04 / 2002
 
Höhenflug mit Bauchlandung?
– Ein Gespräch zwischen Martin Will & Jörg Nauer

Jörg Nauer: Jüngst weilte ich auf Einladung des österreichischen Steuerzahlers in London. 
Eine Occasion plus Mezzie mal Schnäppchen! Um dreißig Silberling Euro flog ich mit Ryanair nach Stansted. Und von dort ging’s per Bus in die Stadt von Shakespeare, Sherlock Holmes & Camilla!
M.Will: Hast du als Testleser der Kleinen Zeitung ein Ticket gewonnen, oder die Euro tatsächlich berappt?
J.Nauer:  Testlesen darf ich, aber nicht gewinnen. Also habe ich bezahlt. Der Rückflug war übrigens wesentlich teurer...
M.Will: Und wie reist man mit Dumping-Air? 
J.Nauer: Nun, ich zwängte mich in der Heringsklasse in einen Sitz und hoffte auf magere und gewaschene Nachbarn. In Stansted gelandet, hoffte ich auf einen schnellen Transport nach London. Dort hoffte ich, mit dem im Flug gesparten Geld meinen Hotelaufenthalt finanzieren zu können. Und beim Rückflug hoffte ich, nicht neben einer olfaktorischen Katastrophe sitzen zu müssen. Leider wurden meine Hoffnungen enttäuscht.
M.Will: Wie man hört, ist die Verpflegung gleich null. 
J.Nauer. Das ist auch besser so. Wer gut essen will, muss daheim bleiben. 
M.Will: Wie finanziert sich dieser Flugkonzern eigentlich? 19 bzw. 30 Euro sind doch nie & nimmer kostendeckend!
J.Nauer: Wie ich eingangs erwähnte, schießen die Steuerzahler nolens-volens ein paar Millionen zu. Allein die defizitgeplagte Stadt Graz subventioniert die Flüge der Ryanair von Graz nach London von 2002 bis 2011 mit einermillionvierhundertdreiundfünfzigtausend- vierhundertsechsundfünfzig Euro und siebzig Cent, das sind pro Jahr 2 Millionen Schilling. Garantiert auf 10 Jahre. Namhafte Kulturinstitutionen, die weit mehr Menschen nach Graz bringen als Ryanair, sind schon froh, wenn sich die Stadt zu einem zweijährigen Finanzierungsrhythmus durchringen kann.
M.Will: Und alle, die nicht fliegen und Steuern zahlen, zahlen mit.
J.Nauer: So ist es. Vielleicht steuert das Land Steiermark  auch noch ein paar Euro bei, vielleicht auch der Grazer Flughafen.  Und wenn verschiedene öffentliche Hände private Taschen füllen, zahlt sich's aus.
M.Will: Für Ryanair.
J.Nauer: Und für die Londoner Shoppingcity. Mal schnell nach Stansted jetten, im Taxi nach London eilen, shoppen bis zum Exzess und retour nach Graz.
M.Will: Und was sagt man in der Annenstraße dazu?
J.Nauer: Dort kennt der Jubel keine Grenzen. Hast Du die kaufkräftigen Britinnen & Briten noch nicht gesehen, die angesichts des exquisiten Angebots in der Annenstraße in Kaufräusche verfallen und die Regale räumen?
M.Will: Nein.
J.Nauer: Auch die diversen Shopping-Ruinen südwestlich von Graz freuen sich schon auf den Ansturm britischer Konsumenten. Seiersberg startet eine Megakämpäin und will in Stansted bekannter werden als Sturm Graz!
M.Will: Nichts leichter als das. 
J.Nauer: Jetzt wissen wir aber immer noch nicht, warum die Grazer Stadtmütter & -väter diese Funflüge mit Steuermitteln unterstützen!?
M.Will: Die Kleine Zeitung titelte kürzlich über Ryan-Air: "Bei dem Angebot kann man nur eins: Abheben". Und dieses "Abheben" hat man im Rathaus leicht missverstanden.
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Martin Will
Jörg Nauer
APRIL-AUSGABE
KUNST /KULTUR / 2003