09 / 2001
 
„Bildung heißt nicht immer nur ,jobfit‘“

Anlässlich der Tagung „Wie viel Bildung braucht der Markt – wie viel Markt verträgt die Bildung?“, die am 19. September von der Akademie Graz und der Urania veranstaltet wird, führte KORSO-Herausgeber Mag. Christian Stenner mit Urania-Leiter Univ.-Doz. Dr. Hannes Galter ein Gespräch zum Thema.
 

Urania-Leiter 
Univ.-Doz. Dr. Hannes Galter

Ist Bildung – im Sinne von Vermittlung allgemeiner Erkenntnisfähigkeit und Interesse im emanzipatorischen Sinn – überhaupt mit Markt vereinbar?
Bildung hat zwei Seiten – den formenden Prozess, aber auch das Ideal. Als Ideal ist sie etwas, wonach ein Kunde verlangt – das kann auch die Wirtschaft sein. Bildungsangebote müssen letztendlich immer einen Markt befriedigen: Entweder sie gleichen ein Qualifikationsdefizit am Arbeitsmarkt aus oder sie befriedigen – wie dies etwa im Bereich der Erwachsenenbildung der Fall ist – die Nachfrage von Einzelindividuen. Schwieriger wird’s, wenn man sich als Bildungsinstitution die Frage stellt, was man mit seinem Angebot erreichen will. Diese Fragestellung ist natürlich nicht marktkonform.

Ebenso wenig wie bestimmte – auch universitäre – Fachbereiche in ihrer Gesamtheit. Ich erinnere an die wieder aktuelle Diskussion über die „Orchideenfächer“, deren Existenzberechtigung derzeit völlig in Frage gestellt wird …
Doch, auch hier – etwa in der Orientalistik – gibt es eine Nachfrage, die aber  nicht marktbestimmend ist. Allerdings frage ich mich manchmal, ob es denn wirklich die Nachfrage ist, welche den Markt bestimmt. Die Sony-Designer vertreten etwa den Ansatz: „Zuerst schaffe ich ein Produkt und dann den Markt dafür.“ Diesen Ausspruch sollten auch Erwachsenenbildner im Kopf behalten.

Der Weltkonzern Sony verfügt zweifellos über ausreichend Mittel dafür, die KonsumentInnen zu stimulieren – aber wer kurbelt die Nachfrage nach Orientalistik an?
Das kann derzeit nur die öffentliche Hand sein. Sie hat sich ja im Laufe der Jahrzehnte dieses Monopol genommen und ist jetzt gerade dabei, es wieder abzutreten; im Moment gibt es niemanden, der an ihre Stelle treten kann. In 20, 30 Jahren können das vielleicht – wie jetzt in den USA – private Universitäten oder Museen sein, die über entsprechendes Renommee und entsprechende Mittel verfügen.

Die Frage spitzt sich allerdings noch mehr zu, wenn es um kritische Bildungsinhalte geht – welche finanzkräftige Institution hat zum Beispiel  Interesse daran, ein derzeit völlig unterbelichtetes Gebiet wie die Reichtumsforschung zu dotieren …
Ich glaube schon, dass es Interesse daran gibt, aber eben offenbar nicht in einer Größenordnung, die derzeit irgendjemand dazu bewegen würde, dafür größere Summen zu lockerzumachen.

In diesem Zusammenhang ist auch, denke ich, eine weitere Feststellung von Interesse: Die Aufklärung, die über so lange Zeit Leitideologie des Bürgertums war, gerät zunehmend in Opposition – sehen Sie Ansatzpunkte dafür, dass sich das wieder ändern könnte?
Ich hoffe doch. Allerdings dürfen wir nicht übersehen, dass sich die Aufklärung nicht aus der Verantwortung dafür stehlen kann, das 20. Jahrhundert  produziert zu haben – mit allem, was dazugehört. Der Vernunft- und Wissenschaftsglaube haben auch zur Atombombe und zu den aktuellen Genversuchen geführt. Das hat letztendlich die Abkehr von der Aufklärung beschleunigt.

Aber genau diese – zweifellos vorhandenen – Aspekte der Aufklärung werden von jenen, die – um es mal scharf zu formulieren – Ignoranz verbreiten wollen, nicht angegriffen, sondern weiter fortgeführt.
Ja, aus der Aufklärung wie auch aus ihren Gegenbewegungen nimmt die Postmoderne jeweils das, was ihr für die aktuelle Situation passend erscheint. Was mich aber dennoch positiv stimmt, ist die in ihren Folgen derzeit gar nicht abschätzbare Tendenz zum Individuum. In dem Augenblick, wo der Mensch selbst als Kunde vom Markt oder als Wähler von der Politik als letzte Instanz gesehen wird, ist er letztendlich nicht mehr berechenbar. Und bei dieser Eigenverantwortlichkeit des Menschen könnte – wie es Neil Postman formuliert – eine neue Aufklärung ansetzen.

