06 / 2000
  Pflichtversicherung oder Wahlfreiheit?

Mit der Diskussion um das Defizit der Krankenkassen hat auch die Grundsatzdebatte um das Krankenversicherungssystem neue Nahrung erhalten.

Einen ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der Versicherungswissenschaft holte der steirische Ärztekammerpräsident Dr. Wolfgang Routil Ende Mai zu einer Podiumsdiskussion des „Clubs Gesundheit“ (Thema: „Pflichtversicherungssystem oder Wahlfreiheit für Versicherte") nach Graz. Dr. Volker Leienbach, Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung, zeichnete folgendes Bild der Trends: Angesichts der verbreiteten Ablehnung einer Erhöhung von „Zwangsabgaben“, einer unzureichenden medizinischen Orientierung des Versicherungswesens, einer ungünstigen demografischen Entwicklung, eines medizinischen Fortschrittes, der immer teurere Therapien hervorbringt und immer selbstbewussterer Patienten sei eine „Neubestimmung und Differenzierung des Leistungskataloges“ vonnöten: Die Kassen müssten sich von Leistungen verabschieden, „die an der Grenze zum Wellness-Bereich“ liegen, die ambulante und stationäre Versorgung stärker integriert, „unterschiedliche Versorgungsformen und –qualitäten“ geschaffen werden.

Diskutierten auf Einladung von Ärztekammer-Chef Wolfgang Routil (links) über Trends und Reformbedarf in der Krankenversicherung: Volker Leienbach, Hubert Hrabcik, Martin Stickler (Moderation), Otto Pjeta, Josef Probst (von links)

Deutschland: Wettbewerb, aber keine Privatisierung
Durchaus interessant für die österreichische Debatte war Leienbachs Schilderung des neuen deutschen Krankenversicherungsmodells: Es herrscht zwar Wettbewerb, dieser ist aber auf die öffentlich-rechtlichen Krankenkassen beschränkt. Diese verlangen unterschiedliche Beitragssätze (zwischen 12 und 15% des Einkommens), ihre unterschiedlichen Risiken werden aber von der öffentlichen Hand ausgeglichen. Leienbach: „Dieser Wettbewerb zwischen den Kassen hat zweifellos zu stärkerer Kundenorientierung geführt“ – vielleicht ein nicht unwichtiger Hinweis für alle Politiker, die in Österreich „aus Sparsamkeitsgründen“ die Krankenkassen zu einem einzigen Moloch fusionieren wollen. Trotz seines Plädoyers für ein System, „bei dem es zweifellos Gewinner und Verlierer geben wird“, trat Leienbach für die Beibehaltung des staatlichen Ordnungsrahmens ein: „Zumindest sollten alle die gleiche Chance auf Zugang zu Leistungen haben.“

Kostenexplosion durch Private?
Gegen die Abschaffung der Pflichtversicherung wandte sich der stellvertretende Generaldirektor des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Dr. Josef Probst, vor allem mit dem Kostenargument: Eine Privatisierung der Krankenversicherung würde die Systemkosten von 140 auf 180 Mrd. Schilling emporschnellen lassen. In der Tat belegen Studien, dass private Krankenversicherer ca. ein Viertel der Prämien in Werbemaßnahmen investieren. Probst: „Wir könnten uns jederzeit bedenkenlos einem Benchmarking mit privaten Versicherern stellen.“ Das deklarierte Ziel des Hauptverbandes sei eine Beschränkung der Kosten („ohne geringfügige Prämienerhöhungen wird’s aber nicht gehen“) und die Wahrung des Zuganges zu den medizinischen Leistungen für alle Versicherten.
Der Präsident der österreichischen Ärztekammer, Dr. Otto Pjeta, warf dem Hauptverband „mangelnde Reformbereitschaft“ vor: „Gefragt wären Konzepte, es gibt aber keine sinnvollen Vorschläge außer der Erhöhung der Preise des Produktes.“ Dr. Hubert Hrabcik, Kabinettschef des Gesundheitsstaatssekretärs, versprach Initiativen zur Stärkung der extramuralen Versorgung, die kostensenkend und gleichzeitig im Sinne der Patienten seien – wie etwa eine Ausweitung der Gruppenpraxen.
cs
 


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