korso Wirtschaft / Arbeit / Bildung
Das Informationsmagazin 
der Steiermark
 
juni 2002
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Stadtwerke-Verkauf: Stellt die EDF Bedingungen?
Verärgert ist man beim Grazer Komitee „Für unsere Stadtwerke – Privatisierung NEIN!“ über die Vorgangsweise der Stadt, was die Teilprivatisierung des Energiebereiches betrifft: Die 10.000 Unterschriften besorgter Grazerinnen und Grazer, die sich gegen einen Verkauf wenden, sind bis jetzt nicht beachtet worden. Wegen der Nichtbeachtung der Rechnungshof-Kritik an der Beauftragung der „5 Weisen“ droht Komitee-Sprecher Univ.-Prof. Dieter Kirchner zudem mit einer Aufsichtsbeschwerde gegen die Verantwortlichen.

 

„Laut Umfragen ist die Grazer Bevölkerung mehrheitlich gegen einen Verkauf ihrer Daseinsvorsorge“, betont Kirchner (s. li/oben). „Für die Behandlung der von uns gesammelten Unterschriften im Gemeinderat ist nach dem Steiermärkischen Volksrechtegesetz nur mehr wenig Zeit. Es kommen nur mehr die Sitzungen am 13. Juni und 4. Juli in Frage; am 4. Juli soll aber, wie man hört, bereits über den Verkauf entschieden werden.“

Empört ist man beim Komitee unter anderem auch darüber, dass die Stadt-Verantwortlichen sich der Kritik von Stadt- und Bundesrechnungshof an der Art der Beauftragung der „Fünf Weisen“ entzogen hätten. Letztere sollten ja nicht nur die Sinnhaftigkeit eines Verkaufs beurteilen, sondern wurden auch gleich prozentuell daran beteiligt. Kirchner: „Wir werden eine Aufsichtsbeschwerde beim Land einbringen und behalten uns weitere rechtliche Schritte vor.“

STEWEAG braucht Stadtwerke-Kunden     
Dem Komitee lägen inzwischen auch Informationen darüber vor, wie die Teilprivatisierung nach dem Willen der Verhandler über die Bühne gehen soll, so Susanne Haydvogel-Rauppach vom Komitee: „Wie von uns immer vermutet wurde, scheint die ESTAG als Käufer bereits festzustehen. Für diese Variante dürfte auch entsprechender Druck vom Land Steiermark ausgeübt werden, das in Kürze weitere 24 Prozent seiner Anteile an den französischen Atom-Multi EDF verkaufen will, der ja bereits ein Viertel plus eine Aktie an der ESTAG hält. Die Beteiligung an den Stadtwerken dürfte die Bedingung der EDF für den Kauf weiterer ESTAG-Anteile sein.“

Die ESTAG-Stromtochter STEWEAG benötige nämlich dringend die Haushaltskunden und das Netz der Grazer Stadtwerke, weil auf dem liberalisierten Strommarkt die Kleinkunden erfahrungsgemäß selten den Stromanbieter wechseln und auch bedeutend höhere Tarife zahlen als die Großkunden, wie die ESTAG sie vornehmlich hat.

Stadtwerke-Verkauf als ökonomisches Perpetuum mobile?
Über die Finanzierung des Deals liegen KORSO – weder bestätigte noch dementierte – Informationen vor: Danach sollen die 49% des Energiebereichs der Grazer Stadtwerke, die an die ESTAG verkauft werden, von dieser in eine neu gegründete „Energie-GesmbH“ eingebracht werden, an der sich auch die Grazer Stadtwerke mit den restlichen 51% beteiligen. Die ESTAG zahlt als Kaufpreis 88 Mio Euro in den Stadtsäckel. Die neue Energie GesmbH nimmt einen 300-Mio-Euro-Kredit auf, legt das Geld an, die Zinsen – man rechnet mit 15 Mio. Euro jährlich – werden der Rest-AG der Grazer Stadtwerke zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs zur Verfügung gestellt. Die Schulden von 300 Mio Euro plus Zinsen soll die Energie GesmbH über einen Zeitraum von 15 Jahre zurückzahlen. Dieses ökonomische Perpetuum mobile (der Verkaufgegenstand finanziert selbst den Verkauf) hat allerdings einen Haken: Irgendjemand muss die Kreditrückzahlung der Energie-AG finanzieren – dass dies ihre Kunden sein werden, dürfte auf der Hand liegen.

