korso Global Corner
Das Informationsmagazin 
der Steiermark
 
05/2005
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    Im Abseits: Roma in der Slowakei Trotz EU-Bürgerschaft leben die slowakischen Roma unvorstellbar weit unter den Durchschnittsstandards der übrigen Europäer. Trotz ihrer Anzahl von einer halben Mio. Menschen stellen sie einen weitgehend „unsichtbaren“ Bevölkerungsteil in Slums abseits der übrigen Bevölkerung dar. Um ihre akute Lebenssituation aufzuzeigen und somit den Grund, weshalb Roma nach Graz betteln kommen, lud Pfarrer Wolfgang Pucher im April 05 zur „Politikerreise nach Hostice“. KORSO-Mitarbeiterin Claudia Windisch war mit dabei.


Roma in Graz – „Arbeit statt Betteln“!
Auf den Straßen von Graz wird gebettelt. In der Innenstadt verteilt hocken Roma, die nahezu alle aus dem ostslowakischen Dorf Hostice stammen – oft nehmen sie nur 10 Euro am Tag ein. „Mit großer Mühe gelang uns im Juli 1999 die Entwicklung des Roma-Projektes ,Arbeit statt Betteln‘“, erzählt Armenpfarrer Wolfgang Pucher, Geschäftsführer der Vinzenzgemeinschaft Eggenberg, „es gelang uns dadurch 40 Bettler von der Straße wegzuholen! Ein Rom erhält 22 Euro Lohn für acht Stunden Arbeit auf Friedhöfen und in Pfarren – damit ist es gelungen, für die Kinder in ihrer Heimat eine Verbesserung der schwierigen Lebenssituation herbeizuführen.“ Denn die wirtschaftliche Lage in den Romasiedlungen in der Slowakei ist denkbar schlecht. Die Arbeitslosenrate in Hostice beläuft sich auf ca. 95% – die Kürzungen der Sozialhilfe im Frühjahr letzten Jahres um 50% haben unter der Bevölkerung große Panik und Hungerrevolten ausgelöst. Die politischen Maßnahmen verfolgten das Ziel, die über 400.000 arbeitslosen Roma zum Arbeiten zu motivieren.

Arme kriegen keine Bildung ...
„Ein Hohn! Denn es gibt keine Arbeit. Schon gar nicht für Roma“, empört sich Roma-Vertreterin Marija Olahova, Leiterin des Romanski Klub Spolu in Detva, Mittelslowakei.“ Die aufstrebende Automobilindustrie in den Ballungszentren vergibt keine Arbeitsplätze an schlecht ausgebildete Roma, die sich nicht einmal die Fahrt zu einem Arbeitsplatz leisten könnten, geschweige denn eine Ausbildung über die Grenzen der Grundschule hinaus.“ Olahova kämpft in Form von kontinuierlicher Aufklärung gegen die fortschreitende Ignoranz der slowakischen Regierung gegenüber ihren als „Roma“ deklarierten StaatsbürgerInnen. Die Diskriminierung beginnt bereits mit dem Schuleintritt von Romakindern, welche aufgrund fehlender Vorschulkenntnisse und der mangelhaften Schulbildung ihrer Eltern vor wenigen Jahren noch automatisch als „Sonderschüler“ eingestuft wurden. „Das ist heute verboten“, berichtet Olahova, trotzdem hinken auch überdurchschnittlich begabte und sehr intelligente Romakinder in ihrer Ausbildung den slowakischen MitschülerInnen weit nach, denn: sowohl „das Schulmaterial als auch die Schulfahrt sind für eine Romafamilie, die im Durchschnitt mit 37 Euro pro Kopf im Monat auskommen muss, unerschwinglich.“ Olahova kritisiert weiters, dass auch die wenigen Stiftungen, welche ausschließlich zur schulischen Förderung für mittellose Romakinder gegründet wurden, bereits den Sparmaßnahmen zum Opfer fielen.

Überfüllte Notschlafstelle
„Das VinziNest, die Notschlafstelle für AusländerInnen in der Kernstockgasse in Graz, hat eine Kapazität von maximal 60 Personen“, so Gustl Eisner, Leiter des VinziNest. „Diesen Winter war der Andrang auf die Notschlafstelle fast drei Mal so hoch wie sonst. Die Menschen schliefen teils auf dem Boden, teils im Sitzen und jene die keinen Platz mehr hatten, gingen die ganze Nacht in den Räumlichkeiten umher, nur um nicht im Freien unter der Brücke schlafen zu müssen.“ Pfarrer Pucher bat die Stadt Graz um Hilfe.

