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Seit
1995 verhandeln Vertreter der OECD-Länder über das MAI
(Mutual Agreement on Investment), einen internationalen
Vertrag, der den Handlungsspielraum nationaler Regierungen
gegenüber Großinvestoren und multinationalen Konzernen
drastisch einschränken soll.
Internationale Umwelt-, Menschenrechts-, und Entwicklungshilfeorganisationen
befürchten äußerst negative Auswirkungen dieses
Abkommens. Die Bundesregierung agiert im Stil Metternichscher
Geheimdiplomatie. Weder Öffentlichkeit noch Politik wurden
informiert.
Einen "Wunschzettel der Großkonzerne an den Weihnachtsmann"
nannte die angesehene französische Zeitschrift "Le
Monde Diplomatique" den Vertragsentwurf, der in Paris
von den wirtschaftlich potentesten Staaten dieser Erde ausgehandelt
wird. Der harte Kern: Regierungen, die einem Multi in die
Quere kommen, sollen zwecks Schadenersatzleistung geklagt
werden können.
Investitionsschutz: Schutz vor Enteignungen und enteignungsähnlichen
Maßnahmen – hier ist der Interpretationsspielraum besonders
weit gefaßt. Den Investoren wird ein Recht auf ungeschmälerte
Gewinne eingeräumt.
"Wir
schreiben die Verfassung der vereinigten Weltwirtschaft"
Mit diesem Satz beschreibt der Generaldirektor der Welthandelsorganisation
(WTO), Renato Ruggiero, die Bedeutung der Verhandlungen.
Österreichs hat die Vertretung seiner Interessen bei
diesem Unternehmen einem Ministerialbeamten anvertraut. Dr.
Manfred Schekulin, Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung
des Wirtschaftsministeriums, werkte bis dato unbemerkt von
der Öffentlichkeit. Für ihn handele es sich, so
erklärte er KORSO gegenüber, simpel "um ein
Abkommen, das Tausende internationale und vor allem bilaterale
Investitionsschutzabkommen auf hohem Niveau vereinheitlichen
soll." Und: „Ausländische Investoren sollen nicht
schlechter behandelt werden als inländische und als solche
aus Drittstaaten." Weil der Begriff "Investor"
weit gefaßt ist, fällt unter den zweiten Punkt
etwa auch das österreichische Transitabkommen: Laut MAI
müßten allen Mitgliedern des Abkommens gleich viele Transitpunkte
zugestanden werden wie dem durch die bisherigen Regelungen
meistbegünstigten Land. Schekulin: "Dieses Problem haben
wir natürlich erkannt und wollen entsprechende Ausnahmeregelungen."
Weitere Ausnahmen verlangt die österreichische Delegation
für den Grundverkehr und die freien Berufe: dem Geist des
MAI entsprechend müßte nämlich jeder Investor ungehindert
Grundstücke in Österreich erwerben können,
und auch die Staatsbürgerschaftserfordernis für Architekten
und Ärzte müßte fallen.
Strafen für "unvernünftige"
Regierungen
Trotz der Beschwichtigungsversuche Schekulins: Die Auswirkungen,
die das MAI auf die österreichische Wirtschaft, auf die
ArbeitnehmerInnen und auf die Spielräume der Politik
haben könnte, sind derzeit kaum in ihrer ganzen Tragweite
abschätzbar.
Das liegt auch daran, daß über eine Reihe von Formulierungen
noch verhandelt werden muß. So sieht etwa Abschnitt
1.2. des Entwurfs die volle finanzielle Entschädigung
eines ausländischen Investors für den Fall vor,
daß eine Regierung "unvernünftige [unreasonable]
oder diskriminierende" Maßnahmen trifft, die dessen Profit
schmälern. Ob Umwelt- oder Arbeitsschutzmaßnahmen "unreasonable"
sind, darüber entscheidet im Ernstfall ein Gericht, das
sich aus je einem von jeder Streitpartei ausgewählten
Richter zusammensetzt; der dritte wird von einer Weltbank-Institution
oder der "International Chamber of Commerce" – einer
internationalen Vereinigung von Unternehmerverbänden
– gestellt.
Ein EU-Wirtschaftsfachmann dazu: "Es ist pervers, wenn
dieser Privatverein über Regierungen zu Gericht sitzen
soll!" Zum Rechtsschutz für bedrängte Multis notwendig
ist dieses Procedere übrigens nicht: In Österreich
kann jeder ausländische Investor, der sich durch eine
Maßnahme der Regierung benachteiligt fühlt, den
Weg zu Gericht gehen, bis zum Europäischen Gerichtshof.
Kanada: das Parlament
wehrt sich – Österreich: das Parlament schweigt
Das kanadische Parlament hat von seiner Regierung bereits
verlangt, eine Änderung des Passus über die "unvernünftigen
Maßnahmen" einzufordern. Das österreichische
Parlament schweigt. Dr. Bernhard Mark-Ungericht vom Institut
für Internationales Management an der Universität Graz,
der das MAI sehr kritisch beurteilt: "Ich vermute, daß
nur wenige österreichische Parlamentarier überhaupt
von diesem Vertragswerk wissen, gelesen hat’s wahrscheinlich
noch keiner." Für alle Abgeordneten (und alle anderen
Interessierten), die dies nachholen wollen: Auf der KORSO-Homepage
findet sich der gesamte MAI-Entwurf – allerdings nur auf englisch.
Auf deutsch liegt er nämlich nach zwei Verhandlungsjahren
noch immer nicht vor.