Die Orientierung auf das Individuum ist ja durchaus ein genuines Erbe der Aufklärung.
Und dazu trägt auch die immer wichtigere Position des „Users“ im Medienzeitalter einiges bei. Bei dieser Eigenverantwortlichkeit versucht etwa das Bildungsprogramm der Urania einzuhaken, das Individuum in seinen Fähigkeiten zu stärken, Kritik zu üben – und irgendwann auch einmal festzustellen, dass der Kaiser keine Kleider anhat.

Betrachtet man das Urania-Publikum – und das ist nicht despektierlich gemeint, weil es wohl alle Erwachsenenbildungsinstitutionen gleichermaßen trifft –, so gewinnt man den fatalen Eindruck, dass das Interesse an allgemeinen Bildungsinhalten sich auf die ältere Generation beschränkt …
Das stimmt bis zu einem gewissen Grad, und das ist natürlich schmerzlich. Beim Kernangebot liegt das Durchschnittsalter der Teilnehmer zwischen 50 und 60. Das sind all jene, die eine gefestigte Position im Arbeitsverhältnis haben; da werden dann Kapazitäten und vor allem Interessen frei. Das ist für uns natürlich ein Hoffnungsschimmer, weil andauernd Menschen in diese Lebensphase hineinwachsen und so immer für Neuzugang gesorgt ist. Auf der anderen Seite gibt es dadurch kaum gesellschaftliche Auswirkungen unserer Tätigkeit, weil das Leute sind, die gesellschaftlich nichts mehr verändern.

An die Jugend heranzukommen verlangt offenbar auch die Aufnahme von Event-Aspekten ins Bildungsangebot.
Dem stehe ich aber nicht generell negativ gegenüber. Man kann einfach nicht mehr vor ein Publikum treten und einen Vortrag halten. Der Erwachsenenbildner muss zu einem Reiseleiter werden, er muss die Leute auf einen interessanten Trip mitnehmen und sie darauf aufmerksam machen, was links und rechts des Weges liegt; die Erfahrungen müssen sie selbst machen, sonst fehlt der Erlebnis-Charakter.

Ohne bessere institutionelle und vor allem finanzielle Rahmenbedingungen werden aber die innovativsten Vermittlungs-Strategien nicht greifen – wie lauten Ihre diesbezüglichen Wünsche an die zuständige Ministerin?
Ich wünsche mir, dass sie die Bildungsoffensive, die sie die längste Zeit ankündigt, auch wirklich durchzieht, dass diese Milliarde, von der gesprochen wird, auch wirklich ausgeschüttet wird – und dass erkannt wird, dass Bildung nicht immer nur gleich bedeutend mit „jobfit“ sein muss.



Wie viel Bildung braucht der Markt? Wie viel Markt verträgt die Bildung?
Symposion am 19. 09.2001 im RESOWI-Zentrum der Karl-Franzens-Universität Graz, Hörsaal 15.03
 
  • 10.00 Uhr Begrüßung durch den Präsidenten der Akademie Graz, Emil Breisach
  • 10.15 Uhr: Grundzüge der österreichischen Bildungspolitik – Bundesministerin Dr. Elisabeth Gehrer
  • 10.45 Uhr: Traditionsschmelze – ist die Bildung nur noch Mittel zum Zweck? Univ.-Prof. Dr. Peter Strasser 
  • 11.30 Uhr: Selbstverstümmelung und andere Scheinrealitäten bildungspolitischer Trends – Univ.-Prof. Dr. Ingrid Lisop
  • 12.30 Uhr: Diskussion
  • 13.00 Uhr: Mittagsbuffet
  • 14.00 Uhr: Die Universität als „öffentliche Einrichtung” zwischen Markt und Staat – Rektor Univ.-Prof. Dr. Lothar Zechlin
  • 14.30 Uhr: Ambivalenzen der Bildungsvermarktlichung – Univ.-Prof. Dr. Manfred Prisching 
  • 15.00 Uhr: Wirtschafts-Wissens-Wettbewerb – Unternehmerische Bildung auf „freien” Märkten? – Mag. Dr. Peter Härtel 
  • 15.30 Uhr: Big brother is teaching you – Von der marktkonformen Banalisierung der Bildung – Univ.-Doz. Dir. Dr. Hannes D. Galter (Urania für Steiermark)
  • 16.00 Uhr: Pause
  • 16.30 Uhr: Unternehmen Schule? – Präsident Mag. Dr. Horst Lattinger 
  • 17.00 Uhr: Wieviel Nützlichkeit verträgt die Bildung? – Dir. Mag. Dr. Ewald Presker 
  • 17.30 Uhr: Schlussdiskussion
Moderation: Prof. Mag. Karl Kalcsics 

Auskunft und Anmeldung: 
Akademie Graz, Albrechtgasse 7/II, 8010 Graz, Tel. 0316/83 79 85,
Mail: BarbaravanZutphen@gmx.at


 
SEPTEMBER-AUSGABE
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG