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Türken-Bashing ist angesagt. Offenbar gewinnt die nächsten
Wahlen, wer sich deftiger über die Menschenrechtsverächter
am Bosporus äußert. Wer sich angesichts solcher Ausfälle
möglichst ruhig verhält, verliert zumindest keine Stimmen.
Wenn das in der Tat die aktuelle politische Großwetterlage
sein sollte, muss der Bürgermeister einer Stadt, in der viertausend
Menschen türkischer Herkunft leben, sich um Klarstellungen
bemühen. Er muss darauf bedacht sein, dass die Debatte um den
EU-Beitritt der Türkei – in Wirklichkeit ohnehin ein
bloßer Schattenboxkampf, der die eigentlich zu führende
Diskussion um den neoliberalen Gehalt der EU-Politik verdunkelt
– nicht eine gefährliche Schlagseite bekommt, die sich
gegen die hier lebenden MigrantInnen richtet. Wenn er sich stattdessen
zum Wortführer der Stammtische macht und mit Bildern aus der
Zeit der Türkenkriege Vorurteile schürt (wir wollen ja
von der islamischen Welt auch nicht als direkte Nachfolger der sengenden
und mordenden Kreuzritter betrachtet werden), hat er damit deutlich
gemacht, dass er nicht mehr Bürgermeister aller GrazerInnen
sein will, sondern Oppositionsführer einer Gruppierung am rechten
Rand. Aus Angst, sie könnten selbst der politischen Todsünde
der Turkophilie überführt werden, verwehren ihm seine
eigene Partei, SP und KP allerdings hartnäckig die Verwirklichung
dieser neuen Karriere.
Die einzige, deren Zurückhaltung in dieser
Frage wir zwar bedauern, aber verstehen können, ist jene Grazer
Gemeinderätin und Intellektuelle türkischer Herkunft,
die wesentlich glaubwürdiger die europäischen Werte der
Aufklärung vertritt als diverse reinrassig steirische SchwätzerInnen
in der Gemeindestube, deren Potenzial gerade mal zur fehlerfreien
Bedienung eines Spatens bei diversen Eröffnungszeremonien reicht.
Christian Stenner
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Hallo, lieber Freund!
Ich weiß, du hoffst heimlich, mir ginge einmal der Stoff aus
für meine Briefe aus Absurdistan. Aber weit gefehlt! Oder fändest
du es nicht absurd, wenn Frank Stronach, als Besitzer des weltweiten
größten Automobilkonzerns, plötzlich gegen die Autoindustrie
vom Leder zöge? Unvorstellbar auch, dass Walter Schachner,
Osims legitimer Nachfolger als der Grazer Fußballtrainer,
plötzlich wider den Fußball spräche. Und was hieltest
du davon, wenn der Bürgermeister der Stadt der Menschenrechte
diese plötzlich zur Hauptstadt der Intoleranz ausriefe?
Ganz ehrlich, wenn du es nicht schon wüsstest,
welche der drei Varianten erschiene dir am unwahrscheinlichsten?
Vielleicht entsagt Frank Stronach wirklich einmal dem Unternehmertum,
verkauft um Milliarden Euro seine Firma und kritisiert dann die
Schwachstellen der Autoindustrie, die er, ebenso wie ihre Stärken
natürlich, kennt wie kaum ein anderer. Um seiner Tochter Belinda
in ihrer politischen Karriere zu helfen, zum Beispiel?
Oder die immer heftigeren Ausschreitungen auf
den Fantribünen der Fußballstadien nehmen so zu, dass
Walter Schachner als Donawitzer Stahlbua die soziale Kluft gegenüber
den VIP-Klubs auffällt und er deshalb beginnt, den ganzen Fußballzirkus
in Frage zu stellen. Wer weiß?
Oder die steirische ÖVP kommt in ihrem verzweifelten
Landtagswahlkampf auf die Idee, dass da in Graz durchaus schon immer
ein ordentliches Rechtswählerpotenzial zuhause war. Und dann
darf der Grazer ÖVP-Bürgermeister die Sau rauslassen,
wie es so schön auf steirisch heißt: Zuerst eine überraschende
Attacke gegen die Schwulen und Lesben. Das Schöne dran allerdings
ist, die können sich selber wehren. So deppert ist unsere Gesellschaft
nicht mehr, dass jemand wegen seiner sexuellen Ausrichtung nicht
auch in gute Positionen kommen kann, wenn sie/er gut im Job ist.
Dann wird die „Mobilisierungsfähigkeit“ jener Grazerinnen
und Grazer gelobt, die schon in NS-Zeiten dabei waren. Und wer sich
sonst halt noch angesprochen fühlen will, vom smarten Herrn
Bürgermeister und seiner Partei, dem kann man’s halt
auch nicht verbieten.
Und jetzt, drei Monate vor dem entscheidenden
Tag der größten Abwehrschlacht der Macht gewohnten steirischen
Volkspartei, zu jener Zeit, wo Medienprofis Sommerthemen setzen,
teilt er den Türken mit, dass „wir“ sie nicht in
unseren Wohnzimmern wollen. So geht das halt, wenn die Wahlkampfstrategen
der Frau Klasnic die Politik machen, meinen die ironischen Stimmen.
Dazu mein offener Brief an den Grazer Bürgermeister
Nagl:
Ich möchte Sie sehr bitten, nicht mehr „wir“ zu
sagen in Ihrer Funktion als leider auch mein Bürgermeister.
Für mich sprechen Sie nämlich nicht mehr. Und für
Zehntausende Menschen ausländischer Abstammung, die auch Grazer
Bürger sind, sicher auch nicht. Jetzt ziehen wir noch die tausenden
schwulen und lesbischen Menschen in der Stadt ab und alle die, die
noch wissen, dass die NS-Herrschaft ein Gräuelregime der Intoleranz
war. Ich verstehe, dass Sie nach den zwanzig- oder dreißigtausend
rechten Wählerstimmen in Graz fischen wollen. Aber das Recht,
für die Mehrheit der Grazerinnen und Grazer (die Sie ohnehin
nie gewählt hat) zu sprechen haben Sie damit wohl verspielt.
Mit der Bitte über die möglichen Konsequenzen nachzudenken
Verbleibt Ihr
Robin Hut
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