korso Wirtschaft / Arbeit / Bildung
Das Informationsmagazin 
der Steiermark
 
04/2003
   
.................................................................................................................................................
 

Cross-Border-Leasing: Trübe Geschäfte mit öffentlichem Eigentum Die E-Wirtschaft macht es, die ÖBB und die Wiener U-Bahnen machen es auch. Die Stadt Wien will es mit einem Teil ihres Kanalnetzes tun, die Stadt Salzburg ebenfalls und das Grazer Kanalnetz ist seit dem Jahr 2000 dafür im Gespräch: Die Zauberformel zur Wiederbefüllung leerer Gemeindekassen heißt Cross-Border-Leasing. Wurde diese Finanzierungsform bisher fast ausschließlich von Unternehmen im öffentlichen Bereich genutzt, so versuchen jetzt mehr und mehr die Kommunen selbst auf diese Weise zu schnellem Geld zu kommen.
< Foto: Journalist Rügemer: Mit „Colonia Corrupta“ deutsche Öffentlichkeit wachgerüttelt

 

Seit Maastrichtkriterien, überbordender Schuldendienst und Konjunktureinbruch den Kommunen die Luft abschnüren, greifen die Gemeindväter nach jedem Strohhalm, um die herrschende Finanznot zu lindern. Einer davon ist das Cross-Border-Leasing, und es funktioniert so: Kommunale Einrichtungen – Müllverbrennungsanlagen, Wasserwerke, Kanal- und Schienennetze, Straßenbahnen, Schulen, Messehallen und auch Rathäuser – werden an so genannte „US-Investoren“ für hundert Jahre verleast und sofort mit einem Parallelvertrag wieder zurückgemietet. Obwohl dabei nicht das Geringste investiert wird, entsteht durch Vortäuschung eines hundertjährigen Leasingvertrages für die „Investoren“ nach amerikanischem Steuerrecht eine Steuerersparnis, einen Teil davon erhält die Kommune am ersten Tag des Geschäftes ausbezahlt, den „Barwertvorteil“. Die Kommune bleibe weiterhin Eigentümerin der verleasten Anlagen – wird zumindest behauptet – und verpflichte sich nur, diese in der ursprünglichen Form weiter zu betreiben, mit der Option eines Rückkaufs nach ca. 30 Jahren. Wird diese allerdings nicht wahrgenommen, so gehört die Anlage in der Folge dem „Investor“, der sie dann an einen Privaten weitervermieten könne.

Zwei Eigentümer?
Die Realität sieht anders aus: Die Verträge werden nach US-Recht abgeschlossen, mit Gerichtsstand in einer US-amerikanischen Stadt. Während die Bevölkerung im Glauben gelassen wird, es handle sich um ein einmaliges Hin- und Herleasen, das de facto mit der Übergabe des „Barwertvorteils“ an die Kommune beendet sei, so gilt in den USA ein Leasingvertrag über hundert Jahre als Eigentumsübertretung, d.h. die betreffenden kommunalen Anlagen gehen in den Besitz des so genannten Investors über, sonst könnte diesem auch kein Steuervorteil daraus erwachsen. Obwohl die Vertragsunterlagen in der Regel aus 1.500 bis 3.000 Seiten bestehen und auf Englisch abgefasst sind, bekommen die Gemeindepolitiker üblicherweise nur einen Kurzauszug von 15-25 Seiten in deutscher Sprache zu sehen.

In Widerspruch zum US-Steuerrecht
Der Kölner Journalist und Buchautor Dr. Werner Rügemer wurde für sein Hörfunk-Feature „Hundert Jahre wie ein Tag – Die heimliche Globalisierung der Städte“ ausgezeichnet. Das Manuskript dürfte inzwischen tausendfach verteilt worden sein und kursiert in zahlreichen Gemeindestuben. Rügemer hat seine Recherchen über kommunale Cross-Border-Leasinggeschäfte in seinem Buch „Colonia Corrupta“ und in zahlreichen Zeitungsbeiträgen publiziert und so zumindest in Deutschland die Öffentlichkeit wachgerüttelt. Bei seiner aufwändigen Recherche über CBL-Verträge in Deutschlands Kommunen hat er keinen einzigen Stadtpolitiker getroffen, der je einen Leasingvertrag im Wortlaut gelesen hätte. Die Investoren bleiben anonym, es sind meist Briefkastenfirmen, die von den Banken in Steuerparadiesen wie den Cayman-Inseln gegründet wurden. Rügemer: „Diese Cross-Border-Leasing-Konstruktionen stehen eigentlich in den USA in Widerspruch zum Steuerrecht, da sie offenkundig Scheingeschäfte sind. Obwohl das US-Finanzministerium seit Jahren versucht, diese Steuerflucht zu unterbinden, konnte es sich bis jetzt nicht durchsetzen, denn auf unterer Ebene stehen die Behörden in den einzelnen US-Staaten im Standortwettbewerb um die besten Steuerbedingungen für Unternehmen. Die gegenwärtige US-Regierung steht auch auf Seite der „Investoren“ und betrachtet die Steuerersparnisse als ,Wirtschaftsförderung‘.“ Rüegemer warnt die Kommunen vor den Kosten, die allein im Vorfeld von Verhandlungen entstehen können „Die Stadt Aachen hat schon die Risiken dieser Geschäfte zu spüren bekommen: In Aussicht auf einen „Barwertvorteil“ aus dem CBL einer Müllverbrennungsanlage in der Höhe von 30 Mio. Mark musste sie nach einjähriger gescheiterter Verhandlung ganze 19 Mio. Mark an Anwalts- und Beraterkosten etc. zahlen. Man muss ganz klar sagen: Mit dem Cross-Border-Leasing geben die Kommunen das mit Gebühren und Abgaben der BürgerInnen geschaffene Vermögen an unbekannte US-Trusts ab.“

Die trübe Brühe täuscht nicht: Cross-Border-Geschäfte sind letztendlich Steuer-Betrug >

Cross-Border-Leasing in Salzburg …
In Deutschland regt sich bereits seit geraumer Zeit Widerstand gegen diese bedenkliche Art der Gemeindefinanzierung. Bereits in mehreren Städten haben BürgerInnenbewegungen verhindern können, dass Teile des kommunalen Vermögens cross-border-verleast wurden. Kritische Organisationen nehmen sich des Themas an. Die „Salzburger Plattform Sozialstaat Österreich“ hat an die Gemeinderäte und -rätinnen der Mozartstadt einen zehn Punkte umfassenden Fragebogen ausgesandt, in dem diese zu ihrer Einstellung zum von Bürgermeister Heinz Schaden betriebenen Cross-Border-Leasing des Kanalnetzes und weiterer Infrastruktureinrichtungen befragt werden. Unter anderem wird die Frage gestellt, bis wann die Gemeinderäte hoffen, sich mit dem Text des Vertrags vertraut machen zu können. Bis 15. Juni soll nämlich im Landtag über die Vergabe entschieden werden. Ein Angebot der französischen BNP Paribas liegt vor, weltweit eine der größten im CBL-Geschäft, die gemeinsam mit der Bank Austria-CA den 300-400-Mio-Euro-Deal abwickeln will. Mitbieter sind weiters der amerikanische Finanzmulti Babcock Brown gemeinsam mit der Raiffeisen Landesbank OÖ und die australische Macquarie Group, Marktführerin in Österreich im Cross-Border-Geschäft und weltweit Dritte. Hierzulande hauptsächlich auf Autobahnen und Bahnlinien spezialisiert, hat sie bereits prominente „Partner“: AUA, Telekom, Wiener Linien, ESG (Linzer Straßenbahnen) und ÖBB. Auch die Kommunalkredit will in Salzburg dabei sein. Die genannten Namen sind im internationalen Leasing-Geschäft mehr als bekannt. Und ihre Träger als Arrangeure des Geschäfts mit dem eigentlichen „Investor“ wahrscheinlich die Hauptverdiener. So konnte die Investkreditbank mit ihrer Tochter Kommunalkredit-Bank und deren französischem Partnerunternehmen Dexia im Vorjahr ihren Konzernüberschuss um 38 Prozent auf 32 Mio Euro steigern, nicht zuletzt wegen vermehrter CBL-Geschäfte.

… und auch in der Steiermark
Beim Mürzverband, einem Zusammenschluss von Wasser-, Abwasser- und Müllverbänden in der Obersteiermark, denkt man seit Sommer letzten Jahres daran, die Gemeindebudgets durch Cross-Border-Leasing des Kanalnetzes aufzubessern und will sich zu diesem Zwecke mit anderen Interessenten zusammentun, Leoben ist im Gespräch. Die Kommunalkredit wirbt eifrig. HR DI Bruno Saurer, oberster Chef des Siedlungswasserbaus in der Steiermärkischen Landesregierung, ist mehr als skeptisch. „Ich rate keiner Kommune, diesen Schritt zu tun. Diese Art von Geschäften ist zu riskant. Als Konsument wünsche ich mir auch, dass Gelder, die von mit Abgaben finanzierten Anlagen erwirtschaftet werden, wieder dem Endverbraucher zu Gute kommen.“ Sauer findet es auch höchst merkwürdig, dass die Kommunalkredit-Bank gleichzeitig Bundesförderungen für die Gemeinden verwaltet und Cross-Border-Leasing-Geschäfte tätigt: „Das ist für mich ein Fall von Unvereinbarkeit.“ Auch aus eher konservativen und sogar aus Wirtschaftskreisen kommt zunehmend Kritik und mehr und mehr Ablehnung: So zum Beispiel will die bayrische Staatsregierung den Gemeinden das Cross-Border-Leasing-Geschäfte künftig verbieten. Und der Internet-Börse-Express des österreichischen Wirtschaftsblatts vom 1.4.2003 vermerkt im Zusammenhang mit dem CBL des Kraftwerks Altenwörth: „Wir hoffen, dass sich die CBL-Geschäfte für den Verbund nicht als Bumerang erweisen und halten diese sperrigen und unübersichtlichen Transaktionen, die obendrein in Österreich oft für Steuerausfälle sorgen, generell für verzichtbar.“

shv

 

 

Arbeit für die „Alten“

 

Nicht wenige Probleme der modernen Gesellschaft beruhen auf kollektiven Irrtümern, auf sich hartnäckig am Leben erhaltenden Vorurteilen und Fehleinschätzungen. Befragt man die Menschen einzeln, wird jeder zugeben, dass der Erfahrungsvorrat fünfzigjähriger ArbeitnehmerInnen ein unverzichtbarer Produktivitätsfaktor in Unternehmen ist.

Die den Vorstandsvorsitzenden und leitenden Managern nachgelagerten Personaladministrationen wollen vom Wert der aged people nichts wissen. Ihre Entscheidungen folgen stets dem gleichen Muster: Im Zweifelsfall entscheidet man sich für Arbeitnehmer unter 30, gleichgültig, um welchen Job es sich handelt, gleichgültig, welche Aufgabe zu erfüllen ist.

Die Auswirkungen dieses fatalen common sense schaffen – aufgrund der Nichtinanspruchnahme wertvoller Kapazitäten – nicht nur enorme Nachteile für die Unternehmen, sie werden immer mehr zum generellen Problem moderner Industriestaaten und ihrer Volkswirtschaften, weil diese Gesellschaften zunehmend überaltern. Schon in 20 Jahren wird etwa nur mehr jeder zweite nicht eingestellte oder zur Kündigung freigegebene Arbeitnehmer durch einen jungen ersetzt werden können. Anfang April brachten die steirische Arbeiterkammer und der ÖGB ExpertInnen zu diesem Thema auf einem Symposium in Graz zusammen.

Partner für eine Integration von Menschen ab 50 in den Arbeitsmarkt:
Juhani Ilmarinen, Walter Rotschädl, Richard Leutner, Rudolf Karazman (v. l.) >

Prof. Juhani Ilmarinen leitet seit 1992 die Abteilung Physiologie des finnischen Instituts für Arbeitsmedizin in Helsinki. Er war wissenschaftlicher Leiter von zwei nationalen Programmen für die alternsgerechte Umgestaltung der Arbeitswelten. Die skandinavischen Länder sind, gefolgt von Holland, am progressivsten, was Erkennen, Inanspruchnahme und Einbindung der Kapazitäten so genannter älterer ArbeitnehmerInnen in und für den Arbeitsmarkt betrifft. Ilmarinens Kritik: Österreich liegt im EU-Vergleich vor Deutschland an vorletzter Stelle, was die Autonomie bei der Arbeitsgestaltung anlangt. Freie Gestaltungsmöglichkeiten, Platzierung von Pausen, Wahl der Arbeitsmethoden und Reihenfolge der Arbeitsschritte sind wesentliche von ArbeitnehmerInnen über 50 Jahren eingeforderte Voraussetzungen für Entfaltung und „wellness“ am Arbeitsplatz. Mittlerweile beschäftigt man sich auch in Österreich wissenschaftlich mit der Notwendigkeit eines entsprechenden large system change. Unter dem Titel „generationengerechte Arbeitsorganisation und gesunder Verbleib im Arbeitsprozess“ betreibt der Mediziner Rudolf Karazman – teilweise unter Verwendung der Forschungsergebnisse von Ilmarinen – Unternehmensberatung in Sachen productive ageing. Die Diagnose: Älterwerden ist kein Abbau- sondern ein Umbauprozess. Während zwar körperliche Leistungspotenziale abgebaut werden, bleiben die psychisch-kognitiven Fähigkeiten – Konzentration, Assoziations- und Erinnerungsvermögen – im Wesentlichen auf gleichem Niveau erhalten. Die Potenziale auf sozialer, auf geistiger und auf fachlicher Ebene nehmen mit dem Alter dagegen zu. Die Stärken der Älteren sind: Entscheidungs-, Beurteilungs- und Mentorenfähigkeit, Erfahrung und Weitsicht. Karazman ist davon überzeugt, dass Arbeit so gestaltet werden kann, dass sie gesundheitsfördernd wirkt. Ziel jedes Unternehmens sollte es sein, alle MitarbeiterInnen „gesund, erfüllt und genussfähig in den Ruhestand zu entlassen.“

Dr. Richard Leutner, der leitende Sekretär des ÖGB und AK-Präsident Walter Rotschädl verweisen auf eine aktuelle IFES-Umfrage, wonach 75% aller über 45-jährigen ArbeitnehmerInnen nach einem allfällig eintretenden Arbeitsplatzverlust keine Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz für sich sehen. Völlig trostlos ist die Situation bei den Arbeitslosen dieser Altergruppe: Hier rechnen sich 90 % (!) der Befragten keine Chance aus, je wieder einen Job zu bekommen.

In den drei steirischen Betrieben Magna-Steyr, Epcos und im Rehab-Zentrum Tobelbad hat der ÖGB Projekte für alternsgerechte Betriebsratspolitik“ initiiert. Nach betrieblichen Analysen soll die Arbeit alternsgerecht umgestaltet werden. Bei der VOEST ALPINE AG hat man schon vor längerer Zeit begonnen, im Rahmen des Projekts „Life“ auf die fachliche und persönliche Weiterentwicklung der MitarbeiterInnen zu achten. Hier ist man vom betriebswirtschaftlichen Nutzen der Weiterbeschäftigung älterer MitatbeiterInnen überzeugt.

ko

Info:
AK-Steiermark | Hans-Resel-Gasse 8-14, 8020 Graz | Tel. 05/7799-2448 | Mail: arbeitstechnik@akstmk.at
ÖGB-Referat HTU | Hohenstaufengasse 10-12, 1010 Wien | Tel. 01/534 44-401 | Mail: monika.schwent@oegb.or.at

 

 

Entmachtung ziviler Instanzen der Urteilsbildung
< Foto/Negt: „Öffentlichkeit ist die einzige uns bekannte Produktionsform von selbstbewußsster gesellschaftlicher Erfahrung“

 

Im Rahmen des Symposiums „Arbeit, Bildung und menschliche Würde“ weilte am 25. März einer der großen Aufklärer Europas auf Einladung von Bildungshaus-Retzhof-Leiter Joachim Gruber in Leibnitz: Oskar Negt, 1934 geborener Bauernsohn aus Kapkeim bei Kaliningrad (Königsberg), studierte Jus, Philosophie und Soziologie in Göttingen und Frankfurt, war Doktorand Theodor W. Adornos und Assistent bei Jürgen Habermas. Bis zu seiner Emeritierung bekleidete er ein Ordinariat für Soziologie an der Uni Hannover.

1981 hatte Negt zusammen mit Alexander Kluge „Geschichte und Eigensinn“ herausgebracht, die „Bibel“ für die Kinder der 68er-Generation, Sozialtheorie zum Angreifen sozusagen, Theorie ohne Grauton, Praxis gewordene Theorie, wie dem Werk damals begeistert attestiert wurde. Negts zentrales Werk kam zeitgerecht, als die Systemtheorie zur vorbereitenden und Leitideologie des Neokapitalismus aufzusteigen begann. Was die Abstraktionslogik der Systemtheorie ausblendet, nämlich die quer zu den tatsächlich ausmachbaren funktionalen Mechanismen stehenden „lebensweltlichen Prozesse“ darzustellen, ist in „Geschichte und Eigensinn“ dramatisch textlich-bildlich dokumentiert.

Darüber hinaus bereicherte Negt die öffentliche Auseinandersetzung um nicht wenige brauchbare Begriffe wie etwa „Produktionsöffentlichkeit“, „Gewalt des Zusammenhangs“ u.dgl. Seiner Definition nach muss „das Gemeinwesen mit den Energien auskommen, die vom Lebenskampf übrig bleiben. Es ist daher ein höchst anfälliges Gut, geht es verloren, ist es durch nichts anderes zu ersetzen.“

In intellektueller Bescheidenheit bemerkten die Autoren Negt und Kluge, dass auch ihr Buch nicht mehr vermittle als alle anderen auch, nämlich „die Chance, sich selbstständig zu verhalten“ und dass alles wirklich Brauchbare in Aushilfen bestünde.

Angelegentlich seines Steiermark-Besuchs sprach KORSO mit Oskar Negt über den Irak-Krieg, über die Erosion des Politischen und über eine neue Ökonomie.

Korso: Herr Professor Negt, sie sprechen immer wieder von der Plünderung des Gemeinwesens durch die Mächtigen der Wirtschaft. In ihrem eben gehaltenen Vortrag erwähnten Sie die Notwendigkeit einer Solidarökonomie. Ist Solidarität denn eine Funktion des Ökonomischen oder ist sie nicht eher eine solche des politischen Systems?

Negt: Ich glaube, dass Solidarität ein wesentliches Element des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist und eine Ökonomie, die sich darauf bezieht, dass dieser gesellschaftliche Zusammenhalt nur über den Warenverkehr zustandekommt, ist eine unzureichende Basis für das was wir „Gesellschaft“ nennen, weil die „erste“ Ökonomie eine solche der Konkurrenz ist und die gesellschaftlichen Kräfte auseinandertreibt. Wir müssen also eine „zweite Ökonomie“ entwickeln, in der nicht nur das Solidarprinzip Bedeutung hat, sondern die auch eine Ökonomie ist, die den Zusammenhalt der Generationen in der Gesellschaft nicht durch Angst- und Gewaltpotenziale gefährdet. Ich halte daher eine „Ökonomie“ für nicht ökonomisch, die auf der einen Seite den sozialdarwinistischen Überlebenskampf propagiert, auf der anderen Seite den Rechts- und Moralprinzipien das Wort redet. Diese meine Position kann man gut aus der großen ökonomischen Literatur ableiten: hier ist – ob bei Keynes, Ricardo oder Smith, ganz abgesehen einmal von Marx – im Zusammenhang mit der Definition von „Ökonomie“ immer von einem vernünftigen Umgehen mit den natürlichen und den produzierten Ressourcen die Rede. Und genau das halte ich heute für gestört.

Korso: Manche behaupten, man könne eine Gesellschaft ohne Politik „betreiben“ ...

Negt: Ich halte das für unsinnig. Ich sehe nicht die Möglichkeit, die Regulierung den einzelnen Systemen zu überlassen. Die Einzelsysteme sind nicht aufeinander verwiesen. Verfassungsrecht und Ökonomie weisen auseinander, verfassungsrechtliche Normen beispielsweise widersprechen dem Konkurrenzprinzip des Ökonomischen. Planende Eingriffe in gesellschaftliche Prozesse, und das ist Politik, sind daher unverzichtbar.

Korso: In Zeiten wuchernder Kommunikation scheint gerade politische Öffentlichkeit verloren zu gehen. Auch Sie beklagen das, wenn Sie behaupten, dass „man es sich nicht leisten kann, bei der Wiederherstellung beschädigter Öffentlichkeit Kräfte auszugrenzen. Öffentlichkeit ist die einzige uns bekannte Produktionsform von selbstbewusster gesellschaftlicher Erfahrung, ohne die es keine private Erfahrung geben kann ...“

Negt: Gerade angesichts des Irakkriegs muss man von einer pervertierten Öffentlichkeit sprechen. Hier ist nichts mehr von der Rationalität abwägender Alternativen zu sehen. Damit meine ich auch: abwägende Rationalität in der Informationsvermittlung. Dies ist nichts anderes als bloß repräsentative Öffentlichkeit, etwa wie jene zur Zeit Ludwigs des XIV. Das ist keine „kritisch-abwägende Öffentlichkeit politisch agierender Privatleute“, wie Habermas das einmal gesagt hat, hier fehlt ganz entscheidend das Moment des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft, des Entwurfs von Alternativen. Der oppositionslose US-Kongress bedeutet erstmals eine höchst gefährliche „Entmachtung“ ziviler Instanzen der Urteilsbildung.

Interview: Dieter Kordik

 

 

Graz: Grüne bringen Stoppt-GATS-Resolution ein
< Sigi Binder: Will Graz zur Stoppt-GATS-Gemeinde machen

 

„Der Widerstand gegen die Liberalisierung und die danach zu erwartende Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge durch das GATS-Abkommen wächst. Ausdruck dessen ist auch die Tatsache, dass die EU es nicht geschafft hat, die Listen mit ihren Liberalisierungsangeboten wie vorgesehen Ende März den anderen WTO-Mitgliedsstaaten zu übermitteln, weil innerhalb der Union keine Einigung erzielt werden konnte“, erklärt die neu gewählte Klubobfrau der Grazer Grünen, Sigi Binder.

Auch innerhalb der Steiermark ist das Bewusstsein über die GATS-Verhandlungen gestiegen: Schon elf Gemeinden haben Resolutionen beschlossen, mit denen sie einen Stopp der GATS-Verhandlungen fordern, darunter Liezen, Bruck, Kapfenberg, Vordernberg, Raaba und Rosental an der Kainach. Die grüne Klubobfrau will diese Resolution am 10. April in den Grazer Gemeinderat einbringen. Sie erwartet bei dieser Gelegenheit auch eine grundlegende Diskussion über die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen – „das Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und SPÖ spricht etwa ganz klar von einer Teilprivatisierung des öffentlichen Verkehrs.“ Wichtigste Punkte der Resolution sind ein GATS-Verhandlungsstopp, die Verbesserung statt des Ausbaus öffentlicher Dienste und die Offenlegung der Verhandlungsergebnisse bei internationalen Wirtschaftsabkommen. Sie argumentiert u.a. mit den schlechten Erfahrungen, die mit Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in anderen Ländern gemacht wurden – etwa mit der Trinkwasserprivatisierung in Großbritannien, wo die Tarife, aber auch die Zahl der Hepatitis-Fälle wegen schlechter Wasserqualität sich verdoppelten.

 

 

Steirischer Bildungswegweiser
< Mag. Grete Dorner

 

Allein in der Steiermark halten derzeit 50 Erwachsenenbildungseinrichtungen etwa 12.000 Bildungsangebote bereit. Das Projekt Bildungsservice Steiermark hat sich auf die Bereitstellung institutionsübergreifender und anbieterneutraler Bildungsinformation und Bildungsberatung in der Steiermark spezialisiert. In diesem Pilotprojekt, finanziert durch das Land Steiermark, das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds wurden in der ersten Projektphase bis 2004 zwei regionale Bildungsnetzwerke installiert (Murau und Radkersburg, Korso berichtete). Ab 2004 ist eine Ausweitung auf die gesamte Steiermark vorgesehen.

Im Zuge des Projekts wurde auch der im Jahre 1999 eingerichtete steirische Bildungsserver (www.eb-stmk.at) weiter ausgebaut. Das Portal präsentiert derzeit bereits etwa 14.000 Bildungsveranstaltungen und verzeichnet 2000 Mail-Anmeldungen zu Veranstaltungen, jeweils pro Semester. Projektleiterin Mag. Grete Dorner und Redakteurin Mag. Kathrin Maier: „In diesem technischen Netzwerk sind alle relevanten Bildungseinrichtungen der Steiermark vertreten. Mit den Tausenden von Angeboten – vom Kochkurs bis zur umfangreichen beruflichen Qualifizierung – entspricht www.eb-stmk.at so gut wie jedem Bildungsbedürfnis. Der weitere, bedarfsorientierte Ausbau dieses technischen Netzwerkes, das in enger Kooperation und in Abstimmung mit den Einrichtungen der Erwachsenenbildung in der Steiermark erfolgt, ist ebenfalls ein Projektschwerpunkt.

Neue Adresse: 8020 Graz, Niesenbergergasse 59 | Tel. (0 316) 82 13 73 | Mail: bildungsservice@eb-stmk.at | www.eb-stmk.at/bildungsservice