04 / 2002
  Kulturhauptstadt Graz: Wegen Vernachlässigung geschlossen?

2003: Ganz Graz feiert die Erhebung zur Kulturhauptstadt. Ganz Graz? Ein kleines Areal in der Mitte der Landeshauptstadt ist von Sanierungsarbeiten verschont geblieben. Zufällig handelt es sich dabei um das Juwel der Altstadt – die Stadtkrone. Zwei Absolventinnen der TU Graz haben nun mit ihrer Diplomarbeit ein Projekt vorgelegt, das die Schandflecken beseitigen und  die vorhandenen Schönheiten ins rechte Licht rücken soll – und das in Fachkreisen bereits höchste Aufmerksamkeit erregt hat.

"Nicht böse Absicht, sondern Verwahrlosung durch Schlampigkeit" sei der Grund für den lamentablen Zustand des Kerns der Grazer Innenstadt, konstatiert Dr. Heimo Widtmann, der Vorsitzende der Altstadtsachverständigenkommission bis 1992 und Autor zahlreicher Publikationen über Graz. Und die jetzige Vorsitzende, Dr. Gertrude Celedin, diagnostiziert: "Das Problem liegt darin, dass immer etwas spektakulär Neues her muss, statt dass man sich dessen besinnt, was man hat."

Sonderbarkeiten und Monstrositäten. In der Tat: Bei einem Rundgang entlang der ehemaligen Befestigungsanlagen der Stadt stößt man auf Schritt und Tritt auf Sonderbarkeiten bis hin zu absoluten Monstrositäten. Beginnen wir beim Aufgang zum Burggarten: Ein blickdichtes, an ein Gefängnis gemahnendes Blechtor versperrt zuverlässig den Blick auf die Gartenanlage, von deren Existenz ohnehin nur mehr Eingeweihte wissen. DI Maria Hauser, Co-Autorin der Diplomarbeit "Der Weg ist das Ziel. Ein Weg entlang der Befestigungsanlagen von Graz": "Die Öffnungszeiten bleiben unbekannt – obwohl der Burggarten seit 1919 ja auch dem gemeinen Volk zugänglich sein sollte. Dieses Tor zu öffnen wär ein einfacher Schritt mit großer Wirkung."

Rundgang:
"Die Grazer Stadtkrone - Schandflecken und verborgene Schätze"
Freitag, 26. April, 16.30, Paulustor (Stadtparkseite)

Dauer: ca. eine Stunde
Es führen: Landeskonservator Dr. Friedrich Bouvier, DI Ingrid Grubauer und DI Maria Hauser

Der Rundgang findet auch bei schlechtem Wetter statt!

Veranstalter:KORSO in Kooperation mit Verein CLIO

Betreten nur für Automobile. Ein paar Schritte weiter: Alle drei mittelalterlichen Burghöfe werden als Parkplätze genützt - ähnlich wie der Landhaushof noch vor zwei Jahrzehnten. Vom dritten Burghof aus gelangt man schließlich doch – allerdings nur unter Missachtung des hier angebrachten Schildes "Wirtschaftsteil – Betreten nicht gestattet" – in den Burggarten.
Die dort befindliche Orangerie aus dem frühen 19. Jahrhundert verfällt; mehrere Projekte zu ihrer Nutzung - darunter eine bis ins Detail ausgeführte Studie über die Einrichtung eines Amazonashauses (KORSO berichtete) wurden mangels öffentlicher Unterstützung nicht verwirklicht; hin und wieder fanden dort noch vor kurzem so genannte "VIP-Clubbings" stadtbekannter Prosecco-Cliquen statt. 
 

