An der Lokalgeschichte Interessierte wissen: Wenige Tage nach der
Befreiung im Jahr 1945 erstattete der ehemalige Polizeibeamte Karl
Burg, der am Bergrücken oberhalb des Feliferhofs in
Wetzelsdorf wohnte, Anzeige gegen die Urheber eines grauenhaften
Verbrechens, das als „das Umlegen am Feliferhof“ bekannt
wurde: Bis in die allerletzten Kriegstage hinein hatten hier Hinrichtungen
stattgefunden, Ende April 1945 wurden Leichen in Massengräbern
verscharrt. Zwischen 18. und 21. Mai 1945 wurden 142 Leichen in
einem von Burg bezeichneten Massengrab gefunden, die am Sonntag,
dem 27. Mai im Beisein von Tausenden Trauergästen, darunter
der gesamten Stadt- und Landesregierung, am Zentralfriedhof beigesetzt
wurden.
„Hütet Frieden und Freiheit, denn wir starben für
sie“ –
Denkmal am Grazer Zentralfriedhof für die Opfer der Feliferhof-Morde
Im Mittelpunkt der zeitgenössischen Berichterstattung um die
142 aufgefundenen Opfer der Nationalsozialisten stand die Ermordung
von Dr. Julia Pongracic, die gemeinsam mit anderen
Mitgliedern einer sozialistischen Widerstandsgruppe am 3. April
1945 – wie es hieß – von der Gestapo hingerichtet
wurde. Doch bald schon geriet dieses Verbrechen in Vergessenheit,
zumal die Schuldigen für diese Morde auch nie vor Gericht gestellt
wurden. Erst im Jahr 1980 wurde anlässlich des Tags der Menschenrechte
auf Initiative des damaligen Majors Manfred Oswald
durch die Österreichische Liga für Menschenrechte am Feliferhof
eine Gedenktafel für die hier zwischen 1941 und 1945 Hingerichteten
angebracht. Die 142 im Mai 1945 Exhumierten sind aber fast alle
nicht am Feliferhof, sondern in der heutigen Belgier-Kaserne ermordet
worden.
Eine blutige Spur quer durch die Steiermark
Dass die Opfer noch in den letzten Wochen und Tagen des NS-Regimes
getötet wurden, hängt mit der militärischen Lage
Ende März und Anfang April 1945 zusammen. So wurden durch das
Näherrücken der Roten Armee Ende März 1945 jene Lager
aufgelöst, in denen seit Herbst 1944 ungarischen Juden zur
Zwangsarbeit – sie mussten Schanzanlagen zur Verteidigung
errichten – angehalten worden waren. In so genannten „Todesmärschen“
wurden tausende Juden durch die Steiermark nach Mauthausen getrieben.
Wer erschöpft war und nicht mehr mitkonnte, wurde von den Begleitmannschaften
erschossen. Quer durch die Steiermark zog sich eine blutige Spur,
am Eisenerzer Präbichl kam es zu einem Blutbad, als SA-Männer
und der lokale Volkssturm wahllos in die Marschierenden hineinschossen
und ein Massaker an rund 200 Juden verübten.
Während man über dieses Massaker heute Bescheid weiß
– auch da die britischen Militärbehörden 1946 einen
großen Kriegsverbrecherprozess führte und zwölf
Personen zum Tode verurteilten –, ist die Ermordung von über
100 ungarischen Juden in der Kaserne in Wetzelsdorf nahezu unbekannt
und ungesühnt geblieben. Es ist nicht einmal klar, ob alle
Leichen 1945 exhumiert worden sind.
Es gab Zeugen
Dabei existieren Zeugenaussagen, die über dieses Verbrechen
Auskunft geben. Dem KORSO vorliegenden Akten ist zu entnehmen, dass
der in der Kaserne beschäftigte Gärtner Anfang April 1945
beobachtet hat, wie SS-Männer am Dienstag nach Ostern rund
120 Juden in die Kaserne brachten. „Die Juden wurden dann
verhört und eingesperrt und noch in derselben Nacht partienweise
erschossen. Ich hörte von Mitternacht bis ungefähr drei
Uhr früh Schüsse. In der Früh, als ich um sechs Uhr
die Wohnung verließ, waren Arrestanten der SS-Kaserne damit
beschäftigt, die sechs Bombentrichter zuzuschaufeln, die sich
in der SS-Kaserne neben dem Sportplatz der SS-Kaserne befanden.
Sämtliches Gepäck der Juden wurde in der Nähe der
Halle drei aufgeschlichtet und die SS-Leute nahmen sich vom Gepäck,
was sie brauchen konnten. Beim Gepäck sah ich auch zahlreiche
jüdische Gebetsbücher herumliegen.“
Ähnliches berichtete auch der in der Kaserne zwangsverpflichtete
Holländer Jonny von Reens, der den Transport
mit rund 150 Juden angibt, die aus Feldbach kamen. „Die Juden
wurden gleich nach der Ankunft auf den Sportplatz getrieben und
dort schwer misshandelt. Dann wurden die Juden in Gruppen von je
30 Mann in die Gerichtsabteilung abgeführt. Dort mussten sie
alle Kleider, Schuhe, Schmuck und alles, was sie bei sich hatten,
abgeben. Sie wurden dann gruppenweise in verschiedene Bombentrichter
am Sportplatz abgeführt und in die Trichter hineingeschossen.
Die Trichter wurden sogleich zugegraben.“
Auch im Leechwald liegen noch die Leichen von Gestapo-Opfern
In diese Bombentrichter wurden auch jene Personen wie Dr. Julia
Pongracic hineingeschossen, die von der Gestapo ab dem 2. April
1945 in die Kaserne überstellt wurden. Der Hintergrund für
diese zweite Mordaktion in der SS-Kaserne war der Befehl zur Räumung
der Haftanstalten vor dem Näherrücken der Roten Armee.
Dieser anlässlich einer Konferenz der Reichsverteidigungskommissare
erlassene Befehl sah für die Staatspolizei vor, dass die „leichteren“
Fälle sofort auf freien Fuß zu setzen seien, die „schweren“
Fälle aber alle listenmäßig erfasst und dem Leiter
der Gestapo, SS-Obersturmbannführer Dr. Josef Stüber,
übergeben werden mussten, der diese wiederum Gauleiter Dr.
Sigfried Uiberreither vorlegte. Anfang April 1945
erhielt der Gestapobeamte Adolf Herz schließlich
den Befehl, zwölf Häftlinge des Landesgerichts sowie die
Mitglieder der Gruppe um Rudolf Hübner zu exekutieren.
Herz gab in den ab 1948 gegen ihn geführten gerichtlichen
Untersuchungen mit diesen Morden konfrontiert an, er habe sich gegen
diesen Befehl gewandt und Stüber vorgeschlagen, die Häftlinge
nach Wetzelsdorf zu bringen, wo die SS Exekutionen durchführe.
In der Folge habe er an vier Tagen zwischen 2. April und 2. Mai
1945 insgesamt 49 Häftlinge aus dem Polizeigefängnis abholen
lassen. Weitere Häftlinge – wie Maximilian Haitzmann
oder der Kärntner Josef Logar – wurden
am 7. bzw. 18. April aus dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus
abgeholt.
Die am 18. April abgeholten Häftlinge wurden aber nicht mehr
in die SS-Kaserne gebracht, wo der Kasernen-Kommandant, SS-Sturmbannführer
Willi Schweitzer, nach seiner Rückkehr von seinem
Fronteinsatz weitere Erschießungen verbot und die Exhumierung
der in den Bombentrichter verscharrten Leichen anordnete, sondern
gemeinsam mit weiteren Häftlingen des Landesgerichts Graz nach
Maria Grün transportiert. Der Fahrer dieser Transporte, Franz
Feirer, berichtete, dass er mit rund zehn Häftlingen
von der Paulustorgasse zum Landesgericht fuhr, dort weitere vier
bis sechs Häftlinge zulud und mit diesen Richtung Maria Trost
fuhr, wo diese bei den Baracken Am Rehgrund aussteigen und in Begleitung
der Gestapobeamten Richtung Hang gehen mussten, wo sie ermordet
und verscharrt wurden.
Auch nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wurde niemand
zur Verantwortung gezogen
Die mit diesem Verbrechen konfrontierten Gestapobeamten und die
SS-Männer taten nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft
das, was sie geschworen hatten – sie schwiegen. Univ.-Prof.
