09 / 2001
 
Steirische Pflichtschulen: Der Sparstift wütet

Durch die Einsparungen im Bildungswesen werden mehr als 300 PflichtschullehrerInnen in der Steiermark ihren Job verlieren, das Lehrangebot wird entsprechend reduziert.
 

Aus formalen Gründen wird es allerdings, wie Mag. Josef Müller vom Büro des Steirischen Landesschulrats betont, zu keinen Lehrer-Entlassungen kommen – es „trifft“ nämlich nur solche LehrerInnen, die lediglich über befristete Einjahresverträge verfügten. Diese müssen nicht gekündigt werden, sondern werden einfach nicht weiter beschäftigt.
Für einige der Betroffenen wird das Zittern um ihren Job erst in einigen Wochen vorüber sein. Denn wie viel Lehrpersonal tatsächlich eingespart werden muss, wird, so Müller, erst ab Mitte September klar sein, wenn nach Schulanfang die tatsächlichen SchülerInnen- und Klassenzahlen in den Schulen fixiert sind. 

Weniger SchülerInnen – weniger LehrerInnen?
Den Hauptgrund für die Einsparungen sieht Müller im Umstand sinkender SchülerInnenzahlen: „Allein im Pflichtschulbereich wird es heuer in der Steiermark rund 1500 SchülerInnen weniger geben.“
Für Sigrid Binder von der PULL-UG (Parteiunabhängige LehrerInnenliste – Unabhängige GewerkschafterInnen) sind die Ursachen für die Kürzungen jedoch völlig anders gelagert. Binder: „Tatsächlich gibt es weniger SchülerInnen, aber der wirkliche Grund für die Kürzungen ist im Zusammenhang mit Maßnahmen der Bundesregierung zu sehen.“  So sind etwa durch das neue LehrerInnendienstrecht so genannte Abschlagsstunden für die Ausübung der Klassenvorstandsfunktion, der Abhaltung von Korrekturfächern oder für so genannte Kustodiate weggefallen. 
 

Lehrer-Gewerkschafterin Sigrid Binder: „In Graz gibt’s allein in den Schulen des rechten Murufers 40 LehrerInnen weniger“

Alleine diese Neuerungen bedeuten, so haben Berechnungen der PULL-UG ergeben, bei einer 8-klassigen Hauptschule einen Verlust von 45 Wochenstunden.
So wie Binder ist auch Helga Thomann, Landesschulinspektorin für den Volksschulbereich, der Ansicht, dass die Schulen durch Beschlüsse der Bundesregierung zu Einsparungen gezwungen sind. So sollen nach den Vorstellungen von Ministerin Gehrer in Zukunft auf eine/n LehrerIn mehr SchülerInnen als derzeit kommen – und das bei sinkenden SchülerInnenzahlen. Thomann: „Gerade für die Steiermark ist es nicht leicht, diese Anforderungen der Bundesregierung zu erfüllen, da wir versuchen, auch kleinere Schulen zu erhalten.“
Obwohl es laut Thomann in Graz – im Vergleich zu anderen steirischen Bezirken – relativ wenige Kürzungen gebe, haben die Recherchen des KORSO unter Grazer SchuldirektorInnen ergeben, dass es auch hier zu kräftigen Einschnitten beim Unterrichtsangebot kommen wird.

Deutliche Kürzungen bei Schulversuchen 
Wie Binder betont, werden alleine an den Grazer Pflichtschulen des rechten Murufers rund 40 LehrerInnen weniger beschäftigt. Zu einer deutlichen Reduzierung von acht Dienstposten komme es alleine im Bereich von Schulversuchsstunden. Betroffen, so Binder, sei hier vor allem der Schulverbund Graz-West, der in mehreren Neuen Mittelschulen  einen gemeinsamen Unterricht durch AHS- und HauptschullehrerInnen anbietet. Franz Frech, Direktor der Neuen Mittelschule Straßgang, die ebenfalls zu diesem Schulverbund gehört, befürchtet vor allem für die Einteilung der Wahlpflichtfächer in den 3. und 4. Klassen große Nachteile. Frech: „Die Werteinheiten für unseren Schulversuch wurden um 50% gekürzt. Gewisse Gruppenarbeiten werden dann ebenso wie unverbindliche Übungen nicht mehr möglich sein.“ Auch moderne Unterrichtsmethoden wie Teamteaching (so wird etwa das Fach Ökologie von einem Geografie- und einem Biologielehrer gemeinsam unterrichtet) sind durch die Sparmaßnahmen  in ihrer Weiterführung gefährdet.
An der Neuen Mittelschule Albert-Schweitzer wird es laut Aussage von Direktor Reinhard Wolf ebenfalls zu Kürzungen kommen. Seine Schule verliert insgesamt fünf LehrerInnen, wobei er zumindest rund 1,5 dieser verlorenen Dienstposten auf die Dienstrechtsänderungen zurückführt. Wolf: „Ich finde das schade, denn durch die nun fehlenden jüngeren VertragslehrerInnen geht den Kindern gerade die Erlebniswelt dieser sehr engagierten LehrerInnen verloren.“ 

Weniger Stunden für Interkulturellen Unterricht
Neben Verschlechterungen im Integrationsbereich setzt die Bundesregierung auch im Interkulturellen Unterricht neue Akzente. Dazu gehört etwa die Verminderung von zusätzlichen Unterrichtseinheiten für Schulen mit Kindern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch. Eine weitere gravierende Änderung ergibt sich für den muttersprachlichen Unterricht an den Schulen. Wurde dieser bisher aus einem eigenen Stundentopf des Ministeriums finanziert, fällt dieser nun zur Gänze weg. Binder: „Wollen sich nun Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache auch in ihrer Muttersprache weiterbilden, bedeutet das für die Schule einigen Aufwand. Denn die dafür benötigten Stunden müssen schulintern aus dem allgemeinen Stundenkontingent durch Umschichtung – etwa von Deutsch- oder Geografiestunden – abgedeckt werden.“ 

„Native Speaker“: Sponsoring für „pädagogischen Luxus“?
Dass auch im Managementbereich der Schulbehörden noch Verbesserungspotenziale stecken, beweist zudem die Entscheidung des steirischen Landesschulrates, einen an mehreren Grazer Volkschulen beschäftigten „Native Speaker“ für den Englischunterricht nicht weiter zu beschäftigen. Zumindest an der Afritsch-Volksschule ist man von dieser Entscheidung bis Anfang September noch nicht offiziell  informiert worden. 
 

Native Speaker (hier für Englisch an der Afritsch-Volksschule): Teurer Luxus?

Direktorin Renate Gottschuli: „Wir müssen nun sehen, wie wir den Englischunterricht in Zukunft gestalten. Wir werden eine Menge an Umschichtungen durchführen müssen, damit jene Lehrkräfte, die in Englisch kompetenter sind, den Unterricht in allen Klassen durchführen können.“ In jedem Fall sieht Gottschuli dadurch für diesen Schulstandort am rechten Murufer, der geprägt ist von einem sehr geringen Anteil von Kindern mit deutscher Muttersprache,  einen Rückschlag. „Die Beschäftigung eines ‚Native Speaker‘ für Englisch ist auch in unserem Schulprofil festgeschrieben. Jetzt müssen wir dieses wieder umändern.“ Dazu Landesschulinspektorin Thomann: „Ein ‚Native Speaker‘ ist ein pädagogischer Luxus, den ich aus pädagogischer Sicht gerne hätte, den wir uns aber nicht leisten können. So etwas ist nur in einem kostenneutralen Schulversuch möglich  oder über den Weg des Sponsoring bzw. der privaten Bezahlung über Elternvereine.“ Diese an anderen Grazer Schulen bereits praktizierte Vorgangsweise hält Gottschuli an ihrer Schule jedoch für unwahrscheinlich: „Die Eltern der SchülerInnen an der Afritschschule sind dazu finanziell sicher nicht in der Lage.“ 

Privat finanzieren und „autonom“ sparen
Für Binder stellt die so propagierte Privatisierung von Bildung jedoch eine bedrohliche Entwicklung dar, die sich schon länger abzeichne. „So sind von den Kürzungen nun auch unverbindliche Übungen betroffen, für die angeblich kein Geld mehr da ist.“ Für die Teilnahme ihrer Kinder an unverbindlichen Übungen werden nun die Eltern zur Kassa gebeten, die bereits in anderen Bereichen – wie durch Beiträge zu Schulbüchern und SchülerInnen„Frei“fahrt – immer mehr finanziell beisteuern müssen. 

Durch die permanenten Kürzungen im Schulbereich wird laut Binder auch die hoch gepriesene „Schulautonomie“ ad absurdum geführt. Binder: „Das ist ein Zynismus, der in der österreichischen Schulpolitik schon seit einigen Jahren durchgezogen wird: Die Autonomie wird zum Vorwand dafür, die Verantwortung für Mängel an die Schulen abschieben zu können.“

Joachim Hainzl


 
SEPTEMBER-AUSGABE
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG