch zahlreiche Gymnastik-Tanz- und orthopädische Turnausbildungen eine sehr individuelle Form von Körperarbeit. Im hohen Alter begann Goldberg zu zeichnen: „Jeden Tag mindestens eine Skizze…!“ Die Grazer Sachbuchautorin Doris Tropper präsentierte diese Skizzen kürzlich in Form einer „Gedächtnisausstellung“. KORSO-Redakteurin Claudia Windisch sprach mit Doris Tropper über die Konzentrative Bewegungstherapie und das Leben Miriam Goldbergs.


Wie sind Sie auf die umfangreiche Tagebuchsammlung Goldbergs gestoßen?

Miriam Goldberg hat mir zwei Jahre vor ihrem Tod einen Großteil ihrer Originalskizzenblöcke aus Israel geschickt. Innerhalb einer bestimmten Zeitspanne hat sie regelmäßig eine Landschaft, Person oder eine Sache skizziert. Bei einem ihrer letzten Besuche in Graz im Rahmen eines Körperarbeit-Kurses entstand die Idee, ihre Skizzen in Form eines Buches zu publizieren. Um ihrer Arbeit gerecht zu werden präsentierte ich die Ausdrucke im Rahmen der „Gedächtnisausstellung“ mit anschließendem Symposium und gründete den „Miriam-Goldberg-Verein zur Förderung von Körperarbeit und Bewegung“. Der Name Goldberg ist über den Verein geschützt. Der Verein selber ist gemeinnützig und vom Inhalt her sehr breit gehalten, sodass ich auch einige andere Veranstaltungen anbieten kann, wie Körperarbeit, Ausstellungen, Tanzperformances etc.

Miriam Goldberg gilt als Pionierin der konzentrativen Bewegungstherapie – in welcher Weise hat sie die KBT entwickelt?

Goldberg lässt sich schwer etikettieren, denn sie hat sehr individuell viele Einflüsse bis hin zum Zen-Buddhismus in ihre Arbeit integriert, frei gearbeitet und nie eine Schule oder dergleichen eröffnet. Der Begriff KBT ist in den 70er-Jahren während der Lindauer Therapiewochen entstanden. Dr. Helmuth Stolze hat Goldberg, obwohl sie die Heilpraktikerschule in München, welche sie zum damaligen Zeitpunkt besuchte, schon nach 2 Monaten abbrach, zu sich geholt, sie bei ihrer Arbeit beobachtet und gesagt: „Das ist konzentrative Bewegungstherapie!“ Seit diesem Zeitpunkt ist ihre Arbeit mit diesem Begriff untrennbar verbunden – Goldberg hat sich dann aber weiterentwickelt. Das Besondere an Goldberg war, dass sie im Grunde für ihre Arbeit nichts gebraucht hat: nur ihre Hände und ihre Persönlichkeit, um Anleitungen zu geben. Im Gegensatz zu anderen Therapeuten, welche irgendwelche Musikinstrumente, einen speziellen Boden o. ä. benötigten, hat Goldberg ausschließlich mit den Dingen gearbeitet, die vor Ort da waren.

Wie kam es zu dieser Verbindung mit Miriam Goldberg?

Ich habe Goldberg so kennen gelernt wie alle anderen auch: ich war neugierig und besuchte einen ihrer Kurse. Da ich auch im Hospizbereich und in der Trauerarbeit tätig bin, konnte ich viele Elemente der Goldbergarbeit in meine eigene Arbeit integrieren, insbesondere die Arbeit mit Händen, aber auch mit Füßen z. B. von Jugendlichen, die gerade in der Pubertät sehr berührungsempfindlich sind und sich nicht gerne angreifen lassen. „Fußarbeit“ kann für den Körper sehr entlastend und entspannend sein. Eine Ausbildung im herkömmlichen Sinne mit offiziellen Prüfungen oder Zertifikaten hat es bei Goldberg nie gegeben und das war auch ihr Manko. Es hat für sie genügt, wenn sie „einfach da“ war.

KBT drückt sich über Gespräch und Handlung aus: Wo lagen Goldbergs konkrete Ansätze bzw. wie ging sie vor?

Goldberg hat meist mit einer Gruppe von ca. 30 Frauen und Männern gearbeitet. Sie alle kamen mit einer gewissen Erwartungshaltung: die einen hatten Gelenksproblemen, die anderen Wirbelsäulenprobleme. Schmerz war häufig das Thema. Die Körperübungen, zu denen Goldberg angeleitet hat, und welche man dann allein, zu zweit oder in der Gruppe durchführte, bewirkten z. B. das Lösen von Verspannungen. Im Gegensatz zu anderen Therapeuten hat Goldberg nicht den Grundsatz „Schmerz darf nicht sein“ verfolgt, sondern „Schmerz muss man zulassen können und dürfen“. Mit diesem „Bewusstsein“ hat sie gearbeitet und viele Leute haben dadurch zu einer anderen Form des Gehens, Stehens oder Liegens gefunden und sich so selbst von ihren Schmerzen befreit.

