12 / 1997
  Der Krieg in der Steiermark
   
  von Engelbert Kremshofer


Nach wie vor ist in den Berichten über die letzten Kriegstage in unserem Bundesland vor allem von den Luftangriffen auf die Landeshauptstadt und den Übergriffen der Roten Armee die Rede. Einige Schicksale aus der Oststeiermark zeigen aber auch die andere Seite des Krieges: den Terror gegen die eigene Bevölkerung und den Vernichtungskrieg gegen den "jüdischen Bolschewismus" auf steirischem Boden.
1945: Der deutsche Vernichtungskrieg kehrt heim ins Reich. Die Steiermark wird Kampfgebiet, Bomben fallen auf Graz. Das NS-Regime setzt alles auf eine Karte: Hitlerjungen und Volkssturm-Pensionisten sollen die heranrückende Rote Armee aufhalten. Die SS geht mit unbeschreiblicher Brutalität gegen vermeintliche und wirkliche Gegner des Nationalsozialismus vor.


Keine Gnade für Deserteure

  Männer, die ihr Leben nicht weiter dem Führer opfern wollten, gab es beinahe in jedem oststeirischen Dorf. Anton Papst aus Söchau hielt sich drei Jahre lang auf seinem kleinen Bauernhof versteckt. Seine Frau mußte in der Öffentlichkeit um ihn weinen, um den Verdacht der lokalen Nazigrößen zu zerstreuen. Als Herr Papst nach dem Krieg anläßlich einer Fronleichnamsprozession den "Himmel" tragen sollte, wurde er wegenseiner Deserteursvergangenheit von vielen Söchauern dieser Ehre nicht für würdig befunden.
Frau Maria Lang aus Unterlamm, die ihren Mann versteckte, erzählte ebenfalls, daß sie sich nach dem Krieg grobe Reden anhören mußte, "weil ich so falsch (unehrlich) war." Bei Kriegsende wurden viele Deserteure hingerichtet. Der Hatzendorfer Rudi Neubauer erfuhr im Grazer Lazarett, daß die Russen schon in Fehring seien. Er fuhr heim und versteckte sich bei seiner Mutter. Vor den Augen seiner Mutter schossen ihn SS-Angehörige, die ihn aufgestöbert hatten, zuerst in die Hoden, dann in den Kopf. Der vielfache Vater Friedrich Kaspar aus Loiberg und sein Nachbar Johann wollten ihre Familie im Kampfgebiet allein lassen. Sie wurden verraten und in den letzten Kriegstagen in der Reiterkaserne in Graz hingerichtet.


Acht Monate Zuchthaus für einen Tanz

 

Amalia Neubauer
Frauen, die Kontakte zu Kriegsgefangenen unterhielten, wurden zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Hohe Strafen gab es aber auch schon für geringere "Vergehen": Frau Amalia Neubauer aus Oberlamm wurde zu acht Monate Gefängnis verurteilt, weil sie nicht nur mit ihrem Mann und den Nachbarn, sondern auch mit dem französischen Kriegsgefangenen Georges bei einer Faschingsmusi in der eigenen Stube tanzte.
Herr Rath aus Söchau weiß aber auch von einer kleinen Heldentat zu erzählen: "Wir waren fast alle im Krieg, und die Franzosen waren durchwegs fesche, intelligente, liebenswürdige Burschen. So darf es uns nicht wundern,
daß sich da manchmal etwas ergeben hat. Ein Treffpunkt war z.B. hinter der Friedhofsmauer. Als eine Frau von einem Franzosen ein Kind erwartete, hat ein unbeteiligter Einheimischer erklärt, daß er der Vater sei, und damit der Frau das Gefängnis erspart."


Der "Judenball" von Prebersdorf
  Zwischen 70.000 und 110.000 ungarische Juden, die zum Bau des "Südostwalles" eingesetzt waren, wurden in Eilmärschen durch die Steiermark in Richtung Mauthausen getrieben. Nur 20.000 überlebten diesen Todesmarsch. Wer um ein Stück Brot bat oder eine Rübe aus einem Feld zog, wurde sofort von den Bewachern - SS, SA, HJ, Volkssturm - erschossen. In Gnies konnten sich 21 Juden vom Todeszug absetzen und in einem von Gniesern gebauten Bunker um Naglwald verstecken. Sie wurden aber von Einheimischen verraten, aufgegriffen und in Prebensdorf ermordet. Aus Klöch sind 120, aus St. Anna am Aigen 48 und aus Egelsdorf 32 Exhumierungen bekannt. In Ilz und Blumau kamen 20, in Graz-Liebenau 35, in Rothleiten 40, in Eisenerz 200 und in Judenburg 13 ungarische Juden ums Leben.
In Hatzendorf mußten Juden die Trümmer nach einer Brückensprengung wegräumen. Danach wurden sechs von ihnen erschossen. Beklemmendes Detail: In Prebensdorf mußten Ex-Nazis 1946 strafweise 21 Leichen von Juden exhumieren. Dabei entstand statt Betroffenheit ein Saufgelage, das damals "Judenball" genannt wurde.


Kinder, in den Tod gehetzt

 

Johann Neubauer, 16, Opfer des Tieffliegerangriffs von 26.2.45
Am 26.2.1945 kamen 16 jugendliche Schanzarbeiter , die per Bahn von ihrem Einsatz heimkehrten, in Hohenbrugg bei Fehring bei einem Tieffliegerangriff ums Leben. Der Zug war trotz Warnung in Jennersdorf abgefahren. Der HJ-Führer Hermann R., der die Abfahrt "auf seine Verantwortung hin" erzwang, saß allerdings nicht im Zug, sondern in einem PKW.
 


Morde aus schlechtem Gewissen

 

Die Polin Olga Dozenka (links)
Zwangsarbeiterin bei Ilz




Anna, 19, eine in Ottendorf
ermordete Ukrainerin

Franz Hatzendorfer, sozialistischer Betriebsrat im Kohlebergwerk Ilz und ehemaliger Gemeindekassier, galt bei Kriegsende als Anwärter auf hohe Parteiämter. Zwei Tage vor Kriegsende wurde er mit acht Schüssen aus dem Hinterhalt ermordet. Nazigrößen aus der Gegend um Ilz, die Vergeltung fürchteten, dürften den SS-Mann Klarwitter um die Ermordung von Franz Hatzendorfer ersucht haben. Klarwitter wurde am 18.9.1963 verurteilt.
Die 21 Jahre junge Polin Olga Dozenka war in der Schalkmühle in Kalsdorf bei Ilz beschäftigt. Ein Nazi-Funktionär fürchtete, daß sie sich über ihn bei den Russen beschweren könnte; er soll ihre Ermordung in die Wege geleitet haben. Ein SS-Mann lockte sie nach Reigersberg, wo sie ermordet im Straßengraben gefunden wurde.

In Stang bei Hatzendorf erzählte ein SS-Mann einer Bauerntochter vom Kampfgeschehen. Eine Ukrainerin, die dies während ihrer Arbeit mitanhören
mußte, wurde als Mitwisserin im Wald ermordet. In Schweinz trafen sich öfter OstarbeiterInnen.
Einer davon soll Drohungen gegen die Bauern ausgestoßen und angedeutet haben, er wisse, wo sie ihre Habseligkeiten vergraben hatten, um sie vor den Russen zu schützen. Die Bevölkerung meldete dies der SS, woraufhin sieben UkrainerInnen verhaftet, sechs von ihnen bei Ottendorf erschossen und eine Frau verschleppt und vergewaltigt wurde. Tossi, ein 18jähriges Mädchen, wurde 1945 in Neudorf von Wehrmachtsangehörigen vergewaltigt und verschleppt.


Schlachtfeld Oststeiermark

Ohne Rücksicht auf Verluste versuchten SS-Verbände, die Rote Armee aufzuhalten. Volkssturm (Hitlerjungen und Pensionisten) sollten das Unmögliche vollbringen. In Loipersdorf beschimpfte Frau Waldegger einen SS-Angehörigen, weil ihr Sohn schwer verwundet worden war und in ihr Wohnhaus Löcher für Schießscharten gebrochen wurden. Daraufhin warf der SS-Mann eine Handgranate in die Tür – und tötete damit Frau Waldeggers Tochter, eine junge Mutter.

Auch Angehörige der Roten Armee ließen sich nach dem Einmarsch Vergewaltigungen, Totschlag und Plünderungen zuschulden kommen, und oft waren gänzlich unschuldige Menschen die Opfer. So wurden zum Beispiel in Unterlamm der Schuldirektor Schwarz nach einem Handgemenge und der Pensionist Franz Janisch wegen Arbeitsverweigerung erschossen. Die 15jährige Frieda Kapper versteckte sich im Bett. Ein russischer Soldat schoß in das Bett und traf sie tödlich. Am 1. Mai veranstaltete die Rote Armee im bereits besetzten Fehring einen Umzug. Plötzlich stand einer der betrunkenen Soldaten in einer Stube, in der 17 FehringerInnen Zuflucht gefunden hatten. Alle waren wie versteinert vor Angst – bis Frau Krassnig ein russisches Volkslied anstimmte, das vom Don-Kosaken Sstjenjka Rasin handelt und beim Maisschälen häufig gesungen wurde. Die Fehringer stimmten mit ein, und auch der junge russische Soldat sang auf russisch zur selben Melodie, wobei ihm die Tränen über die Wangen rannen. Die Gefahr war vorbei …

Der Autor dieses Beitrages, Engelbert Kremshofer aus Ottendorf, hat mit vielen Zeitzeugen gesprochen und deren bislang tabuisierte Schilderungen in Heimatbüchern veröffentlicht.

   


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