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Die alte Dame blieb zu lange |
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Gut gelungen: Claire Zachanassian als Puppe, Johanna Taferner, Daniel Friedrich, Suse Wächter. Foto: Peter Manninger
Die Parabel kennt üblicherweise keine Pause. Kein Wunder, dass sich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame" am 16.2. im Grazer Schauspielhaus (mit Pause) etwas dahinzog. Das Stück über Claire Zachanassian, die eine ganze Stadt - Güllen - besticht, um Rache an ihrem Liebhaber zu nehmen, der ihr vor 20 Jahren übel mitspielt hatte, begründete Dürrenmatts weltweiten Ruhm. Die tragische Komödie, als makelloses Uhrwerk konstruiert, umfasst viele Themen. Aber ihr Entstehungsjahr 1955 verweist vor allem auf eine Kultur der Schuld, wie sie während der Nachkriegsjahre noch gefühlt wurde. Regisseur Tom Kühnel, Jahrgang 1971, hat allerdings diesen Aspekt gegen einen gewissermaßen soziologischen Befund eingetauscht. Neben der Korrumpierung durch die Konsumkultur nimmt sich seine Inszenierung der Aufmärsche, Chöre, Turngruppen, kurz: der kollektiven Formen offizieller Selbstdarstellung an. Dass die alte Dame, die seinerzeit von ihrem Liebhaber Ill verlassen und verraten worden war, als unförmige Puppe auftritt, entspricht dagegen dem Parabelcharakter. Und die Puppe Claire – von Suse Wächter mit Hilfe von Johanna Taferner und Sonja El-Heliebi virtuos geführt – flößt (vor allem im Tanga) auch hinreichend Beklemmung ein. Der kulturwissenschaftliche Befund zur Selbstdarstellung von Gemeinden ist dagegen nur halb gelungen. Zwar singen die Grazer Kapellknaben entzückend und die Turner vom ATG sind durchaus muskelprächtig, aber Kühnels Konzept – wenn es denn ein Konzept war –„Fundstücke" aus der Wirklichkeit ins Theater zu transferieren, brachte nur Schauwerte. Die Laien füllten das Bild, aber die Regie entlockte ihnen keine bemerkenswerten Geschichten dazu. Überhaupt bringt der Ansatz, verhältnismäßig große Rollen mit Laien zu besetzen, Kritiker in ein Dilemma. Franziska Stiger als Ills Frau hat ihre Sache nicht schlecht gemacht. Aber soll man sie jetzt für ihre Leistung als Laie loben oder den Vereinigten Bühnen mangelnde Professionalität vorwerfen? Auf halbem Weg. Visuell beeindruckend ist auch die Bühne von Jo Schramm: riesige Buchstaben G Ü L L E N auf der Drehbühne, Stadion, urbane Brache, neutraler Hintergrund. Claires Stützpunkt, eine Art Lotusblüte aus Neon, ist trashiges Zentrum einer Konsumkultur, der die Güllener immer stärker unterliegen und zugleich Zentrum zweier Rockgitarristen. Aber auch hier blieb die Idee, Dürrenmatts Stück zum Musical umzufunktionieren, etwas matt auf halbem Wege stecken. Wie überhaupt die Inszenierungen der jungen Regiegäste in Graz (Richard III, Hirschen) bisher eben eher auf Bilder denn auf Geschichten, eher auf Effekte als auf Menschen setzten. Daniel Friedrich als Racheopfer Ill spielt elegant und etwas zurückhaltend, aber er hat es auch schwer. In einigen seiner Schlüsselszenen agiert eine Puppe, in anderen eben ein Laie als Gegenspieler. Steffi Krautz agiert wie Bürgermeisterinnen eben agieren: mit widerlicher Vernünftigkeit. Max Mayer als Pfarrer legte es darauf an, Mitleid zu erregen, was ihm auch tatsächlich gelang. Ganz am Ende allerdings gab es dann doch einen wirklich großartigen Augenblick. Ill sitzt in der Mitte auf einem Stuhl, er akzeptiert längst den Tod, und dann kommen die Güllener, einer nach dem anderen, und umarmen ihn zum Abschied, bis alle zusammen einen dumpfen, bebenden, schwer atmenden Knäuel bilden. Aber bevor dieses Menschenknäuel aus Gier und Sentimentalität erstickt, löst es sich auf und Ill bleibt tot auf dem Boden zurück. Was für eine tolle Arbeit hätte Kühnel vielleicht ohne die vielen halben Effekte zustande gebracht! Für Liebhaber exzellenter Stücke und großer Augenblicke. Der Besuch der alten Dame, noch am 7., 16., 21., und 29. März und 4. und 30. April. W.H.
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