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DIAGONALE: Eine
Zäsur zeichnet sich ab
Der steirische Filmschaffende Willi Hengstler ("Fegefeuer",
"Tief oben") präsentiert seine Sicht der heurigen Diagonale.
In Heddy Honigmanns "Metal and Melancholy", einem Film über
Menschen, die sich in Lima als Taxichauffeure durchschlagen, war zu erfahren,
dass Leichengeruch tagelang in den Nasenhärchen hängen bleibt
und man den Gestank erst loswird, wenn man sich mit einem Tuch voll des
eigenen Körpergeruchs schnäuzt – ein interessanter Tipp in Zeiten
wie diesen. Die Filme der holländischen Regisseuse, der die diesjährige
Hommage galt, erinnerten mit ihrem realistischen Humanismus an ein
selten gewordenes Kino ohne Extreme.
Gleiches lässt sich über "Bellaria – so lange wir leben"
von Douglas Wolfsperger sagen. Sein Film über das berühmte Wiener
Kino und dessen bejahrte Fans besticht dank der hervorragenden Arbeit von
Helmut Wimmer durch visuelle Brillanz. Mit Nikolas Geyerhalters "Elsewhere"
und Johannes Holzhausens "Auf allen Meeren" eines der drei
Highlights der aktuellen Dokumentarfilmproduktion.
Von einer Pflichtübung des österreichischen Filmschaffens
ist die Diagonale dank Christine Dollhofer und Constantin Wulff zu einem
reich strukturierten Festival geworden, auf dem international erfolgreiche
Produktionen wie Ulrich Seidls "Hundstage" oder Michael Hanekes
"Die Kavierspielerin" neben cineastischer Grundlagenforschung wie
"Tribute Gustav Deutsch" oder solitären Entwürfen a la
"Richtung Zukunft durch die Nacht" Jörg Kalts zu sehen sind.
"Gebürtig", der Eröffnungsfilm von Schindel/Stepanik,
war hinsichtlich der Holocaustthematik am letzten erzähltechnischen
Stand, handwerklich und schauspielerisch überzeugend. Etwas mehr Drive
in der Geschichte über die an ihrem Überleben leidenden Nachgeborenen
und "Gebürtig" wäre vielleicht nicht nur ein sympathischer und
wichtiger, sondern auch großer Film geworden.
"Im toten Winkel", das Interview mit Traudl Jung, der mittlerweile
verstorbenen Sekretärin Hitlers, von Andre Heller/OthmarSchmiderer
befasste sich ebenfalls mit diesem Thema, das österreichischer Befindlichkeit
anscheinend unauslöschbar eingeschrieben ist. Auch in "Zur Lage"
– die Gemeinschaftsdokumentation von Glawogger, Albert, Sturminger,
Seidl – stimmt diesbezüglich unbehaglich. Formal besticht neben Seidl
vor allem Glawoggers Beitrag: In immer der gleichen Kameraeinstellung lässt
er Kraftfahrer räsonnieren, die ihn auf seiner Autostoppfahrt mitgenommen
haben: genial-einfache Versuchsanordnung, visuell atmosphärisch.
Eine Sensation waren die Filme mit/von der berühmten Avantgardefilmerin
Maya Deren – Klassiker, die in Graz noch nie zu sehen waren. Martina Kudlaceks
Filmbiografie verwendet neben eigenem auch großzügig Material
von Maya Deren, könnte aber etwas redaktionelle Engführung vertragen.
Die Preisträger
Leichter hatte es da Egon Humer mit seinem Film "Mosaik im Vertrauen"
über den noch lebenden Amos Vogel. Die aus Wien geflohene Legende
gründete das "Cinema 16" und war erster Direktor des New York Film
Festival. Humers Film mit Vogel als erzählendem Kollaborateur ist
weniger aufwändig, als Kudlaceks Arbeit, besticht aber durch Leidenschaft,
Reflexion und Witz. Verdienter Preis der Diözese Graz-Seckau.
"Nogo" von Sabine Hiebler/Gerhard Ertl verbindet in kühlem
Minimalismus drei Handlungsstränge um ebenso viele Paare. Der Film
verdient seinen Preis für eine innovative Produktion. Verdient hat
auch Michael Palm den Preis "innovatives Kino" für „Sea Concrete Human“,
eine raffiniert-reduzierte "science faction story" über den Untergang
bzw. die Mutation der Menschheit.
Zumindest bizarr war der Große Diagonale-Preis für
"Jedermanns Fest". Fritz Lehners Mysterienspiel, das einen zweiten
Blick durchaus verdient, befindet sich – neben Hanekes "Die Klavierspielerin"
oder auch Schindel/Stepaniks "Gebürtig" auf einem filmästhetischen
"Hüben", dem "drüben" Filme wie Seidls "Hundstage", Derflingers
"Vollgas", Barbara Gräftners "Mein Russland", Jessica Hausners "Lovely
Rita" oder Weingartners "Das weiße Rauschen" gegenüberstehen.
Die Bedeutungen der erstgenannten Filme (hüben) hängen stark
an inhaltlichen und dramaturgischen Figuren, die von ihnen unabhängig
existieren (Holocaust, Sadomasochismus, Vanitas). Die Filme der anderen
Gruppe (drüben) sind unvermittelter, ihr Ideenhorizont enger. Sie
repräsentieren weniger Ideen als eine Realität, die sie gleichsam
abtasten. Typisch für sie ist die Kombination von flexibler Videotechnik
und intensivem Spiel. In ihren besten Augenblicken transzendiert der krude
Realismus, in ihren schlechtesten erinnert er an aufgeregte Fernsehspiele.
Einen dieser Filme zusammen mit Lehners Riesenproduktion zu prämieren
– das hätte der Zäsur im österreichischen Film, die sich
auf dieser Diagonale deutlich abzeichnete, eher entsprochen. |