   
 Betreten verboten: Burggarten und Orangerie lassen grüßen

Satellitenschüsseln auf der Stadtgrabenmauer. Von der Orangerie führt ein mit Betonplatten ausgelegter Mauergang auf der Krone der ehemaligen Stadtmauer vorbei an einem leicht verwahrlosten Glashaus zu einem Aussichtsplatz mit Blick auf Pfauengarten, Schlossberg und Stadtpark. "Mit einer einfachen Treppe und einer Rampe könnten hier die drei Gärten verbunden und für die Bevölkerung erschlossen werden", erläutert DI Ingrid Grubauer, die zweite Autorin von "Der Weg ist das Ziel".
Vom Burg- in den Pfauengarten gelangt man zur Zeit nur über eine Treppe im Gebäude der Landesdruckerei. Ein Abstecher in den Druckmaschinensaal lohnt: Von den hintersten Fenstern aus bietet sich ein beeindruckender Blick auf das letzte sichtbare Stück der alten Stadtgrabenmauer - und auf drei daran befestigte mächtige Satellitenschüsseln.
 

Satellitenschüsseln auf der Stadtgrabenmauer

Ohne Tiefgarage wär's schöner. Der Pfauengarten selbst dient bekanntlich als Parkplatz für Landesbedienstete; an die ihn einfassenden Reste der Stadtmauern sind Holzschuppen angelehnt. Der Garten selbst wurde 2000 an die Steiermärkische verkauft; in Kürze soll dort der Bau einer Tiefgarage mit insgesamt 800 Stellplätzen beginnen – ein Projekt, dem  Sachverständige negativ gegenüber stehen. Landeskonservator Dr. Friedrich Bouvier hält es "nicht für besonders sinnvoll, den Verkehr in die Innenstadt geradezu hineinzuziehen", und der Betreuer der Diplomarbeit, em. Univ.-Prof. DI Josef Klose, hält es zumindest für notwendig, andere Zu- und Abfahrten für die Tiefgarage zu schaffen als die vorgesehenen durch die enge Hartig- und Sauraugasse. Für Widtmann ist eine Attraktivierung der Stadtkrone zwar auch noch mit einer Tiefgarage denkbar, "aber ohne eine solche wäre das Areal natürlich wesentlich attraktiver."
 

Landeskonservator Dr. Friedrich Bouvier, Dr. Gertrude Celedin, DI Ingrid Grubauer, DI Maria Hauser, Dr. Heimo Widtmann: Bemühungen um eine Aufwertung der Grazer Stadtkrone

Hinter'm Hinterhof der Fremdenpolizei. Noch ein paar Schritte weiter: Das Paulustor. Nur wenige GrazerInnen wissen, dass dieses letzte erhaltene Renaissance-Stadttor im deutschsprachigen Raum von einer idyllischen Bastei gekrönt wird, die nur über den Hinterhof der Fremdenpolizei zugänglich ist und deren Einbuchtung mit einer rohen Ziegelmauer verschlossen ist, hinter der sich – erraten – ein Autoabstellplatz befindet. Bouvier: "Ein besonders krasses Beispiel dafür, wie das Wenige, was von der Befestigungsanlage noch vorhanden ist, einfach ignoriert wird."

Ein Wassergraben entlang der Stadtmauer. Die Fortifikationen wieder ins rechte Licht zu rücken: Das ist ein zentraler Ansatzpunkt des von Grubauer und Hauser vorgeschlagenen Projektes. Ein bis zu 40 Meter breiter Wassergraben – der zum Teil schon im Mittelalter vorhanden war – soll sich entlang der noch erhaltenen Stadtmauer vom Burgtor bis zum Paulustor erstrecken. Nur ein weiteres Luftblasen-Projekt für die Schubladen der Stadtentwicklung? Die Experten sind sich einig: Das Projekt ist realisierbar – "zur Gänze oder step by step", wie sich Widtmann ausdrückt. Bouvier ist "von der Projektidee sehr angetan: Ein solcher Wassergraben würde die Reste der Befestigung aufwerten." Und die Kosten ?  Genaue Schätzungen sind ohne Detailplanung natürlich schwer möglich, geben die Fachleute zu bedenken. Aber: "Um den Preis der Murinsel sollte das Ganze schon zu haben sein", vermutet Widtmann.

Christian Stenner

 
APRIL-AUSGABE
STADTENTWICKLUNG 
UND ÖFFENTLICHER RAUM