Auch die Akademie Graz hat sich dieses Themas angenommen – allerdings
in einer weitgehend ungewöhnlichen Weise, in dem sie einen Referenten
einlud, der seit Jahren als Autor und Publizist mit guten Argumenten
gegen die Prohibition, die Illegalisierung bestimmter Substanzen,
zu Felde zieht.
Abschied von der Illusion der drogenfreien Gesellschaft
Am 25. Oktober hielt der Hamburger Soziologe und Drogenexperte Günther
Amendt in Graz einen Vortrag unter dem Titel „Drogen im Zeitalter
der Globalisierung“ – also über politische und ökonomische Aspekte
globaler Drogenpolitik. Seine These: Die von den USA diktierte internationale
Drogenpolitik steht für eine der gravierendsten Fehlentwicklungen
des Globalisierungsprozesses. Diese Fehlentwicklung wäre korrigierbar,
eine „Lösung“ des Drogenproblems im Sinne einer Entschärfung ist
denkbar, wenn man sich von der Illusion einer drogenfreien Gesellschaft
verabschiedet und akzeptiert, dass Drogen Bestandteil der Wirklichkeit
sind. Ein Schlüssel zur ‚Lösung‘ des so genannten Drogenproblems
ist die Aufhebung der Prohibition und die Legalisierung von Drogen
unter „Aufsicht“ des Staates, der das Drogenmonopol übernimmt und
für eine defensive Vermarktung von psychoaktiven Substanzen sorgt.
Diese These ist nicht neu. Amendt selbst hat seit Mitte der 80er
Jahre dazu publiziert und auch andere haben das getan.
Prohibition produziert Schwarzmarkt
Während diejenigen Drogenfachleute aus Therapie und Sozialarbeit,
die eine Veränderung der Drogenpolitik fordern, sich mehr auf die
individuellen Schäden der Kriminalisierung und dem daraus entstehenden
Schwarzmarkt beziehen, geht Amendt darüber hinaus: „Diese Industrie
schafft mächtige kriminelle Organisationen, korrumpiert Regierungen
auf allen Ebenen, weicht die internationale Sicherheit auf, stimuliert
Gewalt und zerstört sowohl internationale Märkte als auch moralische
Werte. Dies sind nicht etwa die Konsequenzen des Drogenkonsums per
se, sondern einer jahrzehntelangen verfehlten und fruchtlosen Politik
des War on drugs.“ Indem die Prohibition vorgibt die Menschheit
vor den Folgen des Drogenkonsums zu schützen, produziert sie einen
globalen Schwarzmarkt, der gigantische Profite ermöglicht. Daraus
finanzieren sich Oligarchien in den Produzentenländern ihren Luxus,
Guerilleros, Terroristen und Banden ihre Waffen.
Der Preis: Delinquenz, soziale Desintegration und Verelendung
Dazu kommen die Kosten, die die Repression erfordert. Polizei, Justiz,
Militär und Geheimdienste kosten Geld. Ihre Einsätze in den Produzentenländern
zerstören die Umwelt, verwüsten das Land. Letztlich entstehen Kosten,
die die finanziellen Schäden des Drogenkonsums bei weitem übersteigen.
Schaden erleiden auch Recht und Moral: Sowohl der Drogenhandel als
auch dessen Bekämpfung führen zum Tod Unbeteiligter, zu Gewalt und
Verletzung der Menschenrechte.
Dieses Drama setzt sich in den Folgen für die Drogenkonsumenten
fort: schlechter Stoff und mangelnde Hygiene führen zu Krankheit
und Tod – nicht etwa durch die Droge selbst, sondern durch HIV und
Hepatitis. Die hohen Schwarzmarktpreise zwingen Abhängige zu Beschaffungskriminalität
und Prostitution. Konsequenzen sind Delinquenz, soziale Desintegration
und Verelendung, die wiederum die Chance auf Heilung deutlich verringern.
Dabei ist die Prohibition – auf Initiative der USA seit 1912 in
UN-Konventionen verankert kein absoluter Wert. Wenn die politischen
Ziele genehm sind, darf man die auch mit Drogengeldern erreichen.
Beispiele dafür gibt es in Kolumbien und vor allem Afghanistan.
Die wesentlichste Bedrohung geht nicht von den Drogen aus, sondern
von der Prohibition und ihren Konsequenzen. Soweit die sehr differenzierte
Analyse von Amendt – sehr gut belegt durch zahlreiche Beispiele
und Zitate.