Gibt es Goldberg-Nachfolger?

In Deutschland gibt es Gruppen in Berlin, Hamburg und Sylt, die sich regelmäßig treffen, aber in Österreich findet ihre Arbeit keine Fortsetzung. Deshalb ist auch eines unserer wichtigsten Vereinsziele, Goldbergs Arbeit und Person nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Was waren die bedeutendsten Eckpfeiler in Goldbergs Leben?

Miriam Goldberg war zehn Jahre alt, als ihre Familie aus Bratislava in den Kibbuz Hefziba auswanderte. Das erlebte sie als Kulturschock. Das Leben im Kibbuz stand im krassen Gegensatz zu ihrem bisherigen Umfeld und erforderte eine große Umstellung: alles musste geteilt werden, sie konnte nicht mehr privat für sich sein. Letztlich wurde sie im Kibbuz erwachsen und es wurde ihr gestattet, eine Gymnastikausbildung zu machen, das war keine Selbstverständlichkeit. Nach zweijähriger Ausbildung in Tel Aviv bei der Tanz- und Bewegungstherapeutin Judith Binneter behandelte sie Kriegsverwundete in einem Rehabilitationszentrum, traf Moshe Feldenkrais und lernte die Atemtherapeutin Margarethe Mhe kennen. Goldberg war in alle Richtungen offen, bis hin zur Musik und Malerei. Im Alter hat sie zum Zeichnen gefunden.

Die Ausstellungsbilder sind über den Miriam-Goldberg-Verein käuflich erwerbbar. (A3-Format; schwarzweiß Bilder 3,- Euro, färbige Ausdrucke 4,- Euro)
Doris Tropper | Tel. + Fax: 0316-32 35 77 | tropper_doris@yahoo.de

Miriam Goldberg (1926-2000), Schöpferin der konzentrativen Bewegungstherapie

 

 

Gestrandet in der Menschenrechtsstadt
Ganz „normaler Alltagsrassismus“: kein Arbeitsrecht, keine Wohnung, keine Einkunftsmöglichkeit, keine Sprachkenntnisse, aber „schwarz genug“ um als „dauerverdächtig“ zu gelten. Jugendliche AfrikanerInnen erfahren im täglichen Kampf gegen den Wahnsinn der „ganz normalen Ausgrenzung“ wenig Unterstützung von der deklarierten Menschenrechtsstadt Graz. KORSO-Redakteurin Claudia Windisch sprach mit den Betroffenen über ihre Probleme und Sorgen.


„Sie verbringen den ganzen Tag in einem Haus und kommen kaum raus – wohin auch, nirgends kann man sich aufhalten, ohne Geld haben zu müssen bzw. ausgeben zu sollen“, schrieb der steirische Kinder- und Jugendanwalt Christian Theiss nach einer Begegnung mit afrikanischen Jugendlichen, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Graz gestrandet und im Franziskusheim untergebracht worden waren. „Sie gehen offen und freundlich auf Menschen zu, vielleicht für manche zu offen – das macht sie verdächtig und bedrohlich, obwohl es wie bei den meisten freundlichen, herzlichen Menschen sehr gut gemeint ist.“ Und: „Sie werden schief angeschaut, wenn sie zu zwölft in die Straßenbahn einsteigen – aber wie sonst vom Stadtrand ins Zentrum gelangen?“

Christian Theiss > „Kinderrechte müssen einklagbar werden“ | Helga Paul-Pock > „Kulturelle Teilhabe ist für diese Jugendlichen nicht möglich“

Der „böse schwarze Mann“ – muss doch wohl verdächtig sein
Rassismus kann nur dort gedeihen, wo ihm das soziale Umfeld offen oder verdeckt zustimmt. Die Grazer Verkehrsbetriebe scheinen ein beliebtes Transportmittel für generalisierende Vorurteile zu sein. So berichtet der 17-jährige Innocent* aus Nigeria, welcher sich seit einigen wenigen Monaten in Österreich aufhält: „Erst kürzlich fuhr ich mit drei Freunden mit der Straßenbahn in die Innenstadt, als diese plötzlich stehen blieb und wir von der Polizei kontrolliert und mit aufs Revier genommen wurden – nur wir Schwarze – ein einziger meiner ausländischen Freunde nicht: er ist weiß.“ Ähnlich erging es den Jugendlichen im Grazer Lokal Fridays. „Ich habe Angst bekommen und bin seit diesem Tag nicht mehr ausgegangen“, so der eingeschüchterte junge Mann.

Diskriminierte Kinder(rechte)
Auch John* aus Gambia hat sich das Leben in Österreich anders vorgestellt: „Bevor ich hierher kam, arbeitete ich als Automechaniker. Die meisten wollen arbeiten, aber es wird uns verboten.“ Enttäuschung und große Frustration hat sich inzwischen bei fast allen Jugendlichen, welche aufgrund politischer Verfolgung, religiöser Konflikte oder der katastrophalen Wirtschaftslage im eigenen Land mit großen Hoffnungen nach Österreich flüchteten. „Eigentlich gelten auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dieselben Recht und Ansprüche wie für österreichische Minderjährige, aber Kinderrechte sind bei uns nicht einklagbar“, so Theiss.

Viel freie Zeit mit wenig Sinn
„Ein weiteres Problem sind die finanziellen Hürden, denn außer 40 Euro Taschengeld im Monat besitzen sie nichts – die kulturelle Teilhabe am Leben ist für die Jugendlichen daher fast nicht möglich“, so Helga Paul-Pock, Sozialarbeiterin im Franziskushaus, „Die Orientierungs- und Deutschkurse im Rahmen des „Welcome Projekts“ bieten die einzige Lebensstruktur – es fehlt ein sinnvolles Freizeitprogramm, denn für einen Schulbesuch sind die meisten schon zu groß und Lehre dürfen sie keine machen.“ Andrea Tybery, Deutschlehrerin, berichtet: „Die unbegleiteten Minderjährigen kommen mit einer großen Erwartungshaltung hierher und glauben, dass sie hier arbeiten dürfen. Die Frustration ist sehr groß, wenn sie merken, dass dies nicht so einfach geht. Auch die Asylgründe sind begrenzt und seit dem Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes am 1. Mai 2004 sind die Möglichkeiten, sich legal in Österreich aufzuhalten, noch eingeschränkter. Teilweise verschwinden die Jugendlichen dann wieder und sind ohne jegliche Betreuung auf sich gestellt – das ist ein großes Problem.“

Ausgrenzung tut weh
Paul-Pock kritisiert, dass alle Schwarzen mit Dealern gleichgesetzt werden und die Stimmungsmache der Medien viel zum sozialen Unfrieden beitrage. „Neulich ist ein Jugendlicher von Schülern in der Straßenbahn nach einem Stück Papier gefragt worden. Er hat es aus seinem Rucksack herausgeholt und ihnen gegeben. Sie haben damit einen Papierflieger gebastelt und in seine Richtung geworfen mit den Worten: Flieg wieder heim!“

*Name von der Redaktion geändert

– Claudia Windisch –

 

 

  Wohnhauskatalog für Menschen mit Behinderung: Nutzer evaluieren selbst Über lange Zeit war der gesellschaftliche Umgang mit Menschen mit Behinderung entweder ausgrenzend oder von paternalistischem Wohlwollen geprägt – nach dem Motto: „Wir wissen, was gut für dich ist.“ Seit einigen Jahren ist jedoch international eine Trendwende bemerkbar: Die Selbstbestimmung der Betroffenen rückt ins Zentrum der Bemühungen von Politik und Betreuungsangeboten.


Wenn diese Selbstbestimmung allerdings kein leeres Schlagwort bleiben soll, sind viele Vorbedingungen nötig; dazu gehört unter anderem auch Informationsmaterial, das von Menschen mit Lernschwierigkeiten (so nennen sich Menschen mit Behinderung selbst lieber) verstanden wird.

Die Perspektive der NutzerInnen steht im Mittelpunkt
Einer der Schwerpunkte des Grazer Vereins atempo ist die Herausgabe von solchen Informationsbroschüren, die unter Mitarbeit von Menschen mit Behinderung erstellt werden; das neueste Produkt ist ein unter dem Siegel „nueva“ („Nutzer evaluieren selbst“) herausgegebener und 350 Seiten starker Katalog einschlägiger Wohnangebote in der gesamten Steiermark – von der betreuten Wohngemeinschaft bis zum Heim. Das Besondere: Nicht die Träger, sondern die BewohnerInnen selbst haben über ihre Wohnungen und die Betreuung Auskunft gegeben. Atempo-Geschäftsführerin Walburga Fröhlich: „Das zentrale Moment an Nueva ist, dass durchgängig die Perspektive der NutzerInnen von Wohnangeboten in den Mittelpunkt gerückt wird. Nueva beschreibt Wohnangebote nach den Kriterien, die für die BewohnerInnen wichtig sind und baut dabei auf Informationen der NutzerInnen auf. Eingeholt werden diese wiederum von Menschen mit Lernschwierigkeiten selbst, die bei atempo das Interviewen und Evaluieren gelernt haben.“

LR Kurt Flecker > zum Nueva-Wohnhauskatalog > „Menschen mit Behinderung wissen selbst am Besten, wo sie sich wohlfühlen.“

Qualität ist nicht nur objektiv
„Menschen mit Behinderung wissen selbst am Besten, wo sie sich wohlfühlen“, begründet Soziallandesrat Kurt Flecker seine Unterstützung für das Projekt Nueva. „Wer sonst könnte bei der Evaluierung von Wohneinrichtungen die wirklich passendsten Maßstäbe anlegen? Daher freue ich mich über diese nachahmenswerte Initiative.“ Flecker ist vom Nutzen der erstellten Kataloge überzeugt: „Wir wollen für bestmögliche Qualität sorgen, aber Qualität ist nicht nur objektiv. Die Ergebnisse dieser Recherchen sind besonders authentisch.“ Die Träger selbst begrüßen das Angebot als Orientierungshilfe für ihre Arbeit; Jugend-am-Werk-Geschäftsführer Mag. Alfred Hausegger nannte den Katalog bei der Präsentation „eine wichtige Unterstützung bei den derzeitigen großen Veränderungen im Behindertenbereich“, Mag. Eva Skergeth, die Bereichsleiterin Wohnen der Lebenshilfe Graz, hat die Nueva-ExpertInnen bereits für die Planung eines neuen Wohnangebotes herangezogen.

Der Nueva-Wohnhauskatalog liegt in den verschiedenen Institutionen der Behindertenbetreuung und -beratung in der ganzen Steiermark auf.
Info: Atempo, Grazbachgasse 39, 8010 Graz | T 0316 - 81 47 16 – 0 | www.atempo.at

 

 

  Helden der Menschenrechte wie du und ich


Toleranz und Menschenrechte gehören zu jenen Grundwerten, welche die Schule neben den Zielen der Fachlehrpläne vermitteln soll. Zumeist bleibt dafür aber wenig Zeit: Oft kommen die entsprechenden Versuche über bloßes Theoretisieren und ein paar Diskussionen, vielleicht die Lektüre des einen oder anderen kritischen Textes im Deutsch- oder Fremdsprachenunterricht nicht hinaus. Wirksame Menschenrechts-Erziehung benötigt eben wesentlich mehr Engagement von SchülerInnen und LehrerInnen als die Vermittlung von Vokabelkenntnissen oder Lehrsätzen der Physik. Dieses Engagement nach außen hin sichtbar zu belohnen war das Ziel einer Großveranstaltung der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus und des Landesschulrates für Steiermark: Am 18. Juni wurden im UCI – Annenhofkino die steirischen „Heroes of Human Rights – Hö:ldn der Mensch’nrechte“ ausgezeichnet.

„Hinter dem Event stand eine Idee von Landesschulratspräsident Dr. Horst Lattinger“, erzählt Mag. Christian Ehetreiber, der geschäftsführende Obmann der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus. „Er meinte, es gebe so viele LehrerInnen und SchülerInnen, die weitgehend unbedankt Menschenrechtsarbeit, Friedenserziehung, Antirassismusarbeit und Gewaltprävention leisten – wir sollten sie einmal ins Licht der Scheinwerfer holen und sie für ihre gesellschaftlich so wichtige Tätigkeit auszeichnen.“
So vielfältig wie die Menschenrechtsthematik waren auch die Projektpräsentationen.

Eine Private Public Partnership zur Förderung der Menschenrechte
Die ARGE griff den Gedanken auf und entwickelte die Idee des „First Human Rights Festivals“. Die Planungsarbeiten begannen im November des Vorjahres, ausgehend von den Partnerschulen der ARGE, den „Schulen ohne Rassismus“, wurden insgesamt 35 steirische Schulen und 15 NGOs identifiziert, die sich um die Menschenrechtsarbeit in konkreten Projekten verdient gemacht hatten; dazu kamen Einzelpersonen und BetreiberInnen von Gemeinde-Projekten. Gemeinsam mit dem Landesschulrat und der UCI-Kinowelt Annenhof wurde eine „Private Public Partnership“ zur Durchführung des Festivals gegründet. Landesschulrats-Präsident Dr. Horst Lattinger: „Der Landesschulrat hatte für 2004 das Motto: ,Toleranz und Menschenrechte‘ ausgegeben, da lag es natürlich nahe, dass wir Synergien nutzen und die Aktivitäten mit jenen der ARGE zusammenlegen.“ Mit Sozial-Landesrat Dr. Kurt Flecker und Jugendlandesrätin Mag. Kristina Edlinger-Ploder konnten wichtige UnterstützerInnen gewonnen werden, GF Christian Meinhart vom UCI-Kino Graz Annenhof stellte die gesamte Infrastruktur, ermäßigte Ticketpreise und 200 Freikarten zur Verfügung, Stadt- und LandespolitikerInnen sponserten insgesamt 176 Eintrittskarten.

1500 Kinder und Jugendliche und ein breit gefächertes Programm
Am 18. Juni strömten schließlich 1500 SchülerInnen aus der ganzen Steiermark in die UCI-Kinowelt. Die Auseinandersetzung mit der Menschenrechtsthematik war Bestandteil des gesamten Programms – und dennoch kamen Spaß und Unterhaltung nicht zu kurz; dafür sorgten Moderatorin Miriam Hie und Starmania-Ikone Niddl, die Jugendband Tripzoo, ein Trommelworkshop und das Human Rights Game mit Sachpreisen.

Niddl, Miriam Hie und das Team der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus mit einer Gewinnerin des Human Rights Games

Auf besonders positives Echo stießen auch die themenspezifischen Kinofilme wie „Die Blindgänger“, „Auf Wiedersehen Kinder“ oder „Bowling for Columbine“. Spannend waren auch die Projektpräsentationen der Schulen: Der inhaltliche Bogen spannte sich von Theaterstücken über Tanzperformances, Raps, Gedichte und Instrumentalmusik bis zur inhaltlich anspruchsvollen Powerpointpräsentation zur Menschenrechtsthematik. Als „Heroes of Human Rights“ wurden Altbürgermeister Alfred Stingl (Kategorie Politik), Sr. Angela Platzer (Kategorie Einzelperson Erwachsene), die Externe Hauptschule ISOP (Kategorie Schule), Doris Juren (Kategorie Einzelperson Jugendliche), der Verein ZEBRA (Kategorie außerschulische Jugendgruppe) und die Pfarrgemeinde Feldbach (Kategorie Gemeinde) ausgezeichnet; ein Ehren-Award erging posthum an den verstorbenen Lehrer und Menschenrechtsaktivisten Mag. Prof. Franz Stuhlpfarrer von der HLW Fohnsdorf. Die Marmor-Glas-Skulpturen für die Awards wurden von den Glaserlehrlingen der LBS 5 in Graz als Auftragsarbeit angefertigt. Im Rahmen des Festivals wurden auch die diesjährigen Schulen ohne Rassismus ausgezeichnet: Die HS St. Peter Öko-Tech Graz, das BG/BRG Fürstenfeld, die BAKIP Hartberg, die HS Unterpremstätten, die PTS Feldbach, die PTS Birkfeld, die HS Straden, die HS Kaindorf, die BAKIP Judenburg und die HLW Fohnsdorf dürfen sich nun „europäische Schulen ohne Rassismus“ nennen. Eine Vielzahl an Infoständen von Organisationen, die in der Steiermark Menschenrechtsarbeit leisten, rundete das spezifische Angebot ab.

Ein wachsendes Netzwerk
Wie bilanzieren die Veranstalter das Großereignis? Christian Ehetreiber freut sich vor allem darüber, dass beim Festival sichtbar wurde, „dass mehr Menschen in der Steiermark Anti-Rassismus-Arbeit betreiben als man meint“ und dass „wieder ein paar Maschen zu dem losen Netzwerk dazugekommen sind.“ Was hat ihn persönlich besonders beeindruckt? „Alle Projekte waren toll, aber natürlich hat man so etwas wie persönliche Präferenzen. Das Theaterstück der Hauptschule St. Peter Öko-Tech über die Kinder vom Spiegelgrund hat mich besonders berührt. Die Schüler haben ein Jahr lang daran gearbeitet und auch einen Teil ihrer Freizeit reingesteckt.“ Für Landesschulrats-Präsidenten Horst Lattinger ist es „bei diesem Festival gelungen auf altersgerechte Art zu zeigen, was es heißt, die Menschenrechte konkret zu leben. Insofern bin ich überzeugt davon, dass unsere Botschaft nachhaltig vermittelt wurde.“

Info: ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, Karmeliterplatz 2, 8010 Graz | T 0316-877-2907 | www.argejugend.at

 

 

  Mediation: Aus Gegnern werden Partner


Über das seit 1. Juli wirksame Zivilrechts-Änderungsgesetz wird die Vorschaltung eines außergerichtlichen Konfliktregelungsversuchs (Mediation oder Schlichtungsverfahren) bei Konflikten innerhalb des neuen Nachbarschaftsrechts obligatorisch. D. h., dass eine gerichtliche Klage erst dann zulässig ist, wenn drei Monate ab Einleitung eines derartigen Vorverfahrens vor einem eingetragenen Mediator, einer Schlichtungsstelle oder im Zuge eines Vergleichs keine einvernehmliche Beilegung des Konflikts zustande zu bringen war. Im Familienrecht, wo Mediation schon seit Jahren eingesetzt wird, verweist man auf hohe Erfolgsquoten: bei 75% der Fälle ist zumindest eine teilweise gütliche Einigung erzielt worden.

Kein Rechtsverfahren ohne vorherigen Versuch einer gütlichen Einigung: Mediatorin Evelyn Echsel, Bezirksgericht-Chefin Dr. Andrea Korschelt, Bezirksrichterin Mag. Elisabeth Dieber (v.l.)

Die Grazer Mediatorin und Psychotherapeutin Evelyn Echsel nennt den zentralen Vorteil des Verfahrens: „Es verbessert ein Leben nach dem Konflikt – und das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die Parteien nach der Auseinandersetzung miteinander weiter zu tun haben oder zu tun haben müssen.“

Infos: www.winmediation.at

 

 

