12 / 2000
  „Es tut keiner Sprache weh, sich im Spiegel einer anderen zu schauen“

Nahezu alle GrazerInnen wissen, dass ihrer Heimatstadt der  Ehrentitel „Europäische Kulturstadt 2003” verliehen wurde. Bloß eine Handvoll hat Kenntnis davon, dass die steirische Landeshauptstadt schon seit einigen Jahren zu Recht den Titel „Europäische Sprachenstadt” tragen könnte – schließlich residiert hier das Europäische Fremdsprachenzentrum (ECML), eine Einrichtung des Europarates, die sich mit Fragen des Fremdsprachenunterrrichts und, damit verbunden, des interkulturellen Lernens beschäftigt.

Die Arbeit des Zentrums – blüht sie auch mangels Interesse der lokalen Medien eher im Verborgenen – ist ausnehmend erfolgreich: „Die Zahl der Staaten, von denen das Zentrum getragen wird, ist von 8 auf 28 angewachsen”, bilanziert der Executive Director, Michel Lefranc – von Andorra über die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich bis hin zu südosteuropäischen Staaten wie Mazedonien und Rumänien reicht die Palette. Österreich kann sich übrigens auf die Fahnen heften, 1994 gemeinsam mit den Niederlanden die Initiative für die Gründung des ECML ergriffen zu haben.

 „Globalisierung darf Sprachenvielfalt nicht zerstören”
Mit der Ausweitung der Aktivitäten des Zentrums stieg auch sein Platzbedarf, die ursprünglich genützten Räume im idyllischen Mozarthof in der Schubertstraße genügten nicht mehr. Ein Umzug wurde nötig – und so konnte Lefranc am 17. November 200 Festgäste – darunter die Botschafter 22 europäischer Staaten – zur Eröffnung der neuen Räumlichkeiten im soeben fertig gestellten Bürogebäude am Nikolaiplatz 4 begrüßen. In seiner Festansprache betonte der Generalsekretär des Europarates, der Österreicher Walter Schwimmer, die Notwendigkeit, die Wahlmöglichkeiten im Fremdsprachenunterricht auf europäischer Ebene auszuweiten: „Europa ist und bleibt multilingual und multikulturell – die Globalisierung darf die Sprachenvielfalt nicht zerstören.” Ein berührendes Plädoyer für die Auseinandersetzung mit der Sprache und Kultur der „Anderen” hielt die deutsche Schriftstellerin Herta Müller: „Es tut keiner Muttersprache weh, sich im Spiegel einer anderen zu schauen.”
 

Europarat-Generalsekretär Walter Schwimmer (bei der Eröffnung der neuen Räumlichkeiten des ECML): „Europa ist und bleibt multilingual und multikulturell.”

„Der Herausforderung der Vielsprachigkeit begegnen”
Wie sieht die Arbeit des Zentrums konkret aus? Josef Huber, der Programmverantwortliche des ECML, holt ein wenig aus: „Unsere Tätigkeit beruht auf der Feststellung, dass man den Herausforderungen der Vielsprachigkeit in einer vernetzten Welt nicht mehr mit drei Stunden Fremdsprachenunterricht in der Woche begegnen kann.” Vom „Lebenslangen Lernen” über die möglichen Synergien beim Erlernen mehrerer Sprachen bis hin zu den Möglichkeiten, die durch sprachliche Grenzlagen oder die Kontakte zu Schwesterstädten geboten werden – alles könne zur Förderung des Sprachenlernens genutzt werden. Entsprechende  Seminare und Workshops, die vor allem für Lehrerausbildner und Multiplikatoren aus dem schulpolitischen Bereich gedacht sind, werden kontinuierlich angeboten. Es gibt aber auch Angebote, die sich direkt an Fremdsprachenlehrer richten – so etwa Lehr- und Unterrichtsmaterialien für den berufsbildenden Bereich, die von der äußerst umfangreichen Website des Zentrums (www.ecml.at) heruntergeladen werden können. Weitere Arbeitsschwerpunkte: Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien beim Sprachenlernen (besonders auch für junge Lerner im Alter von 8 bis 10 Jahren) oder Kurse zu internationalem Projektmanagement. Besondere Bedeutung misst man im ECML der Vermittlung der so genannten „Cultural Awareness” bei – wer in einer Fremdsprache spricht oder dem Sprecher einer fremden Sprache zuhört, sollte sich auch der kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten bewusst sein, um Missverständnisse hintanzuhalten. „Im Zentrum unserer Bemühungen”, betont Huber, „steht die erfolgreiche Kommunikation”.
 

Executive Director Michel Lefranc (li): „Interkulturelle Verständigung ist ein Gebot der Stunde” – Programmverantwortlicher Josef Huber: „Im Zentrum unserer Bemühungen steht die erfolgreiche Kommunikation”

Damit schreibt sich die Tätigkeit des Zentrums in das Ideal des Europarates ein: „Mit unserer Arbeit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Demokratie und Toleranz”, ist Lefranc überzeugt. „Letztendlich unterstützen wir damit die interkulturelle Verständigung – und die ist ein Gebot der Stunde. Nicht nur in den neuen Demokratien Südosteuropas, mit denen wir eng zusammenarbeiten, sondern ebenso in Österreich und in meiner Heimat Frankreich.” 

cs
Kontakt:
Europäisches Fremdsprachenzentrum
Nikolaiplatz 4, 8020 Graz
Tel. (0316)323554, Fax DW 4
E-mail: information@ecml.at
URL: www.ecml.at
   

 
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