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korso
Global Corner |
Das
Informationsmagazin
der Steiermark
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12/2004
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Katerstimmung
im Jesus-Land |
Dass George Bush diese Wahl gewonnen hat, ist für Europa vielleicht
wichtiger als für Springfield, Illinois.
Die fast offizielle Anti-Bush-Website www.whitehouse.org verspricht
gepeinigten Demokratenseelen ein wenig Linderung. Um ein paar Dollar
gibt es hier Kleber mit Texten wie „Still not our President“, „Wake
me up in 2008“ oder „Chirac help us“. Die Katastrophe ist also eingetreten,
„W“ bleibt weitere vier Jahre Präsiden der Vereinigten Staaten.
Analysten von Bill Clinton abwärts malen das Menetekel der geteilten
Nation an die Wand. Hier die liberalen, urbanen Intellektuellen
im Osten und Westen, dort die dumpfen, fanatischen Christen, an
denen die Aufklärung spurlos vorüber gegangen ist.
Ist Amerika durch George Bush agressiver geworden?
Nicht unbedingt, wie Bilder aus San Francisco zeigen, die in den
späten 80ern entstanden. Foto: Novak/©Conclusio
„Moralische Werte“ waren unwichtiger als bei der letzten Wahl.
Manches spricht für dieses holzschnittartige Bild der USA: Ein Vetreter
der „Mission America“, Jim Rogers, meinte, „Er“ habe den Aufschrei
Amerikas gehört und seine Gebete beantwortet. Paul Weyrich, ein
Architekt der recht(s)gläubigen Bush-Wahlbewegung, ist überzeugt,
dass Gott dem Präsidenten und seiner Partei „eine weitere Chance
gegeben“ habe. Und Bush selbst versprach in seiner ersten Rede nach
dem Wahlerfolg, die „tiefsten Werte von Familie und Glauben hochzuhalten“.
Ein demokratischer Aktivist analysierte schon fast resignativ, den
Demokraten sei es zwar gelungen, ihre Wähler zu mobilisieren – die
Republikaner hätten es aber gar nicht nötig gehabt, die wiedergeborenen
Christen zu mobilisieren, diese hätten das von selbst erledigt.
Dass die vielbeschworene Wertedebatte tatsächlich wahlentscheidend
war, bezweifeln zumindest einige Analysten. 22 Prozent der Wähler
nannten moralische Werte 2004 als wichtigstes Thema, während Terror
und Irak gemeinsam auf mehr als ein Drittel kamen, so der Gründer
des Washington Policy Center, John Carlson. Im Jahr 2000 dagegen
hatten 49 Prozent moralische Werte und Abtreibung als entscheidend
gesehen, ebenso 1996. Carlsons Fazit: „Die Jesus-Land-These ist
ein Mythos.“ Auch eine nüchternere Sichtweise ist also möglich:
- Bush ging als Amtsinhaber in diese Wahl. Und amtierende Präsidenten
verlieren in den USA ganz selten Wahlen, Bush Senior war eine
unrühmliche Ausnahme.
- Bush standen weit mehr Wahlkampfmittel als seinem demokratischen
Herausforderer zur Verfügung, auch wenn dieser den Unterschied
letzendlich nahezu ausgleichen konnte.
- Und: Zu Kriegszeiten wählt Amerika niemals einen Präsidenten
ab. Dennoch hat Bush bei einigen wichtigen Wählergruppen nicht
die Nase vorn: Frauen wählten mehrheitlich Kerry, ebenso Schwarze
und Latinos. Bei den Unter-29-jährigen blieb Bush ebenfalls hinter
dem demokratischen Senator zurück. Gewonnen hat Bush bei den Protestanten,
aber nicht bei den Katholiken und Juden.
