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Wem geht die Welt
ins Netz?
Bei der Veranstaltung „Die Welt im Netz – Wie das Internet unsere Welt
verändert” (Graz, 11. Mai) der Akademie Graz prallten zwei Welten
aufeinander: Die des postmodernen Philosophen Norbert Bolz („Wir
wissen immer weniger über die Zukunft, weil wir über dasWissen
der Zukunft nichts wissen – und das ist gut so, denn wäre die Zukunft
prognostizierbar, wären wir unfrei”) und die seines klassisch argumentierenden
Zunftbruders Bernd Guggenberger („Wir wissen deswegen wenig über
die Zukunft, weil sich die gesellschaftlichen Prozesse immer stärker
beschleunigen”).
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Internet-Guru Norbert Bolz: Spiritueller Mehrwert
aus dem Netz?
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Netz-Skeptiker Guggenberger: „Einfallspforten
für totalitäre Gängelung”
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Brauchen wir den intelligenten Joggingschuh?
Die Inszenierung der ritualisierten Auseinandersetzung war perfekt:
Unverzüglich nach der knappen Beantwortung einiger Publikumsfragen
eilte der smarte, braungebrannte Bolz aus dem Saal, um zum nächsten
Vortrag über die „postökonomische” Gesellschaft zu jetten, in
der es „keine konkreten Produkte mehr gibt, sondern nur mehr Fetische für
einen bestimmten Lebensstil”, während der bodenständig argumentierende
Guggenberger dem Lob des „spirituellen Mehrwerts” (Bolz) entgegenhielt:
„Brauchen wir den intelligenten Joggingschuh wirklich?”
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar, dass das eigentliche
Diskussionsthema „Internet” eigentlich nur den Kristallisationspunkt für
die Entfaltung völlig unterschiedlicher Weltsichten darstellte: Jener,
die darin in postmoderner Euphorie den Beginn einer neuen Ära erblickt
(zum Beipiel jener der nicht wirklich sympathischen „kulturellen Scheidung
zwischen Gestaltern und Usern”) – und jener, die – sicherlich zu Recht
– vor den „Einfallspforten für totalitäre Gängelung” (Guggenberger)
warnt, die sich damit auftun.
Vernetzung und Überwachung
Eine dritte Position hatte in dieser Auseinandersetzung – die auch
vom Publikum mit äußerster Leidenschaft geführt wurde –
kaum Platz: Neue Kommunikations- und Distributionsmedien hat die gesellschaftliche
Entwicklung auf ihren verschiedenen Stufen immer wieder hervorgebracht
– von der Eisenbahn bis zur Television. Und: Nach jeder einschlägigen
Erfindung wurde von enthusiasmierten Philosophen die These vom Beginn eines
neuen Zeitalters vertreten … und von pessimistischen Warnern Kassandrarufe
ausgestoßen, die ihre Gefährlichkeit für das einzelne Individuum
und die Kultur im Allgemeinen betonten. Recht haben beide, zweifelsohne,
und doch auch wieder unrecht: Die gesellschaftlich positiven Auswirkungen
des Internet – etwa die Möglichkeit, Informationen zu (nahezu) Nullkosten
einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die
ebenso nahezu kostenfreie Möglichkeit der Vernetzung von “communities
of interest” (Bolz) sind ebenso Faktum wie die in dialektischem Gleichklang
parallel dazu wachsenden Möglichkeiten der totalitärer Überwachung
à la Echelon (wie von Guggenberger zu Recht betont). Letzendlich
bestimmen die gesellschaftlichen Bedingungen, welcher Art der Gebrauch
ist, der von den neuen Kommunikationstechnologien gemacht wird – auch wenn
diese zweifellos auf diese Bedingungen zurückwirken.
Mit Bildung gegen den Informations-Overkill
Die Realität ist allerdings ohnehin viel nüchterner als der
Hype, den „Gurus” à la Bolz verbreiten: Wie auch die letztjährige
KORSO-Untersuchung über das Internet in der Steiermark gezeigt hat,
wird das Netz der Netze überwiegend für Arbeit, Ausbildung und
Informationsbeschaffung genützt – und an erster Stelle steht nach
wie vor die Möglichkeit der Kommunikation per E-Mail. Die Bolz’sche
Staccato-Lyrik von den „neuen Märkten des postökonomischen Zeitalters”,
für deren Konstituierung dem Internet nahezu magische Funktion zugeschrieben
wird, wirkte jedenfalls ein wenig deplatziert angesichts der jüngsten
Börseneinbrüche der Dotcoms – und sie bietet weder Unternehmen
noch KonsumentInnen eine wirkliche Orientierung für die sinnvolle
Nutzung der Möglichkeiten, die das Web bietet. Im Gegensatz dazu hatte
Guggenberger zumindest einen nützlichen Tipp parat, wie mit der Informationsflut
umzugehen sei, der sich Web-UserInnen gegenübersehen: „Das Wissen
darüber, was sinnvolles Wissen ist und was nicht, kann nur aus Bildung
kommen.”
Christian Stenner
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