12 / 2000
  Behindern untersagt!

Geistig behinderte Menschen vertreten sich selbst? Ein eindrucksvoller Beweis gelang bei der Abschlusstagung des EU-Projekts www.win. Mitte November in Graz mit mehr als 150 TeilnehmerInnen aus England, Deutschland, Italien und Österreich. 

„Ich bin seit drei Jahren glücklich mit Carol verheiratet.“ Die Feststellung des Tagungsreferenten Andrew Lee ruft im Publikum freudiges Lachen und Applaus hervor. Er hat sein Leben selbst in die Hand genommen – für einen Menschen mit einer geistigen Behinderung die absolute Ausnahme. 
„Wir wollen lieber als Menschen mit Lernschwierigkeiten bezeichnet werden“, klärt einer der anwesenden Experten auf. Als solche wollen sie sich mit Diskriminierungen durch „Menschen ohne Lernschwierigkeiten“ nicht abfinden. Vorbild sind dabei Selbstvertretungsgruppen wie etwa „people first“, deren Leiter Lee ist. 
Bei den teilnehmenden ExpertInnen sorgte das Projekt für eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Franz Petz etwa, seit 25 Jahren im Heim in Söding, lässt sich von seiner Mutter nicht mehr vorschreiben, wann er nach Hause fahren muss. Die Behindertenbetreuerin Ernestine Schnabl hat ihn auf eine Studienreise nach London begleitet. Das dabei Erlebte ließ sie an der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit in einer Großeinrichtung zweifeln. „Ich weiß jetzt, dass ich für Franz weit mehr erreichen könnte. Dafür stimmen aber die Rahmenbedingungen nicht“, meint sie. 
 

„People first“-Leiter Andrew Lee (l.): Seit drei Jahren glücklich verheiratet;
Daniela Tschernko: „Niemand soll mir vorschreiben können, dass ich mich nachts um ein Uhr nicht mehr duschen darf.“ 

Auch um diese zu verändern, wurden Forderungen gesammelt, die in eine Resolution münden. Bei der Präsentation sind ausschließlich die ExpertInnen am Podium. Sie formulieren das Recht auf Selbstbestimmung über die Bereiche Arbeit, Wohnen und Partnerschaft, aber auch über ihre eigenen Körper. Daniela Tschernko, die beim Projekt Alpha Nova in Nestelbach wohnt und arbeitet, ist vor allem der Bereich Körperpflege wichtig: „Ich möchte allein duschen und auch um ein Uhr nachts duschen können, wenn ich es will!“ 
So lautet eine Kernaussage der Resolution denn auch: „Ich bin die Expertin und der Experte für mein eigenes Leben.“ Im Plenum wird die Resolution abgestimmt. Beim Thema Arbeit meldet sich eine junge Frau im Rollstuhl zu Wort. Mühsam quält sie sich das Wort „Einkommen“ ab. Tatsächlich fehlt die Forderung nach einer marktüblichen Entlohnung. Sie wird sofort ergänzt.
Raum und Zeit geben – das sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten sich entfalten können. Hier findet es statt.

Eva Reithofer-Haidacher

Die komplette Resolution sowie umfassende Informationen zum Projekt erhalten Sie unter www.winexperts.net.

   

 
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