Die geschlossenen Proteste der Universitätsangehörigen könnten
zu einem Umdenken im Bildungsministerium führen. „Das ist ein
konterrevolutionäres Gesetz, das auf die Zeit vor 1975 zurückgeht!“
ruft der Grazer Archäologe und a.o. Professor Erwin Pochmarski
den über 500 Universitätsbediensteten zu, die sich am 24. April
in der überfüllten Aula der Grazer Karl-Franzens-Universität zu
einer Dienststellenversammlung eingefunden haben. Lauter Beifall
ertönt: Die Ablehnung der von der Bildungsministerin vorgelegten
Universitätsreform, die noch vor dem Sommer beschlossen werden
soll, ist einhellig und verbindet alle universitären Gruppen,
die für diesen Tag in einen nahezu lückenlosen Streik getreten
sind.
„Mutwillige Zerstörung bewährter Strukturen“
In Kurzstatements greifen Wissenschafter und allgemein Bedienstete
verschiedene Aspekte des heiß befehdeten Gesetzes auf. Der Arbeitsrechtler
Günther Löschnigg warnt vor der Illusion, dass der durch die Ausgliederung
verloren gehende Kündigungsschutz auch in den neu auszuhandelnden
Kollektivverträgen festgeschrieben würde: „In den anderen privatisierten
Bundesbetrieben ist das auch nicht der Fall – und bei der Post
hat es 6 Jahre gebraucht, bis überhaupt ein Kollektivvertrag zustandegebracht
wurde.“ An Stelle des Arbeitszeitgesetzes würden Bestimmungen
zur Anwendung kommen, die maximale Arbeitszeiten von 13 Stunden
pro Tag und 60 Wochenstunden vorsähen – und keine Feiertage.
Die Psychologin Roswitha Roth vom universitären Arbeitskreis
für Gleichbehandlungsfragen fürchtet, dass mit der Ausschaltung
des Mittelbaus und der gleichzeitigen Aufwertung der Ordinarien
auch die Durchsetzung der Interessen der Frauen gefährdet sei:
„Der Professorenstand ist auf Grund seiner Zusammensetzung nicht
besonders an Gleichstellungsfragen interessiert.“ „Mutwillige
Zerstörung bewährter Strukturen“ nennt der Historiker und Studiendekan
Heribert Aigner die ersatzlose Abschaffung der paritätisch besetzten
Kollegialorgane. Er selbst sei bei deren Einführung 1975 skeptisch
gewesen, aber: „Ich bin durch die Erfahrung vom Saulus zum Paulus
geworden und habe die hohe Kompetenz von Studierenden und Mittelbau
in den verschiedenen Kommissionen schätzen gelernt.“ Selbst Ordinarius,
kritisiert er die Haltung mancher Standeskollegen: „Die im neuen
Gesetz vorgesehene Selbstrekrutierung von Professoren hat leider
dazu geführt, dass viele aus dieser Gruppe mit dem Gesetz zufriedener
sind als die anderen Universitätsangehörigen.“
Zutiefst undemokratisch
„Man war gar nicht an einem evolutionären Reformprozess interessiert“,
konstatiert der Vorsitzende des Dienststellenausschusses des wissenschaftlichen
Personals, Erwin Pochmarski. Die Organisation der Universitäten,
wie sie das Reformgesetz vorsieht, sei zutiefst undemokratisch:
„Der Rektor soll den Leiter der kleinsten Organisationseinheit
ernennen, der Senat trifft ohne jede Tiefengliederung die Entscheidungen
über 40 Studienrichtungen, es gibt keine Fakultäten mehr, und
die Regierung ernennt zwei Mitglieder des Uni-Rates – da werden
dann die Leute aus der Industriellenvereinigung reingesetzt, die
für die Kommerzialisierung der Universitäten zuständig sind.“
Regina Lammer, die Dienststellenausschussvorsitzende der
allgemein Bediensteten, warnt: „Alle Strukturen, die jetzt zerstört
werden, müssen dann von uns mit Mehrarbeit aufgefangen werden“
– aber: „Wir dürfen nicht nur auf jene Punkte im Reformgesetz
starren, die uns direkt betreffen – ich will auch im Interesse
meiner Kinder keine Universitäten, deren Forschungsinhalte sich
nur mehr an Konzernwünschen orientieren.“ Im nicht öffentlichen
Teil der Dienststellenversammlung wird schließlich einstimmig
eine Resolution beschlossen, in der die Bediensteten der Universität
Graz den Gesetzesentwurf „mit aller Entschiedenheit und ohne Einschränkungen“
ablehnen und die mit den Worten schließt: „Der vorgelegte Entwurf
bedeutet ein Ende der freien Universitäten in Österreich und degradiert
sie zu autoritär geleiteten Ausbildungsfabriken.“
5000 Don Quichotes?
Bei der anschließenden Demonstration – der zweitgrößten in der
Geschichte der Grazer Universitäten und wohl der ersten, an der
nahezu überwiegend Lehrende teilnehmen – ziehen Studierende, Assistenten
und Professoren durch die Innenstadt zur Burg. Landeshauptmann
Waltraud Klasnic empfängt eine Delegation, die ihr die
Resolution übergibt. Der grünen Wissenschaftssprecherin Edith
Zitz, die von der Gewerkschaft ebenso wie ihre KollegInnen von
den anderen Landtagsparteien zur Teilnahme an der Übergabe gebeten
wurde, wird zunächst – unter anderem vom Wissenschaftssprecher
des Landes,
HR Peter Piffl-Percevic – der Zutritt zur Burg verwehrt. Schlechtes
Gewissen angesichts der Tatsache, dass Percevic gemeinsam mit
ÖVP-Wissenschafts-sprecher LAbg. Wolf Rauch noch wenige Tage zuvor
eine äußerst positive Stellungnahme des Landes Steiermark zum
Universitätsreformgesetz präsentiert hatte, die deutlich von den
zuvor ergangenen kritischen Beurteilungen durch die Universitäten
abwich? Jedenfalls mussten sich die 5000 Demonstrations-teilnehmerInnen
am darauf folgenden Samstag auch noch gefallen lassen, in der
ÖVP-Wochenzeitung „Die Steirische“ als „Don Quichotes“ abgekanzelt
zu werden, die „gegen die Windmühlen der Universitätsreform“ in
den Kampf zögen. So manchem gestandenen ÖAAB-Gewerkschafter mag
da die Zornesader geschwollen sein …
Mündliche Zusagen
Die Streiks und Protestmärsche des 24. April in den österreichischen
Universitätsstädten dürften jedenfalls ein wenig Wirkung gezeigt
haben: Die Vorsitzende der Sektion Hochschullehrer in der Gewerkschaft
Öffentlicher Dienst, die Medizinerin Andrea Kdolsky, berichtet
KORSO von einem Gespräch mit der Ministerin am 2. Mai: „Ich hatte
den Eindruck, dass die deutliche Ablehnung an den Universitäten
zum ersten Mal zu einem gewissen Umdenken geführt hat.“ Allerdings
gebe es bis jetzt nur mündliche Zusagen, den Reformvorschlag zu
entschärfen und die vier Forderungen der Gewerkschaft: „echte
Autonomie, keine Entdemokratisierung, Arbeitsplatzsicherheit und
klare Finanzierung“ zu berücksichtigen. Am 8. Mai soll eine schriftliche
Neufassung der Gesetzesinitiative vorliegen – „dann werden wir
sehen, ob wir Entwarnung geben können oder ob der Kampf weitergeht“.
Bei dieser Auseinandersetzung hat die Partei der Bundesministerin,
die traditionell einen großen Teil des universitären Klientels
bindet und der auch viele der an vorderster Front kämpfenden Personalvertreter
angehören, zweifellos mehr zu verlieren als ihr Koalitionspartner.
Christian Stenner, Romana Scheiblmaier
Was die Reform bringen soll – und was daran
besonders kritisiert wird:
1. Die Universitäten sollen „in die Selbstverwaltung entlassen“
werden. Kritik: Von Autonomie kann keine Rede sein, weil im
Universitätsrat als zentralem Entscheidungsgremium zwei Regierungsvertreter
und auch sonst nur Universitätsfremde sitzen. Über Budgetierung
und „Leistungsvereinbarungen“ gibt es genug Zugriffsmöglichkeiten
für die Regierung.
2. Ein zentraler Uni-Rat soll an die Stelle der bisherigen
Mitbestimmungs-Organe treten: Er soll alle Letzt-Entscheidungen
über Studieninhalte und Budget treffen und hat 5 Mitglieder, 2
davon vom Senat der Universität (aber nicht aus dem Kreis der
Universitätsangehörigen) gewählt, 2 vom Bildungsministerium eingesetzt,
ein fünftes von den vier anderen Mitgliedern kooptiert. Hauptkritikpunkte:
Es dürfen nur Universitätsfremde darin vertreten sein. „Ein Einfallstor
für Lobbys aller Art“, kritisiert ein Grazer Universitätslehrer.
Kompromissangebot des Ministeriums: Studienpläne sollen doch nur
im Senat beschlossen werden. Dort verfügen allerdings die Professoren
über die absolute Mehrheit, Studierende und Mittelbau haben wenig
mitzureden. Der Mittelbau als zahlenmäßig größte Gruppe des wissenschaftlichen
Personals wird von der Mitbestimmung ausgeschlossen und verliert
den Anspruch auf Leitungspositionen. Hier soll es aber Abmilderungen
gegenüber dem ursprünglichen Entwurf geben. Die Studierenden verlieren
jeden Einfluss auf Lehrinhalte und Berufungen.
3. Budget: Die Universitäten erhalten Budgethoheit. Aber:
Die Budgets sollen eingefroren werden, gleichzeitig müssen die
Unis die Lohnnebenkosten ihrer Bediensteten selbst tragen. Mehrkosten:
geschätzte 30%. Der Grazer Bildungsökonom Gerhard Wohlfahrt: „Bis
jetzt weiß niemand, um wie viel Geld es dabei genau geht und wer
dafür aufkommen wird.“ Ein besonderes Problem stellt sich für
die medizinischen Fakultäten: Sie müssen sich den inneruniversitären
Budget-Verteilungskämpfen stellen, gleichzeitig aber auch die
ihnen vorgeschriebenen Aufgaben der Gesundheitsversorgung wahrnehmen.
Daraus resultierte der Wunsch nach Gründung eigener Medizin-Universitäten.
Diese stünden dann allerdings, fürchten manche, unter dem Druck
der Krankenanstalten-Träger, auf Forschung ganz zu verzichten.
Aus diesem Dilemma resultiert der Kompromissvorschlag der drei
medizinischen Fakultäten Österreichs, die eine Autonomie der Medizin
unter dem Dach der Universitäten anstreben.
4. Dienstrecht: Die bisherigen Vertragsbediensteten werden
zu Angestellten. Kritik: Auf der einen Seite sollen die Gehälter
auf dem relativ niedrigen Beamtenniveau eingefroren werden, auf
der anderen Seite gehen Kündigungsschutz und automatische Vorrückungen
verloren. Die allgemein Bediensteten (das „nicht wissenschaftliche
Personal“) verlieren wegen der Abschaffung der Kollegialorgane
ihr Mitspracherecht zur Gänze.