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September 
  Die korso – Sonderausgabe für sozial Tätige und Engagierte
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Das steirische Behindertengesetz 2004
von Barbara Pitner
< Mag. Barbara Pitner ist Leiterin der Abteilung Soziales des Landes Steiermark

   

Am 1. Juli 2005 war das neue Steirische Behindertengesetz 2004 genau ein Jahr in Kraft – Grund genug über das Erreichte Bilanz zu ziehen. Der Gesetzesantrag wurde auf Initiative von LR Dr. Kurt Flecker im Jahr 2001 in den Steiermärkischen Landtag eingebracht und nach langwierigen Verhandlungen zu Beginn des Jahres 2004 beschlossen. Das Behindertengesetz 2004 löste ein an sich gutes Gesetz aus dem Jahre 1964 ab, das jedoch den Erfordernissen der modernen Behindertenpolitik nicht mehr ausreichend Rechnung tragen konnte und auch nicht in ausreichendem Maße auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung einging.

Das neue Behindertengesetz wird von der Intention eines selbst bestimmten Lebens getragen, im Mittelpunkt steht der Gedanke „Leben wie andere auch“. So bietet es eine Vielzahl von Leistungen an, die in einem gemeinsamen Paket oder einzeln in Anspruch genommen werden können. Das neue Behindertengesetz deckt unter anderem die Bereiche Wohnen und Arbeit ab, wobei hier sehr genau auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Betroffenen Rücksicht genommen wird. So werden im Bereich Wohnen die Formen Vollzeitbetreuung, Teilzeitbetreuung, Wohnen in Trainingswohnungen und Wohnassistenz angeboten. Auch im Bereich Arbeit gibt es ein breit gestreutes Spektrum an Möglichkeiten, von der Beschäftigungstherapie im kreativ/produktiven Bereich über die unterstütze Beschäftigung, die gestützte Arbeit bis hin zur Arbeitsassistenz.

Daneben werden aber auch Familienentlastungsdienste, die zu Hause erbracht werden und der Entlastung der pflegenden Familienangehörigen dienen sowie auch eine Freizeitassistenz angeboten. Unverändert geblieben sind die Angebote im Bereich Schulbildung und Erziehung sowie im Therapie- und Hilfsmittelbereich.

Soziallandesrat Kurt Flecker wollte, dass mit diesem Gesetzeswerk Rechtsansprüche im Bereich des Behindertenwesens festgeschrieben werden, damit Menschen mit Behinderung nicht zu Almosenempfängern degradiert werden. Dies ist Hand in Hand mit einer Vielzahl festgeschriebener Leistungen erfolgreich verwirklicht worden. Um den Menschen mit Behinderung effektiv die genau für sie passenden und notwendigen Leistungen zukommen zu lassen, wurde ein neues Verfahren zur Feststellung des individuellen Hilfebedarfs festgelegt. Sachverständigenteams, die multiprofessionell zusammengesetzt sind, stellen den individuellen Hilfebedarf gemeinsam mit den betroffenen Menschen mit Behinderung fest. In der Steiermark gibt es derzeit sieben Sachverständigenteams.

Mit der konduktiven Mehrfachtherapie, die in der Klinik Maria Theresia in Bad Radkersburg angeboten wird, gibt es seit Mai dieses Jahres ein weiteres ganz besonderes Angebot in der Steiermark. Vor diesem Zeitpunkt mussten steirische Eltern mit ihren Kindern für diese Therapieform nach Oberösterreich oder nach Wien ausweichen. Zurzeit wird nach weiteren Standorten für ein solches Angebot in der Obersteiermark und im Großraum Graz sowohl für den stationären als auch für den ambulanten Bereich gesucht.

Nach einem Jahr neues Behindertengesetz kann jedenfalls mit Fug und Recht behauptet werden, dass die Steiermark auf dem richtigen Weg ist, um Menschen mit Behinderung ein selbst bestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen.

 

 

 

50 Jahre ASVG: „Finanzierung des Sozialwesens muss eine staatliche Aufgabe bleiben“

 

   

In einer Epoche, welche die Deregulierung zum obersten Prinzip politischen Handelns erhoben hat, steht die Sozialgesetzgebung unter besonderem Druck: Zum einen, weil Gesetze als Spielregeln menschlichen Zusammenlebens per se in den Verdacht geraten, die zum Fetisch mutierte „Initiative des Einzelnen“ einzuschränken; zum anderen, weil ja soziale Absicherung für breite Gesellschaftsschichten der herrschenden Anschauung widerspricht, wonach jeder selbst seines Glückes Schmied zu sein und gefälligst auch dafür (private Vor-)Sorge zu tragen habe, dass er auch in Zeiten verminderter oder beendeter Erwerbstätigkeit nicht ins soziale Abseits gerät.

