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„Bildung heißt nicht immer
nur ,jobfit‘“
Anlässlich der Tagung „Wie viel Bildung
braucht der Markt – wie viel Markt verträgt die Bildung?“, die am
19. September von der Akademie Graz und der Urania veranstaltet wird, führte
KORSO-Herausgeber Mag. Christian Stenner mit Urania-Leiter Univ.-Doz. Dr.
Hannes Galter ein Gespräch zum Thema.
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Urania-Leiter
Univ.-Doz. Dr. Hannes Galter |
Ist Bildung – im Sinne von Vermittlung allgemeiner
Erkenntnisfähigkeit und Interesse im emanzipatorischen Sinn – überhaupt
mit Markt vereinbar?
Bildung hat zwei Seiten – den formenden Prozess,
aber auch das Ideal. Als Ideal ist sie etwas, wonach ein Kunde verlangt
– das kann auch die Wirtschaft sein. Bildungsangebote müssen letztendlich
immer einen Markt befriedigen: Entweder sie gleichen ein Qualifikationsdefizit
am Arbeitsmarkt aus oder sie befriedigen – wie dies etwa im Bereich der
Erwachsenenbildung der Fall ist – die Nachfrage von Einzelindividuen. Schwieriger
wird’s, wenn man sich als Bildungsinstitution die Frage stellt, was man
mit seinem Angebot erreichen will. Diese Fragestellung ist natürlich
nicht marktkonform.
Ebenso wenig wie bestimmte – auch universitäre
– Fachbereiche in ihrer Gesamtheit. Ich erinnere an die wieder aktuelle
Diskussion über die „Orchideenfächer“, deren Existenzberechtigung
derzeit völlig in Frage gestellt wird …
Doch, auch hier – etwa in der Orientalistik –
gibt es eine Nachfrage, die aber nicht marktbestimmend ist. Allerdings
frage ich mich manchmal, ob es denn wirklich die Nachfrage ist, welche
den Markt bestimmt. Die Sony-Designer vertreten etwa den Ansatz: „Zuerst
schaffe ich ein Produkt und dann den Markt dafür.“ Diesen Ausspruch
sollten auch Erwachsenenbildner im Kopf behalten.
Der Weltkonzern Sony verfügt zweifellos
über ausreichend Mittel dafür, die KonsumentInnen zu stimulieren
– aber wer kurbelt die Nachfrage nach Orientalistik an?
Das kann derzeit nur die öffentliche Hand
sein. Sie hat sich ja im Laufe der Jahrzehnte dieses Monopol genommen und
ist jetzt gerade dabei, es wieder abzutreten; im Moment gibt es niemanden,
der an ihre Stelle treten kann. In 20, 30 Jahren können das vielleicht
– wie jetzt in den USA – private Universitäten oder Museen sein, die
über entsprechendes Renommee und entsprechende Mittel verfügen.
Die Frage spitzt sich allerdings noch mehr
zu, wenn es um kritische Bildungsinhalte geht – welche finanzkräftige
Institution hat zum Beispiel Interesse daran, ein derzeit völlig
unterbelichtetes Gebiet wie die Reichtumsforschung zu dotieren …
Ich glaube schon, dass es Interesse daran gibt,
aber eben offenbar nicht in einer Größenordnung, die derzeit
irgendjemand dazu bewegen würde, dafür größere Summen
zu lockerzumachen.
In diesem Zusammenhang ist auch, denke ich,
eine weitere Feststellung von Interesse: Die Aufklärung, die über
so lange Zeit Leitideologie des Bürgertums war, gerät zunehmend
in Opposition – sehen Sie Ansatzpunkte dafür, dass sich das wieder
ändern könnte?
Ich hoffe doch. Allerdings dürfen wir nicht
übersehen, dass sich die Aufklärung nicht aus der Verantwortung
dafür stehlen kann, das 20. Jahrhundert produziert zu haben
– mit allem, was dazugehört. Der Vernunft- und Wissenschaftsglaube
haben auch zur Atombombe und zu den aktuellen Genversuchen geführt.
Das hat letztendlich die Abkehr von der Aufklärung beschleunigt.
Aber genau diese – zweifellos vorhandenen –
Aspekte der Aufklärung werden von jenen, die – um es mal scharf zu
formulieren – Ignoranz verbreiten wollen, nicht angegriffen, sondern weiter
fortgeführt.
Ja, aus der Aufklärung wie auch aus ihren
Gegenbewegungen nimmt die Postmoderne jeweils das, was ihr für die
aktuelle Situation passend erscheint. Was mich aber dennoch positiv stimmt,
ist die in ihren Folgen derzeit gar nicht abschätzbare Tendenz zum
Individuum. In dem Augenblick, wo der Mensch selbst als Kunde vom Markt
oder als Wähler von der Politik als letzte Instanz gesehen wird, ist
er letztendlich nicht mehr berechenbar. Und bei dieser Eigenverantwortlichkeit
des Menschen könnte – wie es Neil Postman formuliert – eine neue Aufklärung
ansetzen.
