04 / 1997
  Vergeblich verdrängt.
Wehrmachtsausstellung: "Nur hinsehen macht frei"
   
  von Christian Stenner


Mehr als 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Untergang des Nationalsozialismus polarisiert eine Ausstellung über Kriegsverbrechen der Wehrmacht die politische Diskussion. Für viele Zeitzeugen sind die Gespräche mit der jüngeren Generation eine Hilfe zur Bewältigung drückender Erinnerung.

Klare Ergebnisse brachte eine Umfrage im Juni 1997: Nahezu die Hälfte der GrazerInnen war dafür, daß die Wehrmachts-Ausstellung in ihrer Stadt gezeigt werden sollte, kaum weniger sprachen sich dagegen aus. Unberührt von dieser Frage zeigten sich nur wenige. Die Debatte riß nicht ab – "ihre Emotionalität ist ein Zeichen dafür, daß die Geschichte uns einholt", konstatiert der Grazer Arzt Hans-Peter Meister, der die Zeitzeugen-Geschichtswerkstätten im Rahmen des Ausstellungsprogrammes begleitete. "Die unverarbeiteten Teile unserer Vergangenheit drängen an die Oberfläche." In der Tat zeigt ein Blick auf die letzten fünf Jahrzehnte, daß die Loslösung vom Nationalsozialismus ein äußerst mühevoller und noch immer nicht abgeschlossener Prozeß ist.


Denkmäler für Freiheitskämpfer – und NS-Kreisleiter

 


Denkmal für den Widerstand
in Knittelfeld (Schütte-Lohotzky)




Mag. Heimo Halbrainer:
Gedenkstätten als sichtbare
Zeichen für die Aufarbeitung

Gedenkstätten sind sichtbare Zeichen dafür, wie vergangene Ereignisse beurteilt werden", meint der Grazer Historiker Mag. Heimo Halbrainer. Gleich nach dem Krieg wurde auch bei uns in der Steiermark eine Reihe von Mahnmalen errichtet, die vor allem dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewidmet waren: Das Feliferhof-Denkmal am Grazer Zentralfriedhof, das an 142 in den letzten Kriegstagen ermordete Regime-GegnerInnen erinnert, am gleichen Ort das Internationale Mahnmal, das Denkmal für 125 Opfer politischer Verfolgung im Bezirk Leoben … das letzte dieser Art von Denkmälern ist die Freiheitskämpfer-Tafel gegenüber der Polizeidirektion, die 1949 angebracht wurde. „Anhand dieser Tafel kann man erkennen, wie sich die offizielle Einstellung gegenüber dem Widerstand in diesen vier Jahren zu ändern begann: Zunächst hatte man ein riesiges Freiheitskämpfer-Denkmal am Andreas-Hofer-Platz geplant, das Endresultat war eine unscheinbare Steintafel." Die Gründe für den Sinneswandel erklärt Halbrainer so: "Um die Allierten zum Abschluß des Staatsvertrags zu bewegen, betonten die Regierungsparteien – ÖVP, SPÖ und KPÖ – zunächst nach Kräften die Rolle des österreichischen Widerstands bei der Befreiung. Dann, 1949, durften die ehemaligen NSDAP-Mitglieder zum ersten Mal wieder an die Wahlurnen – da war es natürlich wenig opportun, dem Widerstand weitere Denkmäler zu setzen." Dafür wurde 1954 in Leibnitz vom Kameradschaftsbund unter Teilnahme offizieller Stellen ein Kriegerdenkmal besonderer Art .
eingeweiht: Auf ihm waren 17 Personen zu sehen, die selbst nie als Soldaten an der Front waren, sich dafür aber an der "Heimatfront" hervorgetan hatten, unter ihnen NS-Kreisleiter Tomaschitz, sein Stellvertreter und Gestapo-Beamte, die im April 1945 eigenhändig 16 von ihrer Einheit abgesprengte Soldaten umgebracht hatten (die Wehrmacht hatte deren Bestrafung zuvor abgelehnt).Die Mörder wurden kurz darauf von Partisanen erschossen – Grund genug für einen Redner, sie als "Opfer für die Heimat" zu bezeichnen. Erst in den späten 80er Jahren werden wieder Denkmäler für die vergessenen Opfer errichtet: Das Denkmal am Synagogenplatz in Graz und regionale Gedenkstätten in Bärnbach, Lankowitz, Rosental, Leibnitz, Voitsberg und anderen steirischen Orten.



Die Geschichte der Täter …

Ein deutliches Licht auf die Haltung der offiziellen Politik wirft auch der Umgang mit Tätern und Opfern. Waren bis 1947 noch strenge Strafen bis hin zu Todesurteilen für Nazi-Verbrechen verhängt worden, so änderte sich das im Laufe der nächsten Jahre. Halbrainer nennt ein Beispiel: "Die Mörder der 142 Feliferhof-Toten, gegen die in den Jahren 1948/49 verhandelt wurde, wurden letztendlich wegen geringfügiger Tatbestände wie Mitgliedschaft in der illegalen NSDAP vor 1938 zu einigen Jahren Haft verurteilt. Der Grund: Auch wenn die Tätergruppe um SS-Obersturmbannführer Adolf Herz bekannt war, konnten die Ermittlungen nicht zutage bringen, welche der Angeklagten in letzter Konsequenz die Hinrichtungen befehligt und durchgeführt hatten. Außer ihnen selbst gab es keine lebenden Tatzeugen mehr, und sie hatten im britischen Gefangenenlager genügend Zeit für Absprachen gehabt."Ein beteiligter Gestapo-Beamter, dem im Unterschied zu seinen Mitangeklagten mehrere Morde in Kapfenberg nachgewiesen werden konnten, wurde ebenfalls 1952 aus der Haft entlassen. In manchen Fällen stellte die Teilnahme an Nazi-Verbrechen nicht einmal ein Hindernis für eine politische Karriere dar. Als Beispiel dafür nennt Halbrainer den ehemaligen SA-Standartenführer Richard Hochreiner, der Führer einer Werwolf-Gruppe war, die zwei Wochen nach Kriegsende im Gleinalpengebiet neun ungarische Juden erschoß. Hochreiner tauchte unter, ging unter falschem Namen nach Salzburg und wurde FP-Gemeinderat in St. Michael im Lungau. 1961 wurde er enttarnt, im ersten Verfahren 1961 schuldig-, aber in zweiter Instanz 1963 freigesprochen. 1974 wurde er zum Bürgermeister seiner Wahlheimatgemeinde St. Michael gewählt.



… und der Opfer

"Die Gesellschaft hat es verabsäumt, sich in aller Klarheit und Schärfe von den Tätern zu trennen, die zweifellos eine Minderheit waren", analysiert Hans-Peter Meister einen wichtigen Grund für das "versteckte Trauma" das auch heute noch wirksam ist. „Das führt einerseits dazu, daß viele Überlebende der Kriegsgeneration mit einem unbestimmten Schuldgefühl leben, auch wenn sie selbst nicht für Verbrechen verantwortlich waren. Daraus erklären sich auch viele der wütenden Reaktionen auf die Wehrmachtsausstellung von seiten der Älteren." Die Opfer hingegen hätten sich angesichts der Tatsache, daß ihnen bekannte Täter gedeckt wurden, ihrer Leiden geschämt und sie verschwiegen; über Jahrzehnte hinweg gab es kein öffentliches Eingeständnis dafür, daß ihnen Unrecht geschehen war. In breiten Bevölkerungskreisen galt es als ehrenrührig, im KZ gewesen zu sein. So erzählt etwa eine in Graz lebende Romni, sie trage immer langärmelige Kleidung, um die eintätowierte KZ-Nummer zu verbergen: "Ich wurde immer wieder angepöbelt." Bei einer der Geschichtswerkstätten, berichtet Meister, sei es zu einer berührenden – und bezeichnenden – Szene gekommen: Ein steirischer Rechtsanwalt jüdischer Abkunft erzählte von den Repressionen, denen er als Kind unter dem NS-Regime ausgesetzt war. Ein ebenfalls anwesender langjähriger Freund des Betreffenden habe bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal davon erfahren. Meister: "Das Klima nach dem Krieg war so, berichtete Dr. K. [Name v. d. Red. geändert], daß seine Familie den Eindruck hatte, sie sei nach wie vor nicht erwünscht. Und dann die Fragen: Warum er eigentlich überlebt habe, das beweise doch, daß die Nazis nicht so schlimm gewesen seien …" Da habe man eben geschwiegen, zumal es von politischer Seite keine klaren Äußerungen gegeben und man die ehemaligen Nazis in Amt und Würden vorgefunden habe.


Wieder-Inszenierung des Traumas?

Im langdauernden Schweigen über die NS-Zeit ortet Meister einen weiteren Grund dafür, daß" das Verdrängte wiederkehrt und das ursprüngliche Trauma von den nachfolgenden Generationen wieder inszeniert wird: Auch die Art, wie etwas vor Kindern verheimlicht wird, läßt Phantasien und Ängste entstehen, die dann das kollektive Bewußtsein mitprägen." Im besonderen gilt das für jene Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus als kleine Kinder miterlebt haben. Eine sechzigjährige Geschichtswerkstätten-Teilnehmerin erzählte von Alpträumen, die sie noch heute plagen, und in denen "schwarze Stiefel im Stiegenhaus" eine Hauptrolle spielen. Der Hintergrund des verdrängten Kindheitserlebnisses: Ihre Nachbarin war, wie sie erst viel später erfuhr, von den Schergen des Regimes abgeholt und ins Lager verschickt worden. Das Schweigen in den Familien fand seine Entsprechung im Schweigen der offiziellen Politik. Immerhin dauerte es bis 1991, bis ein österreichischer Bundeskanzler – Franz Vranitzky – den Mut fand, öffentlich einzubekennen, daß Österreicher nicht nur Opfer des Nationalsozialismus waren, sondern auch Täter. Auch erst seit den späten achtziger Jahren sind Bemühungen im Gang, die Aufklärungsarbeit gegenüber der Jugend auf eine breite Basis zu stellen. "Nur Hinsehen macht frei", lautet das Motto der Veranstalter der Wehrmachtsausstellung, und die gut besuchten Begleitveranstaltungen zeigen, daß doch immer mehr Menschen wagen, "hinzusehen" und sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. "Eines habe ich damals gelernt: Es gibt nichts Schrecklicheres als den Krieg", erklärt der 85jährige ehemalige Wehrmachtssoldat Robert Gollner bei einer ZeitzeugInnen-Veranstaltung der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rechtsextremismus. "Die einzigen Helden, die ich bei der Wehrmacht getroffen habe, waren die Sanitäter, die die Verwundeten unter Einsatz ihres Lebens vom Schlachtfeld geborgen haben. "Der Applaus der jugendlichen TeilnehmerInnen, der seinen Worten folgt, macht Hoffnung.
   


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