Die Grenzen des George W. Bush
Die großen Emotionen, die bis zum Wahltag von den Medien geschürt
und in Quoten umgewandelt wurden, beginnen abzuebben. Nicht zuletzt,
weil Entscheidungen, die die Bürger unmittelbar berühren, nicht
im Weißen Haus fallen, sondern in den regionalen Parlamenten der
einzelnen Bundesstaaten oder gar auf lokaler Ebene. Wer Bezirksstaatsanwalt
oder für das Schulwesen verantwortlich ist, bestimmt das tägliche
Leben der Amerikaner mehr als der Präsident.
Auch wenn nicht unterschätzt werden darf, dass George Bush vier
Jahre länger die Möglichkeit hat, über die Berufung von Höchstrichtern
weit über seine zweite und letzte Wahlperiode hinaus die gesellschaftspolitische
Ausrichtung der Nation zu prägen, könnte seine Wiederwahl für Brüssel,
Paris, Berlin und Wien wichtiger sein als für Oklahoma City, Springfield,
Illinois und Portland, Oregon.
Aber auch für Europa gibt es Hoffnung auf mehr Ausgeglichenheit:
„Die zweite Periode von Bush wird weniger aggressiv, weniger einseitig,
weniger militant und weniger arrogant in seiner Außenpolitik sein“,
prognostiziert Neewsweek-Kommentator Fareed Zakaria. Nicht weil
der Präsident seine Grundsätze geändert habe, sondern weil seine
Möglichkeiten beschränkter seien: „Einseitigkeit, militärische Macht
und Arroganz werden einfach nicht funktionieren.“
Dennoch: Weil Bush nicht nur die Präsidentschaftswahlen eindeutig
gewonnen, sondern auch die Mehrheiten in Senat und Kongress ausgebaut
hat, werden die Demokraten noch einige Zeit ihre Wunden lecken,
anstatt wirkungsvolle Oppositionspolitik zu machen. Und noch einige
Zeit darüber diskutieren, was sie falsch gemacht haben, anstatt
ab sofort vieles richtig zu machen.
Zwischentöne
Obwohl gar nicht so klar ist, was tatsächlich falsch lief. Die großen
TV-Debatten konnte Kerry nach fast übereinstimmender Meinung auch
konservativer Beobachter weitgehend für sich entscheiden. Und wurde
damit seinem Ruf, in aussichtslos scheinenden Situationen zur Höchstform
aufzulaufen (Spitzname „Comeback-Kerry“) durchaus gerecht. In diesem
Wahlkampf dürfte aber Bush im Endspiel ungeahnte Kräfte freigemacht
haben, meint zumindest der Kommunikationsexperte Brent Filson, Im
Kampf um die wichtigen umstrittenen Staaten Florida und Ohio sei
der Amtsinhaber in der Lage gewesen, „eine tiefe, menschlich berührende
Beziehung zu den Menschen zu entwickeln“ und aus seiner präsidialen
Blase auszubrechen.
Der oppositionelle Kater ist aber nicht nur eine Folge der Niederlage
sondern auch die eines veritablen Rausches, den eine Wahlschlacht
mit sich bringt, die insgesamt rund drei Milliarden Dollar gekostet
hat, rechnet man alle Voten zusammen.
Was angesichts des Bush-Kerry-Duells in der veröffentlichten Wahrnehmung
weitgehend in den Hintergrund rückte, waren die zahreichen Referenden,
die am selben Tag entschieden wurden. In elf Staaten wurde über
das Verbot der Schwulen-Ehe abgestimmt, damit gelang es den Republikaner
ein Thema zu besetzen, bei dem für die Demokraten „nichts zu gewinnen
war“, wie deren Strategen freimütig zugaben. In Alaska bleibt der
Genuss von Marihuana weiter illegal, im konservativen Montana, das
zwar der viertgrößte Staat der USA ist, aber weniger als eine Million
Einwohner hat, ist sein Anbau und Besitz für medizinische Zwecke
ab sofort erlaubt (62 Prozent pro). Und Schwarzeneggers Kalifornien
votierte mit einer 59-Prozent-Mehrheit für die Förderung der Stammzellenforschung.
