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Was der geplante Selbstbehalt in der Sozialversicherung bringen könnte und wer ihn zu bezahlen hätte

Etwa fünfeinhalb Milliarden Schilling wird das Defizit der österreichischen Krankenkassen im heurigen Jahr betragen. Zur Sanierung hat die neue Regierung in ihrem Koalitionspakt einen Selbstbehalt von bis zu 20% vereinbart. „Leider Gottes“, so Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, seien „härtere Maßnahmen“ notwendig. Maßnahmen, die leider Gottes die ohnehin schon hart Getroffenen in unserer Gesellschaft noch ein bisschen härter treffen werden.
Um Sinnhaftigkeit und Folgen eines derartigen Sanierungsversuchs zu hinterfragen, haben sich steirische Gesundheitsmanager und Ärzte auf Einladung des Sozialmedizinischen Zentrums (SMZ) Liebenau am runden Tisch getroffen. Gemeinsamer Tenor der Experten: Gesundheitsökonomisch und -politisch ist der Selbstbehalt desaströs.
Und das nicht nur, weil mit der Einführung des Selbstbehaltes eine dauerhafte Finanzierung des Gesundheitssystems ohnehin nicht gewährleistet wäre. Gravierend sind viel mehr die sozialen Folgen, die eine solche Sparmaßnahme nach sich ziehen würde. Denn es sind vor allem ältere und ärmere Menschen mit geringerer Bildung, auf deren (gesundheitliche) Kosten die wirtschaftlich ohnehin unzweckmäßige Sparmaßnahme gehen würde – und das ist keine Vermutung, sondern mit aktuellstem Zahlenmaterial untermauertes Wissen: Während etwa Universitäts-Absolventen statistisch pro Jahr nur rund eineinhalbmal zum Arzt gehen, brauchen Facharbeiter fast viermal jährlich ärztliche Hilfe, Pflichtschulabsolventen gar mehr als sechsmal.

Unzufriedenheit mit weiterem Selbstbehalt: GKK-Obmann Erwin Spindelberger, Dr. Gustav Mittelbach vom SMZ, Dr. Markus Narath, KAGES (v. l. n. r.)

Gesundheit & Einkommen
„Dass diese Menschen nicht deshalb so oft zum Arzt gehen, weil sie halt mehr Zeit haben, sondern weil es ihnen gesundheitlich schlechter geht, wird seit Jahrzehnten von internationalen Studien bestätigt“, weiß der Grazer Sozialmediziner Univ.-Prof. Wolfgang Freidl aus jahrelanger Forschungstätigkeit. Bezeichnenderweise kommen die verbreitetsten Erkrankungen in Österreich wie etwa der Bluthochdruck in niedrigeren Bildungsschichten drei- bis viermal so häufig vor wie in bessergestellten Kreisen.
Letztlich würde ein Selbstbehalt die Zerstörung einer solidarischen Gesellschaftsordnung vorantreiben – „und zwar ausschließlich auf Kosten der sozial unterprivilegierten und kranken Menschen“. Auch den Vorschlag, ärmere Bevölkerungsgruppen wie allein erziehende Mütter oder Arbeitslose etc. von dieser Regelung auszunehmen, hält Freidl für zweifelhaft, da soziale Stigmatisierung und Selbstwertdefizite die logischen Folgen wären.
„Angestrebt wird offensichtlich ein Übergang vom gegenwärtigen Pflichtversicherungssystem zu einer Versicherungspflicht“, teilt Dr. Rainer Possert vom SMZ Liebenau weit verbreitete Bedenken. „In einem derartigen System bieten viele gewinnorientierte Versicherer ihre Leistungen an, die - den Marktgesetzen folgend - für die Jungen und Gesunden günstiger zu bekommen sind als für die Alten und Kranken.“ Hier käme auch das Bonus-Malus-System zum Tragen, das von Regierungsseite in die Debatte eingebracht wurde: wer gesund ist, zahlt weniger. Der Haken dabei: dieses System basiert auf einem Wissensdefizit, denn Gesundheit hängt eben nicht von einem frei wählbaren lifestyle ab, sondern – siehe oben – von Bildung und Einkommen.

