05 / 1998
  "Er hat dem Teufel den Eid nie geschworen"
Der steirische Franz Jägerstätter
   
  von Heimo Halbrainer




Franz Dollnig
"Ich soll mit meinem MG 3000 Menschen am Tag umlegen. Wenn ich unsere Feinde bekämpfen soll, da muß ich ja hier bleiben." Mit diesen Worten begründete der 20jährige Voitsberger Bergarbeiter Franz Dollnig 1943 seinen Entschluß zu desertieren. Eineinhalb Stunden später hätte er an die Ostfront abgehen sollen. Am 5. Mai 1944 wurde er deshalb im Grazer Straflandesgericht hingerichtet. Franz Dollnig wurde am 21. Juli 1923 in Rosental/Voitsberg geboren, wo er nach der Schulzeit den Beruf eines Bergarbeiters erlernte. Damals wurde Österreich von der Landkarte gelöscht. "Als Hitler kam, waren wir alle so erschrocken, als ob dauernd ein Raubtier beim
Fenster hereinschaut", meinte Franz Dollnigs Tante, die den weiteren Lebensweg ihres Neffen so schildert. "Natürlich mußte Franzl auch zur Hitler-Jugend, wo es bald Zurechtweisungen gab. Bald darauf hieß es einrücken. Wir sahen das ganze Elend schon herannahen. Wie mußten wir ihn bitten, daß er überhaupt einrückt. Er gab uns stets zur Antwort: Für den tu‘ ich nichts! – Endlich ging er, um zwei Tage verspätet."


Hungerstreik gegen Hitler

Franz Dollnig kam zur militärischen Ausbildung am Maschinengewehr nach Windischgraz/Slovenjgradec in die Untersteiermark, die seit 1941 wieder der Steiermark angegliedert war. Nach Beendigung der Ausbildung und acht Tage bevor er an die Front abgehen hätte sollen, verweigerte er jede Nahrungsaufnahme, sodaß er auf sechs Wochen nach Graz ins Lazarett kam, wo er künstlich ernährt werden mußte. Als er danach erneut einen Marschbefehl an die Front erhielt, kletterte er eineinhalb Stunden vor der Abfahrt über das Kasernentor und fuhr in die Weststeiermark zu seinen Angehörigen. Diese versuchten mit allen Überredungskünsten, ihn von seinem Entschluß zur Desertion wieder abzubringen. Doch habe er, wie seine Tante erzählt, immer nur geantwortet: "Wie sollen denn das unsere Feinde sein, die haben wir ja vorher noch nie gesehen" – oder: "Es hat uns ja doch gar niemand angegriffen. Ich soll mit meinem MG 3000 Menschen im Tag umlegen? Wenn ich unsere Feinde bekämpfen soll, da muß ich ja hier bleiben."


Vom Schwager denunziert

Und Franz Dollnig blieb zu Hause. Mehrere Monate konnte er sich im Wald verstecken, doch als der Winter 1943 kam, mußte er immer öfter zu Hause übernachten. Er wurde von seinem eigenen Schwager Hans denunziert, am 21. November wurde das Elternhaus in Kohlschwarz bei Kainach umzingelt und der Deserteur verhaftet. Drei Tage nach seiner Verhaftung schrieb er an seine Tante: "Liebe Tante! Vor allem sende ich Dir recht herzliche Grüße. Bitte, liebe Tante, sei so gut und schau nach, was bei uns daheim los ist. Die Mutter wird ganz zusammengekommen sein. Der Hans wird sein Unwesen sicher noch ärger treiben. Bitte, sage der Mutter, daß sie sich wegen mir nichts Hartes machen braucht. Bitte, liebe Tante, sei so gut und fahre hinüber. Wenn ich kann, werde ich es Dir tausend Mal vergelten. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Gruß an Mutter und Vati! Franzl. " Da Franz Dollnig keiner organisierten Gruppe des Widerstandes angehörte und er aus der religiösen Überzeugung gehandelt hatte, daß dieser Krieg ein ungerechter, ein verbrecherischer Krieg sei, waren die Erhebungen der nationalsozialistischen Behörden rasch abgeschlossen. Bereits einen Monat nach seiner Verhaftung wurde er am 23. Dezember 1943 in Graz zum Tode verurteilt. Fast fünf Monate hoffte Franz Dollnig auf seine Begnadigung. In den erhalten gebliebenen Briefen spricht kein gebrochener Mensch, sondern ein lebensfroher, der sein Handeln nicht beklagt oder bereut.


"Mitläufer war er keiner"

Jeden Tag dem Hinrichtungstag ein Stück näher, spendet er bis zuletzt seiner Mutter Kraft, diese Zeit zu überstehen. Vierzehn Tage vor seiner Hinrichtung schreibt er an sie: "Liebe Mutter! Du darfst Dir nichts daraus machen, weil Hans sich so benommen hat. Man kann doch nichts Besseres verlangen und muß den Unverstand betrachten. Gelt, liebe Mutter, Du kränkst Dich nicht darüber. Die Zeit wird wieder kommen, wo wir wieder beisammen sein werden." Am 12. Mai 1944 wurden Franz Dollnig im Grazer Straflandesgericht mit fünf weiteren Personen aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus hingerichtet. Als die Nachricht seiner Hinrichtung in die Weststeiermark kam, hatte, wie seine Tante berichtete, so mancher, der dies hörte, einen auch heute immer noch zu hörenden Ausspruch getan: "Es geschah ihm nicht Unrecht. Er hat den Fahneneid gebrochen." Denn nach wie vor gilt der Dienst in der Deutschen Wehrmacht, der Eid auf den Führer Adolf Hitler als Recht und das Verweigern des Schwures und die Desertion als Unrecht. Dabei hatte sich Franz Dollnig, wie er seiner Tante nach seiner Desertion anvertraute,gar nicht auf Hitler vereidigen lassen. "Er ist mit erhobener Hand, zwei Finger ausgestreckt und den Daumen dazwischen, mit den anderen zusammen am Appellplatz gestanden. Und was er dabei gesagt hat, geht nicht an, zu schreiben, und drei Mal hat er es wiederholt, und dabei so gebrüllt, daß seine Worte nicht auffielen. - Es war also kein Grund zu befürchten, daß er seinen Fahneneid gebrochen habe. Er hat auf Hitler nicht geschworen. Er hat also auch dem Teufel den Eid nicht gebrochen, weil er ihn nie geleistet hat. Was er tat, tat er ganz. Mitläufer war er keiner. Früh schon hatte er gelernt, was sich mit einem christlichen Gewissen vereinbaren läßt und was nicht." Nach Franz Dollnigs Hinrichtung bemühte sich die Familie, die Leiche loszukaufen, doch um den Preis von 230 Reichsmark wurde ihnen nur eine Urne mit Asche übergeben – unter der Auflage, sie in Graz beizusetzen. Daß dies nur irgendeine Urne war und ganz sicher nicht die von Franz Dollnig, sollte die Familie erst im August 1946 erfahren.


Der Grazer Anatomie-Skandal

Der Landesverband der politisch Verfolgten war bei der Durchsicht von Akten, die zur Eruierung der Namen von Hingerichteten notwendig waren, auf einen Skandal gestoßen. Der Leiter des Anatomischen Instituts der Medizinischen Fakultät an der Universität Graz, Univ. Prof. Dr. Hafferl, hatte am 30. Jänner und 7. Februar 1946 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion und ohne die Behörden oder Verwandte zu verständigen, 44 Leichen von zwischen 1943 und 1944 in Graz hingerichteten Widerstandskämpfern am Zentralfriedhof in ein Massengrab werfen lassen, über das im Sommer 1946 bereits "Unkraut wild wucherte". Eine der für Sezierzwecke dem Anatomischen Institut zur Verfügung gestellten Leichen war jene des Franz Dollnig. Am 1. November 1946 wurde für diese 44 Personen sowie für rund 2500 weitere das "Freiheitskämpfer-Ehrenmal" am Grazer Zentralfriedhof errichtet, das Vorläuferdenkmal des Internationalen Mahnmales. Heute findet sich Franz Dollnigs Name mit Tausenden weiteren Opfern des Nationalsozialismus auf der Innenseite des Internationalen Mahnmales.
   


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