KORSO hat im Gespräch mit dem Grazer Soziologen Peter Gasser-Steiner
und fünf nicht mehr aktiven PolitikerInnen der Stadtparteien versucht,
den Gründen für das Resultat vom 26. Jänner auf die Spur zu kommen.
Peter Gasser Steiner >
"Politiker, die Harmonie signalisieren, sind in Graz schon
fast automatisch auf der Gewinnerseite"
Was nützt eine Umfrage, die niemand glaubt?
Das Ausmaß der Überraschung definiert sich bei Wahlergebnissen letztendlich
durch ihre Abweichung von den zuvor zahlreich publizierten Umfragen.
Allerdings, so versichert Peter Gasser-Steiner, a.o. Prof. am Institut
für Soziologie der Universität Graz, dürfe man sich bei den heute
üblichen Methoden über deutliche Korrekturen der Umfrage-Ergebnisse
durch die Realität nicht wundern. „Als empirischer Soziologe schenke
ich weder Wahlprognosen noch Wählerstromanalysen Glauben“, unterstreicht
er. Und er erläutert: „Bei 500 Befragten liegt bei einem Umfrageergebnis
von 10 Prozent für die Partei X die Schwankungsbreite bei 3,5% –
das heißt, das Ergebnis kann ebenso gut 6,5% wie 13,5% betragen.
Bei einem erhobenen Ergebnis von 42% - wie es etwa OGM-Bachmayr
für die ÖVP festzustellen meinte – beträgt die Schwankungsbreite
5%, das heißt, von 37% bis 47% ist alles drin – und damit kommen
wir ja dem tatsächlichen Ergebnis ziemlich nah.“ Gasser-Steiner
wirft seinen Kollegen aus der Meinungsforscher-Branche vor, dass
sie sich „wissentlich als Stimmungsmacher für Wahlen hergeben. Seriöse
Umfrageergebnisse sind erst ab Stichproben von 2500 Personen zu
erzielen.“ Im gegenständlichen Fall sei das Sample aber in Wirklichkeit
noch schmäler gewesen als die angegebenen 500 Personen: „Das hängt
mit der niedrigen Wahlbeteiligung zusammen. Wenn Bachmayr 500 Leute
befragt, wissen weder er noch die Befragten selbst, ob sie am Sonntag
drauf wirklich zur Wahl gehen werden – tatsächlich sind nur 270
davon tatsächlich zur Urne geschritten. Das heißt, dass ihm von
seiner ohnehin schmalen Umfragebasis noch mal die Hälfte weggebrochen
ist.“ Dennoch, meint Gasser-Steiner, sei das außerordentliche Ergebnis
der KPÖ in den Umfragen „höchstwahrscheinlich“ bereits erkennbar
gewesen – „nur hätte das niemand geglaubt. In solchen Fällen pflegt
die Meinungsforschung dann zu einem besser verkaufbaren Ergebnis
zu gelangen.“
Stimmen auf Abruf
Was die Gründe für den Erfolg Ernest Kalteneggers waren, darüber
darf weiterhin spekuliert werden. Der ehemalige Landesparteiobmann
der KPÖ, Willi Gaisch, der nicht nur die politischen Geschehnisse
genau verfolgt, sondern auch als Aktivist am Wahlkampf seiner Partei
teilgenommen hat, weiß jedenfalls aus vielen Gesprächen mit PassantInnen:
„Die Sympathien der Menschen galten vielfach nicht der KPÖ, sondern
Ernest Kaltenegger – am Wahlergebnis kann man aber auch ablesen,
dass das Attribut „kommunistisch“ zumindest kein Schreckgespenst
mehr ist.“ Die besonders guten Ergebnisse Kalteneggers in den bürgerlichen
Bezirken deuteten darauf hin, dass die KP auch potenzielle ÖVP-Stimmen
abgezogen habe – und: „Ernest Kaltenegger war auch für viele ehemalige
FPÖ-Wähler eine Alternative, weil sie von der FP zu Unrecht erwartet
hatten, dass diese mit den Privilegien aufräumt.“ Gaisch ist Realist:
„Das ist natürlich ein höchst unsicheres Potenzial – Stimmen auf
Abruf sozusagen.“ Dass die Sozialdemokratie diese Stimmen nicht
gewinnen konnte, ist für Gaisch „auf ihren Verzicht auf die Interessenvertretung
der kleinen Leute und auf den Zickzackkurs der Grazer SP bei der
Stadtwerkeprivatisierung“ zurückzuführen.
„Distanz von der Sphäre des Politischen“
Gasser-Steiner sieht einen der Gründe des Erfolges des kommunistischen
Spitzenkandidaten in dessen „Sichtbarkeit“ – „er geht einfach überall
selbst hin“. Andererseits komme in seiner Beliebtheit auch „eine
Distanz der Bürger von der Sphäre des Politischen“ zum Ausdruck.
„Früher verlangte man noch Verteilungsgerechtigkeit, jetzt lobt
man die Caritas des Ernest Kaltenegger, der sein Geld unter den
Armen verteilt.“ Die frühere grüne Gemeinderätin Wilfriede Monogioudis
meint, dass der überraschende Erfolg der KPÖ zeige, dass es sich
lohne, sich vom heute üblichen Politikstil zu unterscheiden: „Authentisches
Auftreten macht sich offenbar ebenso bezahlt wie eine klare Gegenposition
zur neoliberalen Privatisierungspolitik.“
Analysieren die Grazer Gemeinderatswahl:
(v.l.n.r.) Egger de Campo, Tremmel, Gaisch, Strobl, Monogioudis
Der ehemalige ÖVP-Kulturstadtrat Helmut Strobl sieht die
publicitywirksame Umverteilungsaktion des Wohnungsstadtrates hingegen
mit einem Augenzwinkern: Dieser hätte zu Recht auf die Hälfte seines
Gehaltes verzichtet, weil sein Ressort sehr überschaubar gewesen
sei und er phasenweise „nicht mitregiert“ hätte. Die letzen beiden
Wahlen hätten einen Wählerstrom von der SPÖ über die FPÖ zur KP
gebracht, weil sich offenbar „die finanziell Schwachen von Ernest
Kaltenegger gut vertreten fühlen“, ist Strobl überzeugt. Der Wohnungsstadtrat
habe auch „im Unterschied zum politischen Mitbewerb seine Gemeindewohnungsmieter
nie nach dem Parteibuch gefragt.“ Wähler ohne Eigenschaften? Den
Wiederaufstieg der ÖVP in der Wählergunst führt Strobl vor allem
auf Siegfried Nagl und dessen Leistungen, das kompakte Auftreten
der Stadt-VP, aber auch die gute Öffentlichkeitsarbeit zurück. Der
gegenwärtige Bundestrend zur ÖVP habe dabei schon etwas geholfen,
entscheidend sei er in Graz nicht gewesen. Für Gasser-Steiner ist
das Ergebnis der ÖVP ein Beispiel für zunehmende „Interessensdistanziertheit“
bei der Stimmabgabe – „die ÖVP kann ihren Stammwählern wie etwa
großen Teilen der Lehrerschaft noch so weh tun, sie wird von ihnen
dennoch weiter gewählt.“
Für die ehemalige Grazer SPÖ-Gemeinderätin und Sozialwissenschafterin
Marianne Egger De Campo ist die „Kommerzialisierung des Politischen“
– das Eindringen marktwirtschaftlicher Elemente in die Politik,
das Hand in Hand mit populistischen Strömungen geht – verantwortlich
für die Heranbildung des „Wählers ohne Eigenschaften“. In Graz zählt
dieser Umstand für de Campo auch mit zu den Ursachen, die laut Wählerstromanalysen
5500 Stimmen direkt von der FP zur KP wandern ließen.
Für die Sozialdemokraten wünscht sich Egger de Campo nach diesem
Wahlergebnis eine Abkehr von einer Politik, die sich ausschließlich
an vorgeblichen Trends ausrichtet. Dagegen sollte wieder ein Bewusstsein
dafür entstehen, dass das Handwerk der Politik schlicht „die Gestaltung
der Gesellschaft entlang von Interessensgegensätzen“ bedeute.
Konflikte sind nicht chic
Wilfriede Monogioudis, Ex-Gemeinderätin der Grazer Grünen, legt
in ihrer Analyse des Wahlergebnisses besonderes Augenmerk auf die
NichtwählerInnen: „Letztendlich war für dieses Resultat entscheidend,
dass eine hohe Anzahl von SP- und FP-WählerInnen zuhause geblieben
ist, erstere vor allem wegen der Uneinigkeit in der Grazer Partei
und weil der Spitzenkandidat nicht ausreichend mobilisieren konnte,
letztere natürlich wegen der Grabenkämpfe auf Bundesebene, die von
der Grazer FP noch potenziert wurden.“ Ähnlich schätzt der ehemalige
FP-Stadtparteiobmann und Vizebürgermeister Paul Tremmel die
Situation ein: Im Desaster auf der Bundesebene müsse man selbstverständlich
Ursachen für die Grazer Entwicklung sehen. Dann kämen aber auch
schon die „hausgemachten“ Fehler: Die Affären Spielberger, Endres
usw. Allerdings habe die Presse „unverhältnismäßig stark auf der
FP herumgehackt und die „beachtlichen Leistungen des Peter Weinmeister
– etwa als Umweltreferent – zu wenig gewürdigt.“
Dass „Zerstrittenheit“ innerhalb einer Partei besonders von den
Grazer WählerInnen nicht geschätzt wird, unterstreicht auch Gasser-Steiner:
„Politiker, die Harmonie signalisieren, sind hier schon fast automatisch
auf der Gewinnerseite – die FP ist über ihre Zerstrittenheit und
nicht über ihre Ausländerfeindlichkeit gestolpert, und auch der
SP wurden ihre parteiinternen Konflikte nicht nachgesehen. Die demokratischen
Grundprinzipien von Konflikt und Interessenausgleich werden hier
nicht goutiert.“
Es gehört zur Demokratie, sich gegen eine Wahl entscheiden zu können
All jenen, die angesichts einer Wahlbeteiligung von weniger als
60% das Ende der repräsentativen Demokratie heraufdämmern sehen,
hält Ex-Stadtrat Helmut Strobl entgegen: „Dieser Fall ist im System
vorgesehen. Ein Sechzehnjähriger muss sich nicht für Politik interessieren.
Ein Wähler kann die Stimmabgabe verweigern, weil er mit der Politik
entweder einverstanden, auf sie ,angefressen‘ ist oder einfach weil
diese ihm ,wurst‘ ist.“
Die Gespräche führten Christian Stenner und Dieter Kordik
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