Christian Stenner

 

 

  „Strategischer Partner“ mit entgegengesetzten Interessen Zumindest 49% des Energiebereichs der Grazer Stadtwerke – Strom, Gas, Fernwärme – sollen noch vor dem Sommer verkauft werden – aller Voraussicht nach an den steirisch/französischen Energiekonzern ESTAG. In Leipzig wurden die Stadtwerke bereits 1998 durch den Verkauf von 40 Prozent der Anteile – ebenfalls an einen Energiekonzern, die Mitteldeutsche Energieversorgungs AG (MEAG) – teilprivatisiert. KORSO fragte den grünen Leipziger Gemeinderat und Stadtwerke-Aufsichtsrat Roland Quester nach den Privatisierungs-Erfahrungen der Leipziger.

 

Leipzig wollte – ebenso wie Graz – einen „strategischen Partner“. Was hat dieser Partner den Stadtwerken gebracht?
Viel Arbeit und Abstimmungsbedarf! Nicht gebracht hat er aber das Erhoffte: Nämlich neue Arbeitsplätze, Know-how und die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Alles was in dieser Richtung passiert, geschieht durch Eigeninitiative der Stadtwerke und eigenes Personal. Grund dafür ist auch, dass der strategische Partner andere, zum Teil auch entgegengesetzte, Interessen hatte. Ein Vorlieferant als Partner hat sicher kein Interesse daran, dass Stadtwerke ihren Energiebezug optimieren, sondern daran, dass sie weiterhin zu – für den Vorlieferanten – günstigen Konditionen Strom oder Gas nur bei ihm einkaufen. Eines ist klar: Die Leipziger Stadtwerke kamen zuvor sehr gut alleine zurecht.

Auch bei geringer Beteiligung eines Partners werden wichtige Entscheidungen meist nur mit zwei Drittel Mehrheit getroffen, d.h. de facto entscheiden die privaten Anteilsbesitzer …
Hier kommt es sehr darauf an, was der Gesellschaftervertrag – bei GmbHs – oder bei Aktiengesellschaften das Aktienrecht festlegt. Prinzipiell gilt: Je mehr Geld man für einen Minderheitenanteil erhalten will, umso mehr Zugeständnisse in der Unternehmensführung muss man machen, die über den prozentualen Anteil hinausgehen. Allerdings kann der private Anteilseigner nicht alleine entscheiden – es kommt bei einer Beteiligung also auch darauf an, dass die kommunale Mehrheitsseite weiß, was sie will und dies kompetent und mit dem nötigen Nachdruck dem Partner gegenüber vertritt. Wenn der Partner in Wirklichkeit andere Interessen hat, als im Vertrag vereinbart wurde, sollte man nicht hoffen, der Vertrag würde das Zugesagte sichern.

Sind nach dem Verkauf Arbeitsplätze verloren gegangen?
Es gingen zwar nicht mehr Arbeitsplätze verloren, als ohnehin in den geplanten Reduzierungsmaßnahmen vorgesehen war, aber die zugesagten neuen Arbeitsplätze sind nicht geschaffen worden. Die Stadtwerke selber haben zum Teil für neue Arbeitsplätze gesorgt: Durch Marketing, Vertrieb und Auslandsaktivitäten.

Wie sieht es mit der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs aus?
Durch den Verkauf von 40 Prozent der Anteile wurden natürlich auch 40 Prozent der jährlichen Gewinnausschüttung verkauft – es stehen also nur noch 60 Prozent aus dem Energiebereich zur Quersubventionierung für den Verkehr zur Verfügung, der Rest muss jetzt aus dem kommunalen Haushalt kommen.

 

 

 

  Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten! Detlef Hensche, der langjährige Vorsitzende der deutschen IG Medien, die im März des Vorjahrs zusammen mit vier weiteren Teilgewerkschaften bekanntlich zur weltgrößten Arbeitnehmervertretung „ver.di“ (rund drei Mio Mitglieder) verschmolzen wurde, referierte auf Einladung des ÖGB-Steiermark in Graz.

 

Der 1938 geborene Jurist Hensche war 32 Jahre lang hauptberuflicher Gewerkschafter. In seine „Amtszeit“ fielen richtungsweisende gewerkschaftliche Erfolge wie etwa der 1978 abgeschlossene Tarifvertrag für die Beschäftigten in „Redaktionen mit rechnergesteuerten Textsystemen“, wie es damals hieß. Hensche hat aufgrund seiner Erfahrung mit dem enormen technologischen Wandel und der dadurch mit verursachten Ausdifferenzierung von immer neuen Beschäftigungsverhältnissen und -typen in der Kommunikationsindustrie ein reichhaltiges Instrumentarium parat, wenn es beispielsweise um die arbeits- und sozialrechtliche Strukturierung von prekären und auf (Selbst)ausbeutung setzenden Beschäftigungsverhältnissen geht. Transparenz, Demokratie und gegenseitige Verständigung sind die Hauptbestandteile moderner Vertrauensarbeitszeitmodelle, in denen etwa der Betriebsrat über Zielvereinbarungen, Mediation, Kontrolle aber auch Würdigung der Beschäftigten als die ersten Experten ihrer eigenen Arbeit eine sinnvolle Strukturierung der Beschäftigungsverhältnisse erreichen kann. Atypische Beschäftigungsverhältnisse wurden und werden gerne mit dem Etikett des sozialen Fortschritts verkauft, inzwischen aber von vielen ArbeitnehmerInnen zunehmend als aufgezwungen empfunden.

Organisationsgröße ist noch keine Erfolgsgarantie
Hensche betont, dass gerade bei der Bildung von Großgewerkschaften dezentrale Fachkompetenz sowie „Berufs- und Arbeitnehmernähe“ des einzelnen Gewerkschaftsfunktionärs wichtig sind. So weist etwa ver.di („Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft“) 13 Fachgewerkschaften mit je eigenen Tarifkommissionen auf. Hensche sieht im Lichte der massiver werdenden Gegenströmungen zum Neoliberalismus auf die Gewerkschaften in Zukunft gewaltige Aufgaben zukommen: Internationalisierung, die Schaffung einer „globalisierten Solidarität“ soll durch stärkere Vernetzung der einzelnen nationalen Organisationen und die Zusammenarbeit mit internationalen „Bürgernetzwerken“ wie „raison d’ agir“ oder „attac“ vorangetrieben werden. Seit über 100 Jahren sind die Wirkungs- und Interessenfelder der Gewerkschaften im Prinzip gleich geblieben: Lohn, Arbeitsschutz, soziale Gerechtigkeit. Mit ihrer zentralen historischen Leistung, der Erzeugung und Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus von Konsumwohlstand durch das Mittel der Kollektivvertragspolitik über die Einzelorganisationen garantieren die Gewerkschaften Funktion und Geschlossenheit des Systems. In dem Maße, in dem die traditionellen, auf Dauer angelegten betrieblichen Arbeitsverhältnisse durch neue Formen flexibler bzw. teil- oder vollselbstständiger Beschäftigung abgelöst werden, werden sich auch neue zusätzliche Einsatzbereiche für Gewerkschaften ergeben. So kann etwa die Einführung der neuen Urheberrechte in Deutschland eine probate Grundlage für kollektiv wirkende Vereinbarungen im Bereich freier Beschäftigung sein. Der Kampf um den Erhalt sozialer Netze wird zunehmend wichtiger gegenüber reiner Kollektivvertragspolitik. In diesem Zusammenhang betont Hensche die Bedeutung einer starken gewerkschaftlichen Dachorganisation, die die Aufgabe der ArbeitnehmerInnenpolitik wahrzunehmen hat. Dazu zählen Themen wie etwa die Verhinderung von Altersarmut oder das generelle Recht auf Arbeitnehmerweiterbildung. Hensche problematisiert in diesem Zusammenhang die „Gewichtsabnahme“ des DGB gegenüber den immer größer werdenden Bereichsgewerkschaften in Deutschland und warnt Österreich vor dieser Entwicklung. Eine weitere wichtige Rolle der Gewerkschaften ist die der Stärkung nationalstaatlicher Politik gegenüber supranationalen Organisationen, die die Interessen der großen Konzerne vertreten. So zum Beispiel hat Frankreich nach massiven internationalen Protesten der Zivilgesellschaft auch zur vorläufigen Abschmetterung des MAI (= Multilateral Agreement on Investments) beigetragen. Dieses multilaterale Abkommen MAI hätte den transnationalen Konzernen die uneingeschränkte Vereinnahmung nationaler Wirtschafts- und Sozialräume erlaubt.

Dieter Kordik

 

 

 

  Hypobank: Neuer Höchststand

 

Die nun bereits zu drei Viertel im Eigentum der Raiffeisen-Landesbank stehende Landes-Hypothekenbank Steiermark AG konnte ihr Geschäftsvolumen um 14% auf 51 Mrd Euro steigern. Die Vorstände Dkfm. Alfred Goger, Dr. Edwin Knoll und Dr. Ludwig Sik können sich auch über eine Steigerung des Betriebsergebnisses um 2,3% freuen auf 27,6 Mio Euro freuen. Mit dem Mehrheitseigentümer ist weiterhin eine Zwei-Marken-Strategie unter Ausnutzung von Synergieeffekten geplant.

 

 

 

  GRAWE: Überdurchschnittliches Wachstum

 

Mit einem Plus von 10,4% bei der Prämiensumme konnte das Unternehmen mit dem HQ in Graz ein deutlich über dem österreichischen Versicherungsmarkt liegendes Wachstum verzeichnen; das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit betrug 10,4 Mio Euro und lag damit um 7,7% über dem Vorjahr, der Jahresüberschuss konnte um 69% auf 11,7 Mio Euro gesteigert werden und wurde zur Gänze den Eigenmitteln der AG zugeführt, die mit einem Solvabilitätsgrad von 250% auch im internationalen Vergleich im Spitzenfeld liegen. Die GraWe-Auslandstöchter sind in Kroatien Marktführer und haben in Bosnien und Jugoslawien die zweite Marktposition inne.

 

 

 

  SWISS: Die Schweiz fliegt wieder

 

Nach der Swissair-Pleite hat die Schweiz nun eine neue interkontinentale Fluggesellschaft. Die SWISS mit Sitz in Basel wurde auf Basis der Regionalfluggesellschaft Crossair gegründet und von Bund, Kantonen, Banken und der Privatwirtschaft mit einem Aktienkapital von 2,7 Mrd CHF ausgestattet. Mit einer Flotte von 128 Flugzeugen will SWISS in diesem Jahr rund 9,8 Mio Passagiere befördern, für kommendes Jahr sind rund 14,8 Mio Passagiere prognostiziert. Die neue Gesellschaft fliegt dreimal täglich die Strecke Graz – Zürich – Graz.

 

 

 

  ZAT ist ISO-zertifiziert! Im Rahmen der ISO-Zertifizierung des ZAT hat sich wieder einmal Folgendes bestätigt: Die ausgezeichnete Qualität der Dienstleistungen ist die Basis der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit.

