04 / 2002
  Kein Geld für psychisch Kranke?
 
 

Die steirischen PsychotherapeutInnen schlagen Alarm: Laut steirischem Gesundheitsbericht 2000 hat die Steiermark nach Finnland die zweithöchste Selbstmordrate Europas.

Während der EU-Schnitt bei 12 Suiziden je 100.000 EinwohnerInnen liegt, ist er in der Steiermark doppelt so hoch. Weitere Zahlen aus dem steirischen Gesundheitsbericht belegen, dass 260.000 SteirerInnen an psychischen Schädigungen leiden, 25% davon entwickeln ausgeprägte Störungen. Etwa 48.000 SteirerInnen werden als alkoholkrank, etwa 130.000 als alkoholgefährdet eingeschätzt. Österreichweit haben 55% der PatientInnen praktischer ÄrztInnen mindestens ein vorrangig psychisch bedingtes Symptom, die durchschnittliche unspezifische Behandlungszeit bei psychosomatischen Erkrankungen liegt bei 7 Jahren (ÖBIG-Studie). 28% der durch Behinderung eingeschränkten Lebensjahre gehen laut Weltgesundheitsorganisation auf psychische und neurologische Belastungen zurück. 

Keine Therapie auf Krankenschein 
Trotz dieser erschreckenden Zahlen scheint ein Vertrag zwischen PsychotherapeutInnen und den Kassen für eine Therapie auf Krankenschein nicht in Sicht. Derzeit belaufen sich die Ausgaben der Kassen für Psychotherapie auf rund 1% der Gesamtausgaben für ärztliche Hilfe und gleichgestellte Leistungen. Eine 40-stündige Psychotherapie (40 Stunden sind für die Behandlung einer psychischen Erkrankung eine geringe Stundenanzahl und reichen für schwere Störungen nicht aus) kostet 2.500 bis 2.900 Euro, davon werden von der Krankenkasse 872 Euro Zuschuss geleistet. 
Bereits heute nehmen Depressionen bezogen auf die volkswirtschaftlichen Kosten nach Herzkrankheiten den zweiten Platz ein. Im Jahr 2030 werden die krankheitsbedingten Kosten infolge Depressionen nach einer WHO-Studie mehr als 6% der volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben ausmachen. Laut dem Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Max Friedrich leiden bis zu 2,5% der Kinder und bis zu 8,3% der Jugendlichen an Depressionen.
Die Wartezeit auf einen Therapieplatz in Vereinen der Plattform Psyche, einer Koordinationsstelle, die jenseits der Krankenanstalten flächendeckend Beratung, Betreuung und Hilfestellung in der Steiermark zu gewährleisten versucht, kann nach Auskunft der steirischen Psychiatriekoordinatorin Dr. Susanna Krainz bis zu einem halben Jahr betragen. Im Jahr 2000 zählte die Plattform Psyche 50.000 Kontakte, 8000 Personen wurden in die Betreuung, die von den Krankenkassen bezahlt wird, aufgenommen. Krainz sieht den Auftrag der Plattform auch darin, gesellschaftliche Akzeptanz für die Betroffenen zu schaffen: "So selbstverständlich, wie sich jemand mit Magenproblemen zum Internisten und ins Krankenhaus begibt, so sehr versucht man psychische Erkrankungen herunter zu spielen und teilweise sogar zu ignorieren."

Verhandlungen gescheitert
Bereits 1993 hat der Gesetzgeber den Hauptverband der Sozialversicherungsträger beauftragt, einen Gesamtvertrag für die psychotherapeutische Versorgung in Österreich zu verhandeln. Im Februar 2000 hatte der Bundesverband für Psychotherapie einem ausverhandelten Vertrag zugestimmt. Dieser hätte u.a. beinhaltet, dass die Kassen die vollen Therapiekosten nur dann übernehmen, wenn der/die TherapeutIn mindestens ein Jahr in einem psychiatrischen Krankenhaus praktiziert hat, was nur bei einem Drittel von ihnen der Fall ist. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger lehnte den Vertrag, dem der Berufsverband der PsychotherapeutInnen bereits zugestimmt hatte, jedoch im April 2000 wieder ab.
Daraufhin wurden die Länderkassen beauftragt, Länderlösungen zu finden. In einem ersten Gespräch im März 2002 forderte die GKK eine pauschale Zustimmung zu radikalen Zugangsbeschränkungen als Bedingung für weitere Verhandlungen. 
Die sind nun laut Auskunft des Leiters der Vertragspartnerabteilung der GKK Dr. Siegfried Marchel neuerlich auf Eis gelegt. Man will zunächst abwarten, was Gespräche auf Bundesebene, die nun wieder aufgenommen werden sollen, bringen werden.

