04 / 2002
  Österreichische Medien: Psycholavendel und Kartellbildung

Ein eher düsteres Bild von der Rolle der österreichischen Medien in der res publica zeichneten eine Podiumsdiskussion der Akademie Graz und ein Stammtisch des Forums politische Bildung. 

"Wenn ich die österreichische Mediensituation mit jener in Afghanistan, wo kritischen Journalisten die Kehlen durchgeschnitten werden, oder mit jener in Berlusconis Italien vergleiche, sehe ich sie wieder in einem günstigeren Licht", meinte der Politikwissenschafter und ehemalige ÖVP-Nationalratsabgeordnete Heinrich Neisser in seinem einleitenden Statement bei der Veranstaltung der Akademie Graz.
Von ähnlicher Resignation geprägt waren die Debattenbeiträge der anderen Podiumsteilnehmer: Der Meinungsforscher Rudolf Bretschneider monierte die vorherrschend psychologisierende und personalisierende Darstellung von Politik in den Medien ("Psycholavendel") und unterstellte der Mehrheit der Journalisten "Zynismus". Falter-Herausgeber Armin Thurnher diagnostizierte "fehlende Konkurrenz der Meinungen vor Publikum" und damit einen Mangel an "funktionierender Öffentlichkeit" – beides sei auf die späte Überwindung des Feudalismus in Österreich zurückzuführen. Zudem sähen die politischen Eliten des Landes die Medien nur als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen, deliberative – abwägende – Zeitungen würden zwar in Sonntagsreden gelobt, aber nicht ernst genommen; stattdessen schiele die Politik auf akklamative Medien, die durch extrem verkürzende Darstellung von Sachverhalten der Politik als gestaltender Kraft letztendlich das Wasser abgraben.
 

Von links nach rechts: Thurnher, Bretschneider, Patterer, Neisser
(re: Diskussionsleiter Baloch) lieferten eine Bestandsaufnahme 
der tristen österreichischen Mediensituation 

Der stellvertretende Chefredakteur der "Kleinen", Hubert Patterer, stellte fest, dass es in Österreich im Gegensatz zur Mehrzahl der anderen EU-Staaten keine Qualitätszeitung gebe, die über die Grenzen hinaus wirke – und hielt eine Brandrede gegen die Verfilzung des Konkurrenzblattes mit der politischen Macht.
Es blieb Neisser vorbehalten, die vorwiegend im ideologischen Bereich angesiedelte Diskussion um ihre ökonomische Dimension zu erweitern: Die Weigerung Minister Böhmdorfers, gegen die Fusion der News-Gruppe mit Profil/Kurier kartellrechtlich vorzugehen, habe die Gleichschaltung weiter vorangetrieben; das einzige offiziell mit einem Bildungsauftrag versehene Medium, der ORF, werde in Kürze in finanzielle Schwierigkeiten geraten und einen seiner beiden Kanäle verkaufen müssen.
 

Weissel, Moderator Possert, Brugger: Sinnvolle Medienförderung zur Korrektur des 
Marktversagens am Mediensektor
 

"Sinnvolle Medienförderung"
Die Gefährdung der Demokratie durch die Medienkonzentration stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung zum Thema "Der mündige Bürger" des Forums politische Bildung. Der Wiener Ökonom Erwin Weissel analysierte die Produktion von Informationen aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht: Um Gewinn bringend zu agieren, müsste der Anbieter eine genaue Vorstellung vom Informationsbedürfnis seines Kunden haben – da dies schwierig sei, seien Medien immer versucht, nicht die angebotene Information dem Konsumenten, sondern letzteren dem Informationsangebot anzupassen oder "ihn in seinen Vorurteilen schmeichelnd zu bestärken." Der Medienexperte und Jurist Sepp Brugger forderte ein sinnvolles Medienförderungsgesetz als Voraussetzung für eine funktionierende Medienlandschaft. "Es ist unsinnig, die Kronenzeitung zu fördern, die 40% der österreichischen Medienlandschaft beherrscht."

cs, rs, cw
 
APRIL-AUSGABE
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG