Roma in Graz – „Arbeit statt Betteln“!
Auf den Straßen von Graz wird gebettelt. In der Innenstadt
verteilt hocken Roma, die nahezu alle aus dem ostslowakischen Dorf
Hostice stammen – oft nehmen sie nur 10 Euro am Tag ein. „Mit
großer Mühe gelang uns im Juli 1999 die Entwicklung des
Roma-Projektes ,Arbeit statt Betteln‘“, erzählt
Armenpfarrer Wolfgang Pucher, Geschäftsführer der Vinzenzgemeinschaft
Eggenberg, „es gelang uns dadurch 40 Bettler von der Straße
wegzuholen! Ein Rom erhält 22 Euro Lohn für acht Stunden
Arbeit auf Friedhöfen und in Pfarren – damit ist es gelungen,
für die Kinder in ihrer Heimat eine Verbesserung der schwierigen
Lebenssituation herbeizuführen.“ Denn die wirtschaftliche
Lage in den Romasiedlungen in der Slowakei ist denkbar schlecht.
Die Arbeitslosenrate in Hostice beläuft sich auf ca. 95% –
die Kürzungen der Sozialhilfe im Frühjahr letzten Jahres
um 50% haben unter der Bevölkerung große Panik und Hungerrevolten
ausgelöst. Die politischen Maßnahmen verfolgten das Ziel,
die über 400.000 arbeitslosen Roma zum Arbeiten zu motivieren.
Arme kriegen keine Bildung ...
„Ein Hohn! Denn es gibt keine Arbeit. Schon gar nicht für
Roma“, empört sich Roma-Vertreterin Marija Olahova,
Leiterin des Romanski Klub Spolu in Detva, Mittelslowakei.“
Die aufstrebende Automobilindustrie in den Ballungszentren vergibt
keine Arbeitsplätze an schlecht ausgebildete Roma, die sich
nicht einmal die Fahrt zu einem Arbeitsplatz leisten könnten,
geschweige denn eine Ausbildung über die Grenzen der Grundschule
hinaus.“ Olahova kämpft in Form von kontinuierlicher
Aufklärung gegen die fortschreitende Ignoranz der slowakischen
Regierung gegenüber ihren als „Roma“ deklarierten
StaatsbürgerInnen. Die Diskriminierung beginnt bereits mit
dem Schuleintritt von Romakindern, welche aufgrund fehlender Vorschulkenntnisse
und der mangelhaften Schulbildung ihrer Eltern vor wenigen Jahren
noch automatisch als „Sonderschüler“ eingestuft
wurden. „Das ist heute verboten“, berichtet Olahova,
trotzdem hinken auch überdurchschnittlich begabte und sehr
intelligente Romakinder in ihrer Ausbildung den slowakischen MitschülerInnen
weit nach, denn: sowohl „das Schulmaterial als auch die Schulfahrt
sind für eine Romafamilie, die im Durchschnitt mit 37 Euro
pro Kopf im Monat auskommen muss, unerschwinglich.“ Olahova
kritisiert weiters, dass auch die wenigen Stiftungen, welche ausschließlich
zur schulischen Förderung für mittellose Romakinder gegründet
wurden, bereits den Sparmaßnahmen zum Opfer fielen.
Überfüllte Notschlafstelle
„Das VinziNest, die Notschlafstelle für AusländerInnen
in der Kernstockgasse in Graz, hat eine Kapazität von maximal
60 Personen“, so Gustl Eisner, Leiter des
VinziNest. „Diesen Winter war der Andrang auf die Notschlafstelle
fast drei Mal so hoch wie sonst. Die Menschen schliefen teils auf
dem Boden, teils im Sitzen und jene die keinen Platz mehr hatten,
gingen die ganze Nacht in den Räumlichkeiten umher, nur um
nicht im Freien unter der Brücke schlafen zu müssen.“
Pfarrer Pucher bat die Stadt Graz um Hilfe.
EU-Projekt für Hostice
In Hostice: VP-Klubobmann Peter Piffl-Percevic, Stadträtin
Tatjana Kaltenbeck, Pfarrer Wolfgang Pucher.