EU-Projekt für Hostice In Hostice: VP-Klubobmann Peter Piffl-Percevic, Stadträtin Tatjana Kaltenbeck, Pfarrer Wolfgang Pucher.
Von 7. bis 9. April 2005 fand eine Politikerreise nach Hostice statt, an der u. a. Stadträtin Tatjana Kaltenbeck-Michl, GR Hofrat Dr. Peter Piffl-Percevic und Mag. Gert Haubenhofer aus dem Büro Bürgermeister Nagls unter der Leitung von Pfarrer Wolfgang Pucher teilnahmen. Gemeinsam wurde die Idee eines EU-Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekts in Hostice entwickelt, das langfristig Hilfe zur Selbsthilfe fördern soll. Die mitreisenden Vertreter der Stadt Graz zeigten beachtliches Interesse, mit Hostice eine Art Städte-Partnerschaft einzugehen, aber: „Das Betteln in Graz muss dadurch reduziert werden können“, so Piffl-Percevic. „Diese entwicklungspolitische Zusammenarbeit muss unbedingt Modellcharakter haben.“

Nachhaltige Existenzsicherung
„Die Situation in Hostice hat uns die konkreten Auswirkungen gezeigt, die Arbeitslosigkeit und Perspektivenlosigkeit bei den Roma erzeugt: Armut, Passivität und Elend. Es ist lobenswert und in Ordnung die Armut mittels Geld- und Sachspenden kurzfristig zu mildern – aber es ist keine dauerhafte Lösung“, befindet Mag. Eva-Maria Gosch, Projektmanagerin bei der ÖSB Consulting, während des Lokalaugenscheins. „Erst eine Existenzsicherung, die mit einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ verbunden ist, kann die Ausweglosigkeit dieser Situation beenden. Nur ein Projekt, das die Kultur, den gesellschaftlichen Hintergrund und die Geschichte der Roma, aber auch die örtlichen Gegebenheiten in Hostice berücksichtigt, kann sinnvoll sein.

Pfarrer Wolfgang Pucher als „Hoffnungsbringer“ umringt von Roma-Mädchen aus Detva

Pucher und Eisner: erste Ehrenbürger Hostices!
Die Reise nach Hostice hat zum Handeln veranlasst: Stadträtin Tatjana Kaltenbeck-Michl überreichte am 8. April (Welt-Roma-Tag), unter dem Motto „Von Mensch zu Mensch – von Stadt zu Stadt“ Ondrej Berki, einst Bettler in Graz, heute Bürgermeister von Hostice, einen Scheck in der Höhe von 1.000 Euro mit den Worten: „Die Bettler in Graz mahnen uns mitten im Wohlstand, dass dieser nicht selbstverständlich ist und sie erinnern uns an die Pflicht dem Nächsten zu helfen!“ Im Rahmen der vielen Feierlichkeiten für die Gäste aus Graz wurde Pfarrer Pucher und auch Gustl Eisner, der seine langjährige Leitung im VinziNest ehrenamtlich ausübt, die Ehrenbürgerschaft von Hostice verliehen.

