05/2002
 

 

Kampf der Mythen: EU-Diskussion in der Retrospektive
Knapp acht Jahre nach der Volksabstimmung über den EU-Beitritt legt ein steirischer Volkswirt und Soziologe eine Analyse der Beitrittsdiskussion vor. Seine gut belegte Diagnose: Es handelte sich dabei fast ausschließlich um den Austausch von Mythen.

Franz Heschl, Mitarbeiter in der volkswirtschaftlichen Abteilung der steirischen Kammer für Arbeiter und Angestellte, weiß, wovon er schreibt: Als Referent für Fragen der europäischen Integration seit 1991 war er selbst auf Hunderten Kampagnen-Einsätzen präsent – und hatte dabei selbst mit der Reduktion der Realität auf Schlagzeilenniveau zu kämpfen. Die ausführliche Darstellung der „Komplexitätsreduktion durch Mythen“, die von Seiten von Befürwortern ebenso wie von den Gegnern massiv bemüht wurden, bietet einen geradezu paradigmatischen Einblick in politische Meta-Strategien – und jene des „Kampfes der Schlagzeilen“ zwischen dem den EU-Beitritt befürwortenden und dem ihn ablehnenden Boulevard Einsicht in die schreckliche Vereinfachung, die Hand in Hand mit der zunehmenden Medienkonzentration geht: Warnte „Täglich alles“: „EU bringt uns eckige Paradeiser“, schlug die „Krone“ mit „Kein Europa-Geld! DM und Schilling bleiben. Hartwährungskurs hat Vorrang“ zurück.

Die Auseinandersetzung gipfelte bekanntlich im detailreichen Ausmalen von Untergangsszenarien, die zum Teil erpresserische Färbung erhielten. Der Bauindustrielle Maculan argumentierte etwa in der Presse damit, dass in der Industrie 500.000 Menschen von einem Nichtbeitritt betroffen wären (zu einem Zeitpunkt, wo bereits weniger ÖsterreicherInnen als die genannte Zahl in der Industrie beschäftigt waren). Auf Seite bestimmter Beitrittsgegner wurden ein „neuer Anschluss“ und der Zwang zum „Wiederaufsperren von Zwentendorf“ befürchtet und mit „Blutschokolade“ und „Schildlausjogurt“ argumentiert.

„Es entfaltete sich eine Dynamik, auf die niemand mehr wirklich Einfluss hatte“, ist der Schluss Heschls. Letztendlich stelle sich auch die Frage nach der Rationalität einer Volksabstimmung, die durch den Austausch von Mythen und nicht von Argumenten vorbereitet wurde. „Im Licht der damaligen Ereignisse kann ich die Euphorie über Volksabstimmungen als Instrument zur demokratischen Entscheidungsfindung nicht mehr so recht teilen“, gesteht Heschl. Diese Analyse gelte allerdings nur für das bestehende österreichische Mediensystem in seinem Zusammenspiel mit dem politischen System; „Hätten wir ein pluralistisches Mediensystem, würde das meine Skepsis relativieren.“

Franz Heschl: Drinnen oder draußen? Die öffentliche österreichische EU-Beitrittsdebatte vor der Volksabstimmung 1994. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2002.

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