Auch diese Ergebnisse sollten für Europa und das kleine Österreich
ein Hinweis sein, dass in den USA nicht alles schwarz oder weiß
ist, sondern Zwischentöne existieren. Gegen Schwarzenegger (mit
untauglichen und an Lächerlichkeit grenzenden Mitteln) mobil zu
machen, weil er die Todesstrafe nicht abschafft, hat zwar einen
gewissen provinziellen Charme – darüber hinwegzusehen, dass seine
liberalen, demokratischen Vorgänger viele Jahrzehnte mit der Todesstrafe
gelebt haben, trägt aber wenig zur politischen Weiterbildung hierzulande
bei.
Martin Novak
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Das interreligiöse
Öko-Projekt des Dr. Abouleish |
Dialog bedeutet, von der Ansicht „ich habe Recht und du Unrecht“
zu der Ansicht „Sowohl ich als auch du können Recht haben, wir beide
können Gemeinsamkeiten haben, nur haben wir sie noch nicht gefunden“
zu wechseln (Imam Ramazan Mercan). Dialog-Konferenzen gewinnen
in der Zeit der Globalisierung zunehmend an Bedeutung, da der rein
ökonomische Bedeutungshorizont von Globalisierung längst überschritten
wurde und sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens berührt werden.
So geht es dabei auch um das Miteinander-Leben verschiedener Kulturen
unterschiedlichster Religionen. Hinter Unstimmigkeiten, Streit,
Terror und Kriegen sehen ExpertInnen u.a. den Mangel an Dialog und
Wissen. Zur Förderung des interreligiösen Austausches und anlässlich
des Besuches des Trägers des alternativen Nobelpreises Dr. Ibrahim
Abouleish fand ein „Gespräch der Religionen und Kulturen: Judentum
– Christentum – Islam“ mit Dipl.-Ing. Omar Al-Rawi (Islam)
Richard Ames (Judentum), Mag. Christa Schrauf (Christentum)
in der Grazer Wirtschaftskammer statt.
Ibrahim Abouleishs
Öko-Projekt „Sekem“ wird international als Beispiel für einen geglückten
Dialog zwischen Kulturen und Religionen gewürdigt
Sekem – Anthroposophie und Islam
Das Bio-Projekt „Sekem“ (Vitalität der Sonne) wird international
als Beispiel für einen geglückten Dialog zwischen Kulturen und Religionen
gewürdigt. Der Gründer, Dr. Ibrahim Abouleish, erhielt für sein
„Geschäftsmodell des 21. Jahrhunderts“, das wirtschaftlichen Erfolg
mit sozialer und kultureller Entwicklung verbindet, den „alternativen
Nobelpreis 2003“. Der gebürtige Ägypter studierte in Graz und gründete
1977 am Rande der Wüste, 60 Kilometer von Kairo entfernt, ein Öko-Projekt,
das Arbeit, Schule, Studium, Forschung und Lebenshilfe auf ungewöhnliche
Weise verbindet. Heute leben und arbeiten auf der längst zum Unternehmen
angewachsenen 70 Hektar großen Farm bis zu 2.000 Menschen. Interessant
ist, dass Sekem eine Waldorfschule mit christlicher Prägung beherbergt
(Abouleish war in Graz mit der Anthroposophie in Kontakt gekommen).
Gleichzeitig gibt es an der Sekem-Akademie Islamforschung bzw. die
Möglichkeit, einen „modernen Islam“ zu erleben. Abouleish: „Auf
der einen Ebene versuchen wir die Unterschiede gefühlsmäßig zu erleben,
indem islamische und christliche Feste feiern. Auf einer höheren
Ebene des Bewusstseins vermitteln wir Bildung, indem wir über Religionen
informieren – ohne aber missionieren zu wollen. Im Gegenteil – es
geht ums Lernen, das erst die Vielfältigkeit das Leben schön macht.“
Toleranz sei ihm zu wenig, denn Menschen, die Dinge nicht objektiv
anschauen, können auch nicht Toleranz üben.
