korso Global Corner
Das Informationsmagazin 
der Steiermark
 
02/2005
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    World Social Forum 2005: Viele laute Stimmen für eine andere Welt


Ein Meer von Gesichtern: Anberaumt war das diesjährige World Social Forum für die Tage vom 26. bis 31. Jänner. Den Auftakt bildete eine Demonstration durch die Stadt, an der laut den OrganisatorInnen 200.000 Menschen aus 135 Ländern teilnahmen. Es gibt wohl niemanden, der sich von einer solchen Menge, die die Straßen von Porto Alegre füllte, unbeeindruckt zeigen kann, und nicht wenige stellten sich wahrscheinlich die Frage, wie es denn sein kann, dass wir noch immer in einer Welt der Armut, des Krieges und der Ausbeutung leben, wo doch so viele in Opposition zu diesen Verhältnissen stehen …

Soziale Bewegungen, Globalisierungskritiker, „Promis“ wie Venezuelas Präsident Chavez … die ganze Breite der Hoffnungsträger für eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg traf sich in Porto Alegre

Zahlenmäßig dominiert wurde die Demonstration dem Ort entsprechend von Gruppen aus Lateinamerika, und hier im Besonderen von solchen aus Brasilien. Letztere setzten mit ihren Sprechchören und ihren Transparenten ein Thema auf die Agenda, das in den darauf folgenden Tagen immer wieder – in teils lautstarken Auseinandersetzungen – zur Diskussion stand: Die Reformpolitik des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Er war der viel umjubelte Star der vergangenen Jahre, seine Partido dos Trabalhadores (PT; „Arbeiterpartei“) und ihre partizipatorische Verwaltung in Porto Alegre, der Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul, hatten die globalen sozialen Bewegungen überhaupt erst hierher gebracht. Aber die Zeiten haben sich geändert. Stadt und Staat haben mittlerweile eine konservative Verwaltung, Lulas PT scheint sich dem Druck des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation zu beugen und die mit Hoffnung erwarteten Reformen beschränken sich auf Aktionen wie „Zero Fame!” (Kein Hunger!). Viele sehen darin jedoch nur eine populistische Antwort auf den Druck, der seitens der Basis der PT entsteht, und auf den Druck, den die WählerInnen ausüben, von denen sich immer mehr enttäuscht von Lula abwenden. Ein weiteres sehr präsentes Thema in den Straßen von Porto Alegre war der Protest gegen den Krieg im Irak und die US-amerikanische Außenpolitik insgesamt. Nicht selten solidarisierte man sich dabei jedoch völlig vorbehaltlos mit dem irakischen Widerstand, ohne danach zu fragen, von welchen Kräften dieser zumindest zum Teil getragen wird.

Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen
Nach diesem „Warm Up“ am ersten Tag begannen die Diskussionen, Workshops und Vorträge. Allein im offiziellen Programm waren unglaubliche 2.000 Veranstaltungen angekündigt, die in elf thematische Felder aufgeteilt waren. Diese elf Bereiche spannten den Bogen von „Frieden und Demilitarisierung“ über „Kunst und Kultur des Widerstands“ bis zu „Sozialen Kämpfen und demokratische Alternativen“. Daneben gab es noch unzählige Veranstaltungen und Aktionen, die außerhalb des offiziellen Programms vonstatten gingen. Dabei wurde auch deutlich, dass die Kritik, die im Vorfeld an den OrganisatorInnen geübt wurde, nämlich dass Entscheidungen im WSF intransparent seien und sich hier neue Hierarchien bilden, sicherlich berechtigt ist, aber in der Realität ins Leere läuft, weil sich vor Ort eine Dynamik entwickelt, die jede inhaltliche Kontrolle und Beeinflussung von oben unmöglich macht. Statt dessen öffnet sich ein Raum, in dem sich bestehende Kontakte und Netzwerke festigen und neue entstehen können. In den inhaltlichen Veranstaltungen wurde allerdings überaus deutlich, dass die Unterschiede in den Bewegungen größer nicht sein könnten, da sich die Beiträge in der Breite von Kampagnen wie dem „Global Call to Action Against Poverty”, die doch eher als nette Bitte an die Staatschefs daherkommt, sie mögen die Armut in den Griff bekommen, bis hin zu Gruppen wie den Arbeitslosenbewegungen aus Argentinien bewegte, die sich auf ihre Projekte der Autonomie konzentrieren und den Glauben, staatliche Institutionen wären ein Teil der Lösung, nach Jahren der Militärdiktatur und der neoliberalen Regierungen unter Menem längst aufgegeben haben. Sehr umtriebig unterstützt wurden sie in darin auch von John Holloway, einem neomarxistischen Theoretiker, der mit seiner Aufforderung und dem gleichnamigen Buch „Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen“ immer wieder für Begeisterung sorgte. Diese Tage der Auseinandersetzung waren auch insofern notwendig, als viele Themen reflektierter behandelt werden konnten. So wurde beispielsweise der plumpe Anti-Amerikanismus der Eröffnungsdemo von Gruppen aus Afrika konterkariert: Für sie stellt die expansive Außenpolitik der Europäischen Union das Hauptproblem dar, und sie haben vielmehr darunter zu leiden, dass es europäische Konzerne sind, welche die Privatisierungspolitik am afrikanischen Kontinent vorantreiben.

„Ole, ole Chavez“
Ganz ohne Stars konnte das WSF aber auch dieses Jahr nicht auskommen. Lula hatte sich zu sehr diskreditiert, dafür war ein anderes Staatsoberhaupt gekommen: Hugo Chavez, Präsident der Bolivarianischen Republik Venezuela, war zum für ihn „wichtigsten politischen Ereignis des Jahres“ angereist und lud in das bis auf den letzten Platz gefüllte Gigantinho-Stadion. Die Menge musste lange auf „ihren“ Präsidenten warten, doch die aus dem Fußballstadion bekannte Welle und Gesänge wie „Ole, ole, Chavez” sorgten für Kurzweil. Ignacio Ramonet, Herausgeber der „Le Monde diplomatique“ und Mitbegründer der globalisierungskritischen Bewegung von Attac, bediente die Menge mit einer überschwänglichen Lobesrede auf seinen guten Freund, den Präsidenten, und der Aufzählung von sechs Gründen, warum dieser einen Politiker neuen Typs verkörpere. Chavez, der unter tobendem Applaus die Bühne betrat, bewies in der Folge, dass er eine überaus charismatische Persönlichkeit ist, der die ZuhörerInnen durch seinen Witz und seine Beschwörungen eines starken und unabhängigen Lateinamerikas begeistern konnte. Aber trotz seiner schauspielerischen Qualitäten und vieler inhaltlich treffender Aussagen wurde man das Gefühl nicht los, dass Porto Alegre eigentlich der Ort sein sollte, wo man sich eher mit dem „bolivarianischen Prozess“ und den sozialen Bewegungen in Venezuela beschäftigen als sich Hoffnungen in neue Führerfiguren hingeben sollte. In Porto Alegre wurden schließlich auch wichtige Entscheidungen über die Zukunft des WSF getroffen. Im kommenden Jahr soll es nicht an einem Ort stattfinden, sondern dezentral auf allen Kontinenten. 2007 wird das WSF schließlich in Afrika stattfinden.

– Leo Kühberger –
Mag. Leo Kühberger ist Historiker und besuchte für KORSO und „Radio Helsinki 92,6 MHZ” das World Social Forum in Porto Alegre.

www.forumsocialmundial.org.br/

 

 

Eine Stimme für jene, die sonst nicht gehört werden. Nach einer einjährigen Unterbrechung, in der das „World Social Forum“ (WSF) in Mumbai/Indien abgehalten wurde, kehrte es 2005 wieder dorthin zurück, wo alles vor mittlerweile fünf Jahren begonnen hatte, in den Süden Brasiliens, nach Porto Alegre. Damals beim ersten Forum im Jahr 2001, das mit 25.000 TeilnehmerInnnen noch in einem viel kleineren Rahmen stattfand, hätten wohl die wenigsten erwartet, welche Dimensionen die Sozialforen annehmen würden, die sich mittlerweile über den gesamten Globus ausgebreitet haben; neben dem weltweiten Treffen sind unzählige regionale und lokale Initiativen und Treffen entstanden. Eine andere Welt, die in den Köpfen und im Leben der Beteiligten jedoch sehr unterschiedlich aussehen kann, aber sich auf alle Fälle von jener Welt unterscheidet, die sich die selbst ernannten „global leaders“ beim zeitgleich stattfindenden „World Economic Forum“ (WEF) in Davos vorstellen. Das WEF versinnbildlichte für viele die neue Weltordnung am besten und eindringlichsten, weil hier versucht wird VertreterInnen aus Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft an einen Ort zu bekommen, um deren Politik aufeinander abzustimmen und Entscheidungen, die dann anderswo umgesetzt werden, vorzubereiten. Porto Alegre sollte wiederum jene versammeln, die von dieser Politik betroffen sind und dagegen kämpfen; jene, die üblicherweise nicht gehört werden, wollten sich durch das Forum eine Stimme verschaffen.

 

 

  „Wir befinden uns bloß in einer Phase zwischen zwei Schritten nach vorne” Am Rande des Weltsozialforums in Porto Alegre sprach Leo Kühberger mit Michael Hardt. Hardt ist Professor für Literaturwissenschaft an der Duke University (North Carolina) und verfasste gemeinsam mit dem Politologen Toni Negri unter anderem die international breit rezipierten und viel umstrittenen Werke „Empire – Die neue Weltodnung” und „Multitude – Krieg und Demokratie im Empire”. Beide Titel erschienen im Campus Verlag.


Sie waren schon 2002 und 2003 beim World Social Forum. Wie hat es sich in Ihren Augen in den letzten Jahren verändert?

Es gibt zwei Dinge, die dieses Jahr anders sind, und beide halte ich für positiv. Das eine ist, dass man sich dieses Jahr weniger auf die prominenten RednerInnen konzentriert, weil es in Porto Alegre sehr oft der Fall war, dass es die ganz großen prominent besetzten Veranstaltungen gab und niemand ging zu den kleinen Workshops. Das zweite ist die Tatsache, dass man thematische Bereiche organisiert hat wie jenen über „soziale Kämpfe“. Dadurch ist die Chance viel höher mit anderen Leuten zusammenzukommen, die in ähnlichen Bereichen arbeiten.

In Ihrem und Negris jüngstem Buch „Multitude“*) wird behauptet, dass die Frage nicht darin besteht, was die Multitude ist, sondern was die Multitude werden kann. Wie ist da Ihr Eindruck vor Ort? Man sieht einerseits viele neue Bewegungen und neue Formen der Politik, aber genauso gibt es sehr vieles an traditioneller Organisierung, so wie zum Beispiel hier viele Parteien vertreten sind.

Ja, und dann gibt es noch viele Parteien, die sich als Bewegungen verkleiden! Ich denke, dass man in Porto Alegre, bei den regionalen Sozialforen und auch in den Bewegungen selbst eine Idee davon bekommen kann, was die Multitude werden könnte. Aber es wäre wiederum falsch, und das meine ich durchaus auch selbstkritisch, dem zu viel Gewicht zu geben, denn wenn wir uns darum bemühen globale Alternativen zu schaffen, dann passiert das in einem viel größeren Umfang. Da geht es dann um die Praxis des Alltags und nicht nur um diese kleinen Gruppen aus der ganzen Welt, die hier zusammen kommen. Für Toni Negri und mich ist es sehr wichtig den Schwerpunkt auf die Arbeit zu legen, darauf, was die Menschen in ihrem Arbeitsalltag tun und wie die neue Qualität der Arbeit und die neuen Fähigkeiten, die in der Arbeit geschaffen werden, diese neuen Verbindungen, diese neuen Formen der politischen Subjektivität und der Organisierung erst möglich machen.