Die Multis bestimmen
die Verhandlungen
Das mag auch daran liegen, daß die US-amerikanische Delegation
die Verhandlungen dominiert. Mark-Ungericht: "Insider
berichten, daß der Beraterstab der Amerikaner 500 Vertreter
von Großkonzernen umfassen soll, dazu eine Handvoll
Arbeitnehmervertreter und einen Repräsentanten einer
Umweltorganisation. Der Brain-Trust der Multis bestimmt das
Tempo der Verhandlungen, die Regierungsdelegationen können
allein schon wegen ihrer personellen Unterausstattung nicht
mithalten."
Brisantes Schreiben
im Internet: Dollars für die US-Senatoren
Die US-amerikanischen Großkonzerne verlassen sich zumindest
gegenüber der Administration ihres eigenen Landes nicht
allein auf die Kraft ihrer Argumente: Der "Business Roundtable",
ein Zirkel US-amerikanischer Industrieller, richtete im Vorjahr
an seine Mitglieder ein Schreiben, in dem er sie um eine 100.000-Dollar-Spende
bat. Insgesamt würden drei Millionen Dollar benötigt,
um Senatoren für derartige Abkommen günstig zu stimmen
– ohne diese, so heißt es in dem Brief, „würde
Amerikas Führerschaft im Welthandel irreparablen Schaden nehmen."Mark-Ungericht
war zunächst skeptisch, als er dieses Dokument im Internet
fand: "Es war von MAI-Kritikern ins Netz gestellt worden,
und ich dachte zunächst, es sei vielleicht gefälscht."Ein
Anruf beim Business Roundtable in Washington, D.C. brachte
Klarheit: "Die zuständige Dame war zwar etwas überrascht,
daß dieses Schreiben öffentlich zugänglich
sei, hat mir aber seinen Inhalt bestätigt." Der
Grazer Experte für internationales Management kritisiert
den Mangel an Öffentlichkeit und demokratischer Diskussion
rund um das Abkommen. Mark-Ungericht: "Das MAI hat ja
nicht nur ökonomische Auswirkungen, sondern auch soziale,
kulturelle und ökologische. Das würde eine intensive
und umfassende Debatte erfordern."
Länderrechte
werden beschnitten
Da in Österreich auch Landesgesetze betroffen sind, seien
zumindest die Länder, so Schekulin,über die Verbindungsstelle
der österreichischen Bundesländer eingebunden. Bis
jetzt scheint die Information aber eher spärlich zu fließen:
Für den steirischen Landtag war das MAI bis jetzt kein
Thema. Eine Auskunft aus dem Büro des Wirtschaftslandesrates
stand bei Redaktionsschluß noch aus. In anderen OECD-Staaten
sind sich die föderalen Strukturen bereits darüber
im klaren, daß ihre Kompetenzen durch das MAI entscheidend
beschnitten werden könnten. Die Regierung des kanadischen
Bundesstaates British Columbia hat eine Reihe massiver Bedenken
gegen das Abkommen angemeldet: Das öffentlich finanzierte
Gesundheitswesen der Provinz könnte im Handstreich von
US-amerikanischen Privatfirmen übernommen werden, und
die Errichtung eines Naturparks oder die Aufhebung einer Abbaubewilligung
aus Naturschutzgründen wären nach dem Inkrafttreten des
MAI nur mehr bei voller Entschädigung eines davon betroffenen
ausländischen Investors möglich. In Österreich
haben sich bis März 1998 eine Handvoll Regierungsvertreter,
ein paar Wirtschaftexperten und einige Nichtregierungsorganisationen
(NGOs) mit dem Thema beschäftigt. Das liegt wohl nur
zum geringeren Teil daran, "daß sich die Öffentlichkeit
nicht für dieses Tema begeistert hat", wie Schekulin
vermutet. Wer sich die Homepage des Wirtschaftsministeriums
ansieht, wo auch sämtliche Presseaussendungen des Ressorts
im Volltext zu lesen sind, muß feststellen: Zwar wurden sämtliche
vom Minister vorgenommenen Preisverleihungen und Eröffnungen
den Medien peinlich genau gemeldet, auch die richtige Lochung
der Autobahnvignette den Journalisten nähergebracht –
zum Thema MAI findet sich aber im ganzen Jahr 1997 keine einzige
Presseinformation.
MAI (Multilateral
Agreement on Investment)
Verhandlungsbeginn: 1995, geplanter Abschluß: 1998,
wahrscheinlicher Abschluß: 1999 Teilnehmer: OECD-Mitglieder
(29)
Beobachter: Argentinien, Brasilien, Chile, Hongkong,
Slowakische Republik
Strittige und offene Fragen:
- Diskriminierungsverbot: Wenn Frankreich seine traditionsreiche
Filmindustrie fördert, muß es dann auch Gelder
an Hollywood-Konzerne ausschütten?
- Meistbegünstigungsklausel: Muß Österreich
allen MAI-Mitgliedern gleich viele Transitpunkte gewähren,
gleich viele wie z.B. Deutschland und Italien?
- Keine Auflagen für Investoren: Kein Land darf
verlangen, daß investitionswillige Multis heimische Rohstoffe
verarbeiten oder ortsansässige Arbeitskräfte beschäftigen.
Das trifft besonders Länder der Dritten Welt. Diese
konnten zwar nicht über das MAI mitverhandeln, werden
dem Abkommen aber wohl oder übel beitreten müssen –
sonst droht ihnen ein Rückgang der Investitionen aus
dem Ausland.
- Schiedsgericht: Internationale Konzerne sollen
Regierungen wegen Nichteinhaltung der MAI-Bestimmungen außerhalb
der jeweiligen nationalen Rechtsordnung klagen können.
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