Leben und Arbeit sind eng miteinander verbunden
Abouleish beschreibt die dem Europäer fremd gewordene enge Verknüpfung
von Leben und Arbeit auf der Sekem-Farm, die aus sechs Wirtschaftsunternehmen
– Gemüseanbau, Baumwollfelder, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung,
Textilindustrie und Heilmittelherstellung – besteht. Die erwirtschafteten
Gewinne werden nach Rückstellung einer Altersversorgung überwiegend
in Bildung, Kultur und in die medizinische Versorgung investiert.
„Ein wichtiges Ritual der Sekem-Gemeinschaft sind die morgendlichen
Kreise, bei denen sich die Mitarbeiter eines Arbeitsbereichs zusammenfinden.
Jeder berichtet in knappen Worten, was er gestern tat und heute
tun wird. Einmal wöchentlich stellen sich alle Mitglieder der Gemeinschaft,
vom Kindergartenkind bis zum Vorgesetzten, auf dem zentralen Platz
in Sekem in riesigen konzentrischen Kreisen auf.“
Gerlinde Knaus
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„Leben für
Gerechtigkeit - Menschenrechte in Guatemala“ |
Guatemala ist ein Schwerpunktland steirischer Entwicklungszusammenarbeit.
Vom Welthaus der Diözese Graz-Seckau, aber auch von privaten Gruppen
werden mit Unterstützung durch das Land Steiermark und durch das
Außenministerium viele Projekte in diesem mittelamerikanischen Land
realisiert, mittels derer die Situation der Menschen in einem Land
verbessert werden soll, das jahrelang unter einem brutalen Bürgerkrieg
gelitten hat und in dem auch heute die Einhaltung der Menschenrechte
keine Selbstverständlichkeit ist.
Am 25. November stellten das Welthaus der Diözese Graz-Seckau und
die Solidarität mit Lateinamerika in der Steiermark die DVD „Leben
für Gerechtigkeit – Menschenrechte in Guatemala“ der Öffentlichkeit
vor. Die DVD bildet den Abschluss des Medienprojektes Guatemala,
mit dem innerhalb eines Jahres mehr als 5 Mio. Medienkontakte in
Österreich realisiert werden konnten. Landesrat DDr. Gerald Schöpfer
betonte, dass trotz des budgetären Sparkurses in der Steiermark
das Budget für Entwicklungszusammenarbeit im kommenden Jahr erhöht
wird. Ministerialrat Mag. Manfred Wirtitsch vom Unterrichtsministerium
zeigte auf, dass mit solchen Produktionen im Rahmen des Schwerpunktes
Politische Bildung Schülerinnen und Schülern das Thema Menschenrechte
näher gebracht wird.
Auf der DVD werden insgesamt zehn Artikel der UNO-Menschenrechtserklärung
mit Bildern aus Guatemala erläutert. Das Begleitheft zur DVD beinhaltet
Hintergrundinformationen zu Guatemala und Vorschläge, wie diese
Themen im Unterricht oder in der außerschulischen Jugendarbeit aufbereitet
werden können. Die DVD kann im Welthaus und in den regionalen Mediatheken
des Welthauses entlehnt werden.
Kontakt und Informationen unter T 0316-32 45 56 und http://graz.welthaus.at
KORSO verlost in Kooperation mit dem Welthaus 2 Exemplare der DVD
im beim
KORSO-Kulturquiz!
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Dan Bar-Ons
Grazer Vorträge: Friedensarbeit zwischen Identitätskrise und Mauerbau
Auf Einladung des Jüdischen Kulturzentrums Graz Anfang November 2004
referierte der israelische Psychologe Dan Bar-On bei einer Reihe von
Vorträgen und Kurzseminaren über jüdisch-israelische und arabisch-palästinensische
Identitäten – und die Möglichkeiten, zwei divergierende „Geschichtserzählungen“
friedensstiftend wieder zusammenzuführen. |
Auf der Grundlage seines theoretischen Ansatzes (siehe Kasten) widmet
sich Bar-On seit Anfang der 90er-Jahre der politischen Versöhnungsarbeit.
Zunächst stand die Verständigung zwischen den Nachkommen der Täter
und Opfer des Holocaust im Zentrum seiner Arbeit. Dabei wurde auch
seine langjährige Zusammenarbeit mit dem katholischen Theologen
Martin Bormann begründet, dem Sohn des ehemaligen Leiters der Reichskanzlei
Adolf Hitlers. Heute gilt Bar-Ons vorherrschendes Interesse dem
Konflikt zwischen jüdischen Israelis und arabischen PalästinenserInnen.
Bar-On >
„Die Wiederbelebung des Bildes vom zionistischen Helden schwächt
die Friedensfähigkeit Israels“
Spiralen des Vertrauens, erzählend in Gang gebracht
Dan Bar-On setzt seinen theoretischen Ansatz in so genannten „TRT“-Gruppen
(To Reflect and Trust) um, in denen VertreterInnen der gegnerischen
Lager in einem zahlenmäßig ausgewogenen Verhältnis vertreten sind.
In diesen Gruppen erzählen und reflektieren die TeilnehmerInnen
persönlich erlebte Geschichte. Das Hören der kontroversen Geschichten,
die bewusste Wahrnehmung des emotionalen und kognitiven Gehalts
dieser Erzählungen und der eigenen Reaktionen darauf, die Infragestellung
und teilweise Zerstörung der ideologischen Gehalte der eigenen Perspektive,
die Entdeckung gemeinsamer menschlicher Erfahrungen jenseits von
scheinbar völlig unversöhnlichen Standpunkten usw. fördert dabei
einen Vertrauensbildungsprozess, der schließlich eine Annäherung
der beiden Narrative möglich macht.
Gemeinsame Geschichtsbücher
Zusammen mit seinem palästinensischen Co-Direktor von PRIME, Sami
Adwan, hat Bar-On diesen Ansatz nun auch in ein viel versprechendes
Schulprojekt übergeführt. Ein paritätisch zusammengesetztes Team
aus HistorikerInnen und PädagogInnen aus beiden Konfliktparteien
erarbeitet gemeinsame Arbeitshefte für den Geschichtsunterricht.
Im Mittelpunkt stehen dabei zentrale Ereignisse der jüdisch-palästinensischen
Konfliktgeschichte, beginnend mit der Balfour-Deklaration 1917 bis
herauf zur 2. Intifada. Das Besondere an diesem Lehrbehelf besteht
im Nebeneinander von vier Spalten: In einer Spalte stehen chronologische
Daten, soweit sie von den Fachleuten beider Seiten einvernehmlich
außer Streit gestellt werden konnten. Rechts und links davon befindet
sich je eine Abschnitt mit dem jeweils eigenen Narrativ der beiden
Streitparteien und eine vierte Spalte ist den Anmerkungen der SchülerInnen
vorbehalten.
Die israelische Identität zwischen Helden- und Opfererzählung
Eine Friedenslösung für den israe-lisch/palästinensischen
Konflikt sei, so Bar-On, nicht möglich ohne ein Verständnis der
Geschichte des Ringens um eine nicht religiöse israelische Identität.
