03 / 1998
  Geheimsache: MAI
Schmieden die Multis die neue Weltordnung?
   
 

Seit 1995 verhandeln Vertreter der OECD-Länder über das MAI (Mutual Agreement on Investment), einen  internationalen Vertrag, der den Handlungsspielraum nationaler Regierungen gegenüber Großinvestoren und multinationalen Konzernen drastisch einschränken soll.
Internationale Umwelt-, Menschenrechts-, und Entwicklungshilfeorganisationen befürchten äußerst negative Auswirkungen dieses Abkommens. Die Bundesregierung agiert im Stil Metternichscher Geheimdiplomatie. Weder Öffentlichkeit noch Politik wurden informiert.


Einen "Wunschzettel der Großkonzerne an den Weihnachtsmann" nannte die angesehene französische Zeitschrift "Le Monde Diplomatique" den Vertragsentwurf, der in Paris von den wirtschaftlich potentesten Staaten dieser Erde ausgehandelt wird. Der harte Kern: Regierungen, die einem Multi in die Quere kommen, sollen zwecks Schadenersatzleistung geklagt werden können.

Investitionsschutz: Schutz vor Enteignungen und enteignungsähnlichen Maßnahmen – hier ist der Interpretationsspielraum besonders weit gefaßt. Den Investoren wird ein Recht auf ungeschmälerte Gewinne eingeräumt.


"Wir schreiben die Verfassung der vereinigten Weltwirtschaft"

Mit diesem Satz beschreibt der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO), Renato Ruggiero, die Bedeutung der Verhandlungen.
Österreichs hat die Vertretung seiner Interessen bei diesem Unternehmen einem Ministerialbeamten anvertraut. Dr. Manfred Schekulin, Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Wirtschaftsministeriums, werkte bis dato unbemerkt von der Öffentlichkeit. Für ihn handele es sich, so erklärte er KORSO gegenüber, simpel "um ein Abkommen, das Tausende internationale und vor allem bilaterale Investitionsschutzabkommen auf hohem Niveau vereinheitlichen soll." Und: „Ausländische Investoren sollen nicht schlechter behandelt werden als inländische und als solche aus Drittstaaten." Weil der Begriff "Investor" weit gefaßt ist, fällt unter den zweiten Punkt etwa auch das österreichische Transitabkommen: Laut MAI müßten allen Mitgliedern des Abkommens gleich viele Transitpunkte zugestanden werden wie dem durch die bisherigen Regelungen meistbegünstigten Land. Schekulin: "Dieses Problem haben wir natürlich erkannt und wollen entsprechende Ausnahmeregelungen." Weitere Ausnahmen verlangt die österreichische Delegation für den Grundverkehr und die freien Berufe: dem Geist des MAI entsprechend müßte nämlich jeder Investor ungehindert Grundstücke in Österreich erwerben können, und auch die Staatsbürgerschaftserfordernis für Architekten und Ärzte müßte fallen.


Strafen für "unvernünftige" Regierungen

Trotz der Beschwichtigungsversuche Schekulins: Die Auswirkungen, die das MAI auf die österreichische Wirtschaft, auf die ArbeitnehmerInnen und auf die Spielräume der Politik haben könnte, sind derzeit kaum in ihrer ganzen Tragweite abschätzbar.
Das liegt auch daran, daß über eine Reihe von Formulierungen noch verhandelt werden muß. So sieht etwa Abschnitt 1.2. des Entwurfs die volle finanzielle Entschädigung eines ausländischen Investors für den Fall vor, daß eine Regierung "unvernünftige [unreasonable] oder diskriminierende" Maßnahmen trifft, die dessen Profit schmälern. Ob Umwelt- oder Arbeitsschutzmaßnahmen "unreasonable" sind, darüber entscheidet im Ernstfall ein Gericht, das sich aus je einem von jeder Streitpartei ausgewählten Richter zusammensetzt; der dritte wird von einer Weltbank-Institution oder der "International Chamber of Commerce" – einer internationalen Vereinigung von Unternehmerverbänden – gestellt.
Ein EU-Wirtschaftsfachmann dazu: "Es ist pervers, wenn dieser Privatverein über Regierungen zu Gericht sitzen soll!" Zum Rechtsschutz für bedrängte Multis notwendig ist dieses Procedere übrigens nicht: In Österreich kann jeder ausländische Investor, der sich durch eine Maßnahme der Regierung benachteiligt fühlt, den Weg zu Gericht gehen, bis zum Europäischen Gerichtshof.


Kanada: das Parlament wehrt sich – Österreich: das Parlament schweigt

Das kanadische Parlament hat von seiner Regierung bereits verlangt, eine Änderung des Passus über die "unvernünftigen Maßnahmen" einzufordern. Das österreichische Parlament schweigt. Dr. Bernhard Mark-Ungericht vom Institut für Internationales Management an der Universität Graz, der das MAI sehr kritisch beurteilt: "Ich vermute, daß nur wenige österreichische Parlamentarier überhaupt von diesem Vertragswerk wissen, gelesen hat’s wahrscheinlich noch keiner." Für alle Abgeordneten (und alle anderen Interessierten), die dies nachholen wollen: Auf der KORSO-Homepage findet sich der gesamte MAI-Entwurf – allerdings nur auf englisch. Auf deutsch liegt er nämlich nach zwei Verhandlungsjahren noch immer nicht vor.