Die Orientierung auf das Individuum ist ja
durchaus ein genuines Erbe der Aufklärung.
Und dazu trägt auch die immer wichtigere
Position des „Users“ im Medienzeitalter einiges bei. Bei dieser Eigenverantwortlichkeit
versucht etwa das Bildungsprogramm der Urania einzuhaken, das Individuum
in seinen Fähigkeiten zu stärken, Kritik zu üben – und irgendwann
auch einmal festzustellen, dass der Kaiser keine Kleider anhat.
Betrachtet man das Urania-Publikum – und das
ist nicht despektierlich gemeint, weil es wohl alle Erwachsenenbildungsinstitutionen
gleichermaßen trifft –, so gewinnt man den fatalen Eindruck, dass
das Interesse an allgemeinen Bildungsinhalten sich auf die ältere
Generation beschränkt …
Das stimmt bis zu einem gewissen Grad, und das
ist natürlich schmerzlich. Beim Kernangebot liegt das Durchschnittsalter
der Teilnehmer zwischen 50 und 60. Das sind all jene, die eine gefestigte
Position im Arbeitsverhältnis haben; da werden dann Kapazitäten
und vor allem Interessen frei. Das ist für uns natürlich ein
Hoffnungsschimmer, weil andauernd Menschen in diese Lebensphase hineinwachsen
und so immer für Neuzugang gesorgt ist. Auf der anderen Seite gibt
es dadurch kaum gesellschaftliche Auswirkungen unserer Tätigkeit,
weil das Leute sind, die gesellschaftlich nichts mehr verändern.
An die Jugend heranzukommen verlangt offenbar
auch die Aufnahme von Event-Aspekten ins Bildungsangebot.
Dem stehe ich aber nicht generell negativ gegenüber.
Man kann einfach nicht mehr vor ein Publikum treten und einen Vortrag halten.
Der Erwachsenenbildner muss zu einem Reiseleiter werden, er muss die Leute
auf einen interessanten Trip mitnehmen und sie darauf aufmerksam machen,
was links und rechts des Weges liegt; die Erfahrungen müssen sie selbst
machen, sonst fehlt der Erlebnis-Charakter.
Ohne bessere institutionelle und vor allem
finanzielle Rahmenbedingungen werden aber die innovativsten Vermittlungs-Strategien
nicht greifen – wie lauten Ihre diesbezüglichen Wünsche an die
zuständige Ministerin?
Ich wünsche mir, dass sie die Bildungsoffensive,
die sie die längste Zeit ankündigt, auch wirklich durchzieht,
dass diese Milliarde, von der gesprochen wird, auch wirklich ausgeschüttet
wird – und dass erkannt wird, dass Bildung nicht immer nur gleich bedeutend
mit „jobfit“ sein muss.
Wie viel Bildung braucht der Markt? Wie viel
Markt verträgt die Bildung?
Symposion am 19. 09.2001 im RESOWI-Zentrum
der Karl-Franzens-Universität Graz, Hörsaal 15.03
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10.00 Uhr Begrüßung durch den Präsidenten
der Akademie Graz, Emil Breisach
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10.15 Uhr: Grundzüge der österreichischen
Bildungspolitik – Bundesministerin Dr. Elisabeth Gehrer
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10.45 Uhr: Traditionsschmelze – ist die Bildung nur
noch Mittel zum Zweck? Univ.-Prof. Dr. Peter Strasser
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11.30 Uhr: Selbstverstümmelung und andere Scheinrealitäten
bildungspolitischer Trends – Univ.-Prof. Dr. Ingrid Lisop
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12.30 Uhr: Diskussion
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13.00 Uhr: Mittagsbuffet
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14.00 Uhr: Die Universität als „öffentliche
Einrichtung” zwischen Markt und Staat – Rektor Univ.-Prof. Dr. Lothar Zechlin
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14.30 Uhr: Ambivalenzen der Bildungsvermarktlichung
– Univ.-Prof. Dr. Manfred Prisching
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15.00 Uhr: Wirtschafts-Wissens-Wettbewerb – Unternehmerische
Bildung auf „freien” Märkten? – Mag. Dr. Peter Härtel
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15.30 Uhr: Big brother is teaching you – Von der
marktkonformen Banalisierung der Bildung – Univ.-Doz. Dir. Dr. Hannes D.
Galter (Urania für Steiermark)
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16.00 Uhr: Pause
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16.30 Uhr: Unternehmen Schule? – Präsident Mag.
Dr. Horst Lattinger
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17.00 Uhr: Wieviel Nützlichkeit verträgt
die Bildung? – Dir. Mag. Dr. Ewald Presker
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17.30 Uhr: Schlussdiskussion
Moderation: Prof. Mag. Karl Kalcsics
Auskunft und Anmeldung:
Akademie Graz, Albrechtgasse 7/II, 8010 Graz,
Tel. 0316/83 79 85,
Mail: BarbaravanZutphen@gmx.at |