04 / 2002
  Muhidin Saric kehrt heim
 

Muhidin Saric, ehemaliger Kulturamtsleiter und Kinderbuchautor in Prijedor, Bosnien-Herzegowina, der 1992 als ehemaliger Gefangene des serbischen Konzentrationslagers Keraterm Zuflucht in Graz suchte, fand als "writer in residence" im Rahmen des Projektes "Graz-Stadt der Zuflucht" Aufnahme und Anerkennung. Durch sein Werk "Keraterm.Erinnerungen aus einem serbischen Lager", das 1993 in Zagreb im Untergrund erschien, wurde er als Verräter politisch verfolgt. Das Künstlerfest am 21. März 2002, das Muhidin Saric als Abschiedsgeschenk anlässlich seiner baldigen Rückkehr in die Heimat gewidmet war, gestaltete sich als erfolgreiche Dokumentation einer gelungenen Betreuung durch die Kulturvermittlung Steiermark. 

Für KORSO sprach Claudia Windisch mit Muhidin Saric, als Dolmetscherin fungierte Edita Durakovic:

KORSO: Welche Eindrücke und Erfahrungen nehmen Sie von Graz und den Menschen, die Ihnen hier begegnet sind, in Ihre Heimatstadt mit?
SARIC: Ich wurde im August 1992 aus meiner Heimat vertrieben und kam im November als Flüchtling nach Graz. Ich kannte Graz von früher, da ich diese Stadt schon einige Male als Tourist besuchte. Mir hat Graz immer schon gefallen, es ist eine gut organisierte Stadt mit sehr freundlichen Menschen. Außerdem bin ich nach wie vor von der Schönheit der Natur rund um Graz sehr beeindruckt. 

KORSO: Mit welchen Erwartungen und Gefühlen treten Sie die Rückkehr in Ihre Heimatstadt Prijedor an?
SARIC: Es ist wichtig zurückzukehren, man muss aber versuchen, nicht auf die vielen Wunden zurückzublicken. Die Situation für Bosniaken ist zwar besser geworden, es darf aber nicht vergessen werden, was passiert ist. Ich werde in Zukunft wie ein "Scout" agieren, denn um mit meiner Familie endgültig zurückkehren zu können, muss ich in meiner Heimatstadt erst die räumlichen Gegebenheiten schaffen. Es ist ein großer Wunsch von mir, endlich heimkehren zu können, meine allergrößte Intention besteht jedoch darin, die Verbindung zu Graz nie abreißen zu lassen. Prijedor ist die Luft, die ich zum Atmen brauche und die Sonne, die mich wärmt. Meine Liebe gilt Graz und deshalb werde ich in Zukunft zwischen diesen beiden Städten hin-und herpendeln und hoffe aus tiefstem Herzen, dass mir niemand das Visum wegnimmt, welches ich für die Einreise nach Österreich benötige. 

KORSO: Wie sehen Ihre Pläne vor Ort aus? Können Sie sich vorstellen wieder institutionalisierte Schriftstellertreffen zu organisieren?
SARIC: Ich werde in meiner Geburtsstadt ein Haus mit einem sehr großen Raum bauen, um die Möglichkeit zu schaffen, Schriftsteller und Freunde aus aller Welt einladen zu können. Mein Haus soll eine offene Tür haben – für jedermann. Ich habe natürlich auch wieder vor Schriftstellertreffen zu organisieren, mir scheint aber, dass von hier aus alles leichter geht. In der Föderation Bosnien-Herzegowina bin ich als Schriftsteller anerkannt – zwei meiner Gedichte sind in Schulbücher aufgenommen und zwei meiner Werke als Pflichtlektüre in den Schulen eingeführt worden. In der serbischen Republik bin ich jedoch als Schriftsteller nicht anerkannt, was mir meine Arbeit natürlich sehr erschwert. 

KORSO: Wie haben sich die Rollenbilder der Künstler seit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien verändert?
SARIC: Früher war es von großer Bedeutung ein heimischer Schrifsteller aus Jugoslawien zu sein, was auch an der Größe des gesamten Raumes lag. Heute ist es keine große Sache mehr, die Bedeutsamkeit eines Schrifstellers aus der serbischen Republik oder der Föderation ist ziemlich den Bach hinuntergelaufen. Die wenigsten Leute kennen die namhaften Schriftsteller Ex-Jugoslawiens. Die traurigste Tatsache ist jedoch, dass in meinem Heimatland keiner mehr nach dem Wert der schrifstellerischen Tätigkeit eines Autors fragt, sondern zuerst nach dem Namen – passt dieser nicht wird auch sein Werk nicht gelesen. 

KORSO: Welche Erwartungshaltungen haben die Menschen in Ihrem Land an die Kunst bzw. an das Schriftstellertum?
SARIC: Früher gab es im gesamten Raum des ehemaligen Jugoslawiens ein sehr reges Kulturleben, die Leute waren interessiert und nahmen aktiv am Kulturleben teil. Das Engagement der Bürger war sehr hoch und es war unglaublich, wie viel Kulturleben selbst in kleinsten Städten zu finden war und wie viel es den Menschen bedeutete. Bei den jährlichen Schrifstellertreffen, welche ich in Prijedor organisierte, bestimmte das Publikum selber sehr stark mit, welcher Schriftsteller für das kommende Jahr eingeladen wurde. Die Leute atmeten die Kultur richtiggehend ein und konnten sie wirklich genießen. Nach bzw. durch den Krieg ist eigentlich in jeder Stadt das Kulturleben gestorben – nur Sarajevo ist übrig geblieben, weil Sarajevo die Kultur gegen den Krieg genutzt hat bzw. mit Kultur gegen den Krieg gekämpft hat - das war die einzige Chance als Kulturstadt zu überleben. Die jetzige Situation ist sehr schwierig, denn das Land ist sehr arm und bevor die Leute nicht genug zu essen haben bzw. die Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, werden sie sich natürlich auch nicht für Kultur interessieren. 

KORSO: Wie sieht inzwischen der Umgang mit den serbischen oder kroatischen Berufskollegen im ehemaligen Jugoslawien aus?
SARIC: Viele der Menschen, welche das Nationalspiel nicht mitspielten – das Kriegsspiel zwischen den Nationen – sind frühzeitig ausgewandert oder geflüchtet. Es war nur ein sehr kleiner Prozentsatz von Menschen, welcher vom Nationalsozialismus vergiftet und an einer Spaltung der Länder interessiert war. Viele Menschen andersartiger Nationalzugehörigkeit haben sich zusammengefunden um gefährdeten Personen zu helfen, wodurch auch meine Flucht in den frühen Kriegsjahren ermöglicht wurde. Es stellte sich zwischen meinen Freunden, viele davon Schrifsteller, nie die Frage, wer welcher Nation angehörte, sondern wir hielten auch während und nach den Kriegsjahren intensiven Kontakt. Ich möchte dazu nur ein Beispiel menschlicher Freundschaft, ungeachtet der Herkunft erwähnen, welches mir das Leben gerettet hat: Noch am selben Abend, als ich aus dem berüchtigten Konzentrationslager Keraterm entlassen wurde und vorübergehend bei meiner Mutter Unterschlupf fand, rief mich ein befreundeter Autor aus Belgrad an, um mir Anweisungen zu geben, wie ich mich am besten verhalten solle. Von da an erreichten mich seine Anrufe täglich und nur mit Hilfe seiner Anweisungen gelang mir die Flucht nach Graz, wo er mich das letzte Mal kontaktierte, um mir mitzuteilen, dass er mich nun versorgt wisse und sich nun um das Wohl eines weiteren gefährdeten Freund kümmern werde. 

KORSO: Welche Bedeutung hat der Begriff Heimat heute für Sie?
SARIC: Inzwischen ist auch Graz eine Heimat für mich geworden. Ich wünschte, die ganze Welt könnte meine Heimat sein, ich möchte gerne dort leben, wo es mir gefällt, also warum auch nicht in Afrika? Leider ist es mir angesichts der Umstände in meiner Vergangenheit nicht möglich, dort zu leben, wo ich möchte – es gibt ständig wen, der mir vorschreibt, wo ich sein soll bzw. wo ich hingehen soll. Aus meinem Land wurde ich mit bösen Worten und groben Handlungen vertrieben, aber obwohl ich in Graz sehr gut aufgenommen wurde, schien es mir nach einiger Zeit doch so, dass man mich auch hier nicht haben wollte. Ich fühle mich meist hin-und hergeschoben. 

KORSO: Kann man sagen, dass Literatur für Sie eine Art Überlebenstheraphie darstellt, auch angesichts ihrer Werke "Keraterm. Erinnerungen aus einem serbischen Lager" oder "Gedichte ohne Heimat"?
SARIC: Ich betrachte mich selbst als Kinderbuchautor, obwohl ich meine, dass es diesen Ausdruck in der Literatur eigentlich nicht gibt. Es war der Krieg, der die zwei Bücher für Erwachsene "verursacht" hat. Für mich war es immer leichter die Welt durch die Augen eines Kindes zu betrachten und in dieser Kinderwelt zu leben. Ich hatte das Glück hier in Graz meine drei Enkelkinder zu haben, die mich in meiner Arbeit sehr inspiriert haben. Viele Gedichte, die ich für Kinder geschrieben habe, sind bereits auch hier herausgegeben worden, jedoch nicht in Buchform, sondern in verschiedenen Zeitschriften. Ich kann nicht planen, was ich schreiben werde, ich schreibe das, was ich gerade fühle. Meist passiert es, dass ich mich mit dem Wunsch etwas bestimmtes zu schreiben hinsetze und aus der Sache wird etwas ganz anderes. Mein Schriftstück ist erst dann fertig, wenn ich damit zufrieden bin, ganz egal, was es darstellt. Die Arbeit eines Schriftstellers beginnt immer mit einem großen Fragezeichen. 
Schreiben bedeutet eine große Freude für mich, ein Verbot dahingehend würde meinen seelischen Tod bedeuten. Ich pflege sehr viele Kontakte zu verschiedensten Schriftstellern, wobei der gegenseitige Erfahrungsaustausch eine neue Befruchtung für meine Arbeit darstellt. Mein Freund, ein Serbe, schrieb die Übersetzung von „Keraterm“ und wir wurden gefragt, wie sich das vereinbaren lässt: Er ein Serbe und ich ein Bosniake, ehemaliger Gefangener in einem serbischen Lager?! Als Antwort darauf haben wir uns umarmt. 

KORSO: Worauf freuen Sie sich in Prijedor am meisten? Was werden Sie in Graz am meisten vermissen?
SARIC: Mein größter Wunsch ist nicht gänzlich zurückzukehren, sondern die zwei Städte Graz und Prijedor zu verbinden um Kulturaustausch zu ermöglichen und zu organisieren. Ich weiß noch nicht, ob und inwieweit mir das gelingen wird, aber es ist auf jeden Fall einen Versuch wert. 


 
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