Unsichtbar: die Schwarze Stadt Die Einblicke in die „Schwarze Stadt“ sind ebenso trist wie die Ausblicke der Ghetto-Bewohner in Richtung Zukunft.
Den Reiseabschluss am 9. 4. 05 „krönte“ der schockierende Besuch in der „Schwarzen Stadt“ nahe Rimavska Sobota. Im Gegensatz zu Hostice, das durch die Roma-Bettler nicht nur entdeckt, sondern auch beachtet und akzeptiert wurde und sich in Folge aus seiner „Unsichtbarkeit“ befreien konnte, steht der gewaltige Ghetto-Block, die „Schwarze Stadt“ genannt, vollkommen sich selbst überlassen am Stadtrand. Ein winziger Einkaufsladen und eine Grundschule sind die einzigen öffentlichen Einrichtungen. An den Plattenbausiedlungen mit kleinen, zum Bersten gefüllten Wohnungen laufen die EU-Maßnahmen zur Verbesserung der Situation dieser Roma vorbei, da jegliche „Pro-Zigeuner-Maßnahmen“ nur den wenigen Roma und Sinti in den Ballungszentren zugute kommen, aber die an die Stadtränder Gedrängten weiterhin ignorieren. Die „Schwarze Stadt“ hat normalerweise nie Besuch. Nur mit großer Mühe konnte eine slowakische Regierungsbeauftragte des „Roma-Vereins für Frauen“ gefunden werden, welche die Reisegruppe durch die „Schwarze Stadt“ begleitete. Von den Problemen berichtete sie: „Oft wird das Wasser abgedreht, weil die Leute einfach zahlungsunfähig sind. Von der niedrigen Sozialhilfe ist es schwierig zu überleben. In allen Roma-Siedlungen treiben Wucherer ihr Unwesen – die Zahlungsunfähigkeit der Roma und damit ihre akute Notsituation wird gekonnt durch leicht vergebene Kredite ausgenützt.“ Die Zukunftsperspektive: Die Betroffenen geraten unausweichlich in Schuldenfallen und das Ergebnis sind Delogierungen. Obdachlosigkeit bei Roma ist „ganz normal“ und wird seitens der EU auch völlig ignoriert.

– Claudia Windisch –

 

 

„Ich war auf die Armut der Menschen nicht vorbereitet!“
< Klaus Kapuy: „Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich mit derart massiven Menschenrechtsverletzungen konfrontiert“


Menschenrechte lassen den Grazer Juristen Mag. Klaus Kapuy seit einiger Zeit nicht mehr los. Bis zum Herbst 2004 war er am ETC Graz, dem European Training and Research Centre for Human Rights and Democracy als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig, danach arbeitete er drei Monate lang in einem internationalen Zeugenschutzprogramm in Guatemala mit. In Guatemala hat sich mehr als acht Jahre nach Unterzeichnung der Friedensverträge die Situation der Menschen(rechte) wieder massiv verschlechtert. Das folgende Interview führte Dr. Michael Schaller, ein Kenner der politischen Situation in Guatemala.

Wie kommt man dazu, als Menschenrechtsbeobachter nach Guatemala zu gehen?

Ich war eineinhalb Jahre am ETC beschäftigt und bin mit den Menschenrechten großteils theoretisch in Kontakt gekommen. Ich wollte diese theoretische Arbeit für mich legitimieren und den praktischen Teil der Menschenrechtsarbeit kennen lernen. Durch Zufall bin ich auf das Zeugenschutzbegleitprogramm der Guatemala-Solidarität Österreich gestoßen und habe mich entschlossen, ab September 2004 in diesem Projekt mitzuarbeiten.

Wie sieht die konkrete Arbeit aus?

Ich habe drei Monate im Hochland in Nebaj in der Region El Quiche gearbeitet. Zu zweit betreuten wir 22 Zeugen in acht Dörfern, die wir im Abstand von zwei Wochen besuchten. Unsere Aufgabe war es, die Menschenrechtssituation in Nebaj zu beobachten und zu dokumentieren. Wir haben uns auf Zeugen und ihre Familien konzentriert und sie beispielsweise bei offiziellen Wegen oder bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft begleitet.

Wozu werden internationale Zeugenbegleiter benötigt?

Guatemala hat begonnen, die Verbrechen aus der Zeit des Bürgerkrieges aufzuarbeiten. Derzeit wird gegen zwei Regierungen aus der Zeit der Militärdiktatur ermittelt, und zwar gegen die Regierung Lucas Garcia und gegen die Regierung Rios Montt. In beiden Fällen sind mit den genannten Personen auch die Chefs des Generalstabes sowie die Verteidigungsminister angeklagt. Insgesamt wurde gegen acht Personen die Anklage aufgrund der Tatbestände Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und - als schwerwiegendstes - Genozid, also Völkermord erhoben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit drei bis vier Jahren in diesen Verfahren und arbeitet in diesem Strafprozess mit über 100 Zeugen aus ganz Guatemala, die zum Teil eingeschüchtert oder mit dem Tod bedroht wurden.

Wie gefährlich ist der Einsatz für internationale Zeugenbegleiter?

Es ist schwer, eine allgemeine Einschätzung abzugeben, weil die Gefahr von vielen Faktoren abhängt: vom Einsatzzeitpunkt, aber auch von der Region, in der man eingesetzt wird. Ich habe mich im Hochland sicher gefühlt, habe aber aufgrund des organisierten Verbrechens und der Straßenkriminalität, die sehr stark angestiegen sind, Situationen der Angst erlebt. Im Projekt habe ich keine gefährlichen Momente erlebt, es gab aber einige Kollegen, die Morddrohungen erhalten haben.

Wie erlebt man als Jurist das Rechtssystem in Guatemala?

Ich habe während meines Sprachkurses bei einer Juristenfamilie gewohnt und durch das Lesen von Gesetzestexten einen Einblick in das Rechtssystem bekommen. Die Gesetzesbücher an sich haben einen hohen Standard. Probleme gibt es aber bei der Umsetzung in die Praxis: das größte Problem ist sicherlich die Korruption. Ein zweites großes Problem ist das ungenügende Personal der Staatsanwaltschaft. Das heißt, es gibt zu wenig Personal, es ist schlecht ausgebildet und korrupt. Es fehlen auch die technischen Möglichkeiten, um gewisse Verbrechen aufzuklären und die Ermittlungen voran zu treiben, oft fehlt der politische Wille. Natürlich gibt es auch korrupte Richter, aber mir wurde erzählt, dass die Richter oft keine andere Möglichkeit haben, als Kriminelle frei zu sprechen, weil die Staatsanwalt nicht ausreichend ermittelt hat.

Wie erlebt man als Europäer die Menschenrechtssituation?

Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich mit derart massiven Menschenrechtsverletzungen auf mehreren Ebenen konfrontiert. Die Menschenrechtsverletzungen fangen bei einer korrupten Regierung und einem korrumpierten System an und setzen sich bis auf Gemeindeebene fort, wo Beamte offen sind für Bestechungsgelder. Ein zweites Problem ist die Gewalt: die Kriminalitätsrate ist sehr hoch und viele Menschen tragen durch den 36 Jahre langen Bürgerkrieg eine gewisse Gewaltbereitschaft in sich. Es gibt Mängel im Umweltbereich: in vielen Regionen gibt es weder Müll- noch Abwasserentsorgung und die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrung und mit Wasser kann nicht garantiert werden. Das sind nur einige Beispiele und man könnte sehr lange ausführen, wo und wie die Menschenrechte verletzt werden.

Wie stellt man sich als Europäer auf ein Land wie Guatemala ein?

Für mich waren die Lebensbedingungen schockierend. Ich habe mich auf die Arbeit und auf die psychische Belastung vorbereitet - es war dann glücklicherweise nicht so gefährlich, wie ich mir das gedacht habe. Ich habe mich aber nicht so sehr auf die Armut vorbereitet, mit der ich konfrontiert wurde und die in den ersten Wochen sicherlich mein größtes Problem darstellte. Ich habe zwar gewusst, dass es in manchen Dörfern keinen Strom, kein fließendes Wasser gibt. Was es aber dann wirklich bedeutet, ohne Strom und ohne Wasser zu leben, merkt man erst vor Ort. Die Menschen sind bitterarm, sie leben in Hütten auf dem Erdboden.

Wie war für Sie die Rückkehr in eines der reichsten Länder der Welt?

Durch einen kurzen Zwischenstop in Mexiko war es ein schrittweises Zurückkehren nach Österreich. Ich musste mich um einen Job und um die Sozialversicherung kümmern, das hat dazu geführt, dass ich sehr schnell wieder „hinein“ gekommen bin. Für mich hat sich durch den Aufenthalt in Guatemala einiges verändert und irgendetwas fehlt mir. Ich kann es nicht in Worte fassen, aber das Leben hier ist für mich anders geworden. Ich habe beschlossen, wieder ins Ausland zu gehen, um im Bereich der Menschenrechte tätig zu werden.

Links:
Guatemala Solidarität Österreich (www.guatemala.at)
European Training and Research Centre for Human Rights and Democracy (www.etc-graz.at)
Amnesty International (www.amnesty.org/)
Human Rights Watch (www.hrw.org)
UN High Commission on Human Rights (www.unhchr.org)