Von 7. bis 9. April 2005 fand eine Politikerreise nach Hostice statt,
an der u. a. Stadträtin Tatjana Kaltenbeck-Michl,
GR Hofrat Dr. Peter Piffl-Percevic und Mag. Gert
Haubenhofer aus dem Büro Bürgermeister Nagls
unter der Leitung von Pfarrer Wolfgang Pucher teilnahmen. Gemeinsam
wurde die Idee eines EU-Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekts
in Hostice entwickelt, das langfristig Hilfe zur Selbsthilfe fördern
soll. Die mitreisenden Vertreter der Stadt Graz zeigten beachtliches
Interesse, mit Hostice eine Art Städte-Partnerschaft einzugehen,
aber: „Das Betteln in Graz muss dadurch reduziert werden können“,
so Piffl-Percevic. „Diese entwicklungspolitische Zusammenarbeit
muss unbedingt Modellcharakter haben.“
Nachhaltige Existenzsicherung
„Die Situation in Hostice hat uns die konkreten Auswirkungen
gezeigt, die Arbeitslosigkeit und Perspektivenlosigkeit bei den
Roma erzeugt: Armut, Passivität und Elend. Es ist lobenswert
und in Ordnung die Armut mittels Geld- und Sachspenden kurzfristig
zu mildern – aber es ist keine dauerhafte Lösung“,
befindet Mag. Eva-Maria Gosch, Projektmanagerin
bei der ÖSB Consulting, während des Lokalaugenscheins.
„Erst eine Existenzsicherung, die mit einer „Hilfe zur
Selbsthilfe“ verbunden ist, kann die Ausweglosigkeit dieser
Situation beenden. Nur ein Projekt, das die Kultur, den gesellschaftlichen
Hintergrund und die Geschichte der Roma, aber auch die örtlichen
Gegebenheiten in Hostice berücksichtigt, kann sinnvoll sein.
Pfarrer Wolfgang Pucher
als „Hoffnungsbringer“ umringt von Roma-Mädchen
aus Detva
Pucher und Eisner: erste Ehrenbürger Hostices!
Die Reise nach Hostice hat zum Handeln veranlasst: Stadträtin
Tatjana Kaltenbeck-Michl überreichte am 8. April (Welt-Roma-Tag),
unter dem Motto „Von Mensch zu Mensch – von Stadt zu
Stadt“ Ondrej Berki, einst Bettler in Graz, heute Bürgermeister
von Hostice, einen Scheck in der Höhe von 1.000 Euro mit den
Worten: „Die Bettler in Graz mahnen uns mitten im Wohlstand,
dass dieser nicht selbstverständlich ist und sie erinnern uns
an die Pflicht dem Nächsten zu helfen!“ Im Rahmen der
vielen Feierlichkeiten für die Gäste aus Graz wurde Pfarrer
Pucher und auch Gustl Eisner, der seine langjährige Leitung
im VinziNest ehrenamtlich ausübt, die Ehrenbürgerschaft
von Hostice verliehen.
Unsichtbar: die Schwarze Stadt
Die Einblicke in die „Schwarze Stadt“ sind ebenso
trist wie die Ausblicke der Ghetto-Bewohner in Richtung Zukunft.
Den Reiseabschluss am 9. 4. 05 „krönte“ der schockierende
Besuch in der „Schwarzen Stadt“ nahe Rimavska Sobota.
Im Gegensatz zu Hostice, das durch die Roma-Bettler nicht nur entdeckt,
sondern auch beachtet und akzeptiert wurde und sich in Folge aus
seiner „Unsichtbarkeit“ befreien konnte, steht der gewaltige
Ghetto-Block, die „Schwarze Stadt“ genannt, vollkommen
sich selbst überlassen am Stadtrand. Ein winziger Einkaufsladen
und eine Grundschule sind die einzigen öffentlichen Einrichtungen.
An den Plattenbausiedlungen mit kleinen, zum Bersten gefüllten
Wohnungen laufen die EU-Maßnahmen zur Verbesserung der Situation
dieser Roma vorbei, da jegliche „Pro-Zigeuner-Maßnahmen“
nur den wenigen Roma und Sinti in den Ballungszentren zugute kommen,
aber die an die Stadtränder Gedrängten weiterhin ignorieren.
Die „Schwarze Stadt“ hat normalerweise nie Besuch. Nur
mit großer Mühe konnte eine slowakische Regierungsbeauftragte
des „Roma-Vereins für Frauen“ gefunden werden,
welche die Reisegruppe durch die „Schwarze Stadt“ begleitete.
Von den Problemen berichtete sie: „Oft wird das Wasser abgedreht,
weil die Leute einfach zahlungsunfähig sind. Von der niedrigen
Sozialhilfe ist es schwierig zu überleben. In allen Roma-Siedlungen
treiben Wucherer ihr Unwesen – die Zahlungsunfähigkeit
der Roma und damit ihre akute Notsituation wird gekonnt durch leicht
vergebene Kredite ausgenützt.“ Die Zukunftsperspektive:
Die Betroffenen geraten unausweichlich in Schuldenfallen und das
Ergebnis sind Delogierungen. Obdachlosigkeit bei Roma ist „ganz
normal“ und wird seitens der EU auch völlig ignoriert.
– Claudia Windisch –
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Menschenrechte lassen den Grazer Juristen Mag. Klaus Kapuy
seit einiger Zeit nicht mehr los. Bis zum Herbst 2004 war er am
ETC Graz, dem European Training and Research Centre for Human Rights
and Democracy als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig, danach
arbeitete er drei Monate lang in einem internationalen Zeugenschutzprogramm
in Guatemala mit. In Guatemala hat sich mehr als acht Jahre nach
Unterzeichnung der Friedensverträge die Situation der Menschen(rechte)
wieder massiv verschlechtert. Das folgende Interview führte
Dr. Michael Schaller, ein Kenner der politischen
Situation in Guatemala.
Wie kommt man dazu, als Menschenrechtsbeobachter nach Guatemala
zu gehen?
Ich war eineinhalb Jahre am ETC beschäftigt und bin mit den
Menschenrechten großteils theoretisch in Kontakt gekommen.
Ich wollte diese theoretische Arbeit für mich legitimieren
und den praktischen Teil der Menschenrechtsarbeit kennen lernen.
Durch Zufall bin ich auf das Zeugenschutzbegleitprogramm der Guatemala-Solidarität
Österreich gestoßen und habe mich entschlossen, ab September
2004 in diesem Projekt mitzuarbeiten.
Wie sieht die konkrete Arbeit aus?
Ich habe drei Monate im Hochland in Nebaj in der Region El Quiche
gearbeitet. Zu zweit betreuten wir 22 Zeugen in acht Dörfern,
die wir im Abstand von zwei Wochen besuchten. Unsere Aufgabe war
es, die Menschenrechtssituation in Nebaj zu beobachten und zu dokumentieren.
Wir haben uns auf Zeugen und ihre Familien konzentriert und sie
beispielsweise bei offiziellen Wegen oder bei der Vernehmung durch
die Staatsanwaltschaft begleitet.
Wozu werden internationale Zeugenbegleiter benötigt?
Guatemala hat begonnen, die Verbrechen aus der Zeit des Bürgerkrieges
aufzuarbeiten. Derzeit wird gegen zwei Regierungen aus der Zeit
der Militärdiktatur ermittelt, und zwar gegen die Regierung
Lucas Garcia und gegen die Regierung Rios Montt. In beiden Fällen
sind mit den genannten Personen auch die Chefs des Generalstabes
sowie die Verteidigungsminister angeklagt. Insgesamt wurde gegen
acht Personen die Anklage aufgrund der Tatbestände Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und - als schwerwiegendstes
- Genozid, also Völkermord erhoben. Die Staatsanwaltschaft
ermittelt seit drei bis vier Jahren in diesen Verfahren und arbeitet
in diesem Strafprozess mit über 100 Zeugen aus ganz Guatemala,
die zum Teil eingeschüchtert oder mit dem Tod bedroht wurden.
Wie gefährlich ist der Einsatz für internationale
Zeugenbegleiter?
Es ist schwer, eine allgemeine Einschätzung abzugeben, weil
die Gefahr von vielen Faktoren abhängt: vom Einsatzzeitpunkt,
aber auch von der Region, in der man eingesetzt wird. Ich habe mich
im Hochland sicher gefühlt, habe aber aufgrund des organisierten
Verbrechens und der Straßenkriminalität, die sehr stark
angestiegen sind, Situationen der Angst erlebt. Im Projekt habe
ich keine gefährlichen Momente erlebt, es gab aber einige Kollegen,
die Morddrohungen erhalten haben.
Wie erlebt man als Jurist das Rechtssystem in Guatemala?
Ich habe während meines Sprachkurses bei einer Juristenfamilie
gewohnt und durch das Lesen von Gesetzestexten einen Einblick in
das Rechtssystem bekommen. Die Gesetzesbücher an sich haben
einen hohen Standard. Probleme gibt es aber bei der Umsetzung in
die Praxis: das größte Problem ist sicherlich die Korruption.
Ein zweites großes Problem ist das ungenügende Personal
der Staatsanwaltschaft. Das heißt, es gibt zu wenig Personal,
es ist schlecht ausgebildet und korrupt. Es fehlen auch die technischen
Möglichkeiten, um gewisse Verbrechen aufzuklären und die
Ermittlungen voran zu treiben, oft fehlt der politische Wille. Natürlich
gibt es auch korrupte Richter, aber mir wurde erzählt, dass
die Richter oft keine andere Möglichkeit haben, als Kriminelle
frei zu sprechen, weil die Staatsanwalt nicht ausreichend ermittelt
hat.
Wie erlebt man als Europäer die Menschenrechtssituation?
Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich mit derart massiven Menschenrechtsverletzungen
auf mehreren Ebenen konfrontiert. Die Menschenrechtsverletzungen
fangen bei einer korrupten Regierung und einem korrumpierten System
an und setzen sich bis auf Gemeindeebene fort, wo Beamte offen sind
für Bestechungsgelder. Ein zweites Problem ist die Gewalt:
die Kriminalitätsrate ist sehr hoch und viele Menschen tragen
durch den 36 Jahre langen Bürgerkrieg eine gewisse Gewaltbereitschaft
in sich. Es gibt Mängel im Umweltbereich: in vielen Regionen
gibt es weder Müll- noch Abwasserentsorgung und die Grundversorgung
der Bevölkerung mit Nahrung und mit Wasser kann nicht garantiert
werden. Das sind nur einige Beispiele und man könnte sehr lange
ausführen, wo und wie die Menschenrechte verletzt werden.
Wie stellt man sich als Europäer auf ein Land wie Guatemala
ein?
Für mich waren die Lebensbedingungen schockierend. Ich habe
mich auf die Arbeit und auf die psychische Belastung vorbereitet
- es war dann glücklicherweise nicht so gefährlich, wie
ich mir das gedacht habe. Ich habe mich aber nicht so sehr auf die
Armut vorbereitet, mit der ich konfrontiert wurde und die in den
ersten Wochen sicherlich mein größtes Problem darstellte.
Ich habe zwar gewusst, dass es in manchen Dörfern keinen Strom,
kein fließendes Wasser gibt. Was es aber dann wirklich bedeutet,
ohne Strom und ohne Wasser zu leben, merkt man erst vor Ort. Die
Menschen sind bitterarm, sie leben in Hütten auf dem Erdboden.
Wie war für Sie die Rückkehr in eines der reichsten
Länder der Welt?
Durch einen kurzen Zwischenstop in Mexiko war es ein schrittweises
Zurückkehren nach Österreich. Ich musste mich um einen
Job und um die Sozialversicherung kümmern, das hat dazu geführt,
dass ich sehr schnell wieder „hinein“ gekommen bin.
Für mich hat sich durch den Aufenthalt in Guatemala einiges
verändert und irgendetwas fehlt mir. Ich kann es nicht in Worte
fassen, aber das Leben hier ist für mich anders geworden. Ich
habe beschlossen, wieder ins Ausland zu gehen, um im Bereich der
Menschenrechte tätig zu werden.
Links:
Guatemala Solidarität Österreich (www.guatemala.at)
European Training and Research Centre for Human Rights and Democracy
(www.etc-graz.at)
Amnesty International (www.amnesty.org/)
Human Rights Watch (www.hrw.org)
UN High Commission on Human Rights (www.unhchr.org)
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