Am Weg zum ersten Fahrziel, dem Roma-Getto in Detva, stößt Erik
Palus, slowakischer Dolmetschstudent aus Bratislava, zu uns.
Er klärt uns über die sozialen Hintergründe der „Unruhen“ auf: „Inoffiziellen
Schätzungen zufolge leben ca. 500.000 Roma auf slowakischem Boden,
mindestens 90% davon sind arbeitslos. Die Sozialhilfe, welche schon
bisher kaum zum Leben reichte, wurde mit 1. März 2004 um 50% gekürzt
– das hat die Menschen zum Plündern getrieben.“
Einer von 1000 hat Arbeit
In Detva angekommen, treffen wir auf Marisá Oláhová, Leiterin
des hiesigen „Romski Club Spolu“. Wir betreten eines der desolaten
Gettowohnhäuser und versuchen angesichts des schockierenden „Innenlebens“
des Gebäudes die Fassung zu bewahren – es ist kalt, das Tageslicht
findet kaum „Eintritt“ in die dunklen Gänge, Kunstlicht ist Luxus.
Das winzige Büro von Marisá ist das einzige ansehnliche Zimmer in
dem abbruchreifen Wohnhaus. Sie erzählt: „Als erste Reaktion auf
die Sozialhilfekürzungen gab es vorerst Sitzstreiks vor den Gemeindeämtern,
mit der Forderung: Wir wollen keine Sozialhilfe, wir wollen Arbeit!“
Sozialminister Kanik konterte mit dem Argument, dass es genug Arbeit
für jene gebe, die arbeitswillig seien. Nur leider hatte er zuvor
vergessen, die Arbeitsplätze zu schaffen!“ In vielen Dörfern wie
Hostice, aus welchem die hiesigen Grazer Bettler „einpendeln“, liegt
die Arbeitslosenrate bei 100%, von den 1000 im Getto von Detva lebenden
Roma hat ein einziger Arbeit als Schuster.
Hunger und Schulden
Pro Person werden monatlich nunmehr knapp 36 Euro Sozialhilfe ausbezahlt
– eine Familie muss einen ganzen Monat mit rund 100 Euro auskommen.
Not macht nicht nur erfinderisch, sondern bringt Menschen manchmal
in dramatische Ausnahmesituationen. So ist es kein Wunder, dass
Roma in der Ostslowakei Geschäfte plündern, um ihre Kinder nicht
verhungern zu lassen. Verschärfend kommt dazu, dass die Roma als
wenig gebildete Menschen immer wieder Wucherern auf den Leim gehen,
die ihnen Kredite einreden, erzählt Oláhová. „Die meisten Roma sind
schwer verschuldet und wissen keinen Ausweg mehr, das Geld zurückzuzahlen.
Auch deswegen haben die Sozialhilfekürzungen Panik ausgelöst.“
Zwangsassimilierung als „Lösung“
Verfolgt und ausgegrenzt wurden die Roma seit jeher. Mit der Befreiung
vom Faschismus war zwar die unmittelbare Lebensgefahr gebannt, die
Gesellschaft zeigte aber weiterhin ihre Verachtung gegenüber den
„Zigeunern“: Ab der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1948
wurden sie zur Arbeit gezwungen, um ihre so genannte „Rückständigkeit“
zu überwinden. Zehn Jahre später wurden im Zentralkomitee der KP
Beschlüsse zur Lösung der „Roma-Frage“ gefasst, die de facto einer
Zwangsassimilierung gleichkamen und in welchen die Roma nicht als
Minderheit, sondern als „kulturell und sozial rückständige Bevölkerung“
tituliert wurden. Erst 1991 wurden die Roma anderen Minderheiten
wie den Ungarn gleichgestellt. Dennoch sind rassistische Gewalttaten
an der Tagesordnung, berichtet Oláhová. Verkommene Sozialbauten,
Gettos ohne Strom, Wasser und Müllabfuhr, künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit
zunehmende „Hungerrevolten“ und minimale bis keine finanzielle Unterstützung,
eine dreimal so hohe Kindersterblichkeit wie bei der Durchschnittsbevölkerung
und Mangelernährung: Das ist die Lebensrealität der neuen EU-BürgerInnen.
Ein Minimum an kulturellem Leben
Die Abhängigkeit von der staatlichen Fürsorge hat viele der Roma
ihrer Identität entfremdet. Oláhová hat zehn Jahre lang nach dem
eigenen Kulturerbe geforscht und einen beachtlichen Schatz an Romaliedern-,
tänzen und -geschichten gesammelt, welchen sie im Rahmen ihrer Arbeit
mit der Romajugend weitergibt. Die Romajugend im Getto tanzt – sie
hat sogar extra für uns getanzt, ein „special for the guests“; wir
waren beeindruckt. Auch einige Kilometer weiter, in Hostice, versuchen
Unentwegte trotz der tristen materiellen Situation ein Minimum an
kulturellem Leben aufrecht zu erhalten: Teresá Tschanková,
die rechte Hand des Romabürgermeisters Ondrej Berki, führt
uns zum „Vorzeigekulturzentrum“. „In diesem Raum tanzen die Romafrauen
zu Cindy Crawford“, lächelt Tschanková und zeigt uns den Mini-Fitnessraum,
„wir bieten auch Sportaktivitäten für 15- bis 20-jährige Burschen
an, haben eine Kindertanzgruppe und gestalten regelmäßig Bastelnachmittage
gemeinsam mit interessierten Müttern.“
Lieber arbeiten als betteln
„Betteln ist noch immer besser als Plündern“, betont Berki, der
einst selbst in Graz um Almosen gebeten hat. Jetzt gibt es eine
weitere „Alternative“: „Für 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit im
Monat wird ein Aktivierungszuschuss von 37 Euro ausbezahlt. Schon
260 Leute im Dorf haben sich dafür gemeldet. Weil die Anwesenheit
bei diesen Gemeindearbeiten streng kontrolliert wird, werden wohl
weniger Roma nach Graz zum Betteln fahren.“ Ich bin einigermaßen
überrascht, weil ich von Bettlern erfahren habe, dass ein Tag Betteln
in Graz 25 bis 35 Euro einbringt – den gleichen Betrag, der in Hostice
mit 40 Stunden Arbeit monatlich „verdient“ werden kann.
„Wir wollen arbeiten, wir sind des Bettelns schon so überdrüssig“,
lautet die Erklärung eines der Betroffenen. Seine Familie, so wie
hier alle, ist in „Grazer Mode“ eingekleidet. Jeder Schuh, jedes
Kinderkleid, jedes Spielzeug ist eine Spende. Die Stoffkatze, die
früher der achtjährigen Mariella gehört hat, hält nun der kleine
Isidór im Arm, nur: Sie nascht zuhause gerade an ihrem Vanillepudding,
Isidórs Magen bleibt leer.
„Hilfe zur Selbsthilfe ist die einzige langfristige Lösung“, meint
Agnes Truger, Projektreferentin vom Welthaus in Graz. Konkrete,
nachhaltige Projekte zur Verbesserung der Situation der slowakischen
Roma sind bis jetzt allerdings nicht in Sicht: Das Interesse der
Europäischen Union an ihren neuen BürgerInnen in den ostslowakischen
Elendsvierteln hält sich in engen Grenzen.
Claudia Windisch
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Aber je professioneller und organisierter die Gestaltung der Freizeit
wird, desto weiter weg rücken die wertvollen Einflüsse des „Reisens“
auf die persönliche Entwicklung. Themenparks, große Hotelanlagen
und Freizeitwelten sowie Billigflüge bieten abwechslungsreiche und
schnell verfügbare, aber dennoch sterile Zeitvertreibe. Diese erfüllen
immer perfekter die Erwartungen der BesucherInnen, lösen aber dadurch
eigentlich ein Gefühl der Leere aus. Dieses kann dann nur durch
immer schnellere, gewaltigere und billigere Angebote gefüllt werden.
Reisen ist aber im Gegensatz zum „Urlaub machen“ immer ein Lernprozess.
Ein Prozess des sich Aussetzens und Auslieferns. Eine „gute“ Reise
verläuft kaum perfekt geplant. Gerade die ungeplanten, kleinen Dinge
und die Begegnungen mit anderen Menschen, Weltanschauungen und Kulturen
machen ihren wahren Wert aus.
DI Christian Hlade, Reiseveranstalter in Graz >
Das zentrale Thema dabei ist, das man sich selbst – abseits der
gewohnten Umgebung – plötzlich als Fremder/e erlebt. Man kann plötzlich
auch ein wenig nachvollziehen, wie es Fremden bei uns in Österreich
geht. Ein anderer wichtiger Teil ist der Blick auf die eigene Welt
von „außen“. Durch das Erleben weltweiter Zusammenhänge beim Reisen
bekommen die kleinen Dinge in der näheren Umgebung oft einen anderen
Stellenwert.
Beim „richtigen“ Reisen muß man selber auch immer unbedingt einen
„Einsatz“ leisten. Richtiges Reisen bedeutet Ungewissheit. Viele
eingefahrene Anschauungen geraten ins Wanken und neue Gedanken können
entstehen.
Diesen Prozess des Reisens soll man natürlich auch bei sich zu
Hause praktizieren. Die „Reise im Leben“ hat etwas mit Offenheit
und Aufmerksamkeit zu tun. Mit Wachsamkeit und Neugier. Das gelingt
natürlich im Alltag nicht immer. Am besten wirkt dann wieder eine
Ortsveränderung: Leichter ist es den Geist zu bewegen, wenn man
seinen Körper bewegt.
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