Beim Lesen von „Multitude“ hatte ich den Eindruck, dass es unter dem Eindruck des Protestes gegen den G-8-Gipfel in Genua oder der Revolte in Argentinien im Jahr 2001 geschrieben wurde. Nach Genua ging es aber mit den Bewegungen wieder bergab …

Wir befinden uns jetzt in einer anderen Situation.

Aber in welcher Situation befinden wir uns jetzt?

Jetzt? We are fucked! Aber gehen wir noch mal zurück. Das eine ist mal Genua. Schon damals hatten Toni Negri und ich sehr viel über das Thema Krieg, neue Formen des Kriegs und des Bürgerkrieges nachgedacht, aber nach dem 11. September, der Invasion in Afghanistan und dem Krieg gegen den Irak wurde der Krieg immer präsenter, als eine unvermeidbare Realität, der wir uns stellen müssen. Eine schreckliche Realität, die uns zwingt uns auf den Kampf gegen den Krieg zu konzentrieren; damit werden andere wichtige politische Themen in den Hintergrund gerückt. In den USA war das sicher noch schlimmer als in Europa. Im Moment scheint mir sehr produktiv zu sein, was in Europa passiert, etwa die Bewegungen, die sich gegen prekäre Arbeit wenden, wie die „intermittents“ in Frankreich oder die Planungen für einen MayDay der prekarisierten ArbeiterInnen. Das scheint mir alles sehr viel versprechend zu sein. Auch weil man sich damit in einem so schwierigen Moment auf etwas sehr Praktisches konzentriert. Im Moment befinden wir uns ja zweifellos nicht in einer Zeit des großen Enthusiasmus und der Hoffnung.

Zur Situation in den USA: Für mich war es etwas überraschend, dass sich bei der letzten Wahl die Frage so sehr auf „Kerry oder Bush“ zuspitzen konnte. Mir wäre auch Kerry lieber gewesen, aber es war doch keine Wahl zwischen zwei wirklichen Alternativen. Das ging bis zu Slogans wie „Vote or Die!“.

Ich hab’ das auch überraschend gefunden. Ich würde nicht sagen, und ich habe das auch nicht vor der Wahl gesagt, dass es egal wäre und keinen Unterschied machen würde. Wir wären in den USA und vor allem auch außerhalb der USA mit Kerry besser dran. Jetzt hingegen sind wir mit einer idio-tischen und repressiven Macht konfrontiert. Aber es stimmt schon, dass auch radikalere Teile der Bewegungen von dieser falschen Alternative eingenommen wurden.

Abschließend würde ich noch gern wissen, ob Sie trotz allem noch immer so optimistisch sind wie es in den Büchern von Hardt/Negri zum Ausdruck kommt?

Ja sicher. Ist es nicht so, wenn man in die Geschichte blickt: Immer, wenn es ein neues Regime gab, fanden Menschen einen Weg, Widerstand zu leisten. Es gibt wirklich keinen Grund zu glauben, dass sich das heute geändert hätte und wir keine neuen Formen des Widerstands finden würden. Ich denke, dass wir dort weitermachen werden, wo wir stehen geblieben sind, wo wir in Seattle, in Genua oder am 15.2.2003 standen. Wir werden nicht dahinter zurückfallen, sondern wir befinden uns bloß in einer Phase zwischen zwei Schritten nach vorne. Man kann das Optimismus nennen, für mich ist es bloß Realismus.

*) Unter Multitude verstehen Hardt und Negri die – vielgestaltigen – Massen der Weltbevölkerung, die im Gegensatz zum Regime der Profiteure der Globalisierung stehen.