korso Global Corner
Das Informationsmagazin 
der Steiermark
 
10/2003
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„Jetzt werden unsere Positionen immerhin ernst genommen“ < Foto: Auf Besuch beim steirischen Klimabündnis: Orlando José de Oliveira und André Fernando von der Organisation der indigenen Völker des Alto Rio Negro in Brasilien

 

Seit zehn Jahren besteht die Klimabündnis-Partnerschaft zwischen rund 500 österreichischen Gemeinden und den indigenen Völkern am oberen Rio Negro in Nordwest-Brasilien. Zum Jubiläum lud Andrea Gössinger, Leiterin des Klimabündnisses in der Steiermark, zwei Vertreter der dortigen Indigena-Organisation FOIRN nach Graz ein. Für KORSO sprach Christian Stenner mit Orlando José de Oliveira, Präsident der FOIRN, und André Fernando, Vorsitzender des Beirates der Organisation, über die aktuelle Situation der eingeborenen Völker in Brasilien seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Ignacio „Lula“ da Silva von der sozialistisch orientierten Arbeiterpartei PT.

Bei meinem letzten Gespräch mit Indigena-Vertretern vor einem Jahr war klar zu erkennen, dass diese sich von einem PT-Präsidenten doch Einiges erwarten …

Oliveira: Um objektiv zu bleiben: Neun Monate Regierungszeit sind zu wenig für wesentliche Veränderungen, und die oligarchischen Strukturen im Land bestehen ja fort. Zudem hat die PT ja nur drei der insgesamt 24 Bundesstaaten in der Hand, und die bisherigen lokalen Machthaber sind weiterhin an der Macht. Die geplante Pensionsreform ist gelungen, zumindest konnten einige Privilegien abgeschafft werden, und die Steuerreform macht langsam Fortschritte. Was die Rechte der indigenen Völker betrifft, so ist bis jetzt allerdings wenig geschehen. Wir haben der Regierung aber Vorschläge für eine nachhaltige Regionalentwicklung vorgelegt, und Lula hat Vertreter von insgesamt 16 Ministerien geschickt, um sie mit uns zu diskutieren. Das heißt, dass unsere Positionen immerhin ernst genommen werden.

Seit langem sollen in Brasilien die indigenen Völker Autonomie innerhalb eigens ausgewiesener Gebiete erhalten, gibt es dabei Fortschritte?

Oliveira: In einem Bundesstaat ist dieser Prozess abgeschlossen, und das betroffene Gebiet müsste nun offiziell als Territorium der darin lebenden indigenen Völker anerkannt werden. Leider hat Lula vor diesem Schritt unter dem Druck der lokalen Großgrundbesitzer und Bergbauunternehmer zurückgeschreckt und mit diesen sogar einen Kuhhandel abgeschlossen, dass sie ihn im Gegenzug bei anderen Reformvorhaben unterstützen. Die längst fällige Neuanpassung des konstitutionellen Status der indigenen Bevölkerung wird zu einer wichtigen Probe für die neue Regierung werden: Immerhin hat sie bereits damit begonnen, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren, wo das neue Gesetz von den Betroffenen diskutiert werden kann. Ein wichtiger aktueller Punkt ist auch der Schutz des traditionellen indigenen Wissens vor der Verwertung durch internationale Konzerne: So ließ jüngst eine japanische Firma eine bestimmte Nutzpflanze patentieren, und die Regenwaldbewohner, die sie traditionell anbauen, müssen nun Lizenzgebühren an die Japaner zahlen.

Wie stehen die Indigenas angesichts dieser ambivalenten Erfahrungen zu Lula? Und: Sind Personen ihrer ethnischen Zugehörigkeit in dessen Regierung vertreten?

Oliveira: Wir wollen zumindest das zweite Jahr seiner Amtszeit abwarten; es gibt allerdings Indigena-Organisationen, die gegenüber der neuen Regierung mit massiven Forderungen auftreten. Fernando: Angesichts der Vielfalt an Volksgruppen in ganz Brasilien fällt es schwer, diese Frage global zu beantworten. Auch in Amazonien gibt es verschiedene Sichtweisen dazu; aber die überwiegende Mehrheit der indianischen Organisationen steht der Regierung Lula positiv gegenüber. Zur zweiten Frage: Nein, nicht einmal die Indianerbehörde FUNAI hat eine/n Indigena-LeiterIn bekommen, als kürzlich ein Wechsel an ihrer Spitze erfolgte. Aber wenigstens wird eine wichtige Abteilung innerhalb dieses Amts von einem Indigenen geführt.

Unter den Wahlversprechen Lulas war wohl das Null-Hunger-Programm am publicity-wirksamsten. Was hat dieses Programm im Allgemeinen und für die Indigenas im Besonderen gebracht?

Fernando: Das Programm kann bis jetzt positiv bilanziert werden, an manchen Orten gibt’s noch Schwierigkeiten mit der Umsetzung, die aber jetzt behoben werden. Im Rahmen dieser Aktion sind Mittel für die indigenen Organisationen zur Verfügung gestellt worden; daran ist besonders positiv, dass nicht nur Nahrungsmittelhilfe geleistet wird, sondern auch Initiativen wie Fischzucht oder Kunsthandwerk unterstützt werden, die von der ansässigen Bevölkerung entwickelt wurden und ihr ein Einkommen verschaffen können.

