03 / 1999
  Das „Nebelhorn“ – die steirische „Fackel“
   
 
Vor genau 100 Jahren erschien die erste Ausgabe der „Fackel“ von Karl Kraus. Wenig bekannt ist, daß auch ein steirisches Pendant zur Zeitschrift des Autors der „Letzten Tage der Menschheit“ existierte: Zwischen 1927 und 1934 gab der in Graz lebende Herbert Müller-Guttenbrunn das „Nebelhorn“ heraus, eine vierzehntägig erscheinende Zeitschrift, die sich dem gleichen Ziel verschrieben hatte: Der schonungslosen Aufdeckung der Dummheit.
  Einer der amüsantesten Beiträg eim "Nebelhorn" beschäftigt sich mit der 800-Jahr-Feier der Stadt Graz im Jahr 1928, die offenbar auf sehr unsicheren historischen Quellen fußte. Mit beißendem Wortwitz entlarvt Müller-Guttenbrunn die schnöden Geschäftsinteressen, die hinter dieser Geschichtsfälschung stecken. Der KORSO info-server macht Ihnen diesen Beitrag des "Nebelhorn" im Faksimile zugänglich. Für etwaige Ähnlichkeiten mit aktuellen Ereignissen übernehmen wir keine Verantwortung.
Die 800-Jahr-Feier der Stadt Graz im Nebelhorn.

Im August wird an dieser Stelle ein weiterer Beitrag aus dem "Nebelhorn" zu finden sein: "Wagulas Hutkrempe", der sich mit der Entstehung des Plakats (besser: Plagiats) zur 800-Jahr-Feier auseinandersetzt.

Karl Kraus hat in der „Fackel“ kurz nach dem Erscheinen der ersten Hefte des „Nebelhorns“ 1927 Müller-Guttenbrunn folgendermaßen gelobt: „Wenngleich er es bescheiden ablehnt, der Nachahmer eines Dornes in den Augen der Menschheit zu sein, so leistet er doch genug, wenn er, obschon in grauem Umschlag, als das rote Tuch für die steirische wirkt.“

 

Die erste Ausgabe von "Das Nebelhorn"


  Anarchist, Bio-Pionier und Kriegsgegner

Herbert Müller-Guttenbrunn wurde am 5. Juni 1887 in Wien geboren, wo er auch Rechtswissenschaften studierte. Nach dem Rechtspraktikum sowie der Teilnahme am Ersten Weltkrieg, den er als Artillerieoberleutnant beendete, zog er sich aufs Land zurück; zuerst nach Aschach in Oberösterreich, ehe er 1923 in der Nähe von Graz, in Thoneben/Semriach, ein Anwesen – die Rötschmühle mit Bäckerei, Sägewerk und landwirtschaftlichen Flächen – erwarb. Als Lebensreformer betrieb er eine biologische Landwirtschaft.
Den einschneidenden Kriegserlebnissen räumte der Antimilitarist Müller-Guttenbrunn im „Nebelhorn“ in autobiographischen Erzählungen breiten Platz ein. Er versuchte darin, einen Krieg gegen den Krieg zu führen, der nur noch „die von den Rüstungsindustriellen durch bezahlte Politiker angezettelte Vergasung wehrloser Weiber und Kinder zur Erwerbung neuer Absatzgebiete“ sei.
Mit glühendem Zorn zog Müller-Guttenbrunn, der auch Mitherausgeber der steirischen anarchistischen Zeitschrift „Der Repubikaner“ war (die Anarchistische Partei war damals mit zwei Mandaten im Grazer Gemeinderat vertreten) über Hohlheit, Lüge und Phrasendrescherei her – bis er 1934 zur Einsicht kam, daß „gegen die Dummheit der einen und die Kanonen der anderen“ allein mit einer Feder bewaffnet nichts auszurichten sei.


Keine Lektüre für Unmündige, Amtspersonen und Irrsinnige

Mit Wortwitz griff Müller-Guttenbrunn auch die „Hackenkreuzler“ und die „christlichsozialen Popolitiker“ – und überhaupt die gesamte „Geschichte von der seligen Eiszeit bis zur heutigen Scheißzeit“ an. „Daß das kanonische Recht und die Kanonen in mystischem Zusammenhange stehen, obwohl jenes von canon abstammt, diese von canna=Rohr, wird blitzartig klar, wenn in einem besonderen christlichen Staat mit Kanonen auf von Weibern und Kindern bewohnte Häuser geschossen wird.“
Nicht nur die Februarereignisse 1934, auch die Machtergreifung Hitlers könne durch die Mystik der deutschen Sprache erklärt werden: „Denn abgesehen davon, daß das Wort Fascismus irgendwie mit dem Faschieren aller politischen Gener verwandt oder verschwägert zu sein scheint, geht sein Wesen schon aus der ihm eigentümlichen Grußform hervor, welche bekanntlich darin besteht, die Rechte aufzuheben!, die unbarmherzigste Enthüllung dessen, was die politische Partei, die diesen Gruß ahnungslos eingeführt hat, im Grunde will: die Rechte aufheben
 

Ausgabe zur 800-Jahr-Feier der Stadt Graz

 

Diese Textstelle erschien allerdings schon nicht mehr im „Nebelhorn“, sondern im Band „Mystik der Sprache“ im Mai/Juni 1934. Das „Nebelhorn“ war bereits Ende September 1929, nachdem Müller-Guttenbrunn sich in Klosterneuburg niedergelassen hatte, nicht mehr in Graz produziert worden. Ende März 1933 mußte es das Erscheinen einstellen, da der Autor im Jahr zuvor wegen Herabwürdigung der Lehren, Gebräuche und Einrichtungen der katholischen Kirche angeklagt und verurteilt worden war. Um weitere Schwierigkeiten zu vermeiden, gab er in der Folge das „Panopticum der Maschinenzeit“ heraus, das nicht mehr im Buchhandel erhältlich war und nur an Subskribenten abgegeben wurde, die sich bereit erklärten, „es nie an Unmündige, Amtspersonen, Schwachsinnige, Kirchengläubige und Irrsinnige zu verleihen“. Nach achtmonatigem Erscheinen wurde auch das „Panopticum“ eingestellt, und das „Nebelhorn“ erschien noch einmal bis Ende März 1934. Wegen Herabwürdigung von Verfügungen der österreichischen Regierung wurde Müller-Guttenbrunn 1934 erneut – und diesmal unbedingt – verurteilt, womit seine Herausgeberschaft der „grauen Fackel“ beendet war.
Müller-Guttenbrunn verfaßte noch eine Vielzahl von Texten,  die jedoch allesamt nicht mehr veröffentlicht werden konnten. Um wieder publizieren zu können, bemühte er sich während der NS-Zeit um Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer, doch wurde er abgelehnt, da sein „schriftstellerisches Schaffen“ als zu gering erachtet wurde. Bis 1943 war er erneut Soldat, dann wurde er ohne Angabe von Gründen aus der Wehrmacht entlassen. Am 10. April 1945 wurde er von sowjetischen Soldaten in seinem Haus in Klosterneuburg erschossen, da diese Waffen bei ihm fanden. Erst ein Jahr nach seinem Tod erschien im Wiener „Kurier“ ein Nachruf.
 

Heimo Halbrainer


 Hier finden Sie einige Seiten aus dem „Nebelhorn“ im Faksimile, darunter eine äußerst amüsante Abhandlung über die 800-Jahr-Feier der Stadt Graz.
 


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