  Armut trotz Erwerbsarbeit


In ihrem Buch „Arbeit poor – unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft“ schildert Barbara Ehrenreich, wie ihr Selbstversuch, in den USA mit einem Vollzeitjob auf unterem Lohnniveau zu überleben, zum Scheitern verurteilt war. Wäre das auch in Österreich Realität? Laut NAbg. Karl Öllinger, der auf Einladung der Grünen Akademie in Graz zum Thema „Armutsfaktor Arbeit“ die grünen Standpunkte ausführte, lautet die Antwort: ja. Auch in Österreich ist working poor kein fernes Schlagwort mehr. Unter den Gruppen der neuen Selbstständigen, der freien Dienstnehmer, der Arbeitsmigranten sind nicht existenzsichernde Löhne keine Ausnahme mehr. Auch bei vielen Jobs im Dienstleistungsbereich und im Transport- und Speditionswesen werden oft unglaublich niedrige Stundenlöhne bezahlt. So kommen Menschen, die in der sehr belastenden 24-Stunden-Pflege arbeiten, auf unfassbare 2 (!) bis 5  Stundenlohn. Kein Wunder, dass diese Pflegearbeiten zu einem großen Teil unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen von als Touristen für jeweils drei Wochen einreisende PflegerInnen aus unseren östlichen Nachbarländern geleistet werden. „Die Betroffenen merken oft gar nicht, wie ungünstig manche Arbeitsverträge abgefasst sind“, berichtete Öllinger anhand von Beispielen, „oft fehlt jegliche Absicherung im Krankheitsfall, ganz zu schweigen von Versichungsbeiträgen, die zur Gänze von den Arbeitnehmern einzuzahlen sind.“

NAbg. Karl Öllinger > „Kämpfen um die vorhandenen Rechte statt großer Utopien“

Kein Wunder, dass gerade die Gruppe derjenigen, die ergänzende Sozialhilfe beziehen, weil ihr Arbeitseinkommen nicht existenzsichernd ist, besonders im Steigen begriffen ist. Das grüne Modell einer Grundsicherung sollte mit einem Arbeitseinkommen unter der Armutsgrenze kombinierbar sein, dürfte aber, um nicht lohndrückend zu wirken, nur bedarfsorientiert ausbezahlt werden. Die Grünen sehen ihre Forderung nach Grundsicherung aber nicht einseitig nur durch Geldleistungen abgedeckt, wichtig sind darüber hinaus infrastrukturelle Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Arbeitsrecht, z. B. die Festlegung von gesetzlichen Mindestlöhnen in allen Bereichen, Vereinheitlichung der Sozialversicherungsleistungen, klare Trennung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit usw. „Eine große Gefahr besteht in der Gewöhnung an das scheibchenweise Abmontieren der sozialen Errungenschaften und Rechte der Arbeitenden“, sieht Öllinger harte Zeiten auf uns zukommen, „jetzt ist nicht die Zeit für große Utopien. Wir müssen um die Beibehaltung der vorhandenen Rechte kämpfen.“

– gm –

 

 

  „Konstitutionelle Intoleranz“ hilft gegen „Unbehagen in der Spätmoderne“ Bei einem Vortrag Anfang Juni an der Fachhochschule Joanneum, zu dem der FH-Studiengang Sozialarbeit/Sozialmanagement, das Institut für Technologie und Gesellschaft und der Grazer Arbeitskreis für Psychoanalyse eingeladen hatten, referierte der Soziologe Hans-Joachim Busch (Frankfurt/Main) über die spezifischen Gründe für das „Unbehagen in der Spätmoderne“.


Aus traditionellen Lebensweisen und romantisch bestimmten Sichtweisen entwickelten sich in den letzten 40 bis 50 Jahren individualisierte Lebensformen. Dies führte zu einer Veränderung der inneren Verfassung des Individuums insofern, als die Selbstverwirklichung zur Last wurde, zur Überforderung, Singleexistenzen stehen einer Suche nach Halt und Bindung gegenüber. Busch: „Die durch Selbstverwirklichung herangewachsene Identität verkehrte sich inzwischen durch Instrumentalisierungen, Standardisierungen und Funktionalisierungen in ein Anspruchssystem, in dem Menschen eher leiden als prosperieren.“ Dies führe zum für die Spätmoderne spezifischen Unbehagen. Zielte Freuds Essay ‚Das Unbehagen in der Kultur’ auf den konflikthaften Menschen in seiner Trieblichkeit ab, der Mensch also, der Triebe, Wünsche, Bedürfnisse in der vorhandenen Gesellschaft unterdrücken muss(te), um nicht gegen Normen zu verstoßen, was zu Neurosen führen konnte/kann, sei der Mensch heute eher vom Anspruch überfordert, sein Selbst finden bzw. entwerfen zu müssen.

Prometheische Scham
Das Unbehagen verstärken jedoch laut Busch noch die (Re)Barbarisie-rungspotenziale – diese haben aber mit der in uns vorhandenen Aggression zu tun. Wir erleben und gestalten einen massiv eingriffigen Umgang in unsere Welt und ineinander. Somit ergibt sich unter anderem: „Heutige Menschen müssen genauso viel in sich hineinfressen wie frühere Generationen.“ Das Unbehagen hat sich sogar noch verschärft: Wir sind konfrontiert mit den Tatsachen der Computerviren, des bakteriellen Terrorismus, der Atomwaffen, der Umweltzerstörung etc. Der Mensch ist einem Gefühl der Scham (Busch nennt es nach Günther Anders ‚prometheische Scham‘) gegenüber seinen Apparaten, Maschinen, Produkten ausgesetzt: Wir fühlen uns minderwertig im Vergleich zu dem von uns selbst Erschaffenen, klein, unperfekt, prothesenhaft. Busch: „Uns wurmt die Einsicht, nur geboren und nicht gemacht zu sein, also nicht selbst auch perfekt zu sein; wir leiden an Kleinheitswahn“. Freud sah dieses Phänomen in der Melancholie (nicht gleichzusetzen mit Depression). Dahinter steckt ein Minderwertigkeitsgefühl, das schwer einzugestehen ist. „So irren wir quasi durch die Welt und basteln an unserer Identität. Spätmoderne Menschen können den Verlust des „Nur-geboren“- und „Nicht-gemacht-Seins“ nicht als solchen betrauern, ein Objekt- und Weltverlust stellt sich ein, was Depression zur Folge haben kann.“ Dumpfheit und Apathie durch Beziehungslosigkeit und das Wissen um katastrophale Zeit-erscheinungen wie etwa die Zerstörung der Umwelt erweitern das Unbehagen, führen zu ‚Man-kann-eh-nichts machen‘-Positionen.

Spielräume und Möglichkeiten
Es gibt aber auch Spielräume, die eine andere Haltung ermöglichen: die Spätmoderne ist weniger eine reflexive als eine irritierte, erschütterte. Aber: Reflexion kommt ohne Irritation und Erschütterung nicht aus, entsteht erst durch sie. Die psychischen Grundlagen, die es braucht, um eine kritische Haltung zu erreichen – die sich z.B. in der Weigerung, für das eigene Land in den Krieg zu ziehen, in der Kritik an den Vernichtungswaffen oder den Ungerechtigkeiten des Globalisierungsprozesses etc. äußern kann – werden der psychoanalytischen Bindungsforschung folgend vor allem in der Mutter-Kind-Dyade gelegt – hier entscheidet sich schon früh, ob der entstehende Lebensentwurf eher angstfrei oder angstvoll sein wird. Letztendlich geht es um die Entwicklung einer „konstitutionellen Intoleranz“ gegenüber gesellschaftlichen Missständen, ein Begriff, den Freud in seinem Briefwechsel mit Einstein (‚Warum Krieg?‘) prägte; Herbert Marcuse sprach in diesem Zusammenhang vom „libidinösen moralischen Bewusstsein“.

Ruth S. Neumeister, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin in Graz

 

 

  Bücher hören: Die Grazer Hörbibliothek In Graz befindet sich seit 5 Jahren die einzige Hörbibliothek im gesamten deutschsprachigen Raum.


Christa Wiener-Pucher, Gründerin und Leiterin der kompetenten „Hörstätte“, berichtet: „Angefangen haben wir mit 150 Hörkassetten - inzwischen konnte der Medienbestand auf 1300 Hörbücher, Kassetten und Cds, aufgestockt werden.“ Geboten wird eine große Auswahl von Krimis, Klassikern, populären Romanen, Sach- und Kinderbüchern bis hin zur fremdsprachigen Literatur. Unter www.opac.st/hoerbibliothek können sich Interessierte über das Angebot informieren. Unter den ersten Einsendern eines Mails an hoerbibliothek.mariahilf@utanet.at mit einer Begründung, warum die Einrichtung einer Hörbibliothek wichtig ist, werden Gutscheine für eine einmalige Einschreibgebühr inkl. Katalog und 10 gratis Entlehnungen verlost.

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Hörbibliothek Mariahilf, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz | T 0316-71 31 69-40 | Öffnungszeiten: Mi: 16.00 - 18.30, Fr: 8.30 - 10.00 und So: 10.00 - 11.00

 

 

A bit of democracy a day keeps the doctor away Der Verein ZEBRA veranstaltete am 25. 06. 2004 in Graz die Fachtagung „Migration kann ihre Gesundheit gefährden“. Einen wichtigen Beitrag lieferte Richard Wilkinson, Professor für Sozialepidemiologie an der University of Nottingham Medical School. Für KORSO sprach Johanna Muckenhuber mit Wilkinson.

< Richard Wilkinson: Selbstbestimmtheit wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus


Sie haben in ihrem Vortrag über die psychosozialen Determinanten der Gesundheit gesprochen. Wie sehen diese Determinanten bei MigrantInnen aus?

Ich habe keine spezielle Studien über MigrantInnen gemacht, denke aber, dass für MigrantInnen dasselbe wie für den Rest der Bevölkerung gilt. Sie leiden genauso unter niedrigem sozialen Status und sozialer Isolation, dass sie sich anders als die Einheimischen und oft minderwertig fühlen.

In ihrem Buch „Kranke Gesellschaften“ beschreiben sie, dass in den Industrienationen nicht der tatsächliche materielle Reichtum, sondern die Größe der „Schere“ zwischen Arm und Reich entscheidende Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Sehen Sie das noch immer so?

Ja, und die Anhaltspunkte dafür sind, wenn man den Ländervergleich betrachtet, sogar stärker geworden. In Staaten wie den USA, GB oder Österreich gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Lebenserwartung und dem Bruttonationalprodukt pro Kopf. Dieser Zusammenhang besteht nur in ärmeren Ländern. Unter den reicheren Staaten kann man feststellen, dass die Bevölkerung Griechenlands mit einem nicht halb so großen Durchschnittseinkommen (selbst wenn man die Preisunterschiede herausrechnet) gesünder ist als die in den USA. Wenn man aber die Einkommensunterschiede innerhalb der Staaten betrachtet, so haben sie großen Einfluss auf die Gesundheit. Das führt zu der Annahme, dass das relative Einkommen bzw. der soziale Status für die Unterschiede verantwortlich sind. Besonders wichtige psychosoziale Faktoren in Zusammenhang mit dem sozialen Status sind zum Beispiel Freundschaft und Möglichkeiten selbst bestimmt zu arbeiten. Diese Faktoren können auch viele der Ergebnisse der Whitehall-Studie besser als materielle Unterschiede erklären.

Welche politischen Maßnahmen wären nötig, um hier sinnvoll zu intervenieren?

Alle Regierungen haben durch Bildungspolitik, Steuern, das Sozialversicherungssystem, Wirtschaftspolitik und dadurch, wie viel Arbeitslosigkeit sie akzeptieren, Einfluss auf das Ausmaß gesellschaftlicher Ungleichheit. Das Problem ist aber, dass alle Maßnahmen von einer neuen Regierung wieder sehr schnell verändert und rückgängig gemacht werden können. Ich denke, wir müssen das Problem fundamentaler angehen: ein wichtiger Ansatzpunkt wäre die Demokratie bei der Arbeit. Ich habe gerade eine Untersuchung darüber begonnen, welche Auswirkungen es hat, wenn Angestellte die Firma, bei der sie arbeiten, selbst besitzen und so auch kontrollieren. Offenbar wirken sich das Gefühl der Kontrolle und der Beteiligung positiv auf die Gesundheit aus. Angestellte, die ihre Firma selbst besitzen, finden einen besseren Umgang mit der Problematik von Dominanz und Unterordnung, was sich positiv auf die Gesundheit auswirkt.

Lesetipp: Richard Wilkinson, Kranke Gesellschaften. Soziales Gleichgewicht und Gesundheit, erschienen auf Deutsch 2001 im Springer Verlag.

 

 

  Politische Bildung im Sommer


3. Attac Sommerakademie

Von 14. bis 18. Juli findet in Mürzzuschlag die dritte Attac-Sommerakademie statt, diesmal zum brisanten Thema „Losarbeiten – Arbeitslos: Zwischen Überleben und Selbstverwirklichung“. „Wirtschaftswachstum ist längst kein Garant mehr für Beschäftigung. Auf dieser Sommerakademie stehen Kreativität und Selbstorganisation im Dienst der Entwicklung alternativer Arbeitsmodelle“, beschreibt Pia Lichtblau von Attac Österreich die Intention der Veranstaltung.

Ort: Schachner Hauptschule, Grüne Insel 2, 8680 Mürzzuschlag | Beginn: 14. 7. | 15 Uhr
Programm: www.attac-austria.org/aktuell/sak04/sak04.php
Teilnahmegebühr: 40 EUR/Person
Anmeldung: T 01-54 641-430 oder verwaltung@attac-austria.org

Grüne Sommerakademie
In der Zeit von 2. bis 5. September wird in Altmünster am Traunsee (OÖ) die Grüne Sommerakademie abgehalten. Die diesjährige Veranstaltung steht unter dem Vorzeichen einer äußerst kontroversiellen Frage: „Projekt Österreich. In welcher Verfassung ist die Republik?“ Auf der Referentenliste erscheinen bekannte Namen wie a.o.Univ.Prof. Dr. Birgit Sauer/Uni Wien, Dr. Eva Glawischnig/NRAbg., Prof.Dr. Bernd Christian Funk/Uni Wien und Dr. Madeleine Petrovic.

Anmeldung: bis 20. Juli 04 unter Angabe von Adresse
Buchungsart unter: office.ooe@gbw.at
Kosten: 240 bzw. 300 Euro/p.P. (DZ oder EZ mit VP), ein Tag ohne Übern. 40 Euro

 

 

  Erratum


In der Juni-Ausgabe des KORSO haben wir beim Beitrag „Droge: Neue Hilfe für die Helfer“ ein Foto abgedruckt, das nicht die in der Bildunterschrift und im Artikel genannten Personen zeigte. Daher hier ein zweiter Versuch – mit der an alle Betroffenen gerichteten Bitte um Nachsicht: Mag. Gabriele Mairhofer-Resch, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention VIVID, und Projektleiter DSA Wolfgang Zeyringer präsentieren das Praxispackage „High genug“, das Hilfestellungen für MitarbeiterInnen der außerschulischen Jugendarbeit bieten soll, die mit suchtgefährdeten Jugendlichen zu tun haben.