Trotz der massiven Attacken der letzten Jahre hat das fundamentale Sozial­gesetzeswerk der Zweiten Republik, das ASVG, die ersten 50 Jahre seines Bestehens relativ unbeschadet überstanden. Bei einer Festveranstaltung anlässlich dieses runden Jubiläums zogen Soziallandesrat Dr. Kurt Flecker, der Wiener Politikwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Emmerich Talos und der Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Franz Bittner, eine Bilanz.

Landesrat Kurt Flecker, Wiener GKK-Chef Franz Bittner, Politikwissenschafter Prof. Emmerich Talos: Finanzierung der sozialen Absicherung muss gewährleistet – und eine staatliche Aufgabe – bleiben.

Aufteilung der Arbeit auf alle oder Grundsicherung
Als „Symbol des Sozialstaates Österreich“ sieht Flecker das ASVG und die darin festgeschriebene soziale Absicherung der Erwerbstätigen. 1955 sei es im Geist des Wiederaufbaus und des sozialen Zusammenhaltes von den beiden bestimmenden politischen Kräften des Landes beschlossen worden, und erst in den letzten Jahren habe die schwarz-blaue Koalition zwei ihm zugrunde liegende Prinzipien, nämlich die Sozialpartnerschaft und die Selbstverwaltung der Sozialversicherung, offen angegriffen. Flecker: „Seitdem steht auch nicht mehr die Frage nach den Aufgaben des Sozialstaates im Vordergrund der öffentlichen Diskussion, sondern es geht nur mehr um seine angebliche Unfinanzierbarkeit.“

Es gehe nun darum, einen Verteilungskampf um die Budgets auszutragen und die Finanzierung des Sozialsystems als staatliche Aufgabe außer Streit zu stellen. Der Soziallandesrat warnte vor den Folgen neoliberaler Politik, die auch die soziale Vorsorge den ,Märkten‘ überlassen will: „Mehr Markt bei gleichzeitiger Senkung der Staatsquote bedeutet auch Entdemokratisierung, weil die Märkte im Gegensatz zum Staat keiner demokratischen Kontrolle unterliegen.“ Die aktuelle Entwicklung am Arbeitsmarkt lasse nur zwei Auswege zur Aufrechterhaltung der sozialen Absicherung offen – „entweder es gelingt uns die vorhandene Arbeit auf mehr Menschen aufzuteilen oder wir müssen Grundsicherungsmodelle als Ausgleich entwickeln“; sonst drohe ein Zusammenbruch des Sozialsystems, den die Gesellschaft nicht mehr bewältigen könne.

Sozialstaat für alle, nicht nur für Bedürftige. Der Hauptreferent des Abends, der Wiener Politologe Emmerich Talos, behandelte in seinen Ausführungen detailliert die Hintergründe der Entstehung des ASVG: „Mit Ausnahme des VdU, der Vorläuferorganisation der FPÖ, gingen alle anderen politischen Kräfte damals übereinstimmend davon aus, dass der kapitalistische Markt mehr Probleme produziert, als er zu lösen imstande ist, und daher ein staatlicher Eingriff nötig ist. Zum Zweiten herrschte auch zwischen SPÖ und ÖVP Konsens darüber, dass der Sozialstaat allen Erwerbstätigen und ihren Familien und nicht nur den Bedürftigen zugute kommen sollte.“

Drei wichtige Aufgaben seien mit dem Beschluss der Urfassung des ASVG 1955 vollbracht worden: Eine Kodifizierung des Sozialrechtes, seine Austrifizierung nach der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und der Besatzung und schließlich eine Reihe von Verbesserungen gegenüber dem status quo ante – wie etwa die freie Arztwahl, das 13. Monatsgehalt und die Ausgleichszulage für MindestpensionistInnen. Talos: „Vor allem aber waren sich die Regierungsparteien darüber einig, dass das ASVG nur ein erster Schritt zur Realisierung der sozialen Absicherung sein sollte, eine echte Sozialreform stünde noch aus, weil das Gesetz nicht der Forderung nach sozialer Sicherheit für die Gesamtbevölkerung entspreche.“

Schon 1947 hatte die Sozialdemokratie Vorschläge zur Volkspension und Volksversicherung veröffentlicht, in der Tat wurden später weitere soziale Gruppen wie Selbstständige, Freiberufler und Bauern in das Sozialversicherungssystem integriert. Die zusätzlichen Leistungen und die Anpassung der Pensionen ab 1965 hatten ihren Preis, die Sozialquote stieg von 17,2% am Bruttosozialprodukt 1960 auf 26,7% 1980. Damit bekam Österreich aber eines der fortgeschrittensten Sozialsysteme aller OECD-Länder: „Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind alle Erwerbstätigen und ihre Familien gegen Risiken versichert, der soziale Ausgleich zwischen Kinderlosen und Familien funktioniert durch die Mitversicherung – etwa im Gegensatz zur Schweiz, wo für jedes Kind extra Sozialversicherung bezahlt werden muss.“

Wenn sich der Finanzierungsmodus nicht ändert, wird der Sozialstaat Österreich das 21. Jahrhundert nicht überleben.
Dennoch gebe es eine Reihe struktureller Probleme. Talos: „Nicht-Erwerbstätige wie Hausfrauen oder Menschen mit Behinderung sind per se vom System ausgeschlossen. Das Äquivalenzprinzip hat zur Folge, dass etwa das Arbeitslosengeld unter das Existenzminimum sinken kann; von 55% Arbeitslosenunterstützung von 700 Euro Lohn kann man nicht wirklich leben. Menschen, die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, deren es immer mehr gibt, fallen ebenfalls aus dem System.“ Der zentrale Schwachpunkt sei aber, dass die Finanzierung wegen ihrer Bindung an die Lohnsumme durch Rationalisierungsmaßnahmen unterhöhlt wird. Talos: „Schon Dollfuss hatte erkannt: ,In der Wirtschaftskrise rafft es das Sozialversicherungssystem hin.‘“ Wenn der Finanzierungsmodus sich nicht ändere, werde der Sozialstaat Österreich das 21. Jahrhundert nicht überleben. Der zu früh verstorbene Sozialminister Dallinger habe mit der Wertschöpfungsabgabe – die den Beitrag der Betriebe zur Sozialversicherung nicht an die Löhne, sondern an die Gewinne binde – als einer der ersten eine Lösung für dieses Dilemma vorgeschlagen.

Viele Bevölkerungsgruppen fallen nach wie vor aus dem Sozialversicherungssystem heraus

1955 hatte die Lebensstandard-Sicherung Priorität, 2005 die Existenzsicherung
Die derzeitige Krise des Sozialsystems sei aber von der Politik der schwarz-blauen Wenderegierung verursacht, die unter dem Vorwand von dessen Unfinanzierbarkeit „Sozialabbau wie noch nie“ betreibe. Das – vorgeschobene – Argument: Ein ,aufgeblähtes‘ Sozialsystem hemme durch die hohen Lohnnebenkosten die wirtschaftliche Entwicklung. Talos: „Dass dies so nicht stimmen kann, beweist die Geschichte Österreichs in den sechziger und siebziger Jahren: Die Zunahme sozialstaatlicher Leistungen hat damals das Wirtschaftswachstum in keiner Weise beeinträchtigt. Und in Dänemark, wo der Staat hohe Sozialleistungen gewährt, liegt das Wirtschaftswachstum im EU-Schnitt, aber die Beschäftigungsquoten sind höher und die Armutsraten niedriger. Es stimmt nicht, dass uns die Globalisierung nur den Weg des Sozialabbaus lässt – das ist eine Frage der politischen Deutung ihrer Zwänge.“

Nun stehe der Umbau und die Anpassung des Sozialstaates auf der Tagesordnung. „1955 ging es um die Sicherung des Lebensstandards im Alter und bei Krankheit, 2005 geht es um die Sicherung der Existenz.“ Die Einführung einer Grundsicherung für alle sei ein Gebot der Stunde. Über die Notwendigkeit eines guten staatlichen Sozialversicherungssystems herrsche jedenfalls in der Bevölkerung breiter Konsens, unterstrich Talos: „Vor 30 Jahren hielten 75% die Sozialversicherung für eine wichtige Errungenschaft des Sozialstaates, 2005 waren es 85%“ – trotz des neoliberalen Trommelfeuers.

Abschließend stellte Franz Bittner, Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse und Vorsitzender der Trägerkonferenz im Hauptverband, einige Fakten zur Diskussion: So habe die mehr auf private Vorsorge setzende Schweiz das zweitteuerste Krankenversicherungssytem nach den USA; Selbstbehalte träfen die Schwächsten wie etwa chronisch Kranke („15% der Versicherten benötigen 85% der Leistungen“) – es handele sich dabei letztendlich um eine „Krankensteuer“. Auch Bittner unterstrich die Notwendigkeit einer Änderung des Finanzierungsmodus im Sozialwesen: Bis in die achtziger Jahre seien die Einnahmen parallel zum Wirtschaftswachstum angestiegen – dann erfolgte der Einbruch. Der Wiener GKK-Chef untermauerte dies mit Beispielen aus dem eigenen Haus: Von 1958 bis 1999 betrug der Abgang der Kasse insgesamt 65 Mio Euro; allein von 2000 bis 2004 waren es 397 Mio.

Christian Stenner

 

 

Wohngemeinschaften im Alter –
Erweiterung des Angebotsspektrums

   

Im November 2003 eröffnete der Verein „Miteinander leben“ die erste betreute Seniorenwohngemeinschaft in der Steiermark. Nach einer zweijährigen Pilotphase kann ein erstes Resümee über die Vorteile, Herausforderungen und Perspektiven der hierzulande noch wenig verbreiteten Betreuungsform für alte Menschen gezogen werden: Bei einem Roundtable-Gespräch an der FH Joanneum diskutierten ExpertInnen aus Sozialwirtschaft und Wissenschaft die Ergebnisse der begleitenden Evaluierungsstudie.

Alternativen zum Altersheim
Die Pflege älterer Menschen findet im Altersheim statt, so das gängige Klischee, dabei sind nicht einmal 10 Prozent der steirischen Senioren in entsprechenden Einrichtungen untergebracht. Mehr als doppelt so viele werden von mobilen Diensten betreut, während die weitaus überwiegende Anzahl nach wie vor von den Angehörigen versorgt im eigenen Zuhause lebt.

Soziallandesrat Dr. Kurt Flecker plädiert für eine Pflegeversicherung, „denn das Pflegegeld reicht in vielen Fällen für eine qualitätsorientierte Betreuung nicht aus“.

Bedingt durch die demografischen Verschiebungen und die Zunahme der Berufstätigkeit insbesondere von Frauen ist für die kommenden Jahre eine starke Zunahme des Bedarfs an externer Altenpflege absehbar. Eine Möglichkeit, diese Herausforderung zu bewältigen, sind betreute und generationengemischte Wohngemeinschaften, wie das 2003 vom Verein „Miteinander leben“ in der Grazer Lagergasse errichtete Pilotprojekt mit sieben Senioren-Wohngemeinschaften für insgesamt 22 Bewohner sowie fünf Mietkaufwohnungen. Weitere betreute Wohnungen werden vom Verein inzwischen auch am Lendplatz, in Mooskirchen und Pirching angeboten. Mag. Michael Chalupka von der Diakonie Österreich, dem Träger des Vereins „Miteinander leben“, betonte in seinen einleitenden Worten die Wichtigkeit eines „möglichst differenzierten Angebotes, das auf den Säulen Privatheit, Überschaubarkeit, Normalität und Flexibilität ruht“.
„Nach der Aufnahme ins Altersheim kommt es bei vielen älteren Menschen zu einem rapiden Verfall der körperlichen und geistigen Fähigkeiten“, erklärte die Geschäftsführerin von „Miteinander leben“, Elke Merl, aus „dieser Entwicklung kann durch generationengemischtes Wohnen, altersgerechte Bauweise und die Kombination privater mit Gemeinschaftsräumen wirksam entgegen gesteuert werden.“ Die Betreuung der Bewohner erfolgt durch Heimhilfen und diplomiertes Personal; die Kosten für das Wohnen belaufen sich mit den Grundservices auf rund 1000 Euro pro Person, weitere Wahlservices müssen extra bezahlt werden.

Wachsender Bedarf an sozial einfühlsamer Betreuung
Josef Hödl, Mitautor der Begleitstudie zum Pilotprojekt „Wohngemeinschaft im Alter“ präsentierte seine Standpunkte zu den sozialpolitischen Implikationen und Schlussfolgerungen neuer Wege in der Altenbetreuung. Der Mitarbeiter des kürzlich verstorbenen Soziologen Dr. Hans Georg Zilian fasste seine Bemerkungen, die aus Analyse des zukunftsträchtigen Modell erwuchsen, in folgende Thesen: „Es ist nicht nur moralisch richtig, sondern auch ökonomisch sinnvoll, derartige Wohnformen zu unterstützen, da dadurch die gesundheitlichen Risiken für ältere Menschen drastisch reduziert werden. Zudem ist, bedingt durch höhere Bildungs- und Einkommensniveaus, das Bedürfnis gestiegen, sich möglichst lange eine eigenständige Lebens- und Haushaltsführung in der vertrauten Wohnung zu bewahren.“
Dieses Wohnungs- und Betreuungsangebot, das sich an Personen wendet, die allein nicht mehr gut zurechtkommen, ohne deshalb Pflegefälle darzustellen, stößt laut Hödl auf gute Resonanz, denn die Klientel ist heute entsprechend anspruchsvoller geworden – konventionelle Altenheime genießen bei älteren Menschen heute nur geringe Akzeptanz: „Eine solche Entwicklung war bei steigendem Wohlstand der entwickelten Gesellschaften zu erwarten, denn dieser bedeutet auch eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und ein deutlich höheres Bildungsniveau.“

Daher zeigen die älteren Menschen auch eine fast durchwegs positive Reaktion auf das Angebot: „Die in qualitativen Interviews gewonnenen Aussagen zur Zufriedenheit der Bewohner, ergeben ein sehr positives Bild – fast alle fühlen sich wohl, und Kritik wird nur in homöopathischen Dosierungen geübt. Wenn der Befund wegen der impliziten Dankbarkeit gegenüber dem Personal auch nicht überbewertet werden sollte, lässt sich dennoch festhalten, dass es der Einrichtung gelungen ist, eine Wohnform zu entwickeln und anzubieten, die das Wohlbefinden der Bewohner fördert – vermutlich das wichtigste Ziel solcher Angebote.“

Die betreute Wohngemeinschaft stellt daher für Hödl in Abwägung aller Faktoren angesichts zerfallender gesellschaftlicher Bindungen und allgemein schwindender Solidarität durch seine ausgewogene Mischung aus privatem Freiraum und sozialer Ansprache ein weitgehend gelungenes Gegenkonzept zur Vereinsamung in isolierten Wohnsituationen dar.

Ältere Menschen wollen mehr Autonomie
Dr. Marianne Egger de Campo stellte in ihrer Präsentation die Inhalte der Diplomarbeit von Mag. Roswitha Baumgartner vor, die leider krankheitsbedingt verhindert war. Die Arbeit zum Thema „Intragenerationale Solidarität in SeniorInnenwohngemeinschaften“ stellt die Schlagworte von der „Krise des Generationenvertrages“ und des „Turbokapitalismus“ in Frage: „Der Trend zu mehr Autonomie hat eine Ablehnung institutioneller Pflege zur Folge, daher sind betreute Wohngemeinschaften eine gute Alternative, wenngleich auch leider nicht für jeden erschwinglich.“ Ähnlich wie Hödl beurteilt sie die gesellschaftlichen Grundlagen dieser Entwicklung: „Der Bedarf an Solidarität bei der Bewältigung des Alltages resultiert nicht nur aus der wachsenden Nachfrage einer immer größer werdenden Gruppe alter Menschen sondern auch aus dem Wegfall traditioneller Unterstützungsleistungen. Dies gilt vor allem für jene unbezahlte Pflegearbeit, die Frauen über Jahrzehnte hinweg selbstverständlich in Familie und Verwandtschaft verrichteten. In dem Maße, in dem Qualifikation und Erwerbstätigkeit von Frauen steigt, wird das Potenzial an unbezahlten Pflegeleistungen weiter schwinden – traditionelle Formen von Solidarität werden durch neue Potenziale ergänzt. Obwohl Untersuchungen zeigen, dass man noch nicht von der Auflösung der familiären Solidarität sprechen kann, weisen soziodemografische Veränderungen darauf hin, dass es in Zukunft schwieriger werden wird, die Pflege von alten Menschen in der Familie zu garantieren. Vor diesem Hintergrund bilden SeniorInnen-WGs eine alternative Wohnform, die ideale Rahmenbedingungen vorgibt, um intragenerationale Solidarität zu leben.“

Josef Hödl und Dr. Marianne Egger de Campo sehen in ihren Analysen die zahlreichen Vorteile der Gemeinschaftswohnformen in der Altersbetreuung.

Insbesondere seien daher die „strukturellen Veränderungen der Gesellschaft zu beachten, die zu einer Zunahme des informellen Sektors in der Pflege geführt haben“. Das bedeutet ganz konkret die Zunahme der Schwarzarbeit in der Altenpflege durch meist osteuropäische Hilfskräfte, deren Dienste finanziell für viele leistbar, wenn auch zuweilen von ungewisser Qualität sind. Eine Alternative zeigen Modelle wie jenes Großbritanniens auf, wo Pflegedienste durch die Krankenversicherung abgedeckt werden.

Flecker plädiert für eine einheitliche Pflegeversicherung
In dieselbe Kerbe schlägt Landesrat Dr. Kurt Flecker, der die Nachteile der Auszahlung eines Pflegegeldes an die Angehörigen in seiner derzeitigen Form scharf kritisiert, weil die Qualität der Pflege dadurch nicht nachprüfbar gesichert wird: „Es ist so ähnlich, wie wenn ich jemandem mit einer Blinddarmentzündung Geld gebe, für das er sich dann entweder im Krankenhaus operieren lässt oder in der Apotheke Schmerztabletten kauft.“ Viele Frauen werden, so Flecker weiter, durch den Bezug des Pflegegeldes daran gehindert, einer geregelten Arbeit nachzugehen, was für ihren sozialen Status nachteilige Auswirkungen hat und sie in der Abhängigkeit der Familie hält. Daneben gibt es das Problem der Schwarzarbeit und aus der Altenpflege wurde oft missbräuchlich ein lukratives Geschäft, „was nicht Sinn der Sache sein kann“. Der Soziallandesrat plädiert aus diesen Gründen für eine einheitliche Pflegeversicherung, die an die Krankenversicherung gekoppelt ist und allen Beziehern gleichwertige Leistungen bei der Altenbetreuung zusichert.

Josef Schiffer



 

„Sozialstaat Österreich 1945 bis …“ – Ausstellung auf Wanderschaft

 

   

Seit einiger Zeit wird gerne der Begriff „Krise“ als Schlagwort für den Zustand des modernen Sozialstaats herangezogen, während die oft eingemahnten „Reformen“ fast immer die Einschränkung oder Rücknahme sozialstaatlicher Leistungen bedeuten. Die tendenziell zunehmenden neoliberalen Politikmuster stellen mit ihrer nahezu religiösen Überhöhung des Gewinnstrebens die Daseinsberechtigung des über Jahrzehnte hinweg erkämpften Sozialstaats massiv in Frage. Eine steirische Wanderausstellung soll nun die österreichische Bevölkerung über die Wurzeln, die Perspektiven und die Zukunft des Sozialsystems, in dem wir (noch) leben, informieren.

Innovatives Konzept
Die Ausstellung wird auf Initiative von Landesrat Dr. Kurt Flecker von der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus nach einem von der FH-Joanneum entworfenen Design gestaltet. Unter wissenschaftlicher Begleitung erarbeiten steirische Jugendliche gemeinsam mit SozialwissenschafterInnen und HistorikerInnen die Inhalte der Wanderausstellung, den Ausstellungskatalog und eine wissenschaftliche Buchpublikation zum Sozialstaat.

Klauberinnen in den frühen 20er Jahren am Erzberg – für die meisten von ihnen kamen die Errungenschaften des Sozialstaates zu spät. Droht bald wieder eine Rückwärtsentwicklung? Bildquelle: Stadtmuseum Eisenerz

Flecker erhofft sich durch das von ihm ins Rollen gebrachte Projekt einen kräftigen Nachdenkanstoß für die Besucher: „Die Ausstellung soll neben der Vermittlung von Fakten und Informationen als eine Aufforderung zu einem sensibleren Bewusstsein dienen. Vor allem Jugendliche sehen den Sozialstaat heute oft als einfach gegeben an und vergessen, dass die Wohlstandsgesellschaft erst mühsam erstritten werden musste.“ Flecker konstatiert eine zunehmende Diskriminierung des sozialstaatlichen Systems in den Medien und warnt vor der zunehmenden Ausgrenzung sozial Schwacher als „Parasiten“. Er möchte mit der Ausstellung den Sozialstaat für viele Menschen sichtbar machen: „Das österreichische Sozialsystem ist Grundlage des Wohlstandes in unserem Land. Um diese in Form zu halten, bedarf es eines Mindestmaßes an politischer Pflege.“

Das Innovative des Konzepts liegt in erster Linie darin, dass in einem steiermarkweiten Netzwerkprojekt zahlreiche Jugendliche aus Schulen, Jugendeinrichtungen und Gemeinden zusammen arbeiten. „Die Jugendlichen erhalten professionelle Unterstützung durch einen wissenschaftlichen Beirat, um eine solide Absicherung der präsentierten Ergebnisse und Positionen zu gewährleisten“, erklärte Mag. Christian Ehetreiber von der ARGE den Aufbau der Projektstrukturen.

Vergangenheit und Zukunft des Sozialstaates
Der zur „Fokusgruppe“ gehörige Historiker DDr. Werner Anzenberger (AK Steiermark), erläutert die zentralen Wendepunkte in der Geschichte des sozialstaatlichen Konzepts: „In der Nachkriegszeit umfasste das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und zum Sozialstaat angesichts der kommunistischen Bedrohung auch christlich-soziale, konservative und sogar liberale Parteien.“

Seit einigen Jahren, insbesondere seit dem Fall des Eisernen Vorhanges, werden von Seiten neoliberaler Kräfte die Rufe lauter, dass die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr finanzierbar seien und zurückgeschraubt werden müssten, um die „Bequemlichkeit“ der Menschen zu überwinden und diese zu selbstverantwortlichem Tun zu bewegen. Die Folgen der Aufweichung des Solidaritätsprinzips und des damit verbundenen Sozialabbaus, so Anzenberger, zeichnen sich bereits ab: „Es kommt zu Leistungsversagen und Gerechtigkeitslücken.“

Der Wohlfahrtsstaat wird Herausforderungen, wie die Alterung der Gesellschaft, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Globalisierungsdruck nur bewältigen, wenn die Politik wieder das Primat gegenüber der Wirtschaft erlangt, um Systeme zur gerechten Verteilung zu erhalten und zu verbessern.

Konkrete Ergebnisse
Bereits im Juli wurden die drei erstgereihten Exponate für die Entwicklung eines innovativen Ausstellungsdesigns ausgezeichnet, die eingereichten Arbeiten stammen von Studenten der FH Infodesign Joanneum, begleitet durch die Künstlerin Erika Thümmel. Die über die vergangenen Monate hinweg vorbereitete Fotoausstellung „Die vielen Gesichter der Arbeit“ wurde am 21. 9. 2005 durch LR Dr. Kurt Flecker und Dir. DI Wolfgang Gugl in der Bulme Graz eröffnet.

Die auf zwei Jahre Dauer angelegte Hauptausstellung unter dem Titel „Recht auf Sozialversicherung“ soll ab April des kommenden Jahres in Graz gezeigt werden, anschließend geht sie auf Österreichtournee. Ein Ausstellungskatalog sowie Dossiers der beteiligten Fokusgruppen werden eine reiche Hintergrundinformation bieten; abgerundet wird das Angebot durch ein individuelles Kultur- und Bildungsprogramm an den jeweiligen Veranstaltungsorten.

Josef Schiffer


Infos:
Jugend gegen Gewalt und Rassismus, Mag. Christian Ehetreiber, Karmeliterplatz 2/II, 8010 Graz
T 0316-877-4058 | Fax 0316-877-5839 | arge_jugend@argejugend.at | www.argejugend.at

Wanderausstellung
„Die vielen Gesichter der Arbeit – eine Fotoausstellung von steirischen Jugendlichen“

zu sehen von 21. 9. bis 12. 10. 2005 | Mo–Fr von 8 bis 20 Uhr
in der BULME Graz-Gösting, Ibererstraße 15-21

 

 

 

Nicht (mehr) verhindert zu arbeiten
Menschen mit Behinderung schaffen den Sprung von der Tageswerkstatt in Betriebe

 

   

Anlässlich eines von alpha nova veranstalteten Symposiums zum Thema „Hinaus in die Arbeitswelt“ am 15. September in der FH Joanneum referierten der Sozialforscher Prof. Dr. Bernd Marin, Vertreter von Betrieben und von alpha nova über die Möglichkeiten, behinderte Menschen in Betriebe zu integrieren.

Martina G. hatte – als geistig Behinderte – ein Leben ohne Zukunft vor sich. Sie war 18 Jahre alt, als sie das erste Mal die geschlossene Abteilung des Landesnervenkrankenhauses Graz verlassen durfte. Damals übernahm alpha nova die Betreuung von 24 jungen Menschen mit Behinderung, um ihnen im Auftrag des Landes ein menschenwürdiges und selbst bestimmtes Leben außerhalb der Psychiatrie zu ermöglichen. Heute arbeitet Martina G. fünf Tage die Woche als Regalbetreuerin bei bauMax. Und so wie sie arbeiten derzeit mehr als 20 Menschen mit zum Teil schweren intellektuellen Einschränkungen, die zuvor in einer Tageswerkstatt betreut wurden, in Betrieben in und um Graz. Sie werden von pädagogisch versierten MitarbeiterInnen von alpha nova in der Arbeit begleitet. „Integrierte Arbeitsgruppen“ nennt alpha nova dieses Modellprojekt. „Viele Menschen mit Behinderung, die heute noch die meiste Zeit Bastelarbeiten in Werkstätten verrichten, sollten ihre Fähigkeiten lieber in Betrieben einsetzen.“, meint Thomas Wögerer, Geschäftsführer von alpha nova. „Das stärkt und fördert ihre sozialen Kompetenzen und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.“, ergänzt Helmut Schinnerl, zuständiger Bereichsleiter bei alpha nova. Und die Erfahrungen mit diesem Modell lässt Unternehmen, wie z.B. den Mess- und Analysegeräteproduzenten Anton Paar resümieren: Integration ist keine lästige Pflicht, sondern ein Gewinn für Unternehmen. Es bietet den Unternehmen neue Lernchancen – ganz im Sinne sozial nachhaltigen Wirtschaftens.

– gm –

 

 

„I AM“ fördert Zugang zu integrativer Weiterbildung für behinderte Menschen
   

Das Recht auf Bildung und lebensbegleitendes Lernen für Menschen mit Behinderung ist der Leitgedanke des EU-Projekts „I AM“, das die Lebenshilfe Graz und Umgebung – Voitsberg gemeinsam mit internationalen Partnern realisiert. Speziell ausgebildete LernasisstentInnen unterstützen behinderte InteressentInnen bei der beruflichen und außerberuflichen Fort- und Weiterbildung.


Ungehinderter Zugang – Professionelle Basis
Menschen mit Behinderung endlich den ungehinderten Zugang zur Erwachsenenbildung zu ermöglichen – das ist der Zweck des EU-Projekts „I AM“. Entwickelt hat es die Lebenshilfe Graz und Umgebung – Voitsberg, gemeinsam mit Partnern aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. Das Projekt in der Steiermark wurde gemeinsam mit den Volkshochschulen realisiert. „Aufgabe der Lebenshilfe ist es, Menschen mit Behinderung in allen Lebensphasen so zu unterstützen, dass sie selbst bestimmt ein normales Leben inmitten unserer Gesellschaft führen können“, sagte Lebenshilfe-Geschäftsführer Donat Schöffmann anlässlich des „I AM“-Partner-Meetings in Graz. Der Erwachsenenbildung komme dabei hohe Bedeutung zu: „Sie bedeutet die Chance für berufliche und private Weiterentwicklung unserer Kunden“, so Schöffmann. „Prinzipiell beinhaltet unser Bildungsauftrag, „dass niemand von der Bildung ausgeschlossen werden darf“, betonte Volkshochschulen-Geschäftsführer Günter Pfeiffer. Durch dieses Projekt sei „eine professionelle Basis geschaffen worden, integrative Erwachsenenbildung tatsächlich umzusetzen“.


„Drei-Säulen-Modell“
„Für erwachsene Menschen mit speziellen Bedürfnissen gibt es kaum systematisierte öffentliche Bildungsangebote“, erklärte Projektleiterin Daniela Rechberger. Der Hauptgrund dafür ist ihrer Meinung nach, „dass Menschen mit Behinderung, die Fähigkeit eine Ausbildung zu erlangen und lebenslanges Lernen zu betreiben, lange abgesprochen worden sei. Mit diesem Projekt wurde eindrucksvoll der Gegenbeweis angetreten.“ Das Projekt beruht auf drei Säulen: Interessierte erhalten eine Basisqualifikation, die in Form mehrerer Module angeboten wird. Die TeilnehmerInnen an den Kursangeboten der herkömmlichen Erwachsenenbildung erhalten die Unterstützung einer Lernassistentin oder eines Lernassistenten. Diese AssistentInnen sind speziell für die Integration ausgebildet. Vor Kursbeginn wird abgeklärt, welche Form der Unterstützung und Begleitung gewünscht bzw. notwendig ist. Ebenso gibt es eine Unterstützung für die TrainerInnen, die ihre Kurse im Sinne der integrativen Erwachsenenbildung öffnen, vor allem um Unsicherheiten abzubauen. Johann Stadler, selbst Teilnehmer am „I AM“-Angebot meinte, dass eine solche Form der Unterstützung „Mut macht, Angebote zur Weiterbildung wahrzunehmen“. Wichtig für ihn sei es, dass er das Erlernte dann auch tatsächlich anwenden könne: „Das ist eine Bestätigung für mich und bringt die Motivation weiterzumachen.“

 

 

 

HörBibliothek erfreut sich großer Beliebtheit

 

   

Christa Wiener-Pucher hat 1998 begonnen, in Graz-Mariahilf einen „Hörbuchwinkel“ aufzubauen. Aus dem Grundstock von 150 Hörbüchern ist inzwischen eine Sammlung von über 1300 Stück geworden, die am Mariahilferplatz 3 untergebracht ist. Nachdem Wiener-Pucher erst einmal den Begriff „Hörbuch“ bekannt machen musste, ortet sie heute einen „echten Boom“ auf diesem Gebiet.

In erster Linie kommt die Hörbibliothek Sehbehinderten zugute, die gesprochenen Bücher werden aber auch von Sehenden gerne genutzt, um z.B. während der Hausarbeit ein gutes Buch „hören“ zu können. Das Angebot umfasst klassische Literatur, Romane, Krimis, Sachbücher, Kinderliteratur und auch fremdsprachige Hörbücher.

Info:
Geöffnet mittwochs von 15.30 bis 18.30 Uhr | freitags von 8.30 bis 10 Uhr | sonntags von 10 bis 11 Uhr hoerbibliothek.mariahilf@utanet.at | www.opac.st/hoerbibliothek