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30 Jahre „Südosteuropäische
Geschichte“: „Kein Zurücklehnen im Lehrstuhl!“
Die Abteilung für Südosteuropäische Geschichte an
der Universität Graz feierte ihr 30-jähriges Bestehen mit einem
internationalen Workshop. Südosteuropa-Experten diskutierten unter
anderem darüber, wie ihre Forschungsergebnisse für die Öffentlichkeit
besser nutzbar gemacht werden können.
Mit zehn wissenschaftlichen MitarbeiterInnen zählt die in das Institut
für Geschichte integrierte Abteilung für Südosteuropäische
Geschichte nicht gerade zu den Giganten des Universitätsbetriebes.
Die vielfältigen Aktivitäten der Grazer Südosteuropa-Experten,
die weit über das Angebot von Lehrveranstaltungen hinausgehen, garantieren
aber trotz der im Gange befindlichen Umorganisation des österreichischen
Universitätssektors das Weiterbestehen der relativ kleinen Abteilung,
deren Spezialgebiet die historisch-anthropologische Balkanforschung (insbesondere
Familienforschung) ist. „Das Thema Südosteuropa soll sogar in den
Rang eines von vier gesamtuniversitären Forschungsschwerpunkten erhoben
werden“, freut sich Prof. Karl Kaser, der die Abteilung seit 1996
leitet.
Darüber hinaus fungiert Kaser auch als Direktor des universitären
Center for the Study of Balkan Societies and Cultures (CSBSC), das sich
momentan – im Rahmen des EU-Stabilitätspaktes für Südosteuropa
– mit dem Erstellen von zusätzlichen (nichtnationalistischen) Materialien
für den Geschichteunterricht in der Region beschäftigt.
Leistungsbilanz
Auch wenn die Abteilung eher unter Insidern bekannt ist, arbeitet sie
auch für die Allgemeinheit: So war sie zur Zeit der Bosnien- und Kosovokrise
Anlaufstelle für Journalisten und Flüchtlings-Beauftragte und
stellt häufig Referenten bei Diskussionsveranstaltungen.
Im Rahmen des anlässlich des Jubiläums veranstalteten Workshops
zum Thema Die Zukunft einer historischen Südosteuropaforschung galt
ebenfalls ein Schwerpunkt dem Nutzen der akademischen Südosteuropa-Forschung
für die Öffentlichkeit.
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Univ.-Prof. Dr. Karl Kaser, Leiter der Abteilung
für Südosteuropäische Geschichte (l.): Engagement für
eine öffentlichkeitswirksame Geschichtswissenschaft; Univ.-Prof. Dr.
Konrad Clewing, München (M.): „Geschichtswissenschaft darf sich nicht
instrumentalisieren lassen“; Univ.-Prof. Dr. Joachim von Puttkamer,
Freiburg (r.): Perspektivenwechsel durch Beschäftigung mit Geschichte
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Der Münchener Historiker Konrad Clewing zog eine Leistungsbilanz
über den Umgang der Wissenschafter mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien.
Er lobte die kritische Grundhaltung der Experten gegenüber der verbreiteten
Instrumentalisierung der Geschichte. „In manchen Medienberichten wurde
ja eine Art Balkanmassaker-Tradition konstruiert!“, so Clewing. Aber auch
mit Kritik an den Kollegen sparte er nicht: So sei der Bosnienkrieg von
den Historikern regelrecht verschlafen worden, und insgesamt hätten
die Experten während der Balkankrisen zu wenig öffentlichkeitstaugliche
Informationen geliefert. Auch die Zusammenarbeit westlicher Historiker
mit Kollegen aus den betroffenen Regionen sei verbesserungswürdig.
Perspektivenwechsel
Clewings Fachkollege Joachim von Puttkamer berichtete von Erfolgen
auf kleinerer Ebene: An der Universität von Freiburg im Breisgau wurde
ein Intensivseminar für Hörer aller Fakultäten (wobei ein
Drittel der Studenten aus Südosteuropa stammte) abgehalten, das über
die geschichtlichen Hintergründe der aktuellen Balkankrisen aufklären
sollte. „Innerhalb von drei Wochen intensiver Beschäftigung mit dem
Thema ist schon ein Perspektivenwechsel möglich“, resümiert Puttkamer.
Ein wesentlicher Teil des Seminars war übrigens der osmanischen Periode
gewidmet, „um zu zeigen, dass die Balkanregion auch über eine Tradition
der Stabilität verfügt“.
Den Abschluss des Expertenworkshops bildete eine frei zugängliche
Diskussion zum Thema Forschen für die Öffentlichkeit, zu der
die angesprochene Öffentlichkeit leider nicht sehr zahlreich erschienen
ist. Heftig diskutiert wurde dabei der Antagonismus zwischen Wissenschaft
und Journalismus.
Die Verbreitung von Forschungsergebnissen innerhalb der akademischen
Gemeinschaft ist auch dem Leiter der Grazer Südosteuropäischen
Geschichte entschieden zu wenig: „Für mich gibt es kein gemütliches
Zurücklehnen im Lehrstuhl!“, so Kaser.
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