Dr. Martin Polaschek vom Institut für Österreichische
Rechtsgeschichte, Leiter einer Forschungsgruppe zu den Kriegsverbrecherprozessen
nach 1945, meint, dass nie jemand wegen der Verbrechen in der ehemaligen
SS-Kaserne zur Verantwortung gezogen sei. So sei etwa der ehemalige
Gauleiter der Steiermark, der als Reichsverteidigungskommissar diese
Ermordungen angeordnet hatte, im Mai 1947 unter nie geklärten
Umständen aus alliierter Haft entkommen. Er lebte bis 1984
unbehelligt in Sindelfingen bei Stuttgart unter dem Namen Friedrich
Schönhartinger. Der Kommandant der SS-Kaserne, Willi Schweitzer,
wurde am 7. Mai 1948 gemeinsam mit acht weiteren SS-Männern
von einem US-amerikanischen Gericht vom Vorwurf der Ermordung von
13 amerikanischen Fliegern in der Wetzelsdorfer Kaserne freigesprochen.
Drei Wochen später wurde Schweitzer in einem zweiten Prozess
jedoch wegen Anstiftung zur Ermordung von US-Fliegern in Graz-Strassgang
zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde schließlich am 22. November
1954 in eine 28-jährige Haftstrafe umgewandelt. Schon am 4.
Februar 1955 wurde Schweitzer aber entlassen. Wegen der Morde an
den Juden bzw. den politischen Gefangenen wurde gegen ihn nie ermittelt,
da er zum fraglichen Zeitpunkt – Anfang April 1945 –
nachweislich nicht in Graz war. Die für die Erschießungen
der ungarischen Juden und der politischen Häftlinge Verantwortlichen
der SS-Kaserne, der zuständige Gerichtsoffizier, SS-Obersturmführer
Dr. Rudolf Müller, und SS-Unterscharführer
Walter Dittmann wurden nicht ausgeforscht.
1945: Exhumierungen am Feliferhof – 2005:
Es ist an der Zeit, nach den damals nicht gefundenen Opfern zu forschen,
um sie endlich in Würde zu bestatten
Ebenfalls nie angeklagt wurden die von verschiedenen Zeugen als
Mitglieder der Exekutionskommandos genannten SS-Männer. Gegen
den für die „Leerung“ der Grazer Gefangenenhäuser
und somit für die Ermordung der politischen Häftlinge
verantwortlichen Gestapo-Leiter Dr. Josef Stüber, der aus der
Gegend von Oppeln stammte und nach 1945 nach Deutschland zurückkehrte,
liefen in Österreich ab 1947 Voruntersuchungen, die in den
1960er Jahren eingestellt wurden. Ebenfalls wegen Mordes wurden
Voruntersuchungen gegen Adolf Herz und andere von verschiedenen
Zeugen im Zusammenhang mit den Ermordungen genannte Gestapobeamte
eingeleitet. Alle versicherten, entweder nur als Begleitung mit
dem Auto bis nach Wetzelsdorf mitgefahren oder bei dieser Aktion
überhaupt nicht beteiligt gewesen zu sein, weswegen sie alle
– wenn überhaupt – wegen Misshandlungen von Häftlingen
bei der Gestapo zu zeitlich bedingten Freiheitsstrafen verurteilt
wurden. So wurde Herz am 10. Juni 1949 zu zehn Jahren Kerker verurteilt,
zwei Jahre später aber wieder bedingt aus der Haft entlassen.
Nicht alle wurden gefunden
Bereits unmittelbar nach dem Auffinden der Leichen am Feliferhof
tauchten erste Zweifel auf, ob damals tatsächlich alle Opfer
der SS und der Gestapo exhumiert worden seien. So meinte etwa der
spätere Zentralsekretär der SPÖ Fritz Marsch,
dessen Vater gemeinsam mit Hübner und Pongracic am 3. April
in die SS-Kaserne gebracht wurde: „Ich habe die Leichen zweimal
gesehen und zwar am Feliferhof und am Friedhof. Mein Vater war nicht
dabei.“ Ebenfalls nicht unter den 142 Leichen befanden sich
Maximilian Haitzmann und Franz Büschinger. Zweifellos nicht
gefunden wurden auch die Leichen der im Leechwald am 18. April 1945
Ermordeten. Aber auch in der Kaserne und am Feliferhof dürfte
es noch weitere Gräber geben.
