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Muhidin Saric kehrt
heim
Muhidin Saric, ehemaliger Kulturamtsleiter und Kinderbuchautor in Prijedor,
Bosnien-Herzegowina, der 1992 als ehemaliger Gefangene des serbischen Konzentrationslagers
Keraterm Zuflucht in Graz suchte, fand als "writer in residence" im Rahmen
des Projektes "Graz-Stadt der Zuflucht" Aufnahme und Anerkennung. Durch
sein Werk "Keraterm.Erinnerungen aus einem serbischen Lager", das 1993
in Zagreb im Untergrund erschien, wurde er als Verräter politisch
verfolgt. Das Künstlerfest am 21. März 2002, das Muhidin Saric
als Abschiedsgeschenk anlässlich seiner baldigen Rückkehr in
die Heimat gewidmet war, gestaltete sich als erfolgreiche Dokumentation
einer gelungenen Betreuung durch die Kulturvermittlung Steiermark.
Für KORSO sprach Claudia Windisch mit Muhidin Saric, als
Dolmetscherin fungierte Edita Durakovic:
KORSO: Welche Eindrücke und Erfahrungen nehmen Sie von Graz
und den Menschen, die Ihnen hier begegnet sind, in Ihre Heimatstadt mit?
SARIC: Ich wurde im August 1992 aus meiner Heimat vertrieben
und kam im November als Flüchtling nach Graz. Ich kannte Graz von
früher, da ich diese Stadt schon einige Male als Tourist besuchte.
Mir hat Graz immer schon gefallen, es ist eine gut organisierte Stadt mit
sehr freundlichen Menschen. Außerdem bin ich nach wie vor von der
Schönheit der Natur rund um Graz sehr beeindruckt.
KORSO: Mit welchen Erwartungen und Gefühlen treten Sie die
Rückkehr in Ihre Heimatstadt Prijedor an?
SARIC: Es ist wichtig zurückzukehren, man muss aber versuchen,
nicht auf die vielen Wunden zurückzublicken. Die Situation für
Bosniaken ist zwar besser geworden, es darf aber nicht vergessen werden,
was passiert ist. Ich werde in Zukunft wie ein "Scout" agieren, denn um
mit meiner Familie endgültig zurückkehren zu können, muss
ich in meiner Heimatstadt erst die räumlichen Gegebenheiten schaffen.
Es ist ein großer Wunsch von mir, endlich heimkehren zu können,
meine allergrößte Intention besteht jedoch darin, die Verbindung
zu Graz nie abreißen zu lassen. Prijedor ist die Luft, die ich zum
Atmen brauche und die Sonne, die mich wärmt. Meine Liebe gilt Graz
und deshalb werde ich in Zukunft zwischen diesen beiden Städten hin-und
herpendeln und hoffe aus tiefstem Herzen, dass mir niemand das Visum wegnimmt,
welches ich für die Einreise nach Österreich benötige.
KORSO: Wie sehen Ihre Pläne vor Ort aus? Können Sie
sich vorstellen wieder institutionalisierte Schriftstellertreffen zu organisieren?
SARIC: Ich werde in meiner Geburtsstadt ein Haus mit einem sehr
großen Raum bauen, um die Möglichkeit zu schaffen, Schriftsteller
und Freunde aus aller Welt einladen zu können. Mein Haus soll eine
offene Tür haben – für jedermann. Ich habe natürlich auch
wieder vor Schriftstellertreffen zu organisieren, mir scheint aber, dass
von hier aus alles leichter geht. In der Föderation Bosnien-Herzegowina
bin ich als Schriftsteller anerkannt – zwei meiner Gedichte sind in Schulbücher
aufgenommen und zwei meiner Werke als Pflichtlektüre in den Schulen
eingeführt worden. In der serbischen Republik bin ich jedoch als Schriftsteller
nicht anerkannt, was mir meine Arbeit natürlich sehr erschwert.
KORSO: Wie haben sich die Rollenbilder der Künstler seit
dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien verändert?
SARIC: Früher war es von großer Bedeutung ein heimischer
Schrifsteller aus Jugoslawien zu sein, was auch an der Größe
des gesamten Raumes lag. Heute ist es keine große Sache mehr, die
Bedeutsamkeit eines Schrifstellers aus der serbischen Republik oder der
Föderation ist ziemlich den Bach hinuntergelaufen. Die wenigsten Leute
kennen die namhaften Schriftsteller Ex-Jugoslawiens. Die traurigste Tatsache
ist jedoch, dass in meinem Heimatland keiner mehr nach dem Wert der schrifstellerischen
Tätigkeit eines Autors fragt, sondern zuerst nach dem Namen – passt
dieser nicht wird auch sein Werk nicht gelesen.
KORSO: Welche Erwartungshaltungen haben die Menschen in Ihrem
Land an die Kunst bzw. an das Schriftstellertum?
SARIC: Früher gab es im gesamten Raum des ehemaligen Jugoslawiens
ein sehr reges Kulturleben, die Leute waren interessiert und nahmen aktiv
am Kulturleben teil. Das Engagement der Bürger war sehr hoch und es
war unglaublich, wie viel Kulturleben selbst in kleinsten Städten
zu finden war und wie viel es den Menschen bedeutete. Bei den jährlichen
Schrifstellertreffen, welche ich in Prijedor organisierte, bestimmte das
Publikum selber sehr stark mit, welcher Schriftsteller für das kommende
Jahr eingeladen wurde. Die Leute atmeten die Kultur richtiggehend ein und
konnten sie wirklich genießen. Nach bzw. durch den Krieg ist eigentlich
in jeder Stadt das Kulturleben gestorben – nur Sarajevo ist übrig
geblieben, weil Sarajevo die Kultur gegen den Krieg genutzt hat bzw. mit
Kultur gegen den Krieg gekämpft hat - das war die einzige Chance als
Kulturstadt zu überleben. Die jetzige Situation ist sehr schwierig,
denn das Land ist sehr arm und bevor die Leute nicht genug zu essen haben
bzw. die Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, werden sie sich natürlich
auch nicht für Kultur interessieren.
KORSO: Wie sieht inzwischen der Umgang mit den serbischen oder
kroatischen Berufskollegen im ehemaligen Jugoslawien aus?
SARIC: Viele der Menschen, welche das Nationalspiel nicht mitspielten
– das Kriegsspiel zwischen den Nationen – sind frühzeitig ausgewandert
oder geflüchtet. Es war nur ein sehr kleiner Prozentsatz von Menschen,
welcher vom Nationalsozialismus vergiftet und an einer Spaltung der Länder
interessiert war. Viele Menschen andersartiger Nationalzugehörigkeit
haben sich zusammengefunden um gefährdeten Personen zu helfen, wodurch
auch meine Flucht in den frühen Kriegsjahren ermöglicht wurde.
Es stellte sich zwischen meinen Freunden, viele davon Schrifsteller, nie
die Frage, wer welcher Nation angehörte, sondern wir hielten auch
während und nach den Kriegsjahren intensiven Kontakt. Ich möchte
dazu nur ein Beispiel menschlicher Freundschaft, ungeachtet der Herkunft
erwähnen, welches mir das Leben gerettet hat: Noch am selben Abend,
als ich aus dem berüchtigten Konzentrationslager Keraterm entlassen
wurde und vorübergehend bei meiner Mutter Unterschlupf fand, rief
mich ein befreundeter Autor aus Belgrad an, um mir Anweisungen zu geben,
wie ich mich am besten verhalten solle. Von da an erreichten mich seine
Anrufe täglich und nur mit Hilfe seiner Anweisungen gelang mir die
Flucht nach Graz, wo er mich das letzte Mal kontaktierte, um mir mitzuteilen,
dass er mich nun versorgt wisse und sich nun um das Wohl eines weiteren
gefährdeten Freund kümmern werde.
KORSO: Welche Bedeutung hat der Begriff Heimat heute für
Sie?
SARIC: Inzwischen ist auch Graz eine Heimat für mich geworden.
Ich wünschte, die ganze Welt könnte meine Heimat sein, ich möchte
gerne dort leben, wo es mir gefällt, also warum auch nicht in Afrika?
Leider ist es mir angesichts der Umstände in meiner Vergangenheit
nicht möglich, dort zu leben, wo ich möchte – es gibt ständig
wen, der mir vorschreibt, wo ich sein soll bzw. wo ich hingehen soll. Aus
meinem Land wurde ich mit bösen Worten und groben Handlungen vertrieben,
aber obwohl ich in Graz sehr gut aufgenommen wurde, schien es mir nach
einiger Zeit doch so, dass man mich auch hier nicht haben wollte. Ich fühle
mich meist hin-und hergeschoben.
KORSO: Kann man sagen, dass Literatur für Sie eine Art Überlebenstheraphie
darstellt, auch angesichts ihrer Werke "Keraterm. Erinnerungen aus einem
serbischen Lager" oder "Gedichte ohne Heimat"?
SARIC: Ich betrachte mich selbst als Kinderbuchautor, obwohl
ich meine, dass es diesen Ausdruck in der Literatur eigentlich nicht gibt.
Es war der Krieg, der die zwei Bücher für Erwachsene "verursacht"
hat. Für mich war es immer leichter die Welt durch die Augen eines
Kindes zu betrachten und in dieser Kinderwelt zu leben. Ich hatte das Glück
hier in Graz meine drei Enkelkinder zu haben, die mich in meiner Arbeit
sehr inspiriert haben. Viele Gedichte, die ich für Kinder geschrieben
habe, sind bereits auch hier herausgegeben worden, jedoch nicht in Buchform,
sondern in verschiedenen Zeitschriften. Ich kann nicht planen, was ich
schreiben werde, ich schreibe das, was ich gerade fühle. Meist passiert
es, dass ich mich mit dem Wunsch etwas bestimmtes zu schreiben hinsetze
und aus der Sache wird etwas ganz anderes. Mein Schriftstück ist erst
dann fertig, wenn ich damit zufrieden bin, ganz egal, was es darstellt.
Die Arbeit eines Schriftstellers beginnt immer mit einem großen Fragezeichen.
Schreiben bedeutet eine große Freude für mich, ein Verbot
dahingehend würde meinen seelischen Tod bedeuten. Ich pflege sehr
viele Kontakte zu verschiedensten Schriftstellern, wobei der gegenseitige
Erfahrungsaustausch eine neue Befruchtung für meine Arbeit darstellt.
Mein Freund, ein Serbe, schrieb die Übersetzung von „Keraterm“ und
wir wurden gefragt, wie sich das vereinbaren lässt: Er ein Serbe und
ich ein Bosniake, ehemaliger Gefangener in einem serbischen Lager?! Als
Antwort darauf haben wir uns umarmt.
KORSO: Worauf freuen Sie sich in Prijedor am meisten? Was werden
Sie in Graz am meisten vermissen?
SARIC: Mein größter Wunsch ist nicht gänzlich
zurückzukehren, sondern die zwei Städte Graz und Prijedor zu
verbinden um Kulturaustausch zu ermöglichen und zu organisieren. Ich
weiß noch nicht, ob und inwieweit mir das gelingen wird, aber es
ist auf jeden Fall einen Versuch wert. |