Pioniere …
Die Affäre Dreyfuss im Frankreich des Jahres 1894 sei innerhalb
des aufgeklärten Judentums als Scheitern des Versuchs der Assimilation
empfunden worden. Im Zionismus habe man daraufhin eine monolithische
Identität propagiert, die starke Züge eines faschistoiden jüdischen
Herrenmenschen trage. Diese Figur des „Sabra“ sei männlich, kämpferisch,
groß, stark, nicht religiös, tatkräftig etc. Dieser „Held“ schließe
„das Andere“, jede Unklarheit und Schwäche tendenziell aus und sei
ein starkes Leitbild der jüdischen Siedlungsbewegung in Palästina
gewesen. Bei der israelischen Jugend werde er bis heute mit dem
Großvater identifiziert, der als russischer Pionier ins Land kam
und die Hand an den Pflug legte. In Phasen großer Verunsicherung
der israelischen Gesellschaft tauche dieses Selbstbild bis heute
immer wieder als Versuchung auf, auf diese Weise die innere Homogenität
wieder herzustellen. Damit sänken aber auch die Chancen eines Friedens
mit den Palästinensern. Einmal, weil dieses Selbstbild die Kompromissfähigkeit
der offiziellen Politik Israels schwäche, zum anderen aber, weil
es auf die Palästinenser provokant wirke und auch diese in ihrer
Unnachgiebigkeit bestärke.
… und Holocaust-Flüchtlinge
Parallel zum mythischen Narrativ des Großvater-Helden gebe es in
der Geschichtsdeutung Israels den vom Holocaust geprägten Erzählstrang.
Der knüpfe sich bei den jungen Israelis an das Bild des auf der
Flucht vor den Nazis ins Land gekommenen Onkels. Der Topos vom Flüchtlings-Onkel
sei jeweils dann schwach ausgeprägt, wenn die Gesellschaft das Gefühl
habe, sich keine Schwäche leisten zu können. Zu bestimmten Zeiten
der Staatsgeschichte sei dieses Thema sogar regelrecht tabuisiert
gewesen, so etwa in den Jahren nach 1948, als es auf israelischer
Seite das Bedürfnis gab, nicht nur die Traumata des Holocausts zu
verdrängen, sondern auch die traumatischen Erlebnisse der Soldaten
im Unabhängigkeitskrieg.
Rabins Ermordung: Das Ende der Hoffnung auf den gemeinsamen
Staat
Die Politik Sharons könne teilweise als Versuch der Wiederbelebung
des Heldenmythos verstanden werden. Allerdings könne es immer weniger
gelingen, dieses neo-monolithische Identitätsmuster dauerhaft aufrecht
zu erhalten. Der zionistische Held sei nämlich aschkenasisch-europäischen
Ursprungs und habe daher dem seit den 50er-Jahren anwachsenden Bevölkerungsanteil
der Israelis orientalischer Herkunft nicht genügend Identifikationansätze
geboten. Mit dem Tod Rabins, der ja einem Mörder aus den „eigenen
Reihen“ zum Opfer fiel, habe aber das Selbstbild innerer Geschlossenheit
und Stärke der Israelis einen nicht mehr kittbaren Riss bekommen.
Gleichzeitig sei aber mit der Ermordung Rabins auch das Thema einer
gemeinsamen israelisch-arabisch multikulturellen Gesellschaft erledigt.
Die Verunsicherung der Israelis darüber, nicht einmal mehr in den
eigenen Reihen ein einigermaßen homogenes Identitätsmuster aufrechterhalten
zu können, sei so groß geworden, dass man sich eine noch weniger
enge Abgrenzung im Selbstverständnis erst recht nicht mehr vorstellen
könne. Im Hinblick auf einen zukünftigen Frieden sei es fraglich,
so Bar-On, ob das Holocaust-Narrativ tauglich sei, einen solchen
hinreichend zu tragen. Im Vergleich zum Mythos des zionistischen
Helden habe es aber jedenfalls zwei friedensfördernde Vorteile:
Für die palästinensische Seite sei die Verankerung des Konflikts
der beiden Völker in dieser Opfergeschichte des europäischen Judentums
wesentlich annehmbarer als die Vorstellung, selbst Opfer eines überlegenen
Helden geworden zu sein. Und auf israelischer Seite eröffne das
Eingedenken der eigenen Traumata und der bewusste Umgang mit ihnen
grundsätzlich auch die Möglichkeit, jene der PalästinenserInnen
anzuerkennen.
„Mauerbau ist ein Symbol für das Bedürfnis nach Selbstfindung“
„Mauerbau
wurde von der Bevölkerung geradezu erzwungen“
In Kontext der Identitätsproblematik der Israelischen Gesellschaft
beurteilt Bar-On im nachträglichen, per E-Mail geführten KORSO-Interview
auch den Bau der Mauer. Sie sei nicht im ursprünglichen ideologisch-politischen
Interesse Sharons gelegen, weil viele der israelischen Siedlungen
außerhalb dieser Mauer liegen und Sharon ja dadurch ein sichtbares
Zeichen des Verzichts auf das großisraelische Projekt gesetzt habe.
Der Mauerbau sei vielmehr eine notwendige Folge der Zerrissenheit
der jüdisch-israelischen Bevölkerung selbst. Die Gesellschaft habe
ein ungemein starkes Bedürfnis nach Selbstfindung, die im Mauerbau
ihren symbolhaften Ausdruck finde. Die Bevölkerung habe diese Maßnahme
von der Regierung geradezu erzwungen. Es habe daher auch keinen
Sinn sich politisch grundsätzlich gegen die Mauer zu positionieren.
Die allein sinnvolle Forderung sei deren Rücknahme auf das anerkannte
israelische Staatgebiet. Erst nach dem Abschluss der Herausbildung
einer neuen tragenden israelischen Identität werde es möglich sein,
auf die Palästinenser zuzugehen und eine gemeinsame Zukunft zu überlegen.
Den Tod Arafats sieht Bar-On als Herausforderung für die Regierung
Sharon. Dessen Dogma, Arafat sei das entscheidende Friedenshindernis,
sei ja nunmehr die faktische Basis entzogen.
Franz Sölkner
Dan Bar-Ons psychologischer Ansatz: Friedensfähigkeit und Identität
Ein gelungener Identitätsbildungsprozess, das Wissen darum, was
man selbst ist, ist Voraussetzung für das Zugehen auf den Anderen.
Gleichzeitig ist der oder das Andere ein notwendiger Katalysator
dieser Selbstvergewisserung. Die Auseinandersetzung mit dem anderen
und seine Akzeptanz ist also sowohl Ziel als auch Voraussetzung
einer entwickelten Friedensfähigkeit. In gewalttätigen Konflikten
kommt es aber zu schweren traumatischen Störungen dieses Vorganges.
Das Andere kann in der eigenen Psyche nicht mehr positiv integriert
werden, das Selbstbild wird durch Täter-Erfahrungen verzerrt und
durch Opfer-Erfahrungen gebrochen. Die Deutungen der gemeinsam erlebten
Geschichte verselbstständigen sich auf beiden Seiten und fördern
eine Weiterführung des Konflikts. Die bewusste Arbeit an der Wiederzusammenführung
der beiden aktuell unvermittelbaren „Narrative“ (Geschichtserzählungen)
stellt daher eine wichtige Voraussetzung für die Restabilisierung
des Ich und für einen Friedensprozess dar.
Dan Bar-On, 1938 in Haifa geboren, entstammt einer jüdisch-deutschen
Familie, die Anfang der 30er Jahre auf der Flucht vor den Nationalsozialisten
nach Israel ausgewandert ist. Professor für Psychologie an der Universität
Beer-Sheva; Mitbegründer und Co-Direktor des 1998 in Beit Jala gegründeten
Peace Research Institute of the Middle East / PRIME. Träger des
Bundesverdienstkreuzes der BRD (2001) und zahlreicher weiterer internationaler
Auszeichnungen.
Soeben erschienen: Erzähl Dein Leben. Mein Weg zur Dialogarbeit
und politischen Verständigung, Hamburg 2004
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