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  Wissenschaft und Forschung
 
 
  11 / 2001
  „Breite gesellschaftliche Kooperation“ für Grundbildungsprogramme gefordert

Bis zu 300.000 Menschen in unserem Land leiden unter Grundbildungsdefiziten – sie haben gravierende Probleme beim Erfassen einfacher Texte, beim Schreiben und bei simplen Rechenoperationen. Die Auswirkungen dieser Bildungsmängel auf die Berufschancen der Betroffenen sind desaströs. Bei einer Fachtagung Ende Oktober, veranstaltet von den Vereinen PASCH und ISOP mit hauptsächlicher Unterstützung durch das AMS, wurde versucht, den Schleier des Tabus zu lüften, der nach wie vor über sekundärem Analphabetismus und ähnlichen Defiziten liegt.
„Defizite bei der Basisbildung sind diskriminierend – ohne diese Kulturfertigkeiten ist eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt nicht möglich“, konstatierte Mag. Karl-Heinz Snobe vom Arbeitsmarktservice Steiermark in seiner Einleitung, und AK-Vize Fritz Ploner betonte, dass „eine gute Sozialpolitik nicht ohne eine durchdachte Bildungspolitik auskommt.“
Zwei FachreferentInnen aus Deutschland gingen in ihren ausführlichen Statements Fragen der Diagnose und der Kompensation der Bildungsmängel nach.

Qualitätsmanagement für Schulen
Prof Dr. Dr. Rainer Lehmann von der Humboldt-Universität Berlin berichtete über eine 1995 durchgeführte OECD-Studie, bei der allein in Deutschland die Grundbildungs-Kompetenzen von 2000 Personen zwischen 16 und 65 Jahren getestet wurden: Abgefragt wurde das Verständnis eines simplen Zeitungstextes, eine einfache Addition und das Verständnis eines Diagrammes. Das Ergebnis: Deutschland liegt im internationalen Vergleich zwar deutlich besser als etwa die USA und Großbritannien, die Ergebnisse haben sich aber seit 1940 verschlechtert: Die 16- bis 24-Jährigen schneiden deutlich schlechter ab als die 40- bis 49-Jährigen. Detail am Rande. Auch unter Uni-AbsolventInnen und StudentInnen gibt es einen kleinen Prozentsatz von Personen, die Schwierigkeiten bei Additionen und beim Lesen von Diagrammen haben …
 

Der Aktualität des Themas entsprechend besuchten an die 150 TeilnehmerInnen die von den Vereinen ISOP und PASCH veranstaltete Tagung

Drei Konsequenzen seien aus diesen Ergebnissen zu ziehen, fordert Lehmann: Die allgemein bildenden Schulen müssten qualitativ besser werden – „der Kompetenzstand der SchülerInnen ist nicht so, wie er gemäß den Lehrplänen sein sollte“, in allen Bildungsinstitutionen müssten Maßnahmen des Qualitätsmanagements eingeführt werden und schließlich müssten „jene PädagogInnen, die an der Verbesserung des Schulsystems arbeiten“ intensiver mit jenen kooperieren, die sich vor Ort für einen besseren Unterricht einsetzen.
Dr. Monika Tröster vom deutschen Institut für Erwachsenenbildung betonte, dass Grundbildung heute weit mehr bedeute als Lesen, Schreiben und Rechnen: „PC-Kenntnisse, Selbstorganisation, Teamfähigkeit, Selbsteinschätzungsfähigkeiten, Grundkenntnisse des Englischen … all dies ist heute unerlässlich.“ Gemeinsam mit KollegInnen hat Tröster ein erfolgreiches Modell zur Kompensation von Grundbildungsdefiziten bei Lehrlingen erarbeitet, das in enger Zusammenarbeit zwischen Berufsschule und Betrieb umgesetzt wird.

Eine neue Unterklasse?
Eine scharfsichtige Diagnose der Rahmenbedingungen, unter welchen Grundbildungsdefizite entstehen, stellte schließlich der Grazer Sozialwissenschafter Dr. Hans Georg Zilian. Eine Politik, die vordergründige Chancengleichheit predige, aber keine egalitäre Grundhaltung mehr vertrete, müsse notgedrungen gesellschaftliche Ungleichheit hervorbringen, die sich eben auch im Bildungsniveau ausdrücke. „Die Grundbildung wird von der Schule an die Familie relegiert, die diese Funktion oft aus sozialen Gründen nicht erfüllen kann.“ Zilians Fazit: „Falls der Befund wirklich stimmt, dass der funktionale Analphabetismus zunimmt, ist dies der Indikator für die Herausbildung einer neuen Unterklasse.“
Für die Veranstalter – Hannes Körbler von PASCH und Mag. Otto Rath von ISOP – steht jedenfalls fest: „Nicht alle Jugendlichen gewinnen Lehrlingsolympiaden, das andere, dunklere Ende des Spektrums zu betrachten ist nicht nur um des sozialen Friedens willen notwendig, sondern rechnet sich auch volkswirtschaftlich.“ Für entsprechende kompensatorische Programme müssen finanzielle Mittel zur Verfügung stehen: „Eine breite gesellschaftliche Kooperation in der Entwicklung und Durchführung von langfristigen Bildungsprogrammen braucht nicht nur helle Köpfe aus dem Bildungs- und Sozialbereich, sondern auch die Wirtschaft und Unternehmer als Partner in der Finanzierung.“

cs
 
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