Sie bedauern den verbreiteten Mangel an Wissen
über die Lage des palästinensischen Volkes – worauf ist dieser Ihrer
Meinung nach zurückzuführen?
Die palästinensische und die israelische Wahrnehmung der Geschichte
ihrer Nationen schließen sich gegenseitig aus und blockieren damit
das gegenseitige Verständnis. In israelischen Geschichtsbüchern
steht nichts von der gewaltsamen Vertreibung der Palästinenser und
der Mythos wird weiter gepflogen, die Juden seien in ein Land ohne
Volk gekommen. Verschwiegen wird, dass bisher über 400 palästinensische
Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden und die Zahl der Opfer
auf palästinensischer Seite. International fehlt den Palästinensern
der Zugang zu den großen Medien, sodass die Berichterstattung selten
beide Seiten gleichermaßen berücksichtigt.
Seit dem Scheitern des Friedenprozesses haben
auf beiden Seiten die radikalen Kräfte Oberwasser. Wie stark sind
die demokratischen Kräfte innerhalb der palästinensischen Führung
und welche Entwicklungsmöglichkeiten für Demokratie gibt es?
Demokratische Entwicklung ist nur in einer Demokratie möglich, nicht
unter Umständen der Besatzung und der fortschreitenden Einschränkung
der Überlebensmöglichkeiten, die jetzige Entwicklung stärkt die
radikalen, autoritären Kräfte. Unter diesen Bedingungen kann Arbeit
für Frieden, Demokratie und Menschenrechte nicht stattfinden. Das
Demonstrationsrecht ist ein demokratisches Recht, und weil Israel
eine Demokratie für Israelis ist, können die Israelis auch für den
Frieden demonstrieren. Aber unter Besatzung kann Demokratie nicht
gedeihen, deshalb dürfen wir nicht demonstrieren, deshalb verlangen
Sie nicht von uns, dass wir uns verhalten, als wären wir in einem
normalen Staat. Das Zweite ist, wir können uns nicht frei bewegen,
unsere Bewegung beschränkt sich darauf, unsere Kranken zu versorgen,
unsere Kinder aus der Schule heil nach Hause zu bringen, unsere
Toten zu bestatten, unsere Priorität ist nicht zu demonstrieren.
Die Friedensgruppen in Israel haben mehr Zeit, sie haben mehr Möglichkeiten,
mehr Geld und vor allem, sie können ihre Aktionen der Weltöffentlichkeit
präsentieren. Wir haben diese Möglichkeiten und Unterstützungen
nicht.
Warum ist unter Barak der Friedensprozess nicht
besser voran gekommen?
So einfach war das auch nicht mit Barak. Barak hat nur viel geschickter
agiert, er ist der einzige, der zu seiner Zeit keinen Zentimeter
zurückgegangen ist vom besetzten Gebiet, er ist gekrönt worden als
der König der Siedlungen. Zu den Verhandlungen von Camp David: Man
wollte innerhalb von zehn Tagen einen Friedensvertrag erreichen,
der alle strittigen Fragen beinhaltete, auch die Jerusalem-Frage.
Clinton brauchte den Erfolg. Der Vertragsentwurf beinhaltete zwar
den Rückzug vom Gazastreifen, in der Westbank sollten allerdings
mehrheitlich die Siedlungen bleiben und entlang des Jordantales
eine Sicherheitszone von 12 bis 18 km Breite. Das System der Umgehungsstraßen
(die nur für Israelis benutzbar sind) sollte bleiben. Und vor allem
Jerusalem: Jerusalem umfasst heute ein Zehntel der Westbank, soviel
hat man herausgenommen aus dem Großplan für die besetzten Gebiete
und dann gesagt, vom verbleibenden Rest bekommt ihr 95%, d.h. wir
hätten nur 66% der besetzten Gebiete zugesprochen erhalten. Grundlage
der Verhandlungen war aber die Räumung aller besetzten Gebiete.
Aber es hätte dennoch unterschrieben werden können, denn es waren
auch gute Ergebnisse erzielt worden, z.B. in Bezug auf das Rückkehrrecht.