 

 

 

Cancún: Jubeln über das Scheitern nicht angebracht Die WTO-Runde in Cancún, die sich vor allem mit landwirtschaftlichen Fragen beschäftigt hat, ist gescheitert. Über die Gründe dafür und über mögliche Perspektiven, die sich daraus für die GegnerInnen der neoliberalen Form der Globalisierung ergeben, berichteten jüngst auf Einladung der Grünen Akademie die Politikwissenschafterin und Journalistin Corinna Milborn und die grüne Nationalratsabgeordnete und Bergbäuerin Heide Rest-Hinterseer, die beide in Cancún bei den Verhandlungen anwesend waren.

 

Während viele GlobalisierungsgegnerInnen das Scheitern der Verhandlungen als Erfolg der Länder des Südens begreifen, sind sich die beiden ExpertInnen da nicht so sicher: Heide Hinterseer vermutet, „dass die USA selbst nicht besonders an einem positiven Verhandlungsabschluss interessiert waren.“ US-Präsident Bush fürchtet, dass jedes Zugeständnis, jede auch nur partielle Rücknahme der exorbitanten Exportförderungen, deren sich die US-amerikanischen Großfarmer erfreuen dürfen, seine Wahlchancen bei den nächstjährigen Präsidentschaftswahlen weiter verringern würde.
Corinna Milborn: „Einige der ärmsten Länder der Welt – Tschad, Senegal, Benin und Burkina Faso – wollten Zugang zum Baumwollmarkt ohne Zollschranken – nicht einmal das war drin.“ Die US-amerikanischen Baumwollfarmer werden von ihrer Regierung mit 3 Mrd Dollar im Jahr unterstützt. Die hoch exportsubventionierte Konkurrenz aus dem Norden walzt die heimischen Erzeuger auf deren eigenen Nahrungsmittelmärkten platt: „70% der mexikanischen Maisbauern haben mit ihrer Produktion aufgehört oder stehen vor dem Aus, weil sie die geförderte amerikanische Konkurrenz locker unterbieten kann.“

Differenzierte Analyse des Scheiterns der jüngsten WTO-Runde: NAbg. Heide Rest-Hinterseer (li), Politikwissenschafterin Corinna Milborn (re), Moderatorin Ruth Bartussek (Mi)

Positiv-Auszeichnungen sind für die WTO Handelshemmnisse
Die anschließende Diskussion bot Gelegenheit zur Beantwortung einer Reihe brennender Fragen – etwa: Stimmt es, dass Positiv-Auszeichnungen von Agrarprodukten wie „Fair Trade“ oder „ohne Gentechnik hergestellt“ laut WTO verboten sind? Milborns Antwort: „Wenn ein Staat – und nicht eine NGO – ein „Fair-Trade-Gütezeichen“ einführen wollte, dann wäre dies illegal, weil es als Handelshemmnis gewertet würde.“ Und: „Sollte eine öffentliche Körperschaft, zum Beispiel eine Gemeinde, beschließen, dass sie einen bestimmten Prozentsatz ihres Kaffeebedarfs aus fair gehandeltem Kaffee decken will, dann ist das nicht WTO-konform.“ Stichwort Handelshemmnis: Die EU zahlt schon jetzt 190 Mio Dollar jährlich Strafgebühr, weil sie die von der WTO beinspruchte Importsperre für hormonverseuchtes amerikanisches Rindfleisch nicht aufhebt; diese Gebühren könnten wegen der von der Union beschlossenen Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel weiter ansteigen – denn auch diese gilt als Handelshemmnis. Und: Die USA könnten ihrerseits jederzeit von beliebigen in der EU ansässigen Firmen Strafzölle einheben – ein Grund, warum der Getränkehersteller Mateschitz nun ein Werk in der Schweiz errichtet.

WTO unter UNO-Mandat
Bedenken, dass die von den Ländern des Südens geforderte Abschaffung der Förderungen zu Dumping-Importen ohne Rücksicht auf ökologische und soziale Standards aus jenen Ländern in die industrialisierten Staaten führen werde, teilt Rest-Hinterseer nicht: Die Förderung ökologischer Maßnahmen im Agrarsektor stehe außer Streit, es gehe den Ländern des Südens – und auch hier müsse man zwischen den Interessen der Bevölkerung und jenen der Regierungen unterscheiden, „die kommen ja zumeist aus jenen Eliten, die vom Freihandel profitieren“ – im Wesentlichen nur um die Abschaffung der Exportförderungen, die ihre eigene Agrarerzeugung bedrohen. Aus diesem Grund sei auch der Jubelruf der NGOs über das Scheitern der Verhandlungen bei den Ländern des Südens nicht so gut angekommen, bilanziert Milborn: Bei diesen habe man gewisse Hoffnungen in eine Öffnung der Agrarmärkte gesetzt, allerdings teile man auch in ihren Reihen die Position, dass „kein Deal besser sei als ein schlechter.“ Das Negativ-Szenario, das nun zu erwarten sei, bestehe darin, dass die USA nunmehr auf bilaterale Verhandlungen mit einzelnen Ländern des Südens setzten, die leichter erpressbar seien. Für Rest-Hinterseer ist dies ein weiteres Argument dafür, dass die WTO unter die Oberhoheit der UNO zu stellen sei; „alle Liberalisierungsschritte, die bis jetzt gesetzt wurden, müssen dahingehend überprüft werden, welche Auswirkungen sie für die weitere Auseinanderentwicklung von armen und reichen Staaten hatten.“ – cs –