Freigabe unter Aufsicht des Staates
Die Lösung liegt – so der einzig vernünftige Schluss – in der Legalisierung
bisher verbotener Substanzen. Voraussetzung dafür – und das scheint
mir auch die größte Hürde – ist, sich von der Illusion einer „drogenfreien
Gesellschaft“ zu verabschieden. Jeder, der sich mit diesem Thema
beschäftigt, weiß, dass diese ohnehin nicht existiert: Alkohol,
Nikotin und vor allem Medikamente führen ohnehin zu einer „schrankenlosen
Pharmakologisierung des Alltags“. Die Legalisierung würde dafür
und für die daraus resultierenden Problemen erst den Blick freimachen.
Plädiert leidenschaftlich für den Abschied von der Illusion
einer drogenfreien Gesellschaft:
Der Hamburger Drogen-Experte Günter Amendt
Allerdings denkt Amendt nicht daran, Cannabis, Kokain und Opiate
dem freien Markt zugänglich zu machen, sondern unterstellt diese
– in seinem Vorschlag – der strengen Aufsicht des Staates. Der logische
Weg zur Abschaffung der UN-Konventionen, welche die Prohibition
festschreiben, wäre die UN. Allerdings ist Amendt skeptisch: Sowohl
die USA – die mit der Drogenbekämpfung auch andere Ziele verfolgen
– wie auch Profiteure aus den Produzenten- und Händlerländern würden
dies zweifellos boykottieren. Die einzige Chance – und der Autor
ist auch hier durchaus skeptisch – liegt in einer revolutionären
Drogenpolitik der EU. Die Praxis: Cannabis, Kokain und Heroin in
höchster Qualität, aus Rohstoffen aus ökologischem Anbau, endgefertigt
von europäischen Pharmafirmen (die z.B. Heroin sowohl erfunden als
auch früher produziert hatten) werden in staatlichen Abgabestellen
in Kleinstmengen zu realistischen Preisen abgegeben. Bei Heroin
wäre dies etwa 5,-- pro Gramm (der derzeitige Schwarzmarktpreis
für Heroin ungleich schlechterer Qualität liegt zwischen 500,-
und 800,-). Diese „Drogerien“ bieten zugleich Hilfestellung und
Beratung für die Konsumenten.
Wenn Sie dürften, würden Sie dann Heroin nehmen?
Bestehende Ansätze der Substitutionstherapie und vor allem das Schweizer
Projekt zur Heroinabgabe, aber auch der liberale Umgang mit Cannabis
wie etwa in den Niederlanden werden hier konsequent weiterentwickelt.
Ja – und wie ist das mit der Sucht? fragte das Publikum. Werden
nicht diese Drogen unsere Gesellschaft überschwemmen und unzählige
ihrer Mitglieder in die Sklaverei der Abhängigkeit zwingen? Amendts
Antwort: „Wenn Sie morgen dürften – würden Sie alle loslaufen und
sich Heroin besorgen?“ Und: „Wenn wir über Sucht diskutieren wollen,
bleibt es uns nicht erspart, wesentliche Grundelemente unserer Gesellschaft
in Frage zu stellen“.
Offen bleibt die Frage, warum diese Thesen – die ja auch von anderen
namhaften Autoren immer wieder untermauert werden – nicht breit
in den verschiedensten Kreisen diskutiert werden, wenn ohnehin schon
so viel über Drogen gesprochen wird. Im Gegenteil – die Prohibition
in Frage zu stellen ist ein Tabu. Wer erinnert sich noch an den
Vorschlag von Soziallandesrat Kurt Flecker, das Cannabisverbot zu
überdenken, und an die Wogen der Entrüstung – auch in der eigenen
Partei – die ihm entgegenschlugen. Auch Amendt ist pessimistisch:
die Bereitschaft zur Diskussion auf politischer Seite ist geringer
geworden. Eher herrscht Zensur – der Vorschlag einer strafrechtlichen
Verfolgung von Aussagen, die der „Verharmlosung von Drogen“ dienen,
ist in Wahlkämpfen auch schon in Österreich laut geworden. Es geht
um Mythen, die Angst erzeugen, die ihrerseits – so Amendt – auch
politischen Profit bringt. Dem möchte er eines entgegen setzen:
„Die sanfte Gewalt der Vernunft“.
Manfred Geishofer
Der Autor des Beitrags ist Geschäftsführer des Vereins b.a.s. (betrifft:
abhängigkeit und sucht)
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