Psychotherapie auf Krankenschein hätte auch einen wichtigen symbolischen Wert
"Vielen Betroffenen fällt es nämlich nach wie vor schwer, sich zu ihrer Erkrankung zu bekennen", weiß Ingrid Dampfhofer, Gründerin der Selbsthilfe-Gruppe "Traumfänger". Auch für den systemischen Psychotherapeuten Erich Schenk, Vorstandsmitglied des Landesverbandes für Psychotherapie, geht es darum, den Menschen die Schwellenangst vor Psychotherapie zu nehmen. "Wenn man depressiv ist, Ängste hat oder irgendein organisches Leiden – psychische Problemstellungen wirken sich nämlich sehr häufig körperlich aus, die Menschen haben Probleme mit der Wirbelsäule, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magenleiden etc. –  braucht man Psychotherapie, eine Auseinandersetzung mit dem Leiden. Deswegen ist man nicht geisteskrank." Einen Grund für die Zunahme von depressiven Erkrankungen sieht Schenk im Wellness-Boom und der Übermacht der Ökonomie: man muss erfolgreich und top-fit sein. "Hier wird suggeriert, dass man selber schuld ist, wenn man etwas nicht schafft. Depressive sind ja auch deshalb depressiv, weil sie glauben, nicht in der Lage zu sein, das Leben zu meistern. Der Fitness-Trend verstärkt diese Einstellung noch. Depression ist aber eine Krankheit und nichts, woran man selber schuld wäre."
Wenn das eigene Repertoire an Strategien nicht mehr ausreicht, um aus einer negativen Grundstimmung wieder herauszukommen, sollte therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden. 
 

Krainz: Psychische Erkrankungen werden heruntergespielt
Dampfhofer: Vielen Betroffenen fällt es schwer, sich zu ihrer Erkrankung zu bekennen
Schenk: Wellness-Boom suggeriert, dass man selber schuld ist, wenn man etwas nicht schafft

Depression wird oft lange nicht bemerkt
"Bei einer Depression ist das Schwierigste der Rückzug, Depression ist ein stilles Leiden, d.h., es fällt den Betroffenen und auch der Umgebung oft gar nicht auf", erklärt Erich Schenk. Auch bei vielen ÄrztInnen fehlt noch das Bewusstsein, dass die Ursache für eine körperliche Symptomatik oder für ein extremes Verhalten in einer psychischen Erkrankung liegen könnte. 
Es kann oft Jahre dauern, bis die Betroffenen erkannt haben, dass sie Hilfe brauchen und bereit sind, etwas an ihrer Situation zu ändern. Auch Ingrid Dampfhofer begann nach zahlreichen stationären Aufenthalten im psychiatrischen Krankenhaus eine Gesprächstherapie. "Heute weiß ich, dass diese Zeit sehr wichtig war und ich da gelernt habe, mein Leben in die Hand zu nehmen und das daraus zu machen, was mir entspricht. Man muss die Menschen abholen, wo sie bereit sind abgeholt zu werden. In der Therapie erarbeitet man sich Werkzeuge, wie man mit sich selbst wieder umgehen kann."

Psychotherapie für Kassen auf Dauer billiger
Erich Schenk, der im Verhandlungsteam des Verbandes der PsychotherapeutInnen sitzt, weiß, dass die Kassen mittlerweile akzeptieren, dass eine Psychotherapie auf Dauer billiger kommt, als die Leute von einem Arzt zum nächsten zu schicken. Die Kriterien, die im letztlich nicht zustande gekommenen Vertrag von Seiten des Hauptverbandes ausgearbeitet wurden, waren einigermaßen absurd: In der Psychotherapie-Ausbildung sind 1200 Stunden Krankenbehandlung vorgeschrieben. "Der Hauptverband forderte aber, dass man außerdem ein Jahr in der Psychiatrie gearbeitet haben musste, um einen Vertrag mit der Kasse zu bekommen, egal in welcher Funktion – theoretisch auch als Putzfrau! Noch dazu machen psychiatrische Fälle in der freien Praxis lediglich 1 bis 2% aus. Das Ganze war also nichts als eine Maßnahme zur Zugangsbeschränkung." 
Mit der letzten ASVG-Novelle hat der Gesetzgeber eine sehr präzise Formulierung getroffen und die Gesprächsvorbereitungen mit dem Sozialministerium sind nach Auskunft von Schenk viel versprechend. "Trotzdem versuchen wir auch auf Länderebene weiter zu verhandeln."

Romana Scheiblmaier

Kontakt zur Selbsthilfegruppe "Traumfänger" 
bei Ingrid Dampfhofer, 8264 Hainersdorf 34, Tel. 0699-11 80 50 16


Die Sinnhaftigkeit des neuen Schnelltests zur Erkennung von Drogenkonsum im Straßenverkehr (Drugwipe), wird von Experten bezweifelt. "Die Überprüfbarkeit der Fahrtüchtigkeit ist durch die Testergebnisse nicht gewährleistet, denn bis dato existiert beim Konsum von Drogen keine festgelegte Grenze, wie bei Alkohol", so die SPÖ-Jugendsprecherin und LAbg. Michaela Halper. "Durch die mangelhafte Schulung der Polizisten ist mit der Einführung von Drugwipe ein sinnloses Herumtesten an bestimmten Personengruppen und deren Stigmatisierung zu befürchten."
 

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