Kampf der Mythen: EU-Diskussion
in der Retrospektive
Knapp acht Jahre nach der Volksabstimmung über
den EU-Beitritt legt ein steirischer Volkswirt und Soziologe eine
Analyse der Beitrittsdiskussion vor. Seine gut belegte Diagnose:
Es handelte sich dabei fast ausschließlich um den Austausch von
Mythen.
Franz Heschl, Mitarbeiter in der volkswirtschaftlichen Abteilung
der steirischen Kammer für Arbeiter und Angestellte, weiß, wovon
er schreibt: Als Referent für Fragen der europäischen Integration
seit 1991 war er selbst auf Hunderten Kampagnen-Einsätzen präsent
– und hatte dabei selbst mit der Reduktion der Realität auf Schlagzeilenniveau
zu kämpfen. Die ausführliche Darstellung der „Komplexitätsreduktion
durch Mythen“, die von Seiten von Befürwortern ebenso wie von den
Gegnern massiv bemüht wurden, bietet einen geradezu paradigmatischen
Einblick in politische Meta-Strategien – und jene des „Kampfes der
Schlagzeilen“ zwischen dem den EU-Beitritt befürwortenden und dem
ihn ablehnenden Boulevard Einsicht in die schreckliche Vereinfachung,
die Hand in Hand mit der zunehmenden Medienkonzentration geht: Warnte
„Täglich alles“: „EU bringt uns eckige Paradeiser“, schlug die „Krone“
mit „Kein Europa-Geld! DM und Schilling bleiben. Hartwährungskurs
hat Vorrang“ zurück.
Die Auseinandersetzung gipfelte bekanntlich im detailreichen Ausmalen
von Untergangsszenarien, die zum Teil erpresserische Färbung erhielten.
Der Bauindustrielle Maculan argumentierte etwa in der Presse damit,
dass in der Industrie 500.000 Menschen von einem Nichtbeitritt betroffen
wären (zu einem Zeitpunkt, wo bereits weniger ÖsterreicherInnen
als die genannte Zahl in der Industrie beschäftigt waren). Auf Seite
bestimmter Beitrittsgegner wurden ein „neuer Anschluss“ und der
Zwang zum „Wiederaufsperren von Zwentendorf“ befürchtet und mit
„Blutschokolade“ und „Schildlausjogurt“ argumentiert.
„Es entfaltete sich eine Dynamik, auf die niemand mehr wirklich
Einfluss hatte“, ist der Schluss Heschls. Letztendlich stelle sich
auch die Frage nach der Rationalität einer Volksabstimmung, die
durch den Austausch von Mythen und nicht von Argumenten vorbereitet
wurde. „Im Licht der damaligen Ereignisse kann ich die Euphorie
über Volksabstimmungen als Instrument zur demokratischen Entscheidungsfindung
nicht mehr so recht teilen“, gesteht Heschl. Diese Analyse gelte
allerdings nur für das bestehende österreichische Mediensystem in
seinem Zusammenspiel mit dem politischen System; „Hätten wir ein
pluralistisches Mediensystem, würde das meine Skepsis relativieren.“
Franz Heschl: Drinnen oder draußen? Die öffentliche österreichische
EU-Beitrittsdebatte vor der Volksabstimmung 1994. Wien/Köln/Weimar:
Böhlau 2002.
KORSO verlost in Kooperation mit dem Böhlau-Verlag und dem Autor
zwei Exemplare des Werkes beim KORSO-Kulturquiz
unter www.korso.at!
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