06 / 2001
  Wem geht die Welt ins Netz?

Bei der Veranstaltung „Die Welt im Netz – Wie das Internet unsere Welt verändert” (Graz, 11. Mai) der Akademie Graz prallten zwei Welten aufeinander: Die des postmodernen Philosophen Norbert Bolz („Wir wissen immer weniger über die Zukunft, weil wir über dasWissen der Zukunft nichts wissen – und das ist gut so, denn wäre die Zukunft prognostizierbar, wären wir unfrei”) und die seines klassisch argumentierenden Zunftbruders Bernd Guggenberger („Wir wissen deswegen wenig über die Zukunft, weil sich die gesellschaftlichen Prozesse immer stärker beschleunigen”).
 

Internet-Guru Norbert Bolz: Spiritueller Mehrwert aus dem Netz?
Netz-Skeptiker Guggenberger: „Einfallspforten für totalitäre Gängelung”

Brauchen wir den intelligenten Joggingschuh?
Die Inszenierung der ritualisierten Auseinandersetzung war perfekt: Unverzüglich nach der knappen Beantwortung einiger Publikumsfragen eilte der smarte, braungebrannte Bolz aus dem Saal, um zum nächsten Vortrag über die „postökonomische” Gesellschaft zu jetten, in der es „keine konkreten Produkte mehr gibt, sondern nur mehr Fetische für einen bestimmten Lebensstil”, während der bodenständig argumentierende Guggenberger dem Lob des „spirituellen Mehrwerts” (Bolz) entgegenhielt: „Brauchen wir den intelligenten Joggingschuh wirklich?”
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar, dass das eigentliche Diskussionsthema „Internet” eigentlich nur den Kristallisationspunkt für die Entfaltung völlig unterschiedlicher Weltsichten darstellte: Jener, die darin in postmoderner Euphorie den Beginn einer neuen Ära erblickt (zum Beipiel jener der nicht wirklich sympathischen „kulturellen Scheidung zwischen Gestaltern und Usern”) – und jener, die – sicherlich zu Recht – vor den „Einfallspforten für totalitäre Gängelung” (Guggenberger) warnt, die sich damit auftun.

Vernetzung und Überwachung
Eine dritte Position hatte in dieser Auseinandersetzung – die auch vom Publikum mit äußerster Leidenschaft geführt wurde – kaum Platz: Neue Kommunikations- und Distributionsmedien hat die gesellschaftliche Entwicklung auf ihren verschiedenen Stufen immer wieder hervorgebracht – von der Eisenbahn bis zur Television. Und: Nach jeder einschlägigen Erfindung wurde von enthusiasmierten Philosophen die These vom Beginn eines neuen Zeitalters vertreten … und von pessimistischen Warnern Kassandrarufe ausgestoßen, die ihre Gefährlichkeit für das einzelne Individuum und die Kultur im Allgemeinen betonten. Recht haben beide, zweifelsohne, und doch auch wieder unrecht: Die gesellschaftlich positiven Auswirkungen des Internet – etwa die Möglichkeit, Informationen zu (nahezu) Nullkosten einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die ebenso nahezu kostenfreie Möglichkeit der Vernetzung von “communities of interest” (Bolz) sind ebenso Faktum wie die in dialektischem Gleichklang parallel dazu wachsenden Möglichkeiten der totalitärer Überwachung à la Echelon (wie von Guggenberger zu Recht betont). Letzendlich bestimmen die gesellschaftlichen Bedingungen, welcher Art der Gebrauch ist, der von den neuen Kommunikationstechnologien gemacht wird – auch wenn diese zweifellos auf diese Bedingungen zurückwirken.

Mit Bildung gegen den Informations-Overkill
Die Realität ist allerdings ohnehin viel nüchterner als der Hype, den „Gurus” à la Bolz verbreiten: Wie auch die letztjährige KORSO-Untersuchung über das Internet in der Steiermark gezeigt hat, wird das Netz der Netze überwiegend für Arbeit, Ausbildung und Informationsbeschaffung genützt – und an erster Stelle steht nach wie vor die Möglichkeit der Kommunikation per E-Mail. Die Bolz’sche Staccato-Lyrik von den „neuen Märkten des postökonomischen Zeitalters”, für deren Konstituierung dem Internet nahezu magische Funktion zugeschrieben wird, wirkte jedenfalls ein wenig deplatziert angesichts der jüngsten Börseneinbrüche der Dotcoms – und sie bietet weder Unternehmen noch KonsumentInnen eine wirkliche Orientierung für die sinnvolle Nutzung der Möglichkeiten, die das Web bietet. Im Gegensatz dazu hatte Guggenberger zumindest einen nützlichen Tipp parat, wie mit der Informationsflut umzugehen sei, der sich Web-UserInnen gegenübersehen: „Das Wissen darüber, was sinnvolles Wissen ist und was nicht, kann nur aus Bildung kommen.”

Christian Stenner

 
JUNI-AUSGABE
GLOBAL CORNER