Die Multis bestimmen die Verhandlungen

Das mag auch daran liegen, daß die US-amerikanische Delegation die Verhandlungen dominiert. Mark-Ungericht: "Insider berichten, daß der Beraterstab der Amerikaner 500 Vertreter von Großkonzernen umfassen soll, dazu eine Handvoll Arbeitnehmervertreter und einen Repräsentanten einer Umweltorganisation. Der Brain-Trust der Multis bestimmt das Tempo der Verhandlungen, die Regierungsdelegationen können allein schon wegen ihrer personellen Unterausstattung nicht mithalten."


Brisantes Schreiben im Internet: Dollars für die US-Senatoren

Die US-amerikanischen Großkonzerne verlassen sich zumindest gegenüber der Administration ihres eigenen Landes nicht allein auf die Kraft ihrer Argumente: Der "Business Roundtable", ein Zirkel US-amerikanischer Industrieller, richtete im Vorjahr an seine Mitglieder ein Schreiben, in dem er sie um eine 100.000-Dollar-Spende bat. Insgesamt würden drei Millionen Dollar benötigt, um Senatoren für derartige Abkommen günstig zu stimmen – ohne diese, so heißt es in dem Brief, „würde Amerikas Führerschaft im Welthandel irreparablen Schaden nehmen."Mark-Ungericht war zunächst skeptisch, als er dieses Dokument im Internet fand: "Es war von MAI-Kritikern ins Netz gestellt worden, und ich dachte zunächst, es sei vielleicht gefälscht."Ein Anruf beim Business Roundtable in Washington, D.C. brachte Klarheit: "Die zuständige Dame war zwar etwas überrascht, daß dieses Schreiben öffentlich zugänglich sei, hat mir aber seinen Inhalt bestätigt." Der Grazer Experte für internationales Management kritisiert den Mangel an Öffentlichkeit und demokratischer Diskussion rund um das Abkommen. Mark-Ungericht: "Das MAI hat ja nicht nur ökonomische Auswirkungen, sondern auch soziale, kulturelle und ökologische. Das würde eine intensive und umfassende Debatte erfordern."


Länderrechte werden beschnitten

Da in Österreich auch Landesgesetze betroffen sind, seien zumindest die Länder, so Schekulin,über die Verbindungsstelle der österreichischen Bundesländer eingebunden. Bis jetzt scheint die Information aber eher spärlich zu fließen: Für den steirischen Landtag war das MAI bis jetzt kein Thema. Eine Auskunft aus dem Büro des Wirtschaftslandesrates stand bei Redaktionsschluß noch aus. In anderen OECD-Staaten sind sich die föderalen Strukturen bereits darüber im klaren, daß ihre Kompetenzen durch das MAI entscheidend beschnitten werden könnten. Die Regierung des kanadischen Bundesstaates British Columbia hat eine Reihe massiver Bedenken gegen das Abkommen angemeldet: Das öffentlich finanzierte Gesundheitswesen der Provinz könnte im Handstreich von US-amerikanischen Privatfirmen übernommen werden, und die Errichtung eines Naturparks oder die Aufhebung einer Abbaubewilligung aus Naturschutzgründen wären nach dem Inkrafttreten des MAI nur mehr bei voller Entschädigung eines davon betroffenen ausländischen Investors möglich. In Österreich haben sich bis März 1998 eine Handvoll Regierungsvertreter, ein paar Wirtschaftexperten und einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit dem Thema beschäftigt. Das liegt wohl nur zum geringeren Teil daran, "daß sich die Öffentlichkeit nicht für dieses Tema begeistert hat", wie Schekulin vermutet. Wer sich die Homepage des Wirtschaftsministeriums ansieht, wo auch sämtliche Presseaussendungen des Ressorts im Volltext zu lesen sind, muß feststellen: Zwar wurden sämtliche vom Minister vorgenommenen Preisverleihungen und Eröffnungen den Medien peinlich genau gemeldet, auch die richtige Lochung der Autobahnvignette den Journalisten nähergebracht – zum Thema MAI findet sich aber im ganzen Jahr 1997 keine einzige Presseinformation.



MAI (Multilateral Agreement on Investment)

Verhandlungsbeginn: 1995, geplanter Abschluß: 1998, wahrscheinlicher Abschluß: 1999 Teilnehmer: OECD-Mitglieder (29)
Beobachter: Argentinien, Brasilien, Chile, Hongkong, Slowakische Republik

Strittige und offene Fragen:

  • Diskriminierungsverbot: Wenn Frankreich seine traditionsreiche Filmindustrie fördert, muß es dann auch Gelder an Hollywood-Konzerne ausschütten?
  • Meistbegünstigungsklausel: Muß Österreich allen MAI-Mitgliedern gleich viele Transitpunkte gewähren, gleich viele wie z.B. Deutschland und Italien?
  • Keine Auflagen für Investoren: Kein Land darf verlangen, daß investitionswillige Multis heimische Rohstoffe verarbeiten oder ortsansässige Arbeitskräfte beschäftigen. Das trifft besonders Länder der Dritten Welt. Diese konnten zwar nicht über das MAI mitverhandeln, werden dem Abkommen aber wohl oder übel beitreten müssen – sonst droht ihnen ein Rückgang der Investitionen aus dem Ausland.
  • Schiedsgericht: Internationale Konzerne sollen Regierungen wegen Nichteinhaltung der MAI-Bestimmungen außerhalb der jeweiligen nationalen Rechtsordnung klagen können.
   


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