05/2002
 

„Statt Steuerreform in den Arbeitsmarkt investieren“

Mit ÖAAB-Obmann Landesrat Hermann Schützenhöfer sprach KORSO-Herausgeber Christian Stenner über Perspektiven der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

Herr Landesrat, Sie haben zu verschiedenen zentralen politischen Fragen Positionen eingenommen, die deutlich von der Linie der Bundesregierung abweichen; ich denke da an Ihre Aussagen zur Steuerreform und zum Sozialstaatsvolksbegehren. Sehen Sie sich als Gegner des neoliberalen Zeitgeistes?

Ich bin alles andere als ein Wirtschaftsliberaler; mein Wunsch ist, dass sozial gerechte Politik gemacht wird. Die Regierung, die ich unterstütze, ist angetreten, generationenübergreifend zu denken und nicht bloß auf Wahlen zu schielen. Diesen Kurs soll man jetzt nicht verlassen. Eine Steuerreform, die auch den kleinen Einkommensbeziehern, etwas bringt – ich bin ja dagegen, dass man nur die Lohnnebenkosten senkt, die im Übrigen durch die Abfertigung neu gerade gesenkt werden – kostet gut und gern 2 Mrd Euro, das ist nicht drinnen, die Menschen müssten das in den Jahren darauf doppelt zurückzahlen. Wenn aber tatsächlich ein finanzieller Spielraum vorhanden ist, dann ist es mir lieber, dass man in den Arbeitsmarkt investiert – z.B. in ein Beschäftigungsprogramm für junge Menschen. WIFO und IHS sagen ja voraus, dass die Arbeitslosigkeit heuer trotz Konjunkturerholung steigen wird. Hier muss man gegensteuern statt Zuckerln zu verteilen, die man ohnehin nicht hat.

Sie haben betont, dass das Ergebnis des Sozialstaatsvolksbegehrens weder eine Bestätigung noch eine Abfuhr für die Regierung darstellt – welche Schlüsse soll die Politik nun daraus ziehen?

Zunächst: Ich habe das Volksbegehren nicht unterschrieben, weil ich den Eindruck hatte, es sei als Abstimmung gegen die Regierung gedacht. Dennoch: Wären die Initiatoren nicht so naiv gewesen, sich eine Latte von 1 Mio Stimmen zu legen, sondern hätten sie sich mit der Hälfte begnügt, dann wären 717.000 Stimmen zweifellos als gutes Ergebnis gewertet worden. Wenn jetzt das Resultat als Beweis dafür interpretiert wird, dass ohnehin alles in Ordnung sei, dann muss ich mich zu Wort melden und sagen: So ist es nicht, wir müssen mit größter Sensibilität am Sozialstaat weiterbauen. Dazu wird auch eine programmatische Grundsatzdebatte zu führen sein. Politik wird heute ja leider zunehmend von der Hand in den Mund gemacht, wir sind arm an programmatischer Arbeit geworden. Der ÖAAB versucht hier gegenzusteuern. Wir werden ein Jahr lang zu 5 Schwerpunkten – Arbeit, Werte, Bildung, Soziales und Gesundheit – Arbeitsgruppen führen, deren Ergebnisse auch in der ÖVP diskutiert werden sollen.

Ihr Vorschlag einer Ausgleichsabgabe für Betriebe, die keine Lehrlinge ausbilden, hat zu einer heißen Auseinandersetzung zwischen dem Arbeitnehmer- und dem Unternehmerflügel der ÖVP geführt – das ging bis hin zur Behauptung, eine solche Lenkungsmaßnahme werde den Wirtschaftsstandort Österreich kollabieren lassen …

Diese Auseinandersetzung war von einer Reihe von Missverständnissen geprägt und ist nun innerparteilich ausgeräumt. Letztendlich will auch die Wirtschaft in diesem Bereich einen Ausgleich schaffen. Ich denke, ein solcher liegt auch im Interesse der Klein- und Mittelbetriebe, die Fachkräfte ausbilden, die dann von Großbetrieben abgeworben werden. Landesrat Paierl hat jetzt die Wirtschaftskammer gebeten, einen Vorschlag auszuarbeiten, und ich hoffe, dass wir binnen eines Jahres zu einem Ergebnis kommen.

Sie haben auch die Forderung nach einem Mindestlohn von 1000 Euro erhoben – wäre angesichts der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse nicht eher ein Basiseinkommen angebracht?

In Österreich leben immerhin 300.000 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer – vor allem Frauen – deren Einkommen unter diesen 1000 Euro liegt. Natürlich muss man genau schauen, ob die betroffenen Unternehmen sich diesen Mindestlohn wirklich leisten können; hier sind innovative Modelle – etwa der Erlass von Abgaben – gefragt. Ich bin durchaus aufgeschlossen für die Diskussion über ein Basiseinkommen, aber ich halte das Mindestlohn-Modell von meinem Zugang zur Arbeitswelt her für folgerichtiger. Ein Grundsatz der katholischen Soziallehre lautet ja, dass der Arbeiter um seiner Selbstachtung willen Einkommen durch eigene Arbeit haben will. Geht das nicht, ist das Modell des Basiseinkommens zu diskutieren.

 


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