Am 9. und 10. April 2002 wurde ZAT von der ÖQS-Zertifizierungs- und Begutachtungs GmbH    nach der ISO Norm 9001:2000 zertifiziert. Durch die übergeordnete Ausrichtung des Unternehmens hin zu einer umfassenden Qualitätspolitik, können optimale Dienstleistungen sowohl dem Kunden- als auch den MitarbeiterInnen garantiert werden und das führt auf Dauer zur gewünschten Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, welche die Grundlage des Erfolges bilden. Im Zuge des Zertifizierungsprozesses stellte sich heraus, dass im Unternehmen bereits mehr als 80% aller Abläufe gemäß der ISO-Norm 9001:2000 geregelt waren. Im ZAT wird natürlich davon ausgegangen, dass durch die Neuordnung der restlichen 20%, die Abläufe nochmals besser und effizienter gemacht wurden, ob es nun um die interne Koordination zwischen den Niederlassungen oder um blitzschnelles Disponieren zum Wohle der Kunden, etwa im Krankheitsfall eines Mitarbeiters geht!

 

  Grüne/SP: Zankapfel Budgeteinigung

 

Schlagabtausch zwischen den steirischen Grünen und der SPÖ über die SP/VP-Einigung zum Landesbudget: Die grüne Klubobfrau Ingrid Lechner-Sonnek ortet „völligen Ideologie-Bruch in der steirischen Sozialdemokratie“, SP-Budgetverhandler LR Kurt Flecker kontert: Er habe wichtige Punkte durchsetzen können.

„Die Grünen bleiben jetzt die einzige Kraft, die sich gegen die Privatisierungswut wendet und die einzige Partei, die sich für die sozial Schwächsten einsetzt“, zeigt sich Lechner-Sonnek über die Zustimmung der Sozialdemokratie zu Finanzlandesrat Herbert Paierls Budget enttäuscht. „Die SPÖ nimmt ihre eigenen Kritikpunkte – Nulldefizit, Stabilitätspakt und Privatisierungen seien abzulehnen, im Sozial- und Gesundheitsbereich werde unverantwortlich gespart – offenbar nicht ernst.“ So werde etwa der Budgetansatz im Behindertenbereich die Anpassung des Leistungsangebotes an die zunehmende Zahl älterer Behinderter unmöglich machen, das projektierte neue Behindertengesetz, das Flecker angestrebt habe, sei damit ohnehin gefallen. Für SP-Landesrat Kurt Flecker konnte hingegen durch die Budgeteinigung „vielen sozialdemokratischen Positionen die Chance auf Umsetzung eröffnet werden“ – auf der Habenseite sei etwa die Finanzierung des Frauenhauses in der Obersteiermark, eine flächendeckende Arbeitsstiftung, Investitionen in die steirischen Spitäler und die Verdoppelung des Kindergartenbaufonds zu verbuchen. Und: „Beim Verkauf von Landeseigentum müssen weiterhin 51% der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand bleiben.“

 

 

 

  Bezirk Radkersburg: „Jobwunder“ ist hausgemacht Im Bezirk Radkersburg ist die Beschäftigung seit Ende der achtziger Jahre um jährlich mehr als 4 Prozent gewachsen – nahezu viermal so stark wie im Steiermarkdurchschnitt. Das gängige Erklärungsmodell: Die Ostöffnung habe der Region wirtschaftliche Impulse vermittelt. Eine Studie der steirischen Arbeiterkammer kommt zu einem anderen Ergebnis: Das „Jobwunder “ ist zu einem großen Teil auf erfolgreiche Infrastruktur-Politik und die „nachhholende Entwicklung “ des traditionell agrarisch geprägten Gebietes zurückzuführen.

 

Für Studienautor Franz Heschl, Mitarbeiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der steirischen Arbeiterkammer, war der „Fall Radkersburg “ besonders untersuchenswert, weil „in anderen Ländern wie den USA oder den Niederlanden bei einer nicht einmal halb so hohen Beschäftigungsdynamik schon von einem ,Beschäftigungswunder‘ gesprochen wurde. “

Erfolgreiche „Wellnesspolitik“
In drei Sektoren ist die Beschäftigung in Radkersburg signifikant gestiegen, erläutert der Volkswirt Heschl: „An erster Stelle steht dabei der Tourismusbereich – hier gab es einen starken Aufschwung, der vor allem auf den Thermentourismus zurückzuführen ist.“ Hier sind seit Ende der 80er Jahre 650 zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. Die Auswirkungen der Ostöffnung sind dabei vernachlässigbar: Die Zahl der Übernachtungen von TouristInnen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern stagniert, die Thermen-BesucherInnen kommen zum größten Teil aus Österreich. Die „Wellnesspolitik “ des Landes hat hier einen durchschlagenden Erfolg erzielt.

Ökonomisierung des Sozialen
An die 450 zusätzliche Arbeitsplätze wurden im Sozial- und Dienstleistungsbereich geschaffen, der jetzt insgesamt 1.083 Personen beschäftigt. Heschl: „Wir erleben hier den in anderen Regionen schon weiter fortgeschrittenen Prozess der Ökonomisierung des Sozialen.“ Traditionell in der Familie angesiedelte Tätigkeiten wie die Altenpflege werden – auch bedingt durch die zunehmende Beschäftigung von Frauen – Institutionen überantwortet. Stark ausgebaut wurden auch die Strukturen der Kinderbetreuung, auch in kleineren Kommunen wurden Kindergärten errichtet. Die dort Beschäftigten sind in den oben genannten Zahlen noch gar nicht enthalten. Und: Auch hier ist kein Zusammenhang mit der Ostöffnung erkennbar.

Strukturwandel im Handel
An dritter Stelle des Radkersburger „Arbeitsplatzwunders “ steht der Handel: Hier sind im Untersuchungszeitraum 400 neue Arbeitsplätze entstanden. Große Handelsketten haben die kleinen selbstständigen Greißler verdrängt, Arbeitsplätze für Unselbstständige wurden geschaffen. Auch hier sei, so Heschl, kaum ein Zusammenhang mit der Ostöffnung herstellbar: Zum einen habe es grenzüberschreitenden Einkaufstourismus schon vor 1989 gegeben, zumal die Grenze zu Jugoslawien ja nie mit dem eisernen Vorhang vergleichbar gewesen sei. Zum anderen konzentriere sich der wesentliche Teil der Nachfrage aus Slowenien und Kroatien auf den Zentralraum Graz.

Arbeitsmarkt-Regulierungen sind nötig
Ausgehend von den Studien-Ergebnissen fordert Heschl eine „differenzierte Erweiterungsdebatte “: „Die positive Beschäftigungsentwicklung im Grenzgebiet ist sehr kleinräumig und sensibel. Das bedeutet, dass es auch nach der Osterweiterung Regulierungen am Arbeitsmarkt geben muss. Schließlich – und das ist die Kehrseite der Medaille – sind die neu geschaffenen Arbeitsplätze zum großen Teil wenig qualifiziert und auch entsprechend gering entlohnt; sie wären beim Wegfall jeglicher Einschränkungen als erste gefährdet. “ Zum zweiten sei das Land aufgefordert, seine Infrastrukturpolitik im Tourismusbereich fortzusetzen: „Leider wird mit den Thermen-Privatisierungen der entgegengesetzte Weg eingeschlagen und der bisherige Erfolg damit gefährdet. Das Land Steiermark darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, im Gegenteil: Man sollte sich zum Beispiel fragen, warum das Angebot der Thermenregion bis jetzt an der zweifellos vorhandenen Nachfrage in den Nachbarländern vorbei agiert hat. Die Touristiker wären aufgerufen, eine gezielte Strategie zu entwickeln, um diesen Hoffnungsmarkt nicht unbeackert zu lassen.“