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Am Ursprung der Krise: Ungerechte Verteilung
Mittwoch, 11. März 2009
Keine Frage, dass die Finanzkrise der Auslöser für den aktuellen Wirtschaftseinbruch ist. Aber: Das Potenzial dafür hat sich über lange Zeit hinweg aufgebaut. Schuld ist die seit Jahrzehnten immer ungleichere Verteilung der Produktivitätsgewinne – die arbeitenden Menschen bekommen einen immer kleineren Anteil vom Kuchen, das Kapital immer mehr. Wirtschaftswissenschafter sind überzeugt: Wenn daran nichts geändert wird, laufen alle anderen Maßnahmen ins Leere; dann steht das gesamte System in Frage.

Der Ökonom und Statistiker Michel Husson, früherer Mitarbeiter im französischen Wirtschafts- und Industrieministerium, seit 1990 Leiter der Arbeitsgruppe „Beschäftigung“ im gewerkschaftsnahen „Institut de recherches économiques et sociales“ räumt auf mit der Mär, dass „die Finanzblasen nur auf den Illusionen raffgieriger Spekulanten beruhen.“ Sie werden, sagt der Wirtschaftswissenschafter, der auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von ATTAC ist, „durch die permanente Erzeugung überschüssigen Kapitals genährt.“ Dieses überschüssige Kapital stammt aber zum Großteil nicht etwa – früher eine beliebte Behauptung von Mainstream-Ökonomen – aus den „Sparbücheln“, sondern aus nicht in die Betriebe reinvestierten Gewinnen. Und diese wachsen, weil der Anteil der Löhne am gesamten Bruttoinlandsprodukt seit dem Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts sinkt und gleichzeitig immer weniger von den steigenden Gewinnen investiert wird – (siehe dazu auch die Grafik auf dieser Seite).

Überschüssiges Kapital will sich vermehren. Die Tatsache, dass die aus steigender Produktivität stammenden Gewinne nicht mehr im gleichen Ausmaß wie vor der Durchsetzung der neoliberalen „Reformen“ auf Kapital und Arbeit aufgeteilt wurden – etwa wie in den Jahrzehnten zuvor durch Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich – hat einen Teufelskreislauf in Gang gesetzt. Husson: „Das überschüssige Kapital zirkuliert auf der Suche nach höchstmöglicher Rendite und erzielt sie auch – wenigstens vorübergehend – in bestimmten Sektoren. Die Banken streichen einen wachsenden Anteil der Gewinne ein. Diese Konkurrenz um die Höchstrendite hebt die Rentabilitätsnorm weiter an und schmälert dadurch die als rentabel erachteten Investitionsmöglichkeiten, wodurch wiederum neues Kapital freigesetzt wird, das sich seinerseits auf die Suche nach Höchstrenditen in der Finanzsphäre begibt.“ Auf gut Deutsch: Man investiert weniger in die Betriebe, weil Finanzanlagen mehr Profit bringen. Begünstigt und weiter angeheizt wurde dies durch die komplette Deregulierung am Finanzsektor und die Erfindung immer fantasievollerer Finanzprodukte.

„Ansprüche des Kapitals müssen gekürzt werden – wie in einem Konkursverfahren“. Der Linzer Mathematiker und Finanzwissenschaftsexperte Erhard Glötzl drückt den von Husson angesprochenen Sachverhalt so aus: „Der Anspruch des Kapitals wächst stärker als es die Renditen der Realwirtschaft zulassen.“ Wenn die Realwirtschaft aber die verlangten Zinsen nicht mehr zahlen kann, geht die Spirale nach unten – Kredite werden fällig gestellt, neue Kredite knapp oder nur mit hohen Risikoaufschlägen vergeben, die Unternehmen müssen Liquidität halten, um nicht in Konkurs zu gehen, und verzichten daher auf Investitionen, damit gehen Arbeitsplätze verloren, damit sinkt die Massenkaufkraft, die Realwirtschaft schrumpft und kann somit die Renditeansprüche des Kapitals noch weniger erfüllen – kurz: Die Rezession, wie wir sie gerade erleben, hat begonnen.
Für den habilitierten Mathematiker, pensionierten Vorstandsdirektor der Linz AG und früher u.a. Lehrbeauftragten für Finanzwissenschaft an der Donauuniversität Krems gibt es daher nur einen Ausweg aus der Krise: „Die Ansprüche des Kapitals müssen wie in einem normalen Konkursverfahren gekürzt werden.“ In einer ersten Stufe müsse dies durch einen Zugriff auf das Eigenkapital der Banken geschehen, wobei die Eigentümer nur über Besserungsscheine entschädigt werden dürften – also Geld erst in Zukunft und in Abhängigkeit von der Ertragslage der Bank bekämen. Das gesamte Bankwesen müsse wegen der zentralen Rolle des Geldes für das Funktionieren der Wirtschaft unter öffentlicher Kontrolle stehen. In zweiter Linie müssten die verantwortlichen Management und Eigentümer in die Haftung genommen werden – Bonuszahlung etwa rückwirkend zurückgefordert werden.
Die wichtigste Maßnahme, so Glötzl, sei aber eine progressive Kapitalbesteuerung: „Die Einkommen aus Kapital müssen so besteuert werden, dass sie nicht stärker wachsen als das Bruttoinlandsprodukt – durch einen Mix aus Kapitalvermögenssteuern, Kapitaleinkommenssteuern, Kapitaltransaktionssteuern usw.“

Hoffen auf die Einsicht der Kapitalbesitzer. Die aktuellen Konjunkturprogramme zur Bekämpfung der Krise kranken, so Glötzl, daran, „dass sie das Umverteilungsspiel von Arbeits- zu Kapitaleinkommen fortsetzen: Der Staat leiht sich das Geld für diese Investitionen bei den Kapitaleigentümern und zahlt dafür Zinsen, die von den Steuerzahlern bezahlt werden.“ Konjunkturprogramme müssten statt dessen aus Kapitalsteuern finanziert werden, allenfalls durch produktive Kreditschöpfung durch die Notenbank mit strengen Auflagen – etwa ausschließlich zur Unterstützung für innovativer Investitionen in den Schlüsselbereichen der Wirtschaft.
Glötzls Prognosen für den weiteren Krisenverlauf sind eher düster, und er beruft sich dabei auf die japanische Krise der 90er Jahre: Dort war 1990 die Aktien- und Immobilienblase geplatzt, die Banken saßen ähnlich wie bei der aktuellen amerikanischen Subprime-Crisis auf einem Berg fauler Kredite und vergaben daher nur sehr zögerlich neue Kredite, obwohl die Bank of Japan die Leitzinsen gegen Null senkte, wie es jetzt tendenziell auch die EZB und die FED tun. Die Unternehmen kürzten ihre Investitionen und die Wirtschaft erholte sich nicht mehr wirklich, obwohl sie durch Exporte in die USA die schwache Inlandsnachfrage wenigstens teilweise kompensieren konnte. Wenn die Krise aber wie jetzt global greift, gibt es auch keine stabilen Exportmärkte mehr.
Was passieren könnte, wenn die Wirtschaft weiter einbricht, fürchtet Glötzl an der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu erkennen: „Dann geht das Vertrauen in die Politik verloren und damit auch in die Demokratie.“ Und er hofft auf die Einsicht der Kapitalbesitzer – denn auch für diese sei es doch letztendlich besser, „wenn Kapital geregelt und besteuert wird – und nicht in einer gesellschaftlichen Katastrophe vernichtet.“


\ Christian Stenner

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