Zombie-Argumente
Wie Studien über das liberale amerikanische Gesundheitssystem belegen – aus dem bekannterweise überhaupt viele Menschen herausfallen –, führt der Selbstbehalt zu einem Rückgang bei der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, d.h. viele kommen oft erst dann zum Arzt, wenn es schon zu spät ist. „Dass sich dadurch letztlich noch höhere Kosten ergeben, als die Einsparung bringen kann, liegt auf der Hand“, ist Dr. Markus Narath von der Steiermärkischen Krankenanstalten Ges.m.b.H. überzeugt. Dennoch wirke eine Reihe von „Zombie-Argumenten“ für den Selbstbehalt. „Was diese Ideen zu Zombies macht, ist ihre Beharrlichkeit angesichts ihrer permanenten und offensichtlichen Widerlegung. Eines der bekanntesten dieser falschen Argumente basiert auf der Vorstellung, dass zu viele Patienten von den Krankenkassen zu viele überflüssige Leistungen verlangen; mittels Selbstbehalt werden sie – so das Zombie-Argument – nur noch die wirklich wichtigen in Anspruch nehmen ...“

Selbstbehalt vermag dauerhafte Finanzierung des Gesundheitssystems nicht zu gewährleisten und schafft weitere soziale Ungleichheit

Selbstbehalt schon jetzt
In der Selbstbehalt-Diskussion werde zudem gerne übersehen, dass es schon jetzt genügend Selbstbehalte gibt, betont der Obmann der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse Erwin Spindelberger. „Rund 10 Milliarden öS zahlen die Österreicher jährlich neben den Krankenversicherungsbeiträgen für Rezeptgebühren, Krankenscheingebühren, Brillen, Zahnprothesen und Heilbehelfe.“
Den Bestrebungen der Regierung, den Wettbewerb unter den Krankenversicherungsanstalten zu forcieren, kann Spindelberger nichts abgewinnen: „Eine Sozialversicherung kann man nicht nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien führen, ohne enorme soziale Rückschritte in Kauf zu nehmen“, betont der Gesundheitsmanager. Die Konsequenzen wären eine Zurücknahme gewisser Leistungen oder eine rigorose Selektion der Kranken nach Alter und/oder Einkommen. So werden zum Beispiel in Großbritannien gewisse Operationen ab einem gewissen Alter nicht mehr durchgeführt, da sie sich schlicht nicht mehr „auszahlen“.

Kostentransparenz
Den Anfang einer Demontage des österreichischen Gesundheitssystems in Richtung Marktliberalismus befürchtet auch die Gesundheitsmanagerin Bettina Mitter von Health&Public. Ein Selbstbehalt für dessen Sanierung sei weder wirtschaftlich noch sozial sinnvoll. „Was wir allerdings wirklich brauchen, ist mehr Transparenz bei der Verteilung der Gelder. Wer weiß denn eigentlich, wofür das Geld ausgegeben wird?“ Dass es unserem System an Transparenz fehlt, bemängelt auch Dr. Franz Piribauer von der Landessanitätsdirektion Steiermark. In der jetzigen Situation werden, so Piribauer, „irgendwelche Leistungen angeboten, für die über den Selbstbehalt vor allem die unteren Schichten zur Kassa gebeten werden sollen.“
Doris Griesser


Steirisches Gesundheitszentrum:
Kooperation von Uniqa-Versicherung und Elisabethinenspital

Im Hinblick auf die Umsetzung einer umfassenden Gesundheitsvorsorge und -förderung gründete die Uniqa Versicherungsgruppe zusammen mit dem Grazer Elisabethinenkrankenhaus das zehnte Gesundheitszentrum des Uniqa-Vitalclubs Österreich. Die Initiative trägt der WHO-Vorgabe Rechnung, wonach die Perspektiven moderner Gesundheitssysteme nicht nur und ausschließlich an der Reparatur bereits eingetretener Erkrankungen auszurichten seien, sondern ebenso an der Propagierung neuer, gesundheitsfördernder Lebensstile, die Erkrankungen „gar nicht erst entstehen lassen“. Die Gesundheitszentren empfehlen sich hier als „Gesundheitspartner“, wie Vitalclubpräsident Dr. Heinz Dopplinger erklärt: Ihre Leistungen reichen von Vorsorgeuntersuchungen über umfassende Beratung, Motivationsinitiativen, Kochkursen und Bewegungsseminaren bis zur abschließenden „Erfolgskontrolle“. Uniqa und die jeweils als Partner fungierenden „Gesundheitsdienstleister“ (öffentliche oder private Krankenhäuser) stellen dabei die finanziellen und infrastrukturellen Mittel für die Versicherten bereit.

Kontakt:
UNIQA Landesdirektion Steiermark,
Annenstraße 36—38, 8010 Graz,
Tel. (0 316) 782-165
 


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