Sozialistisches „Oui“, sozialistisches „Non“
Während eine knappe Mehrheit der Mitglieder der französischen
Sozialdemokratie bei einer parteiinternen Abstimmung für die
Annahme des europäischen Verfassungsentwurfes votierte –
Généreux: „Sie wollten bloß
ihre Parteiführung nicht desavouieren, die unablässig
für das Ja getrommelt hatte“ – stimmte die Wählerschaft
der Partei beim Referendum am 29. Mai mit deutlicher Mehrheit dagegen.
Die Linie des „Oui Socialiste“ (des „sozialistischen
Ja“) zur Verfassung wurde aber auch von einigen Mitgliedern
der Parteiführung nicht mitgetragen, unter ihnen die Nummer
zwei der Partei, der ehemalige Premierminister Laurent Fabius,
und der ehemalige Parlamentspräsident Henri Emmanuelli.
Es war keine Diskussion pro oder contra Europa
Die Debatte um den Entwurf habe der Anhängerschaft der Sozialistischen
Partei ebenso wie der gesamten Linken klar gemacht, dass die vorgeschlagene
Verfassung den sozialen und demokratischen Forderungen, die im SP-Wahlprogramm
für die Europawahlen enthalten waren, Hohn spreche. „Während
die Anhänger des Nein eine Diskussion um den Text des Verfassungsentwurfes
geführt haben, glaubten die Befürworter auf der Linken
und der Rechten, es handele sich um eine Diskussion zwischen Pro-
und Anti-Europäern, und führten eine apolitische Debatte
gegen das Nein.“ Dies habe zu besonderem Unmut geführt,
vor allem da die Argumente entsprechend flach gewesen seien –
Präsident Chirac hatte erklärt, wer gegen die Verfassung
stimme, „begehe eine riesige Dummheit“, und der ehemalige
sozialdemokratische Kulturminister Jacques Lang habe für den
Fall einer Niederlage des „Ja“ das Verschwinden des
Euro prognostiziert … Bei der Abstimmung habe ein linkes,
pro-europäisches Nein der Franzosen gesiegt, die „mehr,
nämlich ein sozialeres, Europa wollten“ als das neoliberale,
das der Verfassungsentwurf vorschlug.
(v.l.)
Jacques Généreux, Christian Stenner (KORSO), Johann
Schögler (steir. Friedensplattform, Übersetzer)
„Eine sozialistische Regierung würde
den Verfassungsvertrag neu verhandeln“
Am Rande der Veranstaltung führte Christian Stenner
mit Jacques Généreux das folgende Gespräch.
In der europäischen Öffentlichkeit wird das französische
Nein zum Entwurf der EU-Verfassung als Ergebnis einer europafeindlichen
Haltung gesehen – in Frankreich selbst scheint man da anderer
Meinung zu sein.
Maximal 15% der Nein-Wähler stimmten aus nationalistischen
Motiven gegen den Entwurf. Erinnern wir uns: Die Umfragen sahen
das Nein schon zu einem Zeitpunkt vorn, bevor Le Pen seine Position
klar gemacht hatte. Das französische Nein ist in seiner überwältigenden
Mehrheit ein linkes Nein, mehr noch, ein sozialistisches Nein. Die
Mehrheit der Wählerschaft des Parti Socialiste stimmte dagegen
– nicht aus Europafeindlichkeit, sondern weil sie zu Recht
der Ansicht war, dass Europa mit dieser Verfassung einen zu wirtschaftsliberalen
Weg einschlägt. 80% der Arbeiter und 70% der Angestellten haben
dagegen gestimmt, dafür hingegen das höhere Management
und generell die Wohlhabenden. Die Jugendlichen – und das
ist besonders bemerkenswert – haben sich in ihrer Mehrheit
ebenfalls gegen den Verfassungsvertrag ausgesprochen.
Die französischen Sozialdemokraten waren in der Frage
der europäischen Verfassung gespalten – welche Konsequenzen
wird die Partei nun ziehen?
Die Konsequenzen für die SP können nur sehr positiv
oder aber völlig katastrophal sein – das wird ganz von
den Ergebnissen des Parteitags abhängen, der im November stattfindet.
Wenn die jetzige Führung die Macht behalten will ohne ihre
Linie zu ändern, dann wird die Partei in eine Katastrophe schlittern:
Die Franzosen werden bei den Präsidentschaftswahlen keinen
sozialistischen Kandidaten wählen, der für das Ja eingetreten
ist. Wenn ein solcher Kandidat präsentiert wird, dann droht
eine Wiederholung der Situation vom 21. April 2002, als Lionel Jospin
nicht einmal in die Stichwahl kam – und eine Regierung Sarkozy
mit verschärftem Sozialabbau. Wenn es hingegen dem Nein-Flügel
gelingt, seine Linie durchzusetzen, wird die SP zweifellos die Präsidentschaftswahl
gewinnen. Das wäre dann auch ein wichtiger Schritt hin zu einer
Neuverhandlung des Verfassungsvertrages mit dem Ziel eines sozialeren
Europas.
Österreichs SP-Chef Alfred Gusenbauer hat den Vorschlag
gemacht, den Verfassungsentwurf nun auf die institutionellen Fragen
zu reduzieren.
Das ist ein Teil dessen, was man nun tun muss; ich habe diesen
Vorschlag auch in meinem gerade erschienenen Buch über den
Hintergrund und die Konsequenzen des französischen Nein gemacht.
Über die institutionellen Neuerungen, die Grundrechte und die
allgemeinen Regeln zur Entscheidungsfindung im erweiterten Europa
herrscht ja nun einigermaßen Einigkeit zwischen den Regierungen.
Dieser Teil kann also beibehalten werden; aber: Die Franzosen würden
nie akzeptieren, Ja zu einem Vertrag zu sagen, den sie schon einmal
abgelehnt haben und aus dem nur ein paar Teile herausgenommen wurden.
Man wird also um eine neue Diskussion vor allem der Wirtschaftspolitik
und der sozialen Fragen nicht herumkommen.
Eine sozialistische Regierung in Frankreich würde mehr legislative
Rechte für das europäische Parlament vorschlagen –
bis hin zum Recht, Steuern festzulegen, um dem Steuerdumping ein
Ende zu setzen. In den Zielen der EZB müsste die Beschäftigung
gleichrangig neben der Währungsstabilität vorkommen, und
statt neoliberaler Auswüchse wie der Bolkestein-Richtlinie
müsste bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen die
Einhaltung der sozial- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Ziellandes
festgelegt werden.
Und schließlich sollte der neue Verfassungsentwurf zumindest
eine Erklärung darüber enthalten, dass sich die Regierungen
der Problematik des Steuer- und Sozialdumpings innerhalb der Union
bewusst sind und sich dagegen engagieren werden.
|