Schweitzer hat Mitte April 1945 veranlasst, dass am Feliferhof
ein Grab ausgehoben wurde, in das vier zum Tode Verurteilte SS-Männer
sowie mehrere Häftlinge der Gestapo die in der Kaserne in den
Bombentrichtern Verscharrten umbetteten, ehe auch sie am Feliferhof
in das Grab geschossen wurden. Doch ob tatsächlich alle Leichen
aus der Kaserne abtransportiert wurden, bezweifelt etwa eine Zeugin,
die vom Dachbodenfenster aus die Erschießungen der ungarischen
Juden beobachtet hatte. Sie meinte, dass die Briten seinerzeit aufgrund
der von den Sowjets erfolgten Umbauten am Exerzierplatz von weiteren
Exhumierungen Abstand genommen hätten, da die Bombengräben
nur mehr schwer lokalisierbar gewesen wären. Karl Burg, der
im Mai 1945 das Massengrab mit den 142 Leichen den Behörden
gemeldet hatte, gab später zu Protokoll, dass „außer
dem von mir bezeichneten Massengrab, aus welchen die Leichen geborgen
wurden, sich im Gelände des Schießplatzes Feliferhof
in verschiedenen Bombentrichter noch Menschen begraben befinden.
Dies habe ich seinerzeit mehrmals dem ehemaligen Sicherheitsdirektor
Alois Rosenwirth persönlich mitgeteilt. Hierauf gab mir Rosenwirth
zur Antwort: Im Augenblick sei für derlei Dinge keine Zeit,
dass schließlich auch ich es unterlassen habe, mich weiter
darum zu kümmern.“ 60 Jahre danach wäre eigentlich
Zeit.
Heimo Halbrainer
|
Am 12. Dezember 2005 wird in der Belgier-Kaserne in Graz-Wetzelsdorf
– die heute das Kommando Internationale Einsätze des
Österreichischen Bundesheers beherbergt – ein Gedenkstein
enthüllt. Er soll an die letzten Opfer des nationalsozialistischen
Systems erinnern, die hier im April 1945 ermordet wurden. Dass dies
noch im heurigen Gedenkjahr passiert, hängt nicht mit dem Bemühen
staatlicher Stellen zusammen, eines der größten NS-Verbrechen
in der Steiermark aufzuarbeiten, sondern ist der Privatinitiative
des Kärntners Karl Haitzmann zu verdanken.
Haitzmann, der selbst in der Belgier-Kaserne ausgebildet wurde
und Oberstleutnant der Reserve ist, hat im Jänner dieses Jahres
in einem Brief an Minister Günter Platter
und an den Militärkommandanten von Steiermark, Generalmajor
Mag. Heinrich Winklmayer, angeregt, eine Tafel
zu setzen, auf der folgender Text stehen sollte: „Unmittelbar
vor Kriegsende wurden in dieser Kaserne 166 Widerstandskämpfer
und Kriegsgefangene durch die SS ermordet. Gedenket ihrer –
sie starben für Österreichs Freiheit.“
Einer dieser Ermordeten war Karl Haitzmanns Vater Maximilian.
Dieser war gemeinsam mit seiner Frau, Emma, Franz
und Franziska Büschinger, Otto und Siegfriede
Hauberger von Hubert Moretti, einem Spitzel,
der sich in die Widerstandsgruppe in Kapfenberg eingeschlichen hatte,
denunziert worden. Am 20. November 1944 wurden Franz Büschinger,
Maximilian Haitzmann und Siegfriede Hauberger vom Volksgerichtshof
zum Tode verurteilt. Während Hauberger in Wels von den Amerikanern
aus der Haft befreit werden konnte, sind Büschinger und Haitzmann
mit großer Wahrscheinlichkeit am 7. April 1945 von Gestapobeamten
aus dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus abgeholt und ermordet
worden.
Mit dem Gedenkstein in der Belgier-Kaserne, auf dem nun der von
der militärhistorischen Denkmalkommission verfasste Text „Unmittelbar
vor Kriegsende wurden in dieser Kaserne Widerstandskämpfer
und Kriegsgefangene durch die SS ermordet. Sie starben im Kampf
gegen die NS-Gewaltherrschaft. Gleichzeitig gedenken wir der Ungarn,
die in Folge des Rassenwahns hier ihr Leben ließen.“
steht, wird die größte nationalsozialistische Mordaktion
in Graz wieder ins historische Bewusstsein geholt.
|