Arafat ließ zu Hause schon ein Fest vorbereiten, aber dann wurde
von Barak noch hinzugefügt, dass damit auf alle weiteren Ansprüche
verzichtet werden müsste, und das war unannehmbar.
Bei einer Razzia am 7. August in Beit Lahia im Gazastreifen fesselten
israelische Soldaten diesen Mann und
begruben ihn bis zur Brust.
Und Sharon?
In den letzten zwei Jahren hat Israel 600 Menschen verloren und
wir über 2000, und wir haben über 50.000 Behinderte und schwer Verletzte,
aber das zählt nicht für Sharon und seine Politik. Wichtig für ihn
ist ausschließlich mehr Land. Er möchte erreichen, dass aus den
66% nur mehr 41% werden und hat uns angeboten, das als Endlösung
zu akzeptieren. Das hieße, dass wir für immer unter der Herrschaft
der Israelis leben müssten, denn das wäre kein lebensfähiger Staat.
Und das sollten wir Frieden nennen!
Gibt es noch – zumindest innerhalb der Friedensbewegung
– die Option eines gemeinsamen Staates?
Das wäre das Schönste, wenn das möglich wäre, ein gemeinsamer Staat,
alle Menschen wären gleich, wir schauen nicht hin, ob jemand Jude
ist oder Christ oder Moslem. Aber es ist zu spät, und es widerspricht
auch dem zionistischen Projekt. Wichtig ist, dass wir diesen Wunsch
der Juden nach einem eigenen Staat respektieren, denn er entstand
aus den Verfolgungen in den vergangenen Jahrhunderten, aus dem Holocaust.
Wenn Menschen sich gefährdet fühlen, glauben sie, der Nationalstaat
schützt sie, das war auch in Europa so. Das Schönste wäre, wenn
wir keinen Nationalismus hätten, Tatsache ist, dass beide Seiten
voll Nationalismus sind. Deshalb: ich respektiere einen jüdischen
Staat in den Grenzen von 1967, aber ich kann nie akzeptieren, dass
Israel uns keinen lebensfähigen Staat zuerkennt. Die Palästinenser,
die in Israel leben und israelische Staatbürger sind, leben unter
einem Apartheidsystem, denn die Rechte werden verteilt entsprechend
der ethnischen Zugehörigkeit und der Religion, und das seit 54 Jahren.
Diese Politik wird gemacht, um die Menschen zu vertreiben. So kann
man nicht gemeinsam in einem Staat leben.
Was ist nötig, um einer friedlichen Lösung im
Nahen Osten Chancen zu eröffnen?
Europa trägt viel Verantwortung für die Misere, in der sich die
Israelis und wir Palästinenser uns heute befinden. Einen eigenen,
lebensfähigen Staat können wir nur erreichen, wenn Europa sich engagiert.
Und erst wenn wir einen eigenen Staat haben, können wir unsere Demokratie
entwickeln, Wahlen abhalten etc. Mein Verständnis von Frieden ist,
dass auch die Israelis, sollten sie sich einmal in einer schwachen
Situation befinden, vollen Schutz und Sicherheit haben. Mit militärischen
Mitteln kann nie Frieden kommen, er muss aus der Einsicht erwachsen,
das Frieden die einzige Möglichkeit ist. Israels Frieden muss ein
Frieden für Palästina sein, Palästinas Sicherheit ist auch Israels
Sicherheit.
Gertrud Muckenhuber
Sumaya Farhat-Naser ist Dozentin für Botanik
und Ökologie an der Universität Birseit, Mitbegründerin des palästinensisch-israelischen
Frauen-Friedensprojektes „Jerusalem Link“ und war von 1997 bis 2001
Leiterin des Jerusalem Center for Women. Sie ist Trägerin des Bruno-Kreisky-Menschenrechtspreises
und für den PEN-Preis vorgeschlagen. Farhat-Naser kam auf Einladung
der evangelischen Pfarrgemeinde Graz und des Renner-Instituts Anfang
September nach Graz. Bei einer Lesung aus ihrem neuesten Buch „Verwurzelt
im Land der Olivenbäume“ warb sie um Verständnis für das palästinensische
Volk und seine Leidensgeschichte und stellte die Initiative „Safe
Motherhood – Safe Childhood“ vor, ein Hilfsprojekt für palästinensische
Mütter und Kinder. Zusammen mit den „Frauen ohne Grenzen“ sammelt
sie Spenden für die Errichtung einer mobilen Entbindungs- und Notfallsstation
in der Region Birseit. Durch die Zerstörung der Infrastruktur und
die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der BewohnerInnen in den
von der israelischen Armee besetzten Gebieten ist die Realisierung
dieses Vorhabens eine Überlebensfrage für viele Betroffene.
Spenden werden erbeten auf das Konto der evangelischen Frauenarbeit,
Kto.Nr. 7277544, PSK, BLZ 60000, Kennwort „Hebammentaschen“
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Man muss zu Zeitungen und anderen Medien auch nett
sein, wenn sie hanebüchenen Unsinn verbreiten, empfehlen Medienberater.
Muss man aber gar nicht. Um das zu belegen, braucht man nur nach
Amerika zu blicken. Unter der Internet-Adresse www.boycottthepost.org
ruft eine Bürgerinitiative zum Abonnement-Boykott der „Washington
Post auf“, weil diese systematisch israelfeindlich und propalästinensisch
berichte. Diese Behauptung wird mit einer Vielzahl von Beispielen
tendenziöser, antiisraelischer Berichte eindrucksvoll untermauert.
Damit ginge diese „Kopfzeile“ vorzeitig und ohne
Pointe zu Ende, gäbe es nicht auch die Website www.boycotthepost.com.
Eine Initiative namens „Palestine Media Watch“ ruft unter dieser
Adresse zu einem Abonnement-Boykott, weil die „Post“ systematisch
palästinenserfeindliche, proisraelische Reportagen und Kolumnen
veröffentliche. Diese Kritik belegen die palästinensischen Medienbeobachter
durch zahlreiche Beispiele vor allem von Anti-Arafat-Berichten.
Wer hat nun Recht? Ohne Zweifel beide. Die „Washington Post“, die
sich übrigens einen Ombudsmann leistet, der die Berichterstattung
des eigenen Blattes zwar nicht wirklich wertfrei, aber doch immerhin
regelmäßig und öffentlich reflektiert, gibt „Fehler und Verkürzungen“
auch unumwunden zu. Die Fehler würden aber beide Seiten betreffen
und über einen längeren Zeitraum gesehen müsse man von einer durchaus
fairen und ausgewogenen Berichterstattung sprechen, argumentiert
Ombudsmann Michael Getler. Fazit: Zeitungen – auch renommierte –
lügen täglich, aber im Durchschnitt stimmt es dann wieder. Wenn
wir schon bei renommierten Zeitungen und Irrtümern sind: Der Österreichkorrespondent
für’s Chronikale der Neuen Zürcher Zeitung, Charles Ritterband,
ging vor einigen Wochen mit der Grazer „Bürgerwehr“ (die Anführungszeichen
stammen aus der NZZ) auf Patrouille. Und ganz nebenbei bestätigt
er das mittlerweile gerichtsnotorische Erkenntnis, dass diese Gruppe
nicht – wie Kritiker behaupteten – sich einer missbräuchlichen Verwendung
des steirischen Wappentiers schuldig gemacht haben: „Auf dem dreieckigen
Stoffabzeichen ist ein Fabeltier, eine Art feuerspeiender Drache,
mit fürchterlichen Klauen abgebildet …“, schildert Herr Ritterband.
Wer es nicht weiß: Auf dem steirischen Landeswappen ist laut Wappengesetz
ein Panther abgebildet.
P.S. Aus gegebenem Anlass ersuche ich nicht
diese Kolumne, aber „KORSO“ betreffende Reklamationen nicht an mich,
sondern an die im Impressum aufgeführte Chefredaktion zu richten.
Ich bin hier nur ein Gastkolumnist. Zweckdienliche Hinweise diese
Kolumne betreffend richten Sie